Sonntag, 24. Mai 2009

Leidlich lustiges Lästern über Linke

"Unter Linken - Von einem, der aus versehen konservativ wurde". Der Titel des vom Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer geschriebenen und bei Rowohlt verlegten Buchs verspricht amüsante Lektüre. Auch die bei Spiegel-Online vorab veröffentlichten Auszüge klingen so, als wolle da jemand gekonnt über linke Eitelkeiten und Selbstbetrügereien herziehen sowie seinen konservativen Gegenentwurf präsentieren - ein Buch also, das sich beiden politischen Lagern zur Lektüre anbietet: den Linken, um in einem heilsamen Schock zu erfahren, wo sie schlicht und einfach falsch liegen, den Rechten, damit sie wissen, warum sie nicht links sind. Diesen Anspruch erfüllt das Buch auch - teilweise. Der Spiegel hat klugerweise genau diese Passagen als Appetitanreger veröffentlicht. Das Buch ist großartig, wenn es autobiografisch den Anspruch zwischen linkem Selbstverständnis und der Realität aufs Korn nimmt, es ist gut, wenn es etwas allgemeiner werdend linke Heiligtümer in Zweifel zieht, es ist bedrucktes Papier, wenn es den Sozialstaat und das Bildungssystem kritisiert.

Fleischhauer wuchs in einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus auf. In den 60ern Geborene werden ihre eigene Kindheit in den Erzählungen über die Mutter, die Politik mit Religion verwechselt, wiedererkennen und endlich in Worte gefasst finden, was ihnen in den Jahrzehnten ihres Heranwachsens immer schon merkwürdig vorkam: die Diskussionsaffinität, die komischerweise immer dann ihr Ende fand, wenn die Gegenseite zu gewinnen drohte; der Wochenendsozialismus, der die Weltrevolution im Allgemeinen befürwortete, solange sie im Speziellen um das eigene Reihenhäuschen einen Bogen beschrieb; der romantische Revolutionär Che Guevara, auf dessen Konto wahrscheinlich über tausend recht unromantisch ermordete Menschen gehen. Erinnerungsbücher gibt es jedoch schon reichlich, und "Unter Linken" will mehr als das sein. Folglich wendet sich Fleischhauer der großen Gesellschaftskritik zu, und genau dort zeigt sein Buch deutliche Schwächen.

"Links" und "rechts", meinetwegen auch "konservativ" sind äußerst schwammig gefasste Begriffe. Jeder weiß ungefähr, was damit gemeint ist, aber eine genaue Grenzziehung gelang bisher nicht, was einige Autoren zur These veranlasste, diese Begriffe seien wegen ihrer Unschärfe unredlich, zumindest aber historisch überholt. Fleischhauer stolpert über genau diese Unschärfe. Verspricht sein Buchtitel eine Auseinandersetzung mit den Linken, geht es in den Kapiteln über den Sozialstaat und das Bildungswesen viel allgemeiner zu, bis schließlich insgesamt "die Politiker" die Sache verschusseln. Da wird auf einmal linkes Gedankengut quer von der Linkspartei bis hin zur CSU geortet. Mit dieser Annahme mag Fleischhauer möglicherweise sogar richtig liegen, es bleibt aber der Eindruck, er bastle sich seinen Gegner immer so, wie es ihm gerade passt. Er schreibt es schon im Einleitungskapitel: Die Linke mag keine gesellschaftliche oder parlamentarische Mehrheit haben, aber sie sitzt in den entscheidenden Positionen, in den Redaktionsräumen, in den Lehrerzimmern, in den Künstlerateliers, auf den Theaterbühnen. Von dort steuern sie uns alle, auch die Parlamente. Das heißt: Selbst wenn irgendwo eine CDU-Alleinregierung ein entsetzlich dummes Gesetz verabschiedet, liegt es nicht an der Dummheit der Beschlussträger, sondern daran, dass ihr Gehirn umnebelt ist vom Pesthauch des Sozialismus. Da werfe noch einmal jemand den Linken vor, sie litten an Verfolgungswahn. Allgemeine Missstände anzuprangern, sie dann aber den Linken zuzuschieben, mag den Platz vor der eigenen Tür sauber halten, der Sache dient es allerdings nicht, denn selbst wenn die Linken bei sich für Abhilfe sorgten, wäre der Missstand damit nicht aus der Welt.

