Viel wurde in Netzaktivistenkreisen das Buch bejubelt. Der wegen seiner "Känguru"-Reihe beliebte Kleinkünster Marc-Uwe Kling hatte jetzt auch einen längeren Roman geschrieben, in dem es um die Herrschaft der Big-Data-Analyse, des Scorings und des computergestützten Turbokapitalismus über den Menschen geht. Nebenher gibt es noch eine Menge über KI zu lesen, und Ausländerfeinde bekommen auch ihr Fett weg. Kurz: alles was das linke Netzaktivistenherz erfreut.
Vielleicht ist dieser perfekte Mix der Grund, warum das Buch nicht so richtig in die Gänge kommt. Man kann Kling nicht vorwerfen, schlecht recherchiert zu haben. Die technischen Details stimmen. An der Geschichte ist auch nichts auszusetzen: In einer nahen Zukunft haben die Maschinen die Herrschaft übernommen, auch wenn die Menschen das nicht zugäben. Formal haben sie immer noch das Heft in der Hand, aber sie verlassen sich in ihren Entscheidungen so blind auf das, was ihnen die Computer vorgeben, dass der menschliche Faktor praktisch keine Rolle mehr spielt. Der Wert eines Menschen hängt von dessen Scoring ab, und das entscheidet auch, welches Produkt er als nächstes kaufen zu wollen hat - zum Beispiel einen rosafarbenen Vibrator in Delfinform, den der Antiheld der Geschichte eines Tages unverlangt zugestellt bekommt und den er nicht zurückgeben kann. Keine Chance. Die Berechnungen sagen, dass er, auch wenn er es nicht wahrhaben will, dieses Produkt möchte, und Computer können sich nicht irren. Zusammen mit einem Kellerraum voller defekter KI-Hightechprodukte, die er vor der Verschrottung bewahrt hat, bricht er zu einer kafkaesken Reise auf, um das unerwünschte Gerät wieder loszuwerden. In Nebenerzählsträngen geht es um den Chef der das Land beherrschenden Versandfirma sowie einen Androiden, der gegen einen Rechtsradikalen im Präsidentschaftswahlkampf antritt und dabei merkt, wie wenig die Wähler auf Sachargumente ansprechen.
Die Zutaten stimmen, und das Ergebnis schmeckt auch, aber es schmeckt nicht nach meisterlich abgeschmeckter Sterneküche, sondern nach Fertiggericht. Die Grundgeschichte ist in Ordnung, aber sie ist auch nicht besonders originell. Die phlegmatische Hauptfigur kommt einem von den "Känguru"-Büchern bekannt vor, sie funktioniert auch, aber mehr auch nicht. Die Ideen mit den eigentlich zur Verschrottung vorgesehenen Robotern und Haushaltsgeräten, dem selbststeuernden Taxi mit Orientierungsschwierigkeiten und den Lieferdrohnen, die beleidigt reagieren, wenn man ihnen bei der Leistungsbewertung nicht die maximale Punktzahl gibt, sind lustig, aber seit Douglas Adams auch nicht mehr neu. Der paternalistisch herrschende Social-Media-Versandhauskonzern ist gut beschrieben, aber auch das hatten wir in ähnlicher Form schon in "The Circle". Die zahlreichen Seitenhiebe gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit mögen die dringend nötigen Streicheleinheiten für die Berliner Alternativszene sein, damit der Hipster von Welt auch das Neue Kling-Buch kauft, aber wen will Kling damit erreichen? Glaubt er ernsthaft, ein AfD-Wähler kaufe sich das Buch, um es mitten während des Lesens sinken zu lassen und zu sagen: "Ja, also, wenn ich mir das hier so ansehe, merke ich, dass Rassismus eine reichlich dumme Sache ist. Ich glaube, ich wähle wieder grün." Die Idee, bereits bekannte Abkürzungen neu zu belegen, hat schon fast Schülerkabarettniveau. Ähnlich geht es mir bei den penetranten Zahlenspielereien im Buch. Viele Zahlen sind entweder glatte Zweierpotenzen, sind in Dualschreibweise irgendwie hübsch anzusehen oder spielen sonstwie auf die IT-Welt an. Ja, Nerds lieben diese kleinen Erkennungszeichen, mit denen man sich gegenseitig der Gruppenzugehörigkeit versichert, aber die Dosierung ist wichtig. So massiv wie in "Qualityland" wirken sie eher wie der Straßensozialarbeiter Ende 40, der mit akkurat falsch aufgesetzter Baseballkappe auf eine Gruppe Jugendlicher zugeht: "Hey Kid's, was geht ab, immer voll krass am Chillen?" Dabei hatte man ihm doch im Fortbildungsworkshop gesagt, dass die jungen Leute heute so reden.
Kling hat einen Sinn für absurde Situationen, er hat ein Gespür für Komik, aber vielleicht funktioniert es in in kurzen, knackingen "Känguru"-Geschichten besser als bei einem langsam sich entwickelnden Erzählfaden eines Romans. Kling scheint das zu ahnen, und so greift er zum Standardtrick, dessen sich jeder zweitklassige Comedian bedient, wenn er aus einem lahmen Publikum ein paar billige Lacher rauskitzeln will: schlüpfrige Anspielungen. Am deutlichsten wird dies natürlich bei dem Artikel, den der Protagonist vergeblich zurückgeben will, aber Gürtellinien-Witzchen kommen auch sonst mehrfach vor. Ich finde nicht, dass Kling so etwas nötig hat.
Insgesamt kommt ein Buch heraus, das weder besonders schlecht, noch besonders gut ist. Es buhlt etwas sehr aufdringlich um die Lesergunst, was einfach schade ist, denn die Figuren, die Ideen und die Recherche stimmen. Es scheint mir, als hätte Kling genug davon, als der lustige Kleinkünster mit seinen etwas albernen Kurzgeschichten herumgereicht zu werden und habe nun den satirischen Science-Fiction-Roman schreiben wollen, mit dem er auch die Anerkennung des moderat netzaffinen Bildungsbürgers bekommt. Den überwiegend positiven Reaktionen aus dieser Gruppe zufolge ist ihm das auch gelungen. In meinen Augen bleibt das Buch jedoch hinter dem zurück, was es hätte werden können.
Marc-Uwe Kling: Qualityland. Ullstein, 18 €
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen