Dienstag, 2. April 2019

Artikel 17 oder: Es gibt ein Leben nach der Demonstration

Nachdem wir von der vielen Demos zurück sind, wo wir Flugis verteilt, Transpis hochgehalten und mit dem Lauti gemeinsam Parolen gerufen haben (diesmal nicht "Hambi bleibt", sondern irgendwas mit Artikel 13), können wir uns vielleicht einer Aufgabe mit weniger Babysprache zuwenden.

Einen kurzen Moment lang sah es im Europaparlament so aus, als geriete die Lobbymacht ins Wanken, als mit nur 5 Stimmen Unterschied der Antrag abgelehnt wurde, über die Artikel der Urheberrechtsreform in Einzelabstimmung zu entscheiden. Wer genau wie abgestimmt hat, lässt sich im Nachhinein leider nur schwer sagen, da einige Abgeordnete die Möglichkeit zur Geschichtsfälschung nutzten und im Protokoll ihr Stimmverhalten ändern ließen. Das ändert am eigentlichen Abstimmungsergebnis freilich nichts, aber im Protokoll steht am Ende das, was sich im Wahlkreis besser verkaufen lässt. So funktioniert Demokratie.

Dass der Rat am 15.4., diesmal vertreten durch Julia Kloeckner (CDU), den Entwurf doch noch ablehnen wird, erscheint mir so wahrscheinlich, als setze sich Christian Linder plötzlich für soziale Gerechtigkeit ein. Am 4.4. wird es im Bundestag zur Debatte über einen Antrag der Linken kommen, die Urheberrechtsreform abzulehnen. Ich lag zugegebenerweise mit meiner Einschätzung zur SPD schon falsch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regierungspartei SPD zusammen mit AfD und Grünen einem Antrag der Linken zur Mehrheit verhilft. Interessant ist hier allenfalls die Positionsbestimmung der einzelnen Parteien.

Das sieht die Aufplusteria bei Twitter freilich anders. Sie wird wieder ein riesiges Getöse veranstalten, falsche Hoffnungen wecken und tief verbittert sein, wenn die Richtlinie abgenickt wird. Sehen wir es nüchtern: Wir waren die ganze Zeit über in der Minderheit, hierzulande und erst recht in der EU. 200.000 Demonstrantinnen (wobei schon diese Zahl äußerst kühn geschätzt ist und die Wahrheit meiner Ansicht nach vielleicht bei der Hälfte liegt) und 5 Millionen Unterschriften unter einer rechtlich nicht bindenden Online-Petition sind natürlich eine beeindruckende Zahl, aber sie belegte in erster Linie die Reichweite einiger weniger Youtuber. Ich persönlich kenne (außer Julia Reda) niemanden, der die gesamte Richtlinie wirklich gelesen hat. Der Rest von uns - mich eingeschlossen - hat maximal Artikel 13/17 zu verstehen versucht. Die Meisten haben einfach Artikeln und Kommentaren vertraut. Das reicht für Demonstrationen und Proteste völlig aus, aber für das Kommende brauchen wir mehr. Statt sich theatralisch an halb durchnässte Strohhalme zu klammern und sich darüber zu empören, wenn sie erwartungsgemäß nicht halten, wäre in meinen Augen jetzt die Zeit gekommen, den nächsten Schritt zu gehen. Die Bundesregierung wird sich in den nächsten zwei Jahren an die Aufgabe setzen, die Richtlinie in Bundesgesetze zu fassen, und diesen Prozess gilt es zu begleiten. Das ist bei weitem nicht so spaßig wie eine Demonstration an einem sonnigen Samstagmittag in der Innenstadt. Es dauert auch länger und nimmt auch relativ gesehen mehr Zeit ein. Es wird darum gehen, Gesetzesentwürfe zu lesen - viele davon. Es wird darum gehen, mit Abgeordneten zu reden - nicht nur einmal, sondern mehrfach. Es wird um Publizistik gehen, und da wären wieder die Youtuber gefragt. Ich weiß nicht, ob deren Formate geeignet sind, ein komplexes Thema über mehrere Monate immer wieder frisch aufzubereiten. An dieser Aufgabe scheitern schon die öffentlich-rechtlichen Medien, entsprechend schwieriger stelle ich es mir bei Vlogs vor, die eher auf Schnelligkeit und Unterhaltung ausgelegt sind. Ich sehe allerdings auch nicht viele andere Optionen. Gut, am Ende können wir wieder einmal vors Bundesverfassungsgericht oder vor den EuGH ziehen, aber eigentlich hätte ich gern ein Gesetz verhindert, bevor es in Kraft tritt. Ich finde es auch aus demokratischer Sicht bedenklich, wenn ein von der parlamentarischen Mehrheit verabschiedetes Gesetz von der Minderheit durch eine Verfassungsklage gestoppt wird. Das spricht weder für die Regierung noch für den demokratischen Willensbildungsprozess.

In Demokratien passieren Dinge selten schnell, und wenn es ausnahmsweise doch einmal der Fall ist, bereuen wir meist den unüberlegten Schnellschuss. In Demokratien passieren Dinge langsam, und das heißt, dass wir, wenn wir etwas ändern wollen, Geduld und viel Energie brauchen. Ich bin gespannt, ob wir die haben.

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