Es gibt Leute, die beschweren sich über nasse Füße, wenn das Schiff auf dem Grund des Ozeans liegt.
Zu diesen Leuten scheint Wolfgang Huber zu gehören. Wolfgang Huber, seines Zeichens Berlins evangelischer Bischof, hat jetzt entdeckt, dass es Leute gibt, die am Sonntag arbeiten, und da er als studierter Theologe die Bibel sehr gut kennt, weiß er, dass der Feiertag heilig ist - so heilig, dass man an ihm nicht arbeiten und lieber in die Kirche gehen soll. Damit hat er aus Sicht seiner Religionsgemeinschaft auch grundsätzlich Recht und bekommt nicht wenig Geld dafür, dass er genau diese Auffassung vertritt. Abgesehen vom theologischen Aspekt hat ein zentraler freier Tag viele Vorteile: Man kann gemeinsam etwas unternehmen, man hat auch nicht das Gefühl, etwas zu verpassen, weil ja alle einen Gang runter geschaltet haben. Auch aus psychologischer Sicht hat der Rhythmus zwischen Wochenende und Arbeitstagen etwas für sich: Er verleiht dem Leben Struktur. Wahrnehmung ist das Erkennen von Unterschieden. Wir wissen nur, was hell ist, weil wir es vom Dunklen unterscheiden; wir nehmen etwas nur deswegen als heiß wahr, wenn wir das Gefühl von Kälte kennen; wir schmecken Süßes nur, weil wir es von den anderen Geschmäckern unterscheiden können. Wären alle Tage im Prinzip gleich und nur durch willkürlich hingestreute Freizeit unterbrochen, käme unser Zeitempfinden durcheinander. Ohne Sonntage gibt es nur noch - ja was? Tage, einfach nur Tage.
Das aber ficht Herrn Huber nicht an. Er will den Sonntag retten, weil der im Grundgesetz steht und reicht deswegen Verfassungsklage ein.
Was? Wo soll der Sonntag stehen? Im Grundgesetz? Wo denn da?
Zugegeben steht er nicht gerade an prädestinierter Stelle, sondern in Artikel 139 der Weimarer Verfassung. Gemeinsam mit den Artikeln 136, 137, 138 und 141 gehört dieser Artikel - und das weiß auch nicht unbedingt jeder - laut Artikel 140 des Grundgesetzes mit dazu.
Nun muss man in Staatsbürgerkunde nicht allzu gut aufgepasst haben, um zu wissen, dass die so weit hinten im Grundgesetz stehenden Artikel gegen die ersten 20 in der Bedeutungsskala etwas abfallen. Darüber hinaus steht da auch nur etwas von "bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt", was man nicht gerade als flammenden Appell zu Einhaltung der Feiertagsruhe werten kann. Das weiß auch Bischof Huber, weswegen er auch gleich das ganz große Geschütz hervor kramt und mit Artikel 3 die Religionsfreiheit ins Spiel bringt. Dieser Artikel, so ist Huber überzeugt, steht im eklatanten Widerspruch zum Berliner Ladenöffnungsgesetz, das es künftig an satten 10 Sonntagen erlauben soll, auch sonntags die Kaufhäuser zu öffnen. Insbesondere an den vier Adventssontagen soll dem Mammon gefröhnt werden. Das ist der Kirche ein Dorn im Auge, schließlich sei der Advent eine Zeit der Besinnung, die man in Konzerten und auf Adventsbasaren verbrächte.
Ach so, auf dem Adventsbasar bezahlt man offenbar nur mit einem freundlichen Lächeln, aber lassen wir diese kleinkarierte Unterscheidung zwischen gutem und bösem Kapitalismus. Vergessen wir für einen kurzen Moment auch, wie Huber auf seinem letzten Kreuzzug vor wenigen Wochen Berlin im Sumpf des Heidentums versinken sah, weil es den Schülern nicht möglich sein sollte, das Fach Ethik zu Gunsten des Religionsunterrichts aus dem persönlichen Stundenplan zu streichen. Werfen wir statt dessen einen Blick in die sonntäglichen Kirchen, die ja offenbar Gottesdienste im Schichtbetrieb abhalten müssen, um der anstürmenden Massen der Gläubigen Herr zu werden. Ich weiß nicht, welche Gemeinden Wolfgang Huber zu besuchen pflegt, aber die, deren Gottesdienste ich in den letzten 20 Jahren erlebte, hatten ganz bestimmt kein Platzproblem. Wenn ich mir weiterhin ansehe, wie alt abgesehen von den drei ihre Pflichtstunden abreißenden Konfirmanden die jüngsten Besucher sind, könnte man ohne Schwierigkeiten den Sonntag komplett zum Werktag umwidmen, ohne dass auch nur ein Anwesender aus Arbeitsgründen nicht kommen könnte. Schwierig würde es allenfalls, setzte man das Rentenalter auf 70 hoch.
Interessant wäre es, käme Hubers Argumentation in Karlsruhe durch. Dann wäre es nur angemessen, wenn die vielen Millionen Muslime, die in Hinsicht auf ihre Gottesdienstteilnahme eine ganz andere Disziplin an den Tag legen, auf die Idee kämen, den Freitag für sich als Feiertag zu reklamieren. Außerdem wäre da noch der Schabbes der Juden, der Mittwoch der Jesiden, und bestimmt findet sich auch noch für die anderen Tage eine passende Religion.
Um es noch einmal zu sagen: Es ist ein ehrens- und unterstützenswertes Anliegen Hubers, sich für einen gemeinsamen freien Tag in der Woche einzusetzen, aber die religiöse Karte, fürchte ich, sticht hier nicht. Ich weiß nicht, ob die Kirche allen Ernstes die Ursache für leere Gottesdienste in der Aufweichung des arbeitsfreien Sonntags sieht, aber in den letzten Jahrzehnten habe ich genug Eindrücke gesammelt, um mit Überzeugung sagen zu können: Der Sonntag, liebe Amtskirchen, ist eine eurer geringsten Sorgen.
Schönen Sonntag.