Das Bildungssystem geht vor die Hunde, der Wohlfahrtsstaat füttert jeden durch, der nur laut genug jammert und saugt die wenigen Leute aus, die hierzulande noch Steuern zahlen - mag sein, aber um das zu lesen, hätte man bereits vor Jahren eine beliebige Tages- oder Wochenzeitung aufschlagen können. Was fehlt, ist der Gegenentwurf, ist die Konsequenz aus der angewiderten Abwendung vom linken Gedankengut. Interessant wäre es auch gewesen, die Entwicklung vom im linken Milieu Aufgewachsenen hin zum bekennenden Konservativen zu erfahren. Wann kamen erste Zweifel am linken Weltbild auf? Was stieß ihn besonders ab? Wann wurde ihm klar, dass er konservativ dachte? Fleischhauer bleibt hier leider nur bei Andeutungen, dabei ließen sich gerade aus den Reaktionen seines Umfelds Schlüsse ziehen, wie die moralischen Mechanismen der Linken funktionieren.

Weite Teile der Linken verklären die Palästinenser zu heroischen Freiheitskämpfern und verdammen die Israelis als Völkermörder. Die Kritik ist berechtigt, Fleischhauers Gegenthese vom verzweifelt sein Existenzrecht verteidigenden Israel taugt aber auch nicht als Erklärungsansatz für eine Situation, in der faktisch seit 60 Jahren Krieg herrscht und wo schon längst niemand mehr sagen kann, wer auf welche Provokation reagiert. Insgesamt verblüfft es etwas, dass Fleischhauer die gleiche historische Verbindung einmal sieht und einmal nicht. Die Frage, warum die deutsche Linke sich ständig in die israelische Politik einmischt, bleibt ihm unerklärt und er vergleicht dies damit, wie es wäre, wenn Mexiko auf die Idee käme, sich in die deutsche Politik einzumischen. Auf der anderen Seite beschreibt der die Selektion israelischer Flugpassagiere durch deutsche Terroristen mit den Worten: "genau 31 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz". Es ist ihm also klar, dass zwei Kulturen, die während eines Völkermords an verschiedenen Seiten des Lagerzauns gestanden haben, nicht miteinander umgehen, als sei nichts geschehen.

Was Fleischhauer insgesamt übersieht: Die Linke, vor allem ihre Vordenker, mögen eine selbstverliebte Horde Irrer sein, aber es geht ohne sie nicht, ebensowenig wie es ohne die Konservativen ginge. Gleichberechtigung, soziale Absicherung, Umweltschutz, Aufarbeitung des Nationalsozialismus, Kinder, die ihre Eltern nicht mehr siezen müssen und dafür keine Tracht Prügel beziehen - auf diese Ideen wären die Konservativen nicht allein gekommen, die eine Frau in der Küche, Leistungswillen, eine florierende Wirtschaft und disziplinierte Kinder als ihre Werte ansehen. Umgekehrt ist es Aufgabe der Konservativen, gegen Auswüchse vorzugehen, wie über die Quote in Ämter gehievte Versager, Regenwurmarten, die den Bau kompletter Stadtteile verhindern und Bälger, die mit 14 Jahren noch keinen klaren Satz aussprechen können. Links und rechts sind wie Tom und Jerry, Ernie und Bert, Lennon und McCartney: allein nur mäßig interessant, erst im Wettstreit wirklich produktiv. Das heißt übrigens auch, dass nicht unbedingt in der Mitte die Lösung zu suchen wäre. Bei keinem dieser drei Paare gibt es eine dritte Figur, welche die beiden Positionen vereint und am Ende die rettende Idee präsentiert. Das Ganze funktioniert nur, wenn niemand auf Dauer gewinnt.

So bleibt "Unter Linken" leider dort stehen, von wo es sich dem eigenen Bekunden nach wohltuend abheben wollte: Anekdotenhaft hält es der linken Selbstgerechtigkeit den Spiegel vor, schafft es aber nicht, zu erklären, wie und warum die Konservativen allein den Weg in bessere Zeiten weisen können.

Donnerstag, 21. Mai 2009

Was Sie erwartet

Der Titel des Blogs ist natürlich geklaut, wie so ziemlich alles, was ich schreibe. Wenigstens gebe ich es zu.

Abgesehen vom geklauten Titel kommt der Name nicht von ungefähr. Egal, welche Auffassung Sie vertreten, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich irgendwann einmal darüber herziehen werde. Die Ursache ist weniger, dass Ihre Auffassung falsch ist - es ist ausgesprochen schwer, falsche Auffassungen zu vertreten, dumme vielleicht, unlogische, unausgegorene, aber kaum falsche -, sondern vielmehr daran, dass es Überzeugungen gut tut, gelegentlich in Frage gestellt zu werden.

Wo steht dieses Blog politisch? Links? Ich persönlich kenne keinen Linken, der mich für links hielte. Rechts? Aus Sicht der Rechten bin ich ein Prolet, sowohl von Herkunft, Ausbildung, Lebensführung als auch Auftreten für immer unwürdig, in ihren erlauchten Kreisen auch nur den Boden wischen zu dürfen. Bliebe die politische Mitte, aber die gibt sich diesen arroganten Anstrich, komplett ausgewogen zwischen den Extremen zu schweben, weise erhaben über die Wirrungen der klaren Stellungnahme, dass ich da nicht hingehören möchte.

Die Schwierigkeit liegt wohl darin, dass man praktisch nie zu weit links, aber sehr wohl zu weit rechts stehen kann. Die Mutter, die sich um den Spracherwerb ihrer Kinder sorgt und sie deswegen in keine Schulklasse stecken möchte, in der Deutsch als Muttersprache kaum gesprochen wird, rührt ein Tabuthema an, aber ihre Ängste sind gesellschaftlich akzeptiert. Wenn sie jedoch damit zu "Pro Köln" geht und von Überfremdung zu reden beginnt, ist das für die Meisten ein Schritt zu weit. Suchen Sie mal eine Partei oder Gruppierung im linken Spektrum, bei der einem ähnlich mulmig zumute ist wie beispielsweise bei der DVU oder der NPD. Ganz links findet man Spinner, ganz rechts brennende Asylbewerberwohnheime.

Wenn ein Kenianer auf einem deutschen Bahnhofsvorplatz halb zu Tode geprügelt wird, nennt jeder die Sache beim Namen: Gewalt. Wenn ein Sprengsatz einen Bankpräsidenten tötet, hat dies immer noch den Hauch des politischen Kampfes und ist damit zumindest teilweise gerechtfertigt. Rufen Sie sich die Diskussion um die Haftentlassung Christian Klars und Brigitte Mohnhaupts in Erinnerung. Da ging es nicht um gewöhnlichen Mord, da ging es um politischen Mord, und interessanterweise führten dies sowohl Befürworter als auch Gegner der Freilassung als Argument an. Man interessierte sich für die Motive, man wollte wissen, was diese Menschen 30 Jahre nach ihren Taten zu sagen hatten. Von den Kerlen, die den Kenianer beinahe massakriert haben, erwartet keiner auch nur ein intelligentes Wort.

Verstehen Sie jetzt, warum sowohl Linke als auch Rechte mich nicht leiden können? Weil der flammende Appell fehlt, die leidenschaftliche Teilnahme für eine Seite. Wo steht der Kerl denn nun? Was will er eigentlich?

