Das wirklich Schlimme an einer Klimakatastrophe, die uns auch im Winter
einen zweiten Sommer beschert, sind weniger die Temperaturen. Es sind die
Leute, die uns eine zweite Saure-Gurken-Zeit bescheren, in der jede noch so
schwachsinnige Nachricht tagelang von jedem aufmerksamkeitsheischenden Idioten
kommentiert wird. Hat sich noch irgendjemand nicht über die Bahn im Allgemeinen
und ihren Fahrgast Greta Thunberg im Besonderen ausgelassen? Seit 6 Tagen steht
das politische Leben im Land still, weil wir erst einmal klären müssen, auf
welchem Abschnitt ihrer Reise Frau Thunberg in welcher Wagenklasse auf dem
Boden oder einem Sitz oder vielleicht auf dem Klo gesessen hat. Muss man
wissen.
Eine andere komplett sinnfreie Frage ist dabei in Vergessenheit geraten,
nämlich die, ob wir aus Umweltschutzgründen nicht am besten gleich unsere
gesamte elektronische Kommunikation abschalten und endlich wieder mit
Kreuzfahrtschiffen und Flugzeugen um den Planeten sausen sollen, um zu
kommunizieren.
Ich weiß, das hat niemand so gesagt, aber genau das steckt hinter der
Frage, die ich im Moment mehrmals täglich gestellt bekomme: Wie klimaschädlich
ist eine E-Mail? Welchen CO2-Fußabdruck hat ein gestreamtes Video? Die Antwort
ist schlicht: Wir wissen es nicht, und alle Versuche, zu einer Zahl zu
gelangen, enden früher als später in wilder Jonglage. Als Beispiel nehme
ich mir willkürlich einen Artikel, den mir meine Suchmaschine als ersten
Treffer geliefert hat.
Das Schreiben, Versenden, Erhalten und Lesen von E-Mails kostet zwar kein Porto, dafür aber Strom. Wäre das Internet ein Land, so hätte es den dritthöchsten Stromverbrauch , nach China und den USA.
Keine Ahnung, woher diese Behauptung stammt, aber sie ließe sich
verifizieren, wenn man den Stromverbrauch der Rechenzentren ansieht, eine
halbwegs seriöse Abschätzung über die in Büros verbauten Netzkomponenten und
kleinen Serverräume trifft und ganz am Ende vielleicht noch die Zahl der
weltweit eingesetzten Desk- und Laptops sowie Mobilgeräte hinzuzieht. Mit etwas
Geschick stimmt am Ende wenigstens die Zehnerpotenz oder wenigstens die
Größenordnung, also ob wir von Kilo, Mega, Giga, Tera oder Peta sprechen. Der
Grund, warum wir bereits hier schludern, liegt darin, dass wir die Zahl der
weltweit aktiven Rechenzentren noch einigermaßen genau bestimmen können.
Rechenzentren sind große, hässliche Klötze mit Mauern, Zäunen, Wachleuten,
Notstromgeräten, sowie dicken Kabeln für Strom- und Netzversorgung. Solche
Gebäude fallen auf, lassen sich zählen und oft gibt es da auch PR-Abteilungen,
die Ihnen Zahlen nennen. Schwieriger wird es schon bei der Frage, was in Firmen
an Infrastruktur verbaut ist. Das könnten die Ihnen anhand ihrer Inventarlisten
zwar sagen, aber sie werden es Ihnen nicht erzählen. Völlig ins Reich der
Spekulationen geraten Sie mit der Frage, wie viele Rechner weltweit nicht nur
einfach verkauft, sondern auch wirklich im Einsatz sind. Auf der anderen Seite
fällt deren Stromverbrauch auch weniger ins Gewicht als ein Rechenzentrum.
Der komplette weltweite Energiebedarf für elektronische Post ist in etwa so hoch wie der jährliche Stromverbrauch von Österreich oder der Schweiz
Und das wissen wir bitte woher? Wie kommt diese Aussage zustande? Ich weiß
nicht, wer von Ihnen einmal in einem Rechenzentrum gearbeitet hat. Da stehen
hunderte bis tausende Server herum. Auf diesen Servern laufen je nach Ausbau
dutzende, vielleicht sogar hunderte virtuelle Maschinen. Natürlich gibt es auch
dedizierte Systeme, aber selbst in einem Rechenzentrum der letzten
Jahrtausendwende stehen so viele verschiedene Server mit so vielen
verschiedenen Aufgaben, dass ich mir nicht anmaßen möchte, zu sagen, wie viel
Prozent des Gesamtstromverbrauchs auf den Betrieb von Mailservern gehen. Es mag
Fälle geben, in denen das noch einigermaßen möglich ist, beispielsweise bei Web.de,
GMX oder Posteo, aber weil deren Rechner sich meist die Rechenzentren mit
anderen Anbietern teilen, ist es nicht leicht, an belastbare Zahlen zu kommen.
