Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
wenn dein starker Arm es will.
So steht es im Bundeslied, geschrieben 1863 von Georg Herwegh, Melodie von Hanns Eisler im Jahr 1920. Im Prinzip sagt es alles, was über Streiks gesagt werden muss: Das einzige - wenn auch ungeheuer mächtige - Mittel, mit dem Arbeiterinnen sich zur Wehr setzen können, ist kollektives Nichtstun. Allein schon das Wort "Arbeitgeberin" drückt im Deutschen das Gefälle aus: Arbeit ist eine Gabe, die von Besitzenden gnädig zur arbeitenden Klasse hinuntergereicht wird. Die Einen besitzen das Geld, die Infrastruktur, die Fabriken, die Bürohochhäuser, ja sogar die Arbeitsplätze; die Anderen besitzen - nichts.
Außer der eigenen Arbeitskraft.
Sind sich die Arbeiterinnen einig, rollen keine Autos vom Montageband, bleibt der Supermarkt geschlossen, wird keine Zeitung gedruckt.
So sagt es jedenfalls die Theorie. In der Praxis gibt es viele limitierende Faktoren. Beispielsweise muss man erst einmal an einer Stelle sitzen, an der ein Streik überhaupt bemerkt wird. Wenn die Marketingabteilung die Arbeit niederlegt, dann startet die Kampagne eben etwas später - ärgerlich, aber nicht geschäftskritisch. Die Streikenden müssen sich einig sein. Bröckelt die Front, geht der Betrieb weiter - eigenschränkt, aber für eine gewisse Zeit erträglich. Gleichzeitig muss die Gewerkschaft während eines Streiks die Gehälter weiter zahlen. Beliebig lang geht so etwas nicht.
Streiks funktionieren also dann gut, wenn eine kleine Gruppe mit maximalen Auswirkungen in den Ausstand tritt. Deswegen hatten die Lokführerinnen vor einigen Jahren Erfolg. Wenn wochenlang keine Züge fahren, wird es schwierig.
Streiks müssen schmerzen. Dass dabei in der Regel die eigentlich unbeteiligte Öffentlichkeit die Hauptlast abbekommt, gehört zum Kalkül und wird von den Gewerkschaften als Solidarität eingefordert. Immerhin sitzen alle Arbeiterinnen und Angestellten in einem Boot, wenn es darum geht, mehr Lohn auszuhandeln.