Statt einer Antwort kommt jetzt der Hinweis, dass dieses Blog auch einen leicht technischen Hauch hat. Das liegt an meiner Ausbildung. Privat und beruflich beschäftige ich mich mit Computern, und das seit einem knappen Vierteljahrhundert, also seit einer Zeit, zu der anständige Jugendliche Hermann Hesse gelesen haben, Fahrrad gefahren sind, zur Tanzschule und zwischenzeitlich für Abrüstung und gegen Kohl auf die Straße gingen. Ja, liebe Kinder, es gab Zeiten, da waren Kanzler noch Männer und Bundespräsidenten bei der SA. Man ging in Tanzschulen, weil es erstens noch Musik gab, zu der zu tanzen sich lohnte und weil es die damals einzig akzeptable Form war, wie pubertierende Jungs und Mädchen sich anfassen durften. Vor allem aber: Es gab keine Computer.

Wie? Es gab keine Computer? Wie hat man denn damals miteinander geredet? Man ging in Kneipen, zahlte 1,30 DM (Deutsche Mark! Nix Euro! Sah nur halb so gut aus, war aber dreimal so viel wert.) für eine Cola (durfte aber davon den Eltern nichts erzählen, weil sie Cola ganz schlimm fanden) und sprach mit dem Mund, nicht mit der Tastatur. Wer lachte, sagte nicht "LOL", wer mal aufs Klo musste, nicht "BRB" und ganz bestimmt war er nicht "AFK".

Wer in diese Welt der kirchlichen Friedensgruppen und Schülerzeitungsredaktionen mit Begriffen wie "ROM-Listing", "Subroutinen" oder "Indexregister" einbrach, wurde von den Jungs als verdächtiger Irrer, von den Mädels als geschlechtsloses Wesen, bestenfalls noch geeignet als Mathenachhilfe, angesehen.

Es war eine Zeit, in der man Stellung hätte beziehen müssen. Man hätte sich entscheiden müssen zwischen dem politischen Weg durch die Ortsvereinsversammlungen, Kreisparteitage und Landesdelegiertenkonferenzen bis zur Stelle des persönlichen Referenten bei irgendeinem Provinzpotentaten, oder dem Weg durch die Rasterzeileninterrupts, Ringpuffer und Relativadressierungen bis zum Multimillionär in der Softwarebranche. Aus der Tatsache, dass ich in ein Blog schreibe und keine Artikel für eine bekannte Zeitschrift, können Sie entnehmen, dass ich die historische Chance verschlief.

Wenn ich aber aus dem Vierteljahrhundert Computerei etwas mitgenommen habe, ist es die Erkenntnis, das Technik sehr schnell politisch ist. Das fing mit den Schülerzeitungen an, die sich weigerten, einen sauber mit dem Nadeldrucker geschriebenen Artikel zu veröffentlichen, weil Computer "irgendwie also was total echt schlimmes, du" waren und sich die wahre Gesinnung in der wackeligen Schrift einer Reiseschreibmaschine offenbarte. Es ging weiter mit der Mailboxkultur, die sich allein schon, weil sie nichtzugelassene Technik benutzte, mit der Staatsmacht anlegte und auch ansonsten ihre höchst eigenen Ansichten vertrat. Es erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt mit dem Internet, bei dem es seit seiner massenhaften Verwendung in Deutschland darum geht, wie man es besonders gut reglementiert, kontrolliert und observiert bekommt. Geht es nach dem Willen der Regierung, dann darf man das Internet nur noch nutzen, um Geld auszugeben und selbst das nur so, wie es den deutschen Wirtschaftsverbänden gefällt.

Technik ist politisch, aber auf ihre sehr eigene Weise. Selbst die deutsche Geekorganisation schlechthin, der Chaos Computer Club, sieht sich nicht eindeutig als politische Organisation, obwohl er sich ständig politisch äußert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele seiner Mitglieder Politik nicht als Selbstzweck, sondern als etwas verstehen, um das man sich kümmert, wenn es gar nicht anders geht. Sie haben ihre Technik und wollen vor allem sehen, was sich damit anstellen lässt. Ihre Geräte sollen funktionieren. Politik erscheint ihnen vor allem als Funktionsstörung. Politik versucht, funktionierende Geräte abzuschalten oder zumindest zu limitieren. Das begann mit den Hausdurchsuchungen, die man riskierte, wenn man Anfang der 80er-Jahre ein Modem ohne FTZ-Plakette betrieb und endet heute mit der Anzeige wegen Verbreitung von Kinderpornografie, wenn man die Namen gesperrter Internetseiten veröffentlicht. Techniker interessieren sich nicht für Politik, sondern allenfalls für die Meinungen anderer Techniker. Wenn ihnen eine Bundesfamilienministerin sagen will, wie das Internet funktioniert, werden sie grantelig.

Hier liegt aber auch der Grund, warum Techniker politisch so schwer einzuordnen sind. Es ist historischer Zufall, wer sich mit ihnen anlegt. Auf die Idee mit den Sperrverfügungen wäre früher oder später auch ein Politiker der SPD, der Grünen, der FDP oder der Linkspartei gekommen. Technischer Unverstand ist parteiübergreifend.

Damit wäre auch endlich der Bogen zurück zum Titel dieses Blogs geschlagen. Dummes Zeug zu schwätzen ist kein Privileg irgendeiner Partei, sondern hat eine breite politische Basis. Wenn Sie also auf die Idee kommen, sich für ein Denkmal für die armen Linkshänder einzusetzen, weil die ja nichts dafür können, als einzige Minderheit bisher noch nie so richtig fies unterdrückt worden zu sein, können Sie sicher sein, dass ich darüber herziehen werde. Wenn Sie den letzten Auffahrunfall auf der A4 zum Anlass nehmen, die "ADAC Motorwelt" verbieten zu wollen, weil sich in diesem Blatt die Raser ihren nächsten Kick holen, können Sie sich darauf verlassen, dass ich Sie deswegen verspotten werde. Wenn Sie den Islam als gewalttätige Religion verdammen, weil im Koran so viele schlimme Stellen stehen, werde ich Ihnen mit Wonne die Bibelstellen nennen, in denen es mindestens so heftig zur Sache geht. Wussten Sie zum Beispiel, dass im Alten Testament das Volk Israel bestraft wurde, weil es keinen Völkermord begehen wollte?

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen.

Sonntag, 3. Mai 2009

Verbaler Blitzkrieg

"Natürlich ist Kinderpornografie eine schlimme Sache..."

Vielleicht wird diese Formel dereinst als "Von-der-Leyensche-Abbitte" in die Geschichte eingehen. Publizistisch ist der Bundesfamilienministerin jedenfalls ein KO-Sieg gelungen. Jeder, der an ihrer von jeglicher Sachkenntnis ungetrübten Entscheidung Kritik zu üben wagt, muss gebetsmühlenhaft etwas betonen, was jeder, der auch nur einen Funken mehr Verstand als diese Frau hat, allein schon aus statistischen Gründen als gegeben voraussetzen kann: Man kann von der Leyen für eine inkompetente Fehlbesetzung halten, ohne pädophil zu sein.

Das Totschlagargument, mit dem die Ministerin zur Zeit jede Diskussion niederknüppelt, wirkt so gut, dass selbst in den sonst um Ausgewogenheit bemühten öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen am Abend der Vertragsunterzeichnung mit den großen Internetanbietern nicht einmal angedeutet wurde, dass man eine Pandorabüchse geöffnet hatte. Überall war man sich einig: Endlich ist Schluss mit der Kinderpornografie. Nicht ein einziger Sender deutete auch nur an, dass man im Begriff ist, in Deutschland chinesische Verhältnisse zu schaffen: Kein Bit fließt dort durch die Leitung, das nicht vorher vom großen Zensor gnädig abgenickt wurde. Mamis mit Kontrollwahn, die ihre Kinder am liebsten an einer Kette mit sich herumführen möchten, damit ihnen bloß nichts zustößt, werden die Idee von Mutter Ursula wahrscheinlich ganz toll finden, aber volljährige Bundesbürger, die mit der Informationskultur des begonnenen 21. Jahrhunderts vertraut sind, empfinden eine gewisse Skepsis dabei, dass im Internet nur noch die Sachen zu finden sein sollen, die unterhalb des geistigen Horizonts der Familienministerin liegen. Na gut, wenigstens wird das Web dann überschaubar.