Ob aber zum Beispiel Google sagen kann, wie viel Strom sie für ihre
Suchmaschine, wie viel für Google Drive, für Google Docs und wie viel für
Google Mail verbrauchen, bezweifle ich. Die haben da einfach ihre Rechenzentren
stehen, für die sie pauschal Stromausgaben haben. Was davon welche Anwendung
verbraucht, interessiert sie nicht besonders.
Je nach Herkunft kann bei der Produktion von Strom sehr viel CO2 entstehen, zum Beispiel durch die konventionelle Stromerzeugung aus Kohle oder Gas.
Dieser Satz ist wahr. Bitte behalten Sie ihn einen Moment im Hinterkopf.
Ein Brief, der auf Papier geschrieben und mit der Post verschickt wird, verursacht dagegen im Schnitt 20 Gramm CO2. Wobei der Löwenanteil hier auf den Transport zurückzuführen ist. Was diesen anbelangt, ist für die Zukunft von sinkenden CO2-Ausstößen auszugehen. Die Deutsche Post arbeitet beispielsweise daran, ihre Fahrzeugflotte auf klimaschonende Elektroautos umzurüsten.
Elektroautos haben viele positive Eigenschaften. Sie sind leise, sie haben
einfachere und damit weniger aufwendig herzustellende Getriebe als
Verbrennungsfahrzeuge und sie stoßen im Fahrbetrieb tatsächlich keine Abgase
aus. Völliger Unsinn hingegen ist die Vorstellung, Elektrofahrzeuge seien per
se klimafreundlich. Das sind sie nur, wenn der für sie nötige Strom
klimaschonend hergestellt wird. Besonders albern finde ich, bei Mails extra
darauf hinzuweisen, wie schlimm die für den Betrieb der Rechenzentren nötigen
Kraftwerke sein können, bei den Elektrofahrzeugen für den Zustellbetrieb aber
davon auszugehen, dass die selbstverständlich mit Wind-, Wasser- oder
Solarenergie versorgt werden.
Wenn wir dazu dem eigenen Büroklima etwas Gutes tun wollen, verzichten wir dann und wann ganz auf Emails und gehen einfach mal ins Nachbarbüro rüber, um die neusten Infos bei einem Fairtrade-Kaffee gemeinsam zu besprechen.
Ich habe eben nachgerechnet. Mein Nachbarbüro ist 675 km entfent.
Alternativ hätte ich noch 7.699 km und 10.070 km zu bieten. Ich gehe da mal
eben hin, richtig? Ach ja, und der Kaffee, der wächst bei uns im Hinterhof und
hat allein deswegen ein positive Klimabilanz, weil er fair gehandelt wird, habe
ich das korrekt verstanden?
Kurz: Ach, wie schön war es doch damals, als wir uns maximal einmal pro Tag
Briefe schicken konnten, die dann ihrerseits erst am nächsten Tag ankamen.
Damals kamen wir doch auch klar, oder? Warum schalten wir nicht alle einen Ganz
zurück und arbeiten so wie in den Achtzigern, als selbst ein Faxgerät noch ein
Luxusartikel war. Interessanterweise erwähnt der Artikel nicht einmal die
Existenz von Telefonapparaten. Möglicherweise sind auch die Teufelszeug, weil
sie Strom verbrauchen. Doch unabhängig davon ist allein schon der Vergleich von
E-Mail und Briefpost eine Idee, auf die auch nur Leute kommen, die mental
irgendwo vor knapp 30 Jahren stehengeblieben sind. Was viele Leute nämlich
übersehen: Wir benutzen zwar Metaphern, um eine uns neue Technologie zu
beschreiben, aber wenn wir in dieser Metapher verharren, verstehen wir nicht,
worin das grundsätzlich Neue, das komplett Andere einer neuen Technologie
besteht.
