Donnerstag, 31. Dezember 2015

Hacker auf dem Weg zur gesellschaftlichen Verantwortung

Das Thema "Verhältnis zwischen Hackern und dem Rest der Welt" zieht sich schon seit einigen Jahren durch den Congress. Behandelte der 27C3 mit "We come in peace" die vorsichtige Annäherung zur Nicht-Nerd-Sphäre, war der 28C3 mit "Behind enemy lines" schon skeptischer und sah die Hacker auf sich gestellt in einer für sie fremden Umgebung. Selbstkritisch forderte der 29C3 auf, sich zuständig zu fühlen, Verantwortung zu übernehmen. "Not my department" durfte nicht länger als Ausrede herhalten, die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu warten, dass die Anderen schon irgendwie die Sache erledigen. Große Ratlosigkeit herrschte ausgerechnet auf dem Jubiläums-Congress 30C3, der ganz ohne Motto auskommen musste. Fast schon starr vor Entsetzen mussten die Hacker sehen, wie ihre Träume von einer besseren, freieren und menschlicheren Welt durch unkontrolliert marodierende Ermittlungs- und Geheimdienstbehörden zerstört wurden. Alle Versuche, den Nicht-Nerds zu vermitteln, dass die Aufgabe von Freiheit keineswegs mehr Sicherheit bringt, schienen gescheitert.

Natürlich durfte Resignation nicht den restlichen Lauf der Dinge blockieren, und so forderte der 31C3 mit "A new dawn", es noch einmal zu versuchen.

Es gehört schon fast zur Tradition des Clubs, das jeweils neue Motto erst einmal zu bekritteln, und so hub das Gejammer auch diesmal wieder an, als verkündet wurde, es ginge diesmal um "Gated communities". Die Einen hatten das Motto schlicht falsch verstanden und vermuteten, es ginge darum, neue abgeschottete Bereiche zu errichten, krittelten die Anderen, der Club habe es gerade nötig, Cliquenbildung anzuprangern, da gerade er es ist, der sich gern als die Elitenvereinigung aufführt, die mit den weniger tollen Leuten nichts zu schaffen haben will. Dass die Organisatoren sich dieses Umstands durchaus bewusst sein könnten und mit dem Motto auch intern einen Umbildungsprozess anstoßen wollen, schien ihnen komplett abwegig. So viel Selbstironie trauten sie ihnen nicht zu.

Selbstironie ist ohnehin nicht gerade die Stärke der Gutmensch_innenbewegung, die sich seit einigen Jahren mal mehr, mal weniger lautstark im Clubumfeld zu Wort meldet, erfolgreich die Piratenpartei kaputtgetrollt hat und beim 29C3 einiges unternahm, um die Veranstaltung zu kippen. Auch diesmal rumorte sie etwas vor sich hin und versuchte, sich an ihrem Lieblings-Hassobjekt Felix von Leitner abzuarbeiten, weil er es gewagt hatte, ihr heiliges Mantra "Check your privileges" als Titel eines Vortrags über Computersicherheit zu nehmen, in dem es um die saubere Rechtezuweisung bei Computerprogrammen ging. Wer die Stirn hat derartige Gedankenverbrechen zu begehen, ist nicht nur ein Antifeminist - war wir alle schon seit Jahren wissen -, sondern er ist sogar ein Antisemit - worauf auch immer sich diese steile These gründet. Nun mag Fefe nicht unbedingt der große Sympath sein, die teuflische Mischung aus Richelieu und Hitler, zu der ihn sene Gegner gern stilisieren, ist aber auch ein wenig viel der Ehre und verwechselt die Relevanz, die ihm eine relativ kleine Gemeinde zugesteht, mit realem Einfluss. Mehr noch: Wer sich seiner Sache so wenig sicher ist, dass ihn ein derart kleiner Seitenhieb komplett aus der Ruhe bringt, bestätigt von Leitners These, dass man solche Leute einfach nicht ernst nehmen kann.

Als der Congress vor drei Jahren zurück nach Hamburg zog, war man sicher, dass auf absehbare Zeit keine Platzprobleme auftauchen werden. Zu groß erschien das Gebäude, das man zu diesem Zeitpunkt nicht einmal komplett gemietet hatte. Inzwischen aber ist das ganze CCH vom Congress in Beschlag genommen. 12.000 Menschen bietet das Haus Platz, und auch das reicht nicht mehr. Die Dauertickets waren schon Wochen vor Veranstaltungsbeginn ausverkauft, und jeden Morgen stapelten sich im Foyer die Leute, die auf eine Tageskarte hofften. Kurz: Der Congress ist fast wieder da, wo er war, als er aus dem BCC auszog, und die würdelose Ticketlotterie vergangener Jahre wünscht sich hoffentlich niemand wieder zurück. Wenn der Club seinem Anspruch, abgeschirmte Gemeinschaften aufbrechen zu wollen, erfüllen will, musss er eine Möglichkeit finden, allen Leuten, die teilnehmen wollen, das auch zu ermöglichen. Niemand hat gesagt, dass dies einfach sein wird, aber wenn die Hacker wirklich so schlau sind, wie sie von sich glauben, sollten sie hier eine Lösung finden.

Einer der auffälligsten Versuche, Absperrungen zu überwinden, bestand in der Maßnahme, Toiletten nicht mehr nach Geschlechtern zu trennen, sondern nach der Frage, ob man sitzen oder stehen wolle. Wer schon einmal bei Großveranstaltungen erlebt hat, wie schlecht Loadbalancing auf geschlechtergetrennten Toiletten funktioniert, wird schon aus reinem Pragmatismus diese Idee begrüßen. Da aber in einem akademisch geprägten Umfeld selbst so banale Dinge wie die Entsorgung körperlicher Abfallprodukte ideologisch aufgeladen und diskutiert werden müssen, wurde auch hieraus gleich wieder ein Genderthema - was auch prompt diegenigen auf den Plan rief, deren Ratio beim Wort "Gender" in den Hibernate-Modus schaltet und zur Debatte führte, wie denn nun ideologisch korrekt uriniert wird. Um es mit einer in der Szene kursierenden Redewendung zu sagen: "Das kannste schon so machen, aber dann isses halt Kacke."

A propos Toilette: Der Congress hat aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt und der Congress-(Magen-Darm-)Grippe den Kampf angesagt, die auf dem 31C3 scharenweise Leute aus dem Verkehr gezogen hatte. Wenn 12.000 Menschen sehr eng zusammen hocken und einige von ihnen ein massives Problem mit Körperhygiene haben, breiten sich Krankheiten explosionsartig aus. Eine sehr einfache und gleichzeitig sehr wirksame Gegenmaßnahme besteht im regelmäßigen Händewaschen, insbesondere vor dem Essen. Darüber hinaus sollte man nichs essen, von dem unklar ist, wer es vorher in den Händen und was er vorher angefasst hatte. Daran hielten sich offenbar viele Congressbesucherinnen, und so gab es in diesem Jahr keine größeren Zwischenfälle zu registrieren.

Rückblickend auf das Jahr 2015 fiel häufiger der Begriff "Katastrophenjahr". Die Vorratsdatenspeicherung wurde alle Einwände ignorierend wieder eingeführt, dafür wurde die Netzneutralität abgeschafft. Nach den Pariser Anschlägen greift Terrorhysterie um sich, und Regierungen begrüßen dankbar jede Gelegenheit, ihre Macht auszuweiten. Mündige Völker waren schon immer eine dumme Idee. In Diktaturen laufen Dinge viel geordneter.

