"Unter Linken - Von einem, der aus versehen konservativ wurde". Der Titel des vom Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer geschriebenen und bei Rowohlt verlegten Buchs verspricht amüsante Lektüre. Auch die bei Spiegel-Online vorab veröffentlichten Auszüge klingen so, als wolle da jemand gekonnt über linke Eitelkeiten und Selbstbetrügereien herziehen sowie seinen konservativen Gegenentwurf präsentieren - ein Buch also, das sich beiden politischen Lagern zur Lektüre anbietet: den Linken, um in einem heilsamen Schock zu erfahren, wo sie schlicht und einfach falsch liegen, den Rechten, damit sie wissen, warum sie nicht links sind. Diesen Anspruch erfüllt das Buch auch - teilweise. Der Spiegel hat klugerweise genau diese Passagen als Appetitanreger veröffentlicht. Das Buch ist großartig, wenn es autobiografisch den Anspruch zwischen linkem Selbstverständnis und der Realität aufs Korn nimmt, es ist gut, wenn es etwas allgemeiner werdend linke Heiligtümer in Zweifel zieht, es ist bedrucktes Papier, wenn es den Sozialstaat und das Bildungssystem kritisiert.
Fleischhauer wuchs in einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus auf. In den 60ern Geborene werden ihre eigene Kindheit in den Erzählungen über die Mutter, die Politik mit Religion verwechselt, wiedererkennen und endlich in Worte gefasst finden, was ihnen in den Jahrzehnten ihres Heranwachsens immer schon merkwürdig vorkam: die Diskussionsaffinität, die komischerweise immer dann ihr Ende fand, wenn die Gegenseite zu gewinnen drohte; der Wochenendsozialismus, der die Weltrevolution im Allgemeinen befürwortete, solange sie im Speziellen um das eigene Reihenhäuschen einen Bogen beschrieb; der romantische Revolutionär Che Guevara, auf dessen Konto wahrscheinlich über tausend recht unromantisch ermordete Menschen gehen. Erinnerungsbücher gibt es jedoch schon reichlich, und "Unter Linken" will mehr als das sein. Folglich wendet sich Fleischhauer der großen Gesellschaftskritik zu, und genau dort zeigt sein Buch deutliche Schwächen.
"Links" und "rechts", meinetwegen auch "konservativ" sind äußerst schwammig gefasste Begriffe. Jeder weiß ungefähr, was damit gemeint ist, aber eine genaue Grenzziehung gelang bisher nicht, was einige Autoren zur These veranlasste, diese Begriffe seien wegen ihrer Unschärfe unredlich, zumindest aber historisch überholt. Fleischhauer stolpert über genau diese Unschärfe. Verspricht sein Buchtitel eine Auseinandersetzung mit den Linken, geht es in den Kapiteln über den Sozialstaat und das Bildungswesen viel allgemeiner zu, bis schließlich insgesamt "die Politiker" die Sache verschusseln. Da wird auf einmal linkes Gedankengut quer von der Linkspartei bis hin zur CSU geortet. Mit dieser Annahme mag Fleischhauer möglicherweise sogar richtig liegen, es bleibt aber der Eindruck, er bastle sich seinen Gegner immer so, wie es ihm gerade passt. Er schreibt es schon im Einleitungskapitel: Die Linke mag keine gesellschaftliche oder parlamentarische Mehrheit haben, aber sie sitzt in den entscheidenden Positionen, in den Redaktionsräumen, in den Lehrerzimmern, in den Künstlerateliers, auf den Theaterbühnen. Von dort steuern sie uns alle, auch die Parlamente. Das heißt: Selbst wenn irgendwo eine CDU-Alleinregierung ein entsetzlich dummes Gesetz verabschiedet, liegt es nicht an der Dummheit der Beschlussträger, sondern daran, dass ihr Gehirn umnebelt ist vom Pesthauch des Sozialismus. Da werfe noch einmal jemand den Linken vor, sie litten an Verfolgungswahn. Allgemeine Missstände anzuprangern, sie dann aber den Linken zuzuschieben, mag den Platz vor der eigenen Tür sauber halten, der Sache dient es allerdings nicht, denn selbst wenn die Linken bei sich für Abhilfe sorgten, wäre der Missstand damit nicht aus der Welt.