Kaputte Metaphern
Eine Mail ist eben nur auf den ersten Blick nichts weiter als die
elektronische Form eines Briefs. Das geht schon bei der Vertraulichkeit einer
Mail los, die mindestens auf den Servern jeder mitlesen kann. Das geht weiter
bei der Rechtskräftigkeit. Per Papierpost kann ich verbindliche Verträge mit
weitreichenden Konsequenzen schließen. Per Mail kann ich nicht einmal ein
Busticket abrechnen, weil die Reisekostenabteilung unbedingt Originale braucht.
Besonders absurd wird es, wenn ich für die Abrechnung nach der Fahrt meine
Bahntickets überhaupt erstmals in Papierform bringe, weil das PDF nicht als
Original gilt. Dafür aber ist eine Mail schnell. So schnell, dass sie sich
dadurch nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ grundlegend vom
Papierbrief unterscheidet. Da kaum etwas einfacher geht, als mal eben eine Mail
abzuschicken, schreibe ich eben nicht mehr sorgfältig formulierte Texte,
sondern klimpere durchaus auch halbgare Notizen und Erinnerungen in die
Tastatur.
Zu behaupten E-Mails seien einfach nur Briefe in Elektronenform ist etwa
so, wie zu sagen, das Auto sei nicht mehr als eine Kutsche ohne Pferde. Als
erste Metapher und in der Anfangszeit mag das gestimmt haben, aber eine
Kutsche, die sich nahezu jeder leisten kann, die in 5 Stunden statt in 5 Tagen
von Hamburg nach Frankfurt fährt, ohne dabei die Pferde wechseln zu müssen und
an deren Herstellung ganze Volkswirtschaften hängen, ist dann doch deutlich
mehr. Wer die Umweltbilanz einer Pferdekutsche mit der eines Autos vergleicht -
ob benzin- oder stromgetrieben ist kaum entscheidend - und daraus den Schluss
ableitet, die Rückkehr zur Kutsche sei eine gute Idee, wünscht sich nicht nur
technologisch eine andere Gesellschaft herbei.
Kommunikationshygiene
Doch zum Glück fordert - noch - niemand ernsthaft, wir sollten zurück zur
Briefpost gehen. Statt dessen sollen wir weniger Mails schreiben und die
Anhänge klein halten. Das raten viele, die sich mit elektronischer
Kommunikation beschäftigen, schon seit Jahrzehnten, allerdings nicht aus
ökologischen, sondern aus ökonomischen Gründen. Es gibt Gründe, warum wir Mail,
Chat und Telefonie haben. Für jedes dieser Medien gibt es Anwendungsfälle, und
wir sollten sie sauber voneinander trennen. Wer Mails zum Chatten oder zur
Dateiübertragung nutzt, mag vielleicht ökölogisch fragwürdig handeln. Vor allem
aber gestaltet er seine Kommunikation unnötig umständlich.
Nun könnte es uns egal sein, aus welchem Grund sich die Leute vernünftig
verhalten. Tatsächlich aber zeigt sich gerade bei Pseudodiskussionen wie der,
ob wir eine Mail schreiben oder lieber gleich die Atombombe zünden sollen, wie
verlogen und instrumentalisiert die Debatte inzwischen ist. Schon im Sommer
forderten Innenpolitiker die Ausweitung der KFZ-Kennzeichenscans - nicht etwa mit dem bisher
üblichen Argument, den Muselmann von seinem Lieblingshobby abzuhalten, mit
Flugzeugen in Hochhäuser zu fliegen, WAS ER DEN GANZEN TAG TÄTE, wenn wir ihn
nicht mit Kennzeichenscans davon abhielten -, sondern weil, weil... WEIL KLIMA.
Weil durch den Überwachungsstaat das Klima besser wird. Nein, das ist noch
nicht griffig genug, Sekunde, gleich hab ich's. Weil wir damit die Einhaltung
der Fahrverbotszonen besser kontrollieren können. Das ist gut. Den Blödsinn
glauben sie uns. Wir müssen nur irgendwas mit "Klima" stammeln, dann
kaufen sie uns alles ab.
Angriff des Mittelbaus
Was auf der großen politischen Ebene funktioniert, lässt sich auch auf
Firmen übertragen. Da gibt es im Wesentlichen zwei wichtige Rollen: Die Einen
ganz unten im Maschinenraum leisten wirklich wahrnehmbare Arbeit, stellen etwas
her, führen Dienstleistungen durch und sorgen dafür, dass Geld reinkommt. Geld,
dass die Managementetage ganz oben auf der Brücke an die Aktionäre verjuxen und
sich bei dieser Gelegenheit auch ein paar Milliönchen davon in die eigene
Tasche stecken kann. Als Gegenleistung fällen sie irgendwelche Entscheidungen.
Das hört sich jetzt nicht nach besonders viel an, ist es auch nicht, aber
irgendwer muss den Kurs vorgeben. Zwischen Brücke und Maschinenraum wurde im
Verlauf der Zeit ein immer verworreneres Dickicht an Führungsetagen eingezogen,
von denen einige zumindest einmal Sinn ergeben haben, andere aber nichts weiter
als Parkpositionen für eine ganz eigenartige personelle Ausschussware sind, die
selbst fürs Kohleschippen im Maschinenraum zu blöd war, es aber geschafft
hat, ihre Nutzlosigkeit als Unterforderung zu verkaufen und sich in
irgendwelche Bullshit-Jobs zu manövrieren, deren einzige Funktion darin
besteht, bloß niemanden merken zu lassen, wie überflüssig sie in Wirklichkeit
sind. Um Wichtigkeit zu simulieren, verfallen solche Leute gelegentlich in
Aktionismus, und da sie nach Laurence J Peter bereits die Stufe
ihrer Inkompetenz erreicht haben, stellen sie sich hierbei
bestenfalls ungeschickt, meist sogar schädlich an. Wie viele Reorganisationen
hat Ihre Firma in den letzten Jahren durchlaufen?
Solche Leute sind es, die auf einmal Dienstreisen für die niedrigen
Hierarchiestufen untersagen und dies mit dringend notwendigen Sparmaßnahmen
oder, weil es gerade en vogue ist, mit Klimaschutz begründen. Dass die
Effizienz der Firma deutlich sinkt, weil es einen enormen Aufwand bedeutet, die
Reibungsverluste zu kompensieren, die entstehen, wenn Menschen über hunderte
oder gar tausende Kilometer Distanz nur noch elektronisch miteinander
kommunizieren können, ist dabei egal, denn es geht weder um Geld noch ums
Klima. Es geht darum, das Ego derer zu streicheln, die weiterhin mit
gewichtiger Mine in Besprechungen darauf hinweisen können, sie müssten früher
raus, weil sie den Flieger nach Mumbai noch erwischen müssen.
Falls Ihnen gerade aufgefallen ist, dass ich argumentativ scheinbar die
Seite gewechselt habe: Das habe ich nicht. Ich fand und finde sowohl Mail als
auch persönliche Gespräche sinnvoll. Sie sind für mich einfach nur keine
Antagonisten, sondern ergänzen einander. Wer glaubt, das Eine durch das Andere
ersetzen zu können, verkennt die unterschiedlichen Anlässe, zu denen jede
dieser Kommunikationsformen funktioniert - ähnlich wie Chat und Telefon.
Doch zurück zum Flieger nach Mumbai oder genauer: den Leuten, die ihre
Nutzlosigkeit durch Regelungswut zu kaschieren versuchen. Solche Leute lesen
auch Artikel wie die mit den Berechnungen zur CO2-Bilanz einer E-Mail und
wittern sofort eine Chance, auch hier ihre Wichtigkeit zu demonstrieren - denn
was läge näher, als hier nicht sofort regulierend einzugreifen? Da muss doch
eine neue Maßnahme her. Eine, die den Leuten verbietet, mehr als 20 Mails pro
Tag zu schreiben. Wer mehr schreiben will, kann das natürlich. Er muss nur
dieses Excel-Sheet ausfüllen und per Mail an die Domänenadministration
schicken, die dann auf dem Exchange-Server temporär ein Kontingent von 5
weiteren Mails freischaltet. Gleiches gilt für Mailanhänge, deren Größe auf
maximal 1 MB beschränkt wird. Natürlich ist klar, dass ab und zu auch einmal
größere Datenmengen verschickt werden müssen. Dafür gibt es ein FTP-Fileshare,
auf dem man mit einem für die jeweilige Transaktion spezifischen und 24 Stunden
gültigen Passwort eine Datei ablegen kann. Um sicherzustellen, dass es auch
wirklich diese eine Datei ist, muss man den MD5-Hash per Mail an das Netzteam
schicken, das den Cronjob pflegt, der alle Dateien mit nicht registrierten
Prüfsummen automatisch löscht. Ach ja, und natürlich haben die
Arbeitsplatzrechner keine Firewallfreischaltung für das FTP-Share. Die muss man
erst beantragen. Auch dafür gibt es natürlich ein Excel-Formular. Man will die
Sache ja nicht unnötig verkomplizieren.
Habe ich zu erwähnen vergessen, dass diese Regeln natürlich nicht für die
oberen Führungsebenen gelten? Nein, deren Mails werden ja mit klimafreundlichem
Strom verschickt, und für jedes Gigabyte Manager-Mailpostfach wird in Brasilien
ein Baum gepflanzt. Dass die Firma so etwas nicht für jeden Angestellten kann,
sollte ja wohl bitte klar sein.
Augenzuhalten lässt Dinge nicht verschwinden
Man muss Greta Thunberg nicht mögen. Man kann über hihihiwielustige Tweets von Fridays for
Future Germany die Stirn runzeln (und wie brüllend komisch sie erst werden,
wenn man "Großeltern" durch "Ausländer" ersetzt), aber das
ändert nichts daran, dass wir im Begriff sind, das Ökosystem dieses Planeten so
schwer zu stören, dass es auch in den gemäßigten Zonen unangenehm wird. Tief in
uns ist allen klar, dass wir etwas ändern müssen und dass es kein Spaß wird.
Nun haben wir aber seit den Achtzigern immer wieder gelernt: Aussitzen
funktioniert, und damit das nicht so auffällt, führen wir Scheindebatten und
Symbolpolitik. Ich sehe SUVs als einen der schwachsinnigsten Fahrzeugtypen überaupt
an, und meine Geringschätzung der Leute, die sie mit den hirnrissigsten
Ausreden fahren, wird allenfalls noch durch die gegenüber denen überboten, die
im vergangenen Sommer diese Fahrzeuge zum Inbegriff alles Bösen stilisierten
und sich so verhielten, als ließe sich die Klimakatastrophe allein dadurch
aufhalten, dass wir jetzt ein schönes Feindbild haben. Ähnlich ist es mit
Mails und Streamingdiensten. Es mag ja sein, dass wir irgendwo in der Arktis
das Abschmelzen einiger Kubikzentimeter Eis verhindern, indem wir weniger Mails
schreiben und Filme wieder auf DVD gucken (auf der sie dummerweise gar nicht
erhältlich sind, aber jetzt wollen wir bitte nicht kleinlich sein), aber eine
Antwort auf die wirklich interessante Frage liefert dieses Possenspiel nichts.
Die Frage nämlich, wie wir uns eine Gesellschaft vorstellen, in der Mobilität
wieder zum Luxusgut wird, in der Urlaubsflüge den Reichen vorbehalten sein
werden - den Reichen, die es sich noch leisten können, in klimatisch angenehmen
Gegenden zu wohnen, die das Geld haben, ihre Wohnungen im Winter warm und im
Sommer kühl zu halten. Wir werden uns darüber unterhalten müssen, dass niedrige
Einkommensgruppen es immer schwerer haben werden, auch nur die Grundbedürfnisse
zu finanzieren, während wir auf sie herabblicken und uns beschweren, warum sie
immer noch mit ihrem Benzinauto zur Arbeit fahren um beim Discounter einkaufen,
dessen gesamtes Sortiment weder gesund noch ökologisch akzeptabel, dafür aber
bezahlbar ist. Wir werden eine Antwort darauf finden müssen, wie wir sozial den
Zusammenbruch der Automobilindustrie verarbeiten. Der Umbau des Ruhrgebiets
gelang so halbwegs. An der Wiedervereinigung knabbern wir seit 30 Jahren mit
nur mäßigem Erfolg. Ich sehe im Moment noch nicht, wie wir nach der Schließung
oder zumindest erheblichen Schrumpfung der Ford- und VW-Werke die Arbeitslosen
dieser Branche und der Zulieferbetriebe unterbringen sollen. Ich weiß, die
Standardantwort lautet: "Lass sie in Hartz IV rutschen, aus den Augen aus
dem Sinn, Hauptsache hier bei uns auf dem Sonnendeck geht die Party
weiter."
Sie wird nicht weitergehen.
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