Samstag, 14. Juli 2018

Buchkritik - Marc-Uwe Kling: Qualityland

Viel wurde in Netzaktivistenkreisen das Buch bejubelt. Der wegen seiner "Känguru"-Reihe beliebte Kleinkünster Marc-Uwe Kling hatte jetzt auch einen längeren Roman geschrieben, in dem es um die Herrschaft der Big-Data-Analyse, des Scorings und des computergestützten Turbokapitalismus über den Menschen geht. Nebenher gibt es noch eine Menge über KI zu lesen, und Ausländerfeinde bekommen auch ihr Fett weg. Kurz: alles was das linke Netzaktivistenherz erfreut.

Vielleicht ist dieser perfekte Mix der Grund, warum das Buch nicht so richtig in die Gänge kommt. Man kann Kling nicht vorwerfen, schlecht recherchiert zu haben. Die technischen Details stimmen. An der Geschichte ist auch nichts auszusetzen: In einer nahen Zukunft haben die Maschinen die Herrschaft übernommen, auch wenn die Menschen das nicht zugäben. Formal haben sie immer noch das Heft in der Hand, aber sie verlassen sich in ihren Entscheidungen so blind auf das, was ihnen die Computer vorgeben, dass der menschliche Faktor praktisch keine Rolle mehr spielt. Der Wert eines Menschen hängt von dessen Scoring ab, und das entscheidet auch, welches Produkt er als nächstes kaufen zu wollen hat - zum Beispiel einen rosafarbenen Vibrator in Delfinform, den der Antiheld der Geschichte eines Tages unverlangt zugestellt bekommt und den er nicht zurückgeben kann. Keine Chance. Die Berechnungen sagen, dass er, auch wenn er es nicht wahrhaben will, dieses Produkt möchte, und Computer können sich nicht irren. Zusammen mit einem Kellerraum voller defekter KI-Hightechprodukte, die er vor der Verschrottung bewahrt hat, bricht er zu einer kafkaesken Reise auf, um das unerwünschte Gerät wieder loszuwerden. In Nebenerzählsträngen geht es um den Chef der das Land beherrschenden Versandfirma sowie einen Androiden, der gegen einen Rechtsradikalen im Präsidentschaftswahlkampf antritt und dabei merkt, wie wenig die Wähler auf Sachargumente ansprechen.

Die Zutaten stimmen, und das Ergebnis schmeckt auch, aber es schmeckt nicht nach meisterlich abgeschmeckter Sterneküche, sondern nach Fertiggericht. Die Grundgeschichte ist in Ordnung, aber sie ist auch nicht besonders originell. Die phlegmatische Hauptfigur kommt einem von den "Känguru"-Büchern bekannt vor, sie funktioniert auch, aber mehr auch nicht. Die Ideen mit den eigentlich zur Verschrottung vorgesehenen Robotern und Haushaltsgeräten, dem selbststeuernden Taxi mit Orientierungsschwierigkeiten und den Lieferdrohnen, die beleidigt reagieren, wenn man ihnen bei der Leistungsbewertung nicht die maximale Punktzahl gibt, sind lustig, aber seit Douglas Adams auch nicht mehr neu. Der paternalistisch herrschende Social-Media-Versandhauskonzern ist gut beschrieben, aber auch das hatten wir in ähnlicher Form schon in "The Circle". Die zahlreichen Seitenhiebe gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit mögen die dringend nötigen Streicheleinheiten für die Berliner Alternativszene sein, damit der Hipster von Welt auch das Neue Kling-Buch kauft, aber wen will Kling damit erreichen? Glaubt er ernsthaft, ein AfD-Wähler kaufe sich das Buch, um es mitten während des Lesens sinken zu lassen und zu sagen: "Ja, also, wenn ich mir das hier so ansehe, merke ich, dass Rassismus eine reichlich dumme Sache ist. Ich glaube, ich wähle wieder grün." Die Idee, bereits bekannte Abkürzungen neu zu belegen, hat schon fast Schülerkabarettniveau. Ähnlich geht es mir bei den penetranten Zahlenspielereien im Buch. Viele Zahlen sind entweder glatte Zweierpotenzen, sind in Dualschreibweise irgendwie hübsch anzusehen oder spielen sonstwie auf die IT-Welt an. Ja, Nerds lieben diese kleinen Erkennungszeichen, mit denen man sich gegenseitig der Gruppenzugehörigkeit versichert, aber die Dosierung ist wichtig. So massiv wie in "Qualityland" wirken sie eher wie der Straßensozialarbeiter Ende 40, der  mit akkurat falsch aufgesetzter Baseballkappe auf eine Gruppe Jugendlicher zugeht: "Hey Kid's, was geht ab, immer voll krass am Chillen?" Dabei hatte man ihm doch im Fortbildungsworkshop gesagt, dass die jungen Leute heute so reden.