Künstliche Differenzen werden aber auch an anderen Fronten aufgebaut. Da ging es beispielsweise vor kurzem in Berlin darum, ob Religion weiterhin als freiwilliges zusätzliches Fach oder als Alternative zum Ethikunterricht angeboten werden soll. Noch einmal: Religionsunterricht gäbe es so oder so, aber wenn sich das Bürgerbegehren durchgesetzt hätte, wäre es möglich gewesen, das konfessionsübergreifend verbindliche Fach Ethik zugunsten konfessionsgebundener Religion abzuwählen. Man kann sich engagiert um die Qualität des Ethikunterrichts streiten, aber darum ging es dem Volksbegehren nicht. Nein, es ging um "Freiheit".

Nun wäre gegen ein wenig Übertreibung nichts einzuwenden, wäre der Begriff der Freiheit nicht in den letzten Jahren so hemmungslos überstrapaziert worden. Unvergessen ist die "freie Fahrt für freie Bürger", aber auch die Parole "Freiheit statt Angst" geht zwar in eine mir sehr genehme politische Richtung, an der Wortwahl hingegen kann man noch arbeiten.

Die Taktik ist jedesmal gleich: Dränge den politischen Gegner in eine Ecke, aus der er sich erst einmal befreien muss, bevor er etwas zur Sache sagen darf, wobei immer der Restverdacht an ihm haften bleibt, es mit der Rechtfertigung nicht ganz ernst zu meinen. Probieren wir es doch gleich einmal aus:

"Ich habe ja nichts gegen Ausländer."

Da weiß man doch sofort: Gleich kommt etwas Braunes. Oder vielleicht etwa nicht? Was ist mit einer Mutter, die ganz einfach bezweifelt, dass ihr Kind in einer Klasse, in der Deutsch nicht mehrheitlich als Muttersprache gesprochen wird, diese Sprache in angemessener Weise lernen kann?

"Ich habe ja nichts gegen Amerika."

Abgesehen davon, dass es dem Sprecher in der Regel um die USA und nicht etwa Kanada, Chile oder Mexiko geht, ist es doch bezeichnend, dass man, wenn man christliche Hassprediger nicht für die Idealbesetzung des Präsidentenamtes hielt, sich zu betonen genötigt sah, man rede damit selbstverständlich nicht dem Antiamerikanismus das Wort. Spannend wird es ohnehin, wenn der Glanz des jetzigen Amtsinhabers in den Widrigkeiten des Tagesgeschäfts etwas matter wird. Ist man, wenn man dies kritisiert, automatisch gegen alternativpigmentierte Mitmenschen afroamerikanischen Migrationshintergunds?

"Natürlich waren die Anschläge von New York, Madrid und London eine schlimme Sache."

Das ist meine persönliche Lieblingsentschuldigung. Wer meint, dass Überwachungskameras an jeder Häuserecke mehr schaden als nutzen, wer den Innenminister nicht seine E-Mails mitlesen lassen möchte, wer findet, dass es die Sicherheitspolitiker mit ihren Generalverdächtigungen ein wenig übertreiben, muss erst einmal vorweg schicken, dass er für Terrorismus nichts übrig hat. Allein schon der künstlich errichtete Gegensatz von Freiheit und Sicherheit führt in die rhetorische Sackgasse. Warum sollen Freiheit und Sicherheit, wenn sie schon unbedingt in einer Beziehung stehen müssen, sich nicht gegenseitig bedingen können? Ist es so absurd, sich einen Staat vorzustellen, der allein deshalb weniger Schwierigkeiten mit Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung hat, weil seine mit den Verhältnissen zufriedenen Einwohner nicht zu Gewalttaten neigen?

Nein, ich werde Ihnen jetzt nicht darlegen, ob ich für Glaubensfreiheit bin, ob Ausländerfeindlichkeit in meinem Beruf eine äußerst schlechte Idee ist, ob ich große Hoffnungen in Obama setze, ob ich nichts besseres zu tun habe, als Flugzeuge in anderer Leute Hochhäuser zu steuern, und ich werde ganz bestimmt kein Gutachten vorlegen, das die Unbedenklichkeit meiner sexuellen Ausrichtung bescheinigt. Wer tatsächlich glaubt, mich in eine Ecke packen zu müssen, wird auch nicht durch noch so weitschweifige Ausführungen von seiner Meinung abzubringen sein. Ich weigere mich, mich für meine Meinung zu entschuldigen. Ich habe keine Lust, ständig zu sagen, was ich nicht bin.

Fragen Sie mich lieber, was ich bin.

Hjumenn, wä a ju?

Bad Godesberg sucht die Kirchentags-Combo.

So ungelenk kommt man natürlich im Zeitalter von Church 2.0 nicht mehr daher. Deswegen lud man auch zum - ich erlaube mir, zu zitieren: "Kirchentags Pre-Event" mit "Band Contest", "Public Voting" und "Catering". Für alle, die der altbackenen Vorstellung anhängen, Sprache sei zur Verständigung und nicht dazu da, anderen Leuten zu zeigen, wie toll man schon mit dict.leo.org umgehen kann: Es handelte sich um eine Vorveranstaltung zum evangelischen Kirchentag in Bremen, bei der mehrere Musiker einen Wettbewerb veranstalteten und das Publikum darüber abstimmen durfte, wer als Gewinn 1000€ bekommen und beim Kirchentag auftreten sollte. Ach ja, was zu Essen gab es auch noch.

Wie dem auch sei, ganz so dumm wie immer behauptet, kann die PISA-Generation nicht sein, immerhin war sie in der Lage, das Plakate wie das unter http://www.ekir.de/BadGodesberg-Voreifel/bgv_index_53819.php zu verstehen und sich rechtzeitig zu Veranstaltungsbeginn einzufinden. Um in die Kirche zu gelangen, musste man an einigen vierschrötigen Kerlen vom Sicherheitsdienst vorbei, die offenbar als ausgleichendes Element zur Liebe des HErrn gedacht waren, suchte sich in der mäßig gefüllten Kirche einen Platz und harrte der Dinge. Es ging los, und was dann passierte, gibt es in dieser Form ausschließlich bei Kirchens: Die Tontechnik versagte.

Um dieses Phänomen wirklich würdigen zu können, muss man sich die jahrtausendealten Erfahrungen in Erinnerung rufen, welche die Kirche in Sachen Akustik hat. Bereits ihr Religionsstifter hielt eine seiner wichtigsten Reden auf einem Berg, und als gerade kein Berg greifbar war, fuhr er auf einen See hinaus. In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich die Kunst des Kathedralenbaus, und stets achtete man bei der Gestaltung darauf, dass Orgel und Liturg gut zu hören waren.

Dann kam das 20. Jahrhundert, mit ihm der elektrische Strom und damit auch die Möglichkeit, Geräusche elektrisch zu verstärken. Es gab einige tapfere Versuche, sich dieser neuen Herausforderung zu stellen, aber im Wesentlichen ist man sich fremd geblieben. Als Ergebnis gibt es abgesehen vom Sonntagsgottesdienst keine größere Veranstaltung, bei der man nicht ernsthafte Schwierigkeiten hat, alle Akteure harmonisch aufeinander abgestimmt und so zu Gehör zu bringen, dass man nicht noch tagelang mit einem Tinnitus herumlauft. Die Ursachen hierfür sind komplex und dürften ein dankbares Forschungsgebiet abgeben. Mitunter gibt es einfach keinen Tontechniker. Dann wiederum gibt es einen, aber man wäre besser bedient, gäbe es ihn nicht. Gibt es einen guten Tontechniker, dann finden es die restlichen Akteure irgendwie also echt total uncool, vor der Veranstaltung einen sauberen Testdurchlauf durchzuführen. Gibt es gute Tontechniker und mitdenkende Akteure, dann ist der Gemeindesaal, in dem das alles stattfinden soll, bis 5 Minuten vor Veranstaltungsbeginn von der radikalfeministischen Lesbenyogagruppe belegt, die unter keinen Umständen bereit ist, ihr Kampfgebiet ausnahmsweise in die mehr als ausreichend dimensionierte Teestube zu verlegen.