Das Bildungssystem geht vor die Hunde, der Wohlfahrtsstaat füttert jeden durch, der nur laut genug jammert und saugt die wenigen Leute aus, die hierzulande noch Steuern zahlen - mag sein, aber um das zu lesen, hätte man bereits vor Jahren eine beliebige Tages- oder Wochenzeitung aufschlagen können. Was fehlt, ist der Gegenentwurf, ist die Konsequenz aus der angewiderten Abwendung vom linken Gedankengut. Interessant wäre es auch gewesen, die Entwicklung vom im linken Milieu Aufgewachsenen hin zum bekennenden Konservativen zu erfahren. Wann kamen erste Zweifel am linken Weltbild auf? Was stieß ihn besonders ab? Wann wurde ihm klar, dass er konservativ dachte? Fleischhauer bleibt hier leider nur bei Andeutungen, dabei ließen sich gerade aus den Reaktionen seines Umfelds Schlüsse ziehen, wie die moralischen Mechanismen der Linken funktionieren.
Weite Teile der Linken verklären die Palästinenser zu heroischen Freiheitskämpfern und verdammen die Israelis als Völkermörder. Die Kritik ist berechtigt, Fleischhauers Gegenthese vom verzweifelt sein Existenzrecht verteidigenden Israel taugt aber auch nicht als Erklärungsansatz für eine Situation, in der faktisch seit 60 Jahren Krieg herrscht und wo schon längst niemand mehr sagen kann, wer auf welche Provokation reagiert. Insgesamt verblüfft es etwas, dass Fleischhauer die gleiche historische Verbindung einmal sieht und einmal nicht. Die Frage, warum die deutsche Linke sich ständig in die israelische Politik einmischt, bleibt ihm unerklärt und er vergleicht dies damit, wie es wäre, wenn Mexiko auf die Idee käme, sich in die deutsche Politik einzumischen. Auf der anderen Seite beschreibt der die Selektion israelischer Flugpassagiere durch deutsche Terroristen mit den Worten: "genau 31 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz". Es ist ihm also klar, dass zwei Kulturen, die während eines Völkermords an verschiedenen Seiten des Lagerzauns gestanden haben, nicht miteinander umgehen, als sei nichts geschehen.
Was Fleischhauer insgesamt übersieht: Die Linke, vor allem ihre Vordenker, mögen eine selbstverliebte Horde Irrer sein, aber es geht ohne sie nicht, ebensowenig wie es ohne die Konservativen ginge. Gleichberechtigung, soziale Absicherung, Umweltschutz, Aufarbeitung des Nationalsozialismus, Kinder, die ihre Eltern nicht mehr siezen müssen und dafür keine Tracht Prügel beziehen - auf diese Ideen wären die Konservativen nicht allein gekommen, die eine Frau in der Küche, Leistungswillen, eine florierende Wirtschaft und disziplinierte Kinder als ihre Werte ansehen. Umgekehrt ist es Aufgabe der Konservativen, gegen Auswüchse vorzugehen, wie über die Quote in Ämter gehievte Versager, Regenwurmarten, die den Bau kompletter Stadtteile verhindern und Bälger, die mit 14 Jahren noch keinen klaren Satz aussprechen können. Links und rechts sind wie Tom und Jerry, Ernie und Bert, Lennon und McCartney: allein nur mäßig interessant, erst im Wettstreit wirklich produktiv. Das heißt übrigens auch, dass nicht unbedingt in der Mitte die Lösung zu suchen wäre. Bei keinem dieser drei Paare gibt es eine dritte Figur, welche die beiden Positionen vereint und am Ende die rettende Idee präsentiert. Das Ganze funktioniert nur, wenn niemand auf Dauer gewinnt.
So bleibt "Unter Linken" leider dort stehen, von wo es sich dem eigenen Bekunden nach wohltuend abheben wollte: Anekdotenhaft hält es der linken Selbstgerechtigkeit den Spiegel vor, schafft es aber nicht, zu erklären, wie und warum die Konservativen allein den Weg in bessere Zeiten weisen können.