Kling hat einen Sinn für absurde Situationen, er hat ein Gespür für Komik, aber vielleicht funktioniert es in in kurzen, knackingen "Känguru"-Geschichten besser als bei einem langsam sich entwickelnden Erzählfaden eines Romans. Kling scheint das zu ahnen, und so greift er zum Standardtrick, dessen sich jeder zweitklassige Comedian bedient, wenn er aus einem lahmen Publikum ein paar billige Lacher rauskitzeln will: schlüpfrige Anspielungen. Am deutlichsten wird dies natürlich bei dem Artikel, den der Protagonist vergeblich zurückgeben will, aber Gürtellinien-Witzchen kommen auch sonst mehrfach vor. Ich finde nicht, dass Kling so etwas nötig hat.

Insgesamt kommt ein Buch heraus, das weder besonders schlecht, noch besonders gut ist. Es buhlt etwas sehr aufdringlich um die Lesergunst, was einfach schade ist, denn die Figuren, die Ideen und die Recherche stimmen. Es scheint mir, als hätte Kling genug davon, als der lustige Kleinkünster mit seinen etwas albernen Kurzgeschichten herumgereicht zu werden und habe nun den satirischen Science-Fiction-Roman schreiben wollen, mit dem er auch die Anerkennung des moderat netzaffinen Bildungsbürgers bekommt. Den überwiegend positiven Reaktionen aus dieser Gruppe zufolge ist ihm das auch gelungen. In meinen Augen bleibt das Buch jedoch hinter dem zurück, was es hätte werden können.

Marc-Uwe Kling: Qualityland. Ullstein, 18 €

Sonntag, 1. Juli 2018

Buchkritik - Katharina Nocun: Die Daten, die ich rief

In den vergangenen Jahren hat die Netzaktiven-Bewegung viele Leute nach oben gespült, bei denen man sich verzweifelt gefragt hat, welche Eigenschaft außer hysterischem Kreischen sie wohl besonders auszeichnen mag. Oft genug nutzten diese Leute dann ihre Viertelstunde Ruhm, noch schnell ein Buch zusammenzukritzeln, gern mit einem lustigen Wortspiel, vielleicht irgendwas mit "klicken", um sich so den Anschein von Relevanz zu geben.

Zum Glück gehört Katharina Nocun nicht zu dieser Art Netzaktiven, im Gegenteil. Sie tauchte vor ungefähr einem Jahrzehnt in der Szene auf, diskutierte engagiert, gern auch etwas überspitzt, aber eben auch immer sachkundig. Das sind nicht die Voraussetzungen für eine Blitzkarriere, aber Kattascha setzte offenbar mehr auf Seriösität als auf Krawall. Den konnte sie durchaus auch. Wenn sie es darauf anlegte, konnte sie auch auf einer improvisierten Bühne einer Demonstration einheizen, und der eine oder andere knackige Spruch kam dabei zustande. Insgesamt aber bestach sie in erster Linie durch Sachkunde und Argumente.

Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum sie ungewöhnlich lang mit einem Buch auf sich warten ließ. Andere Aktive waren ihr zuvorgekommen, hatten Mitte 20 Autobiografien verfasst, sich an der Netzbewegung im Allgemeinen und den Piraten im Besonderen abgearbeitet. Auch Kattascha hätte dazu reichlich Anlass gehabt. Statt dessen kommt sie mit ihrem Buch zu einer relativ unspektakulären Zeit und zeigt gerade damit ein gutes Zeitgefühl.

Kattascha ist Datenschutzaktivistin und deswegen schreibt sie, wen wundert's, über Datenschutz. Das große Grundlagenwerk, der alles verändernde Meilenstein, die neue Referenzgröße zu diesem Thema ist dabei nicht herausgekommen, aber das war wohl auch nie ihr Anspruch. Zu viele haben vorher ebenfalls darüber geschrieben: Gerhart Baum, Ilja Trojanov und Juli Zeh, Constanze Kurz und Frank Rieger, Jan Philipp Albrecht, Malte Spitz, um nur einige Namen zu nennen. Nach all diesen Büchern noch irgendetwas komplett Neues zu erwarten, wäre Unsinn. Was man jedoch erwarten kann, ist alle paar Jahre ein Buch, das den aktuellen Stand sauber darstellt; ein Buch, das man jemandem, der in die Materie einsteigen will, in die Hand geben und sagen kann, dass da die wesentlichen Argumente erläutert werden. Ein solches Buch war mal wieder fällig, und dankenswerterweise hat Kattascha es geliefert, engagiert, gut lesbar, kompetent. Dass im hinteren Teil, in dem es um konkrete Tipps geht, der eine oder andere Hinweis nicht korrekt ist, stört nicht weiter. Der Rest gleicht das vollkommen aus.

Das Buch beginnt mit einer Recherche, die sich von der Idee her bei Malte Spitz "Was macht ihr mit meinen Daten?" bedient und nachforscht, wo welche Informationen über uns anfallen und verarbeitet werden. Wer Spitz' Buch gelesen hat, findet hier keine sensationellen Neuigkeiten, aber eine willkommene Aktualisierung. Im zweiten Teil geht es um die Möglichkeiten, und mit den über uns gewonnenen Daten zu manipulieren. Anhand vieler Fallbeispiele und selbst durchgeführter Experimente räumt Kattascha mit dem Mythos auf, das Netz sähe für alle gleich aus und behandle auch alle gleich. Der dritte Teil beschreibt Möglichkeiten der Gegenwehr, und hier fehlt neben diversen technsichen Maßnahmen auch nicht der dringende Appell, politisch aktiv zu werden. Zum Abschluss gibt es eine reichhaltige Literaturliste, welche die zahlreichen im Buch genannten Beispiele mit Quellen belegt. Schön wäre es gewesen, wenn der Text schon direkt auf diese Werke verwiesen hätte, aber wahrscheinlich wollte der Verlag nicht mit Dutzenden Fuß- und Endnoten unnötig Leute verschrecken.

Mein persönlicher Lieblingsabschnitt ist der über das Zustandekommen der DSGVO, der gerade in der zur Zeit herrschenden Anti-Datenschutz-Hysterie all denen um die Ohren gehauen gehört, die sich lautstark darüber echauffieren, wie unfassbar böse dieses Gesetzeswerk ist. Dieser Abschnitt beschreibt, wie massiv und mit welch unredlichen Methoden bisweilen gegen das Zustandekommen des Gesetzes lobbyiert wurde. Es wird klar, wie dringend notwendig die Verordnung war, dass sie trotz aller Kritik eine deutliche Verbesserung zur vorherigen Lage darstellt und dass die zum Großteil extrem uninformiert herumtönenden Kritiker vielleicht einmal darüber nachdenken sollten, wem sie mit ihrem Gekreische Schützenhilfe leisten.

Katharina Nocun:  Die Daten, die ich rief. Lübbe 2018, 18 €.