Doch ganz so düster ist die Lage auch wieder nicht. Die Erfolge sind vielleicht nicht so strahlend wie damals, als die Vorratsdatenspeicherung erstmals in Deutschland verboten wurde, aber sie sind da. So stellte sich beispielsweise heraus, dass man nicht einfach kritische Journalisten des Landesverrats bezichtigen und ins Gefängnis stecken kann. Der Generalbundesanwalt, der jahrelang die durch den BND begangenen Grundrechtsverletzungen ignoriert hat, aber gegen die Blogger von Netzpoltik.org die ganz große Keule herauskramen zu müssen meinte, hatte die Heftigkeit der öffentlichen Reaktion offenbar unterschätzt und musste seinen Posten räumen.

Ein weiterer Erfolg ist die Ausbreitung des Freifunks - so traurig auch der Anlass sein mag. Die große Menschenmenge, die in den vergangenen Monaten aus ihrer Heimat flüchten musste und hier in Massenunterkünften notdürftig untergebracht wird, hat neben unmittelbaren Bedürfnissen wie denen nach Essen und einem Bett auch andere, nicht ganz so offenbare, aber dennoch dringede wie die nach Kommunikation. Diese scheitern aber oft an bürokratischen Hürden. Die öffentliche Hand könnte einfach einen Stapel WLAN-Router kaufen und sie in den Heimen aufstellen, aber die Angst vor der Störerhaftung ist zu groß. Hier schaffen die Freifunker einfach Fakten, indem sie ohne lange Absprache mit ihrer Hardware auftauchen und den Heimbewohnerinnen freies WLAN mit minimalen rechtlichen Risiken ermöglichen. Es ist ein klassischer Hack: Die Heimverwaltung ist froh, dass die Freifunktechnik die Störerhaftung umgeht, die Freifunker sind froh, dass sie ihr freies, unzensiertes Netz erweitern können. Wer weiß, wie bald wir es brauchen werden.

Schließlich hat der Bundestag den Routerzwang aufgehoben. Das ist in mehrfacher Hinsicht eine positive Überraschung, weil man sich kaum vorstellen kann, dass außerhalb der Gruppe der Hardcore-Nerds überhaupt eine nennenswerte Menge Menschen existiert, die sich am Routerzwang stört.

Der Anspruch, aus den eingezäunten Grüppchen auszubrechen, ist selbst innerhalb der Hackergemeinde nicht unumstritten. Man muss nur über das Congressgelände gehen und darauf achten, welche Gruppen ihre Tische offen und für Außenstehende einladend aufgebaut haben und wer sich hinter Barrieren und Stellwänden verschanzt hat. Insgesamt aber scheint der einladende Charakter des Congresses zu überwiegen. Immerhin stieg seine Besucherinnenzahl seit der Rückkehr nach Hamburg jährlich um 3.000 Menschen. Zieht man von den 12.000 Leuten, die sich auf dem 32C3 trafen, die 6.000 Clubmitglieder ab, die maximal anwesend gewesen sein können, bleiben weitere 6.000, die der Club darüber hinaus anlocken kann. Man merkt auch am Medieninteresse, dass der Congress wahrgenommen wird. Das mag teilweise der traditionell nachrichtenarmen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr geschuldet sein, es ist aber wohl auch due besondere Atmosphäre der Veranstaltung. Zum Einen dürfte es kaum eine Veranstaltung geben, die von ihren Teilnehmerinnen so liebevoll und bis ins Detail optisch gestaltet wird. Das fängt bei den zigtausend Deckenleuchten an, die jede einzeln mit bunter Folie abgeklebt werden und hört beim raumschiffartig gestalteten Tunnel zum Hackcenter nicht auf. Zum Anderen sind es die Besucherinnen selbst, die den Congress auszeichnen. 12.000 Menschen bergen ein großes Konfliktpotential, aber wirklich schlimmen Ärger gibt es nicht. Das zeigt sich unter anderem daran, dass immer noch viele verwaiste Laptops herumstehen, deren Besitzer nicht befürchten, dass den Geräten etwas zustößt. Das zeigt sich aber auch daran, dass die veranstaltungseigne "Security" gerade einmal aus einer handvoll Nerds besteht, deren Auftauchen allein schon so viel Respekt einflößt, dass Hausverbote in all den Jahren zur absoluten Ausnahme gehören. So etwas wie Körperkontrollen oder Taschendurchsuchungen ist völlig undenkbar. "Be excellent to each other", ist keine leere Phrase. Sie wird auf dem Congress gelebt.

So nimmt die Gemeinde den Congress auch zum Anlass, sich selbst zu feiern. Das Gefühl, dem Rest der Menschheit ein paar Jahre voraus zu sein, kann man überall spüren, und so unbescheiden dieses Selbstbild auch sein mag - es ist nicht unbegründet. Wer sich so wie der CCC seit über 30 Jahren nicht nur mit der Technik selbst, sondern auch mit ihren gesellschaftlichen Auswirkungen beschäftigt, hat einige Dinge begriffen, die dem Rest noch nicht klar sind. Doch statt sich nun in ihre Hackspaces zurückzuziehen und mitleidig auf die restliche Welt zu blicken, die noch nicht so weit ist, fordert das Motto des 32C3 dazu auf, hinaus zu gehen, und aus der gesellschaftlichen Relevanz, die man unbestritten inzischen hat, auch gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. So peinlich die Frage des Innenministers nach einer "Notfallnummer" des CCC war - der zugrunde liegende Gedanke, es reiche nicht aus, einmal jährlich in den "Security Nightmares" auf Missstände hinzuweisen, sondern man müsse auch konstruktiv eingreifen, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Frage ist nur, wie dieser Beitrag genau aussehen soll.

Es ist ja nicht so, als hätte der Club vor allem nach dem Schockerlebnis des KGB-Hacks nicht immer wieder versucht, in den demokratischen Diskurs einzugreifen. Teilweise geschah dies mit weit reichenden Folgen, wie beispielsweise den Gutachten vor dem Bundesverfassungsgericht in den Verhandlungen gegen die Vorratsdatenspeicherung, Wahlcomputer und Onlinedurchsuchung. Doch die Rolle des Clubs ist eher eine reaktive. Irgendwer verschusselt es, und der CCC muss wieder eingreifen, um die Sache zu richten. Besser wäre es natürlich, schon weiter vorn im Prozess, bei der demokratischen Willensbildung einzugreifen, aber genau da weiß inzwischen niemand, wie das funktionieren soll. Der Versuch, mit der Piratenpartei eine Art parlamentarischen Arm des Clubs zu schaffen, ist grandios gescheitert. Die heillos zerstrittene Partei spielt allenfalls in irgendwelchen Ratsversammlungen noch eine Rolle. Spätestens auf Landsebene warten die wenigen verbliebenen Mandatsträger darauf, bei der nächsten Wahl ihren Sitz zu verlieren. Gründe dafür gibt es viele, und die schöne Selbstillusion, man werde von den Medien absichtlich ignoriert, lenkt wohlfeil vom eigenen Versagen ab und klingt schon arg nach "Lügenpresse". Die wahren Ursachen reichen von einer zu raschen Expansionsphase, in deren Verlauf man sich auch jede Menge Idioten und Karrieristen eingetreten hat, über eine unzureichende Diskussionskultur bis hin zur ernüchternden Erkennnis, dass politisches Tagesgeschäft ganz schön öde sein kann. Am Ende stehen tausende verbrannte Aktivisten, die vor allem eins wissen: nie wieder eine Parteineugründung.

Der naheliegendste Weg zur politischen Einflussnahme führt in diesem Land eindeutig durch die Parlamente. Dummerweise ist das auch genau der Weg, der sich für die Nerdgemeinde als ungeeignet erwiesen hat. Vielleicht gibt es eine Chance für eine Piratenpartei 2.0, aber dazu müsste man mehr als nur ein paar Feinjustierungen am zuletzt gescheiterten Versuch vornehmen. Das Problem ist struktureller Natur und lässt sich nicht dadurch lösen, dass man das nächste Mal andere Leute in den Vorstand wählt und auf dem Liquid-Democracy-Server die aktuellen Patches einspielt.