Eine andere Marotte zeigt sich bei Kirchenveranstaltungen: Man will ja doch irgendwie Kirche sein, oder, netter gesagt: Man will christliches Profil zeigen. Deswegen kann man es nicht einfach damit bewenden lassen, fünf Bands auf die Bühne zu stellen, die dem Publikum ordentlich einheizen, nein, da muss unbedingt vorher noch jemand zwei angestaubte Jugendkreuzweglieder mit der Gemeinde zusammenklampfen. "Freund", mag man ihm entgegenrufen. "deine Begeisterung für die evangelische Kirche in allen Ehren, aber die Leute sind hier, um besungen zu werden, nicht selbst zu singen. Was soll das? Muss die Veranstaltung auf dem Papier ein Gottesdienst sein, damit die GEMA nicht zuschlägt? Dann jedoch sei die Frage erlaubt, warum ein harmloser Gottesdienst von Kleiderschränken bewacht wird, unter deren Mithilfe der Zweite Weltkrieg einen anderen Ausgang genommen hätte. Geht es aber nicht um juristische Tricksereien, sondern tatsächlich darum, Flagge zu zeigen, wage ich zu bezweifeln, dass diese Botschaft beim Publikum ankam. Ein Konzert ist ein Konzert, und alle vom Amtskirchgengewissen getriebenen Versuche, dem ein pastorales Feigenblättchen umzuhängen, können nur scheitern. Wenn du mir nicht glaubst, warte das Ende der Veranstaltung ab, zu dem ich später noch etwas sagen werde."

Es traten fünf verschiedene Gruppen auf, wobei das Spektrum von Alternative Punk mit offenbar überschaubarer Bühnenerfahrung über Soul-Jazz vom Feinsten bis hin zu professionell vorgetragenem Rock reichte. Wie Musikveranstaltungen üblich, bei denen das Publikum entscheidet, spielte der musikalische Aspekt weniger eine Rolle als der optische Eindruck. Anders ist nicht zu erklären, dass eine Kapelle den ersten Preis errang, deren Mitglieder im Durchschnitt elf Jahre alt sind, deren Kompositionen im Wesentlichen aus drei bis vier im 4/4-Takt angeschlagenen Akkorden bestehen und deren noch Jahre vom Stimmbruch entfernter Sänger verzweifelt wie Peter Maffay nach einer durchzechten Nacht zu klingen versucht. Altersgemäß sang er als Abräumer des Abends dann auch seine Fassung von "Backe, backe Kuchen" - ja, richtig gelesen - das aber mit so viel männlich-harter Lebenserfahrung in der Stimme, dass Ursula von der Leyen sofort die Eltern wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht belangen müsste.

Was die vier Angehörigen der Rolf-Zuckowsky-Zielgruppe noch musikalisch von echten Musikern trennen mag - im Posen konnten ihnen die anderen Gruppen nicht das Wasser reichen. Von einer Pressefotografin zur Aufstellung für ein Foto gebeten, erstarrten die vier prompt in einer Pose, gegen die Laokoon wie Bauerntheater wirkt.

Das Auditorium hatte also beschlossen, dass allein diese vier niedlichen, also wirklich sowas von niedlichen, also ich weiß gar nicht, wie ich's sagen soll, total süßen und knuffigen, den Rest lesen sie am Besten im Gästebuch auf deren Webseite nach - dass allein diese vier Künstler genügend Gewicht auf die Waage bringen, um Bonn und die beiden ihn umliegenden Kirchenkreise würdig repräsentieren zu können. Darauf einen Segen.

Den hatte man sich nämlich, guter kirchlicher Tradition folgend, ganz für den Schluss aufgehoben, für den Zeitpunkt, an dem alles gesagt ist und kein Mensch, zumindest keiner der anwesenden Teenager, auch nur das leiseste Interesse daran hat, ob da vorne noch einer mit den Armen wedelt und was vom HErnn erzählt. Die Leute gingen, und das war eine der wenigen guten Entscheidungen des Abends.