Sonntag, 18. August 2019

Y-Tours reloaded

Es ist ein Freitag im Jahr 2001 in einem Intercity nahe bei Kassel. Die Luft ist wie in einer Kneipe, eine Mischung aus abgestanden, verraucht und Bier. A propos stehen, Sitzplätze gibt es schon lange nicht mehr. Der ganze Zug ist vollgestopft mit jungen Kriegsdienstleistenden, die brav bis Dienstschluss das Vaterland verteidigt haben und nun auf der Heimfahrt sind. Wenn der Sold schon eine Frechheit ist, so hat die Nation ihnen doch wenigstens Tickets spendiert, welche die Fahrt zwischen Kaserne und Wohnort gratis abdecken. Das führte zu den berüchtigten Y-Tours, Heerscharen von alkoholisierten Soldaten, die Freitags auf der Fahrt ins Wochenende und Sonntags auf dem Weg zur Kaserne die Züge verstopften.



Diese Zustände will die neue Kriegsministerin gern wieder haben. Sie hat sich vorgenommen, die Bundeswehr attraktiver zu gestalten, indem sie die Freifahrten mit der Bahn wieder einführt. Ökologisch ist das bestimmt kein falsches Signal. Gesellschaftlich finde ich es auch nicht falsch, Menschen zu begünstigen, die einen bestimmt nicht einfachen Dienst für den Staat leisten. Ich frage mich nur: Warum ausgerechnet die und nur die? Was leistet eine Polizistin weniger, die ebenfalls für lächerliches Geld im Staatsdienst arbeitet, dass sie kein solches Ticket bekommt? Was leistet eine Lehrerin weniger, die ebenfalls verbeamtet anderen Menschen etwas beibringt? Ist die Bereitschaft, Menschen umzubringen, so viel wertvoller, dass man sie mit Gratisbahnfahrten belohnen muss?

Wie immer, wenn es darum geht, schwülstigen Unsinn abzusondern, darf Alexander Dobrindt nicht fehlen. Der gibt bei "Spiegel Online" von sich: "Übrigens geht dies auch einher mit einem stärkeren Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger".

Nur, damit ich das richtig verstehe: Glaubt der Mann allen Ernstes, die Bundeswehrsoldaten spielten an Bord eines Zuges so eine Art Freizeit-Security? Ich habe erlebt, wie es in Zügen voller Bundeswehrsoldaten zuging, und das war das komplette Gegenteil von Sicherheit. Hinzu kommt, dass zu Zeiten der Pflichtarmee allein schon aus statistischen Gründen  genug Leute beim Bund waren, die eine gewisse Distanz zu ihrem Dienst hatten. Nun aber, nach Jahren des Im-eigenen-Saft-Kochens, hat sich die Bundeswehr ein massives Rechtsradikalismus-Problem eingetreten. Das heißt nicht, dass alle Soldaten Nazis sind, aber es heißt, dass ich Zweifel daran habe, dass im Falle eines Konflikts die demokratisch gesinnten Soldaten ihre rechtsradikalen Kameraden zur Besinnung bringen.

Selbst, wenn  wir annehmen, dass die Rechtsradikalen auf Reisen sich beherrschen und keine Frauen, Linken, Ausländer oder Homosexuellen belästigen, frage ich mich, wie Dobrindt sich die Bundeswehr als Ordnungsmacht an Bord von Zügen vorstellt. In dem Moment, da ein Soldat die Uniform auszieht, ist er nicht mehr im Dienst - und zwar völlig zu recht. Der wird ganz bestimmt nicht seine Aufgabe darin sehen, im Zug Patrouille zu laufen oder dort auf irgendeine Weise für Sicherheit zu sorgen. Er hat nicht einmal das Recht dazu. Mehr noch: Selbst wenn er Uniform trüge, hätte er an Bord eines Zuges nichts zu melden. Aus sehr gutem Grund wird die Bundeswehr im Inneren nur im Katastrophenfall eingesetzt, und bei allem Ärger über den allenfalls homöopathisch messbaren Service der Bahn - ich vermute, da kann auch die Bundeswehr nicht mehr viel bewirken. Nein, wenn an Bord jemand das "Hausrecht" (schöne Metapher für ein Unternehmen, dessen Anspruch für Mobilität zu sorgen, nicht ganz mit der Realität in Einklang steht) hat, ist es die Zugbegleiterin, und wenn sie nicht weiterkommt, die Bundespolizei. Ehrlich gesagt wundert mich nicht, wie jemand, der solch uninformierten Blödsinn von sich gibt, sein Amt als Bundesverkehrsminister verloren hat.

Interessant ist auch, was sich die Kriegsministerin den Spaß kosten lässt. Überschlagen wir mal: 181.377 Soldaten (30. Juni 2019) mal 4395 € für eine Bahncard 100 wären 797.151.915 € pro Jahr. Nehmen wir einmal an, dass da noch einige Rabatte ausgehandelt werden und längst nicht alle Soldatinnen das Angebot wahrnemen werden, halte ich eine halbe Milliarde Euro für eine halbwegs realistische Ausgabe. Was aber zahlt die Bundeswehr? 4 Millionen, in Worten: vier. Das sind 0.04 Eurofighter, zwei bis vier Tomahawks oder ein Viertel "Puma" Schützenpanzer (6 Milliarden Euro für 350 Panzer sind etwa 17 Millionen pro Fahrzeug). Mit der Portokassenausschüttung Kramp-Karrenbauers ließen sich regulär 910 Bahncard 100 ausstellen. Ohne jetzt groß rechnen weiter rechnen zu müssen - das ist ein Witz, der sich niemals rentiert. Die Bahn wird das irgendwie kompensieren müssen, und raten Sie mal, woher sie sich die fehlenden Millionen holen wird? Richtig geraten, bei Ihnen, den normalen Fahrgästen. Die ganzen Sparpreise werden Sie künftig vergessen können. Sie zahlen also gleich doppelt für das Prestigeprojekt der Kriegsministerin: erstens Steuern und zweitens höhere Fahrpreise, aber das sollte es uns Wert sein, das Vaterland am Hindukusch verteidigt zu wissen.

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