Sonntag, 16. Dezember 2012

Friedrichs detaillierte Resignation

"Warte... warte... warte... genau, jetzt, guck. Genau jetzt geht die Bombe hoch."
- "Alter, was für ein Feuerball. Stirbt die Frau mit dem Kinderwagen jetzt schon?"
"Die? Ach nein, das kommt später."

So oder so ähnlich muss sie aussehen, die Welt von Innenminister Hans-Peter Friedrich, der den fehlgeschlagenen Bombenanschlag am Bonner Bahnhof (wie so ziemlich jedes andere Ereignis auf diesem Planeten) zum Anlass nahm, sich für eine verschärfte Videoüberwachung einzusetzen. Hingen erst einmal überall an öffentlichen Plätzen Überwachungskameras, so Friedrich, könne man "Gewalttäter abschrecken und geplante Anschläge aufklären". An dieser vorsichtigen Formulierung erkennt man schon, dass der Innenminister sehr wohl weiß, da gerade Unsinn zu reden.

Unsinn ist Friedrichs Forderung gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens findet eine Abschreckung nachweislich nicht statt. Erinnern Sie sich noch an die gestochen scharfen Videos aus U-Bahnen, wo wir in jedem Detail nachvollziehen konnten, wie gerade ein Mensch totgetreten wird? Wie stellt sich Friedrich die Sache vor? Dass ohne Kameras der Mensch noch viel toter getreten worden wäre?

Das einzige Argument, das ich noch halbwegs nachvollziehen kann, ist die Behauptung, man könne Verbrechen auf diese Weise besser aufklären. Die folgende Erkenntnis mag einige überraschen, aber es nützt dem totgetretenen Menschen, dem von einer Bombe zerfetzten Bahnreisenden nicht mehr viel, wenn die Nachwelt bis ins kleinste Detail ihren Tod analysieren kann. Wer wirklich etwas gegen Verbrechen unternehmen will, der denkt mit und handelt, der geht dazwischen, wenn jemand zusammengeschlagen wird, der alarmiert - wie in Bonn geschehen - die Polizei, wenn plötzlich vor seinen Füßen eine verdächtige Tasche steht. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, als Einziger im Bus aufzustehen und randalierende Idioten in ihre Grenzen zu weisen. Deswegen will ich auch keine einsamen Helden, sondern einen kompletten Bus voller Leute, der den Betroffenen zeigt: So nicht.

So lange Kameras nur konsequenzlos herumhängen, kann ich sie auch gleich weglassen. Wenn ein Alarm losginge, sobald vor der Kamera ein Verbrechen begangen wird und Sekunden später jemand da wäre, der sich um die Sache kümmert, könnte man vielleicht noch so etwas wie einen Sinn in der Maßnahme erkennen, aber leider setzt man Kameras ja dazu ein, Personal einzusparen, genau die Leute also, die man im Alarmfall bräuchte.

Besonders befremdlich wirkte es auf mich, als die Polizei die Überwachungsvideos zum fehlgeschlagenen Bombenanschlag auf die Regionalbahn nach Koblenz zeigte und diese Videos als Argument für mehr Videoüberwachung herhalten mussten. Man möge mich einen Kleingeist zeihen aber noch viel toller, als zu wissen, wann genau der Kerl mit seinen Bomben in den Zug eingestiegen ist, hätte ich gefunden, wenn er niemals eingestiegen wäre. Das wäre tatsächlich eine Verbesserung der Sicherheit. Alles Andere lässt uns nur ungemein detailreich resigniert mit den Schultern zucken.

Sicherheit ist weniger eine statistische Größe als ein Gefühl. Wissen Sie, woran Sie höchst wahrscheinlich sterben werden? An Kreislaufschwäche oder Krebs. Wissen Sie, was in Deutschland noch unwahrscheinlicher ist als ein Lottogewinn? Durch einen Terroranschlag zu sterben. Jetzt raten Sie mal, worüber sich der Deutsche am meisten einnässt. Und jetzt raten Sie, welchen Einfluss auf diese statistisch kaum messbare Größe die Anzahl der installierten Überwachungskameras haben kann.

Dass Sicherheit vor allem Placebo fürs Gemüt ist, weiß der Innenminister natürlich auch, und deswegen mag er es, wenn an jedem Laternenmast eine Kamera hängt. Nicht etwa, weil die Gefahr des Terrorismus damit gebannt wäre, sondern damit die Leute die Kameras sehen und sich wohl fühlen. Darüber hinaus lebt eine ganze Industriesparte von diesem Sicherheitstheater, und vielleicht fällt ja nach dem vollendeten Ministerdasein noch ein lukrativer Beratervertrag bei einer auf diese Weise durchgefütterten Firma ab. Es wäre nicht das erste Mal.