Nun ist die Aufgabe, dass der direkte Weg nicht funktioniert und man es deswegen über einen Umweg versuchen muss, eine klassische Herausforderung des Hackings. Ich bin gespannt, wie die Lösung aussehen wird.

Montag, 21. Dezember 2015

Ich will nicht das sein, was ich bin (Du darfst)

Die Aufregung war groß: Eine Farb-äh Schwar-äh Person-of-Colour-Bürger*innenrechtsaktivistin wurde bezichtigt, genetisch gesehen eben nicht farb-äh schwar-äh person-of-colour zu sein. Sowas geht ja nun überhaupt nicht. Man versprach uns rassisch einwandfreie Aktivistinnen. Da half es auch nichts, dass die Betroffene erklärte, sie fühle sich nun einmal als Farb-äh, Schwar-äh, Person of Colour, nein, sie musste von ihren Ämtern zurücktreten.

Die sonst um theatralische Aufschreie nicht verlegene Bürger*innenrechtsbewegung hielt sich auffallend zurück, was die Kommentierung dieses Vorgangs anging, und das verwundert nicht, berührt er doch eine unangenehme Frage: Wie weit darf ich Leuten zugestehen, nicht ihre genetische Disposition haben zu wollen, sondern sich eine andere zu wünschen und sich entsprechend zu verhalten?

Seit Jahrzehnten herrscht beispielsweise Einigkeit darüber, dass Gene allein nicht darüber entscheiden dürfen, ob man nun ein Mann oder eine Frau ist. Wenn ein Mann sich als Frau fühlt (oder umgekehrt), ist es im Wesentlichen egal, was der eigene Körper äußerlich darstellt. Im Extremfall erkennt die Krankenkasse die Situation sogar an und zahlt die Operationskosten sowie die Medikamente, um den Körper dem Geist anzupassen.

Bis hierhin ist die Lage relativ einfach. Wenn sich jemand einen anderen Körper wünscht, steht es uns nicht zu, darüber zu richten. Es betrifft uns nicht, es schadet uns nicht, warum also sollten wir ihm oder ihr diesen Wunsch verwehren? Komplizierter wurde es in den vergangenen Jahren, als sich herausstellte, dass es Leute gibt, die sich in der Geschlechterfrage nicht eindeutig festlegen wollen. "Na komm", mögen viele denken. "es kann ja nun wirklich nicht so schwer sein, sich in dieser Hinsicht irgendwann einmal zu entscheiden", doch dem Anschein nach ist es nicht nur schwer, die Betroffenen legen auch großen Wert darauf, auf  diesen Umstand möglichst oft und lautstark hinzuweisen. So wurde zwischenzeitlich Facebook um eine Möglichkeit erweitert, im Profil neben männlich und weiblich auch noch diverse andere Fälle einzutragen. Letztlich gilt auch hier: Es schadet niemandem, also gut, dann lass sie halt gewähren, auch wenn sie sich häufiger mal umentscheiden, ist das ihre Sache.

Die für ihren grob austeilenden Stil bekannte Zeichentrickserie Southpark hat sich vor einigen Folgen der Sache angenommen. Angewidert von den ständig überfüllten und verdreckten Jungentoiletten behauptet Cartman, sich als Mädchen zu fühlen und beansprucht folgerichtig, deren deutlich weniger frequentierten und saubereren Toiletten benutzen zu dürfen. Die Schule geht zwar von einem weiteren Bluff des Jungen aus, fürchtet aber die öffentliche Auseinandersetzung, die entstünde, entsprächen sie seinem Wunsch nicht und richten schließlich nur für ihn eine eigene Toilette ein.

So bizarr die Geschichte auch erscheinen mag, sie lehnt sich an tatsächliche Ergeignisse an. Wie üblich, hat natürlich die Realität schon längst die Satire überholt. In den USA gibt es inzwischen den Fall eines Schülers, der als Mädchen geboren wurde, sich aber als Junge fühlt, daraufhin eine eigene Toilette gestellt bekommt und sich nun über genau diese Sonderbehandlung beschwert. er fühle sich diskriminiert, wenn er nicht die Toilette benutzen darf, die er für sich angemessen findet.

Wer bis hierhin zustimmend nickt und meint, im Prinzip sei das alles zwar schon etwas skurril, aber als tolerante Menschen müssten wir schon irgendwie damit klarkommen, sollte dann aber auch keine Schwierigkeiten damit haben, wenn sich jemand als Person of Colour fühlt und entsprechend behandelt werden möchte. Ob Geschlechter- oder Hautfarbenfrage, das darf nun wirklich keine große Rolle spielen. In der Konsequenz ist es doch nur verständlich, wenn eine selbst ernannte Person of Colour sich gegen die Diskriminierung einsetzt, der sie sich nicht ausgesetzt sähe, hätte sie nicht den unbändigen Wunsch verspürt, eben dieser Gruppe anzugehören. Böswillig gesagt: Sie will für ihr Blackfacing auch noch gemocht werden.

Sie sei nicht etwa Person of Colour, sondern schlicht und einfach verrückt, heißt es aus ihrem Umfeld, aber auch diese Erklärung erscheint mir nicht konsistent. Warum bezeichnen wir eine mit ihrer Hautfarbe unglückliche Frau als geistesgestört, aber wenn sie das Geschlecht wechseln wollte, hätte sie unsere gesamte Solidarität? Selbst wenn es verrückt wäre, warum tolerieren wir die eine Verrücktheit, nicht jedoch die andere?

Insgesamt birgt der an sich sinnvolle Ansatz, die Gefühle anderer Leute ernst zu nehmen, einige Fallen. Das zeigt sich beispielsweise bei der Frage, was sexuelle Belästigung ist. Der Gesetzgeber neigt hier dazu, genau zu definieren, welche Handlungen noch zulässig sind und welche nicht. Jetzt argumentieren unter anderem Feministinnen völlig zu recht, das könne man nicht pauschalisieren, die Frage, ob sie sich belästigt fühle, müsse jede für sich selbst beantworten. Das klingt zunächst einleuchtend, führt aber gerade, wenn es zum Strafprozess kommt, in eine Situation, die wir seit den Zwölftafelgesetzen eigentlich abgeschafft haben wollten: zur Willkürjustiz. Das sich als solches fühlende Opfer wird zur Richterin, es gibt keine neutrale, über den Sachverhalt entscheidende Instanz mehr, allein das Gefühl der Klägerin zählt.

Wer diese, Jahrhunderte juristischer und humanistischer Überlegungen geschmeidig über den Haufen werfende Argumentation akzeptiert, sollte erst recht keine Schwierigkeiten damit haben, wenn eine Nicht-Person-of-Colour sich als Person-of-Colour fühlt, aber seltsamerweise höre ich diese Argumentation im Moment selten.

Insgesamt scheint die Argumentation, wer sich wann warum als was zu fühlen habe, stark vom gerade verfolgten politischen Ziel abzuhängen. So zählen die Bloggerinnen von "50 Prozent" seit Jahren penibel den Anteil von Männern und Frauen auf den Referentenlisten verschiedener Veranstaltungen. Erste Frage: Was ist eine Frau? Antwort: "Mit Frauen* meinen wir alle, die sich selbst als Frau verstehen." Zweite Frage: Wie findet ihr heraus, welche Person auf einer Namensliste sich als Mann, welche als Frau versteht, und überhaupt: Ist diese Unterscheidung nicht aufs Diskriminierendste grob? Darüber schweigt das Blog auffallend, genauso wie zu Fragen mathematischer Grundlagen, die das wohlige Gefühl stören könnten, sich als Opfer_in zu fühlen und damit alle widerfahrende Unbill nicht etwa der eigenen Unfähigkeit, sondern der verschworenen Umwelt anlasten zu können. So hingegen wird einfach eine Namensliste abgeklappert und nach Gutsherr*innenmanier entschieden, wer darauf sich als Frau oder als Mann zu fühlen habe. Ebenso ausgeklammert wird der Aspekt, wo sich der Anteil von Frauen oder Männern bei den Einreichungen zu einer Konferenz bewegt. Gab es beispielsweise zwei Plätze zu vergeben mit 10 Einreichungen von Männern sowie einer Frau, wurden bei paritätischer Verteilung 90 Prozent der Männer abgelehnt, während 100 Prozent der Frauen angenommen wurden. Auf einmal lautet dann die Frage nämlich nicht mehr, warum das fiese Programmkomitee Frauen diskriminiert, sondern warum so wenig Frauen sich ermutigt fühlten, für die Konferenz etwas einzureichen. Während man am ersten Symptom mit einer Quotenregelung noch irgendwie herumfrickeln kann, ist es sehr viel schwieriger, am zweiten Symptom etwas zu ändern.

Die Idee, den Begriff "Geschlecht" vollkommen von biologischen Zwängen abzukoppeln, mag uns auf der gesellschaftlichen Blümchenwiese ein paar verträumte Stunden einbringen, letztlich bettelt diese Idee aber geradezu darum, missbraucht zu werden. Eine Konferenz hat eine Frauenquote? Wunderbar, bei Einreichungen fühle ich meine weibliche Seite immer besonders stark. Zu anderen Anlässen krame ich dann wieder den Mann in mir hervor. Beschwert sich jemand, weise ich entrüstet darauf hin, wie diskriminierend und rückständig es doch ist, Menschen ein für allemal auf ein Geschlecht festlegen zu wollen, ich hätte schon genug darunter zu leiden, die Varianz meiner Identitäten nicht frei leben zu können, und dann werde ich auch noch zutiefst traumatisiert, indem man mir gewaltsam ein Geschlecht aufnötigen wolle.

Es kommen unterhaltsame Jahre auf uns zu.

Montag, 14. Dezember 2015

Facebook und die Links-Pegida

Wer wissen will, was genau bei der politischen Linken schief läuft, muss sich einmal in deren Niederungen begeben. Dorthin, wo falsches Gendern fast schon ein Todesurteil bedeutet. Dort, wo extrem rechts und extrem links sich vor allem darin unterscheiden, dass die Linken das mit den Nebensätzen besser begriffen haben. Dort, wo die linke Pegida sitzt: bei "Linksunten".

Da ist man neuerdings ganz stolz darauf, Facebook "gehackt" zu haben. Wer jetzt meint, da hätten sich ein paar findige Köpfe gefunden und nach Analyse des Seitencodes sowie der verwendeten Infrastruktur eine Sicherheitslücke genutzt, um in die Systeme einzudringen, dort sensible Daten abzugreifen oder auf der Startseite ein wenig Schabernack zu treiben: weit gefehlt. "Linksunten" ist eher was für die schlichten Gemüter, da muss es "mit reichlich Steinen und Farbe" zugehen, mit denen man "in der Hamburger Innenstadt (Caffamacherreihe 7) die Glasfront der Deutschlandzentrale von Facebook 'zerhackt'" hat. Ganz stolz präsentiert die Seite auch gleich ein Foto, versehen mit reichlich Revolutionslyrik, in der es mal gegen Google, mal gegen Facebook, gelegentlich auch gegen Twitter, AirBnB und Uber geht - ach, im Prinzip ist nach eigenen Angaben das ganze "Netz kaputt".

Was genau soll die Nummer in Hamburg noch einmal gebracht haben? Oh, ja, "Mit Rauch haben" die linken Aktivist*innen "die Cops der nur 70 Meter entfernten Polizeiwache im Nebel gelassen." Und das bewirkt jetzt was? "Die Unternehmensführung von Google war empfindlich getroffen." Weil ein paar Bekloppt_innen Steine und Farbe auf eine Häuserwand werfen? Ach nein, das war eine andere Aktion, gegen Google nämlich, "gegen den astronomischen Anstieg der Wohnkosten im Umkreis der Haltestellen dieser Shuttle-Busse, die jeden Morgen Tausende Google-Mitarbeiter*innen aus der Umgebung von San Francisco zum Unternehmenssitz im Silicon Valley bringen". Ja, aber was sollte die Nummer in Hamburg, bei Facebook? "Mark Zuckerberg ist letzte Woche mit Anfang 30 in Elternzeit gegangen." Wegen der Steineschmeißerei? Nein, das war später. Um es vorweg zu nehmen: Das eigentliche Ziel bleibt den ganzen Text hindurch unklar. Nur einmal schimmert ein Hauch von Begründung auf, als die "Times of India" erwähnt wird, die sich aus einem von Facebook initiierten Projekt zurückgezogen hat, das ein vom Konzern kontrolliertes Pseudo-Internet in die unterversorgten Gebiete Indiens bringen sollte.

Für Leute, die wie die Schnullernazislink.innen von "Linksunten" eine Mikrometerschraube brauchen, um ihren IQ zu messen: Wer in Hamburg die Wand eines Bürogebäudes beschädigt, beeindruckt damit Facebook nicht im Geringsten. Leute, wir haben schon vor 30 Jahren ganz ähnliche Nummern gegen Banken gesehen, und die hat das kein Stück beeindruckt. OK, ein paar von denen hat es inzwischen zerlegt, aber nicht wegen der kaputten Fenster in den Achtzigern, sondern von innen heraus, weil ein paar Excelsheet-Ausfüller mit BWL-Abschluss zu blöd sind, mit Geld umzugehen und dabei mehr Kapital vernichtet haben als sämtliche SPD-Regierungen seit Bestehen der Bundesrepublik zusammen. Springer, genauer genommen "Bild" hat gewaltige Schwierigkeiten mit seinen Auflagezahlen, aber auch das ist nicht das Ergebnis der Anti-Springer-Proteste der Achtundsechziger, sondern die Folge davon, dass kein Mensch mehr Zeitungen liest, wenn er viel aktuellere Informationen im Internet findet.

Wenn ihr Facebook angreifen wollt, müsst ihr Infrastruktur angreifen, und die sieht so aus. Das sind so genannte Rechenzentren. Viel Zaun und bemerkenswert wenig Fenster, nicht wahr? Warum? Weil Computer_innen nicht nach draußen gucken müssen. Weil fensterlose Räume viel leichter gekühlt werden können als welche mit Fenstern. Weil man nicht vorhandene Fenster nicht einschmeißen kann. Von Gebäuden dieser Art betreibt Facebook weltweit ein ganzes Bündel, davon einige in Ländern, in denen man auf Revoluzzerspielchen deutlich weniger entspannt reagiert als hier, aber dort habt ihr wohlweislich keine Steine geschmissen.


Leute, wenn ihr Facebook so unfassbar doof findet, dann nutzt den Kram doch einfach nicht.

Oh, aber da wären noch die knapp 1,4 Milliarden Menschen, die das anders sehen. Wie wäre es, wenn ihr erst einmal die dazu bekämt, ihr Handeln zu überdenken. Ach nein, das wäre ja Arbeit. Das wäre demokratisch. Steineschmeißen ist viel lustiger, viel heroischer.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Es gibt viele gute Gründe, Facebook nicht zu nutzen, und eine ganze Reihe davon tauchen im Linskunten-Artikel auf. Wer glaubt, dagegen etwas mit Farbe und Steinen gegen eine Hamburger Hauswand etwas ausrichten zu können, glaubt wahrscheinlich auch, etwas gegen die Klimaerwärmung zu unternehmen, indem er beim VW-Händler ein paar Reifen aufschlitzt. Nein, gegen eine Webseite geht man nicht mit Steinen vor, sondern politisch. Da ist die Sache nicht mit fünf Minuten Steineschmeißen und dann wegrennen erledigt, sondern da muss man argumentieren, die eigene Position zu hinterfragen bereit sein, Anderen zuhören, Mehrheiten erlangen,

Mal sehen, ob ihr das auch könnt.