Es ist einfach eine doofe Idee, sich mitten im Sommer mit der Presse anzulegen.
Anders: So viele taktische Fehler wie der Genrealbundesanwalt auf einmal zu begehen, als er gegen Netzpolitik.org ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats einleitete, zeugt schon fast wieder von Talent.
Erstens der Zeitpunkt: im Sommerloch. Die Zeit, in der Journalisten drei Tage lang darüber berichten, wie die Kanzlerin ein Kind getätschelt hat. Da muss es doch klar sein, dass sie auf so eine Sache aufspringen werden.
Zweitens die Zielgruppe: Journalisten, genau die Leute also, die größtenteils zwar handzahm sind, das aber äußerst ungern vorgehalten bekommen. Wenn man denen - und vor allem denen, die an ihre Arbeit noch einen gewissen ethischen Anspruch erheben - bei einem zwar unangenehmen, im Wesentlichen aber ungefährlichen Artikel die jursitische Keule des Landesverrats überzieht, reagieren sie äußerst empfindlich. Mit solchen Mitteln hält man sich in totalitären Regimes wie Russland und China oder Bananenrepubliken die Presse gefügig, aber in westlichen Demokratien ist man offiziell stolz darauf, dass die Presse mit kritischer Berichterstattung als Korrektiv wirkt. Nun kommt ein Blog an einige Papiere, die als Verschlusssache deklariert sind, also der geringsten Geheimhaltungsstufe, die es überhaupt gibt. Die Klassifzierungskriterien lauten sinngemäß: peinlich, wenn es rauskommt, aber keine Gefährdung des Staatswohls, geschweige denn der Handlungsfähigkeit. Ein souverän agierender Staat hätte sich vielleicht etwas geärgert, aber nicht besonders erschüttern lassen. Aber nein, es muss "Landesverrat" sein. Kleiner ging's nicht.
Drittens die Fehleinschätzung, ein Blog sei kein journalistisches Erzeugnis. Natürlich ist nicht jedes Geschreibsel gleich Journalismus, aber Netzpolitik.org hat die Hobbyliga längst verlassen. Das haben die Kollegen der Süddeutschen, des Spiegels, von ARD und ZDF auch begriffen, und entsprechend fassen sie einen Angriff auf Netzpolitik.org als das auf, was er nun einmal ist: einen Angriff auf die Pressefreiheit.
Viertens der Begriff: Landesverrat. Das ist eine Vokabel, wie wir sie nur aus Spielfilmen kennen. Zuletzt spielte sie in Deutschland während der Spiegel-Affäre Anfang der Sechziger eine Rolle, einer Zeit also, in der die junge Bundesrepublik vom Nationalsozialismus hat Abschied nehmen müssen, aber in der Demokratie noch nicht so recht angekommen war. Regierungen wurden zwar wieder gewählt, galten in den Köpfen aber als quasi gottgesandt. Die kritisiert man nicht, denen folgt man. "Landesverrat", das klingt so wie "Wehrkraftzersetzung" oder "Feigheit vor dem Feind". So etwas ziemt sich nicht für einen anständigen Deutschen.
Genau diese Vokabel zerrt der Generalbundesanwalt also jetzt hervor. "Verrat", so etwas wirft man auch Whistleblowern vor. Seinem Unternehmen, seiner Partei, seinem Land hält man gefälligst Nibelungentreue, egal was die gerade ausfressen. Der Traditionsflügel der SPD benutzt in diesem Zusammenhang das Wort "Solidarität" und rechtfertigt damit die größten Sauereien. Wenn die Partei erst einmal etwas beschlossen hat, dann interessiert es nicht mehr, wie dumm die Idee ist und wie viele Grundüberzeugungen sie verrät. Man hat sich solidarisch zu verhalten, das zählt.
Nun kann der Generalbundesanwalt nichts für das im Strafgesetzbuch verwendete Vokabular, aber dass ihm dieser Straftatbestand ausgerechnet jetzt wieder in den Sinn kommt, ist ein weiterer Beleg für lausiges Timing, und das führt uns zu Punkt fünf.
Fünftens der Zeitpunkt. Etwa drei Wochen ist es her, dass der CCC ein Schreiben des Generalbundesanwalts bekommen hat, in dem dieser erklärt, er sähe keinen Anlass, im BND-NSA-Abhörskandal weiter zu ermitteln; immerhin seien ja seit zwei Jahren gigabyteweise veröffentlichte Belege nichts, womit sich ein Verfahren begründen ließe. Ganz anders sieht es da natürlich aus, wenn so ein paar Blogger sich erdreisten, über das Versagen des Verfassungsschutzes zu berichten. Da muss der Rechtsstaat natürlich volle Härte zeigen.
Genau hier irrt Kristina Schröder, wenn sie behauptet, die Kritik am Generalbundesanwalt sei Beschimpfung der Justiz. Range ist mitnichten "die Justiz". Er ist weisungsgebundener Beamter und dem Bundesjustizministerium unterstellt. Sowohl seine über zwei Jahre andauernde und mit schon fast bemitleidenswert lauen Argumenten verteidigte Arbeitsverweigerung im NSA-Skandal als auch seine plötzliche Agilität, wenn es darum geht, zwei Bloggern das Maul zu stopfen, werden im Zweifelsfall mit dem obersten Dienstherren abgestimmt sein. Beim Landesverratsverfahren wissen wir sogar, dass es mit dem Bundesinnenministerium koordiniert wurde. Umso, sagen wir: überraschender ist es, dass Heiko Maas plötzlich von all dem nicht mehr wissen will, sich von Range distanziert und ihn ungeschützt im Regen stehen lässt. Nun hat die SPD außer Machtgier ohnehin keine Werte, die sie zu verraten nicht bereit wäre, aber normalerweise hat sie wenigstens ein paar Wochen Schamfrist zwischen dem vollmundigen Verkünden einer Position und dem gegenteiligen Handeln. Dass Maas auf einmal sein Herz für Grundrechte entdeckt hat, glaubt ihm nach der Nummer mit der Vorratsdatenspeicherung ohnehin keiner mehr.
Zwar ist Feigheit vor dem Shitstorm kein Zeichen von Charakterstärke, aber irgendwo noch verständlich. Unverständlich sind mir hingegen die Versuche aus der Union, die Aktion des Generalbundesanwalts auch noch zu rechtfertigen. Immer wieder lese ich beispielsweise Äußerungen, das Veröffentlichen geheimer Informationen sei nun einmal eine Straftat und müsse verfolgt werden. Sekunde, heißt das, ich plane einfach irgendeine Sauerei, klebe auf alle belastenden Materialien einen "Geheim"-Aufkleber, und plötzlich darf niemand mehr darüber reden? War Gysis Stasi-Akte nicht auch eigentlich "geheim"? Warum hat das niemanden gehindert, aus ihr zu zitieren? Von anderen, wesentlich brisanteren Geheimdokumenten ganz zu schweigen.
Auch hier merkt man wieder, wie wichtig es wäre, das Phänomen Whistleblowing endlich einmal ausführlich zu diskutieren. Im Wesentlichen herrscht immer noch der Corpsgeist der Kaiserzeit. Kohl darf seit Jahrzehnten unbehelligt die Aussage im CDU-Parteispendenskandal verweigern, weil er sich durch ein "Ehrenwort" gebunden fühlt. Ein deutscher Soldat verrät seine Kameraden nicht - oder wie das heißt. Fragen Sie einmal außerhalb der Nerd-Filterblase, was die Leute von Edward Snowden halten. Viele Leute sehen den Mann in erster Linie als Verräter, nicht als Aufklärer.
Range hat also die Situation komplett falsch eingeschätzt, und die schon fast totgeglaubte netzpolitische Bewegung kommt wieder in Wallung. Wieder einmal hat man den Eindruck, dass sich über lange Zeit Druck aufgebaut hat, bis erneut ein "Das-Maß-ist-voll"-Moment erreicht ist. Wir hatten das schon einmal bei der Vorratsdatenspeicherung und bei der Internetzensur. In beiden Fällen fanden sich praktisch aus dem Nichts einige zigtausend Leute, die nicht bereit waren, die neusten Übergriffe der Regierung weiter zu dulden. In Berlin waren heute - tja, die Zahlen differieren stark - einige hundert, wahrscheinlich aber eher zweitausend Menschen unterwegs, um gegen das Ermittlungsverfahren zu demonstrieren. Bei campact wurde vor wenigen Stunden eine Unterschriftenliste angelegt, und bereits jetzt haben mehr als 68.000 Menschen unterzeichnet. Wir wissen alle, dass Unterschriftenlisten im Netz praktisch wertlos sind, aber dennoch verblüfft die Zahl, die Demonstration in Berlin war zwar nicht wirklich groß, aber bei zwei Tagen Vorlaufzeit schon ganz ordentlich, praktisch alle wichtigen Zeitungen und Nachrichtensendungen sind aufgesprungen, und wir sind noch ganz am Anfang. Mal sehen, was der Sommer uns noch bringt.
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