Mittwoch, 18. April 2018

In der ideologischen Sackgasse

Irgendwo verübt irgendwer einen Anschlag. Die Presse meldet: Es war ein Ausländer.

"WIE KANN MAN NUR! Die Nationalität spielt doch bei solchen Dingen keine Rolle! Mord ist Mord, egal, wer ihn ausübt."

OK, das nächste Mal meldet die Presse nur, dass es ein 25jähriger Mann war. Jetzt sollte man doch erwarten, dass sich jemand darüber aufregt, dass das Geschlecht keine...

"SIEHSTE, wieder ein klares Beispiel für die brutale Gewalt des Patriarchats!"

Ah, verstehe, Nationalismus ist voll böse, aber Sexismus ist OK, so lange das Feindbild stimmt. Vor einigen Tagen fuhr in Müster ein Auto in eine Menschenmenge. Weder über Geschlecht, noch über Nationalität der Schuldigen war lange Zeit etwas zu erfahren. Dann kam heraus, dass es ein Deutscher war. Jetzt sollte man meinen, dass es deswegen Ärger gibt, weil...

"GENAU, ein Deutscher. Siehste, es sind eben nicht immer nur die Ausländer, gegen die ihr immer hetzt."

Mal sehen, ob ich das zusammenkriege: Wenn der Attentäter Ausländer ist, spielt die Herkunft keine Rolle, aber wenn es ein Deutscher ist, auf einmal schon? Gut, habe ich notiert. Kommen wir zu vergangenem Samstag.

Da hat ein Raufen rechter Wirrköpfe in Köln gegen das NetzDG demonstriert. Das sollte nicht weiter verwundern, denn genau für sie ist es überhaupt erst geschrieben worden. Das Problem mit diesem Gesetz ist nur: Es geht nicht allein gegen die Rechten. Das wäre erstens wenig sinnvoll und zweitens verfassungsrechtlich fragwürdig. Deswegen geht das Gesetz gegen verleumderische und hetzerische Äußerungen allgemein und droht den Betreibern sozialer Netze empfindliche Strafen an, wenn sie solche Äußerungen nicht umgehend sperren. Dummerweise sieht das NetzDG keine Strafen vor, wenn man im Übereifer nicht nur eindeutig strafbare Äußerungen sperrt, sondern lieber gleich alles, was irgendwie Ärger bereiten könnte. Aus diesem Grund haben auch viele, eher dem linken Spektrum zuzurechnende, Netzaktivistinnen Bedenken gegen dieses Gesetz geäußert. In den falschen Händen ist es eben nicht nur ein Instrument, um rechte Hetze aus dem Netz zu verbannen, sondern es lassen sich fast beliebige Inhalte zensieren. Das ist übrigens ein guter Indikator dafür, ob ein Gesetz oder eine Regel im Allgemeinen wirklich gerecht ist: Wenn ich widerwillig anerkennen muss, dass es mich selbst auch treffen kann, ist es gerecht. Ich kann mich eben nicht hinstellen und fordern, dass der Kinder wegen in meiner Straße Schritttempo gefahren wird und selbst mit 30 durchpreschen, weil ich so toll aufmerksam fahre, dass ich niemals einen Unfall baue.

Ein anderes Beispiel ist die Vermietung der Stadthalle Wetzlar an die NPD. Hier hat die Stadt - was ich emotional verstehen kann - versucht, der NPD die Nutzung der Halle zu verwehren. Die NPD hat daraufhin geklagt und gewonnen. Prompt schwappte eine Empörungswelle durchs Netz, was dem Gericht denn einfiele, sich an geltendes Recht zu halten. Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, dass die NPD eine Partei mit zutiefst verachtenswerten Zielen ist, aber sie ist - eine zugelassene Partei. Deswegen gelten für sie die gleichen Spielregeln wie für die Piraten, die Grünen, die CDU oder die SPD. Wenn eine zur politischen Neutralität verpflichtete Stadtverwaltung einer zugelassenen Partei einen Veranstaltungsraum nicht zur Verfügung stellen will, weil ihr deren Ziele nicht passen, kann das schnell nach hinten losgehen. Was wäre, wenn eine Stadt - was ich in den nächsten Jahren für gut möglich halte - von einer CSU-AfD-Koalition regiert wird und die eine Veranstaltung der Grünen verhindern will, weil ihr deren Ziele nicht passen?

Zurück zur Situation am vergangenen Samstag in Köln. Die Szene war in ihrer Absurdität schon speziell. Im Prinzip finde ich es nämlich völlig richtig, gegen ein derart stümperhaftes und gefährliches Gesetz auf die Straße zu gehen, und ich frage mich, warum es nicht schon längst Proteste dagegen gab. Na gut, vielleicht liegt es daran, dass die Netzaktiven-Szene nach 10 Jahren weitgehend erfolglosen Herumgelatsches sich eher auf andere Protestformen verlegt hat. Das aber führ dazu, die Straße denjenigen zu überlassen, die man auf keinen Fall da haben will. Natürlich haben sich wie immer, wenn die extreme Rechte demonstriert, auch linke Gegendemonstranten gemeldet, und das wiederum gab den extrem Rechten eine Steilvorlage für eine Rede, die sie als die aufrechten Verteidiger der Meinungsfreiheit hinstellten und die Linken als Gesinnungstaliban.

Zumindest, was den ersten Teil der Aussage angeht, konnten die Rechten nicht falscher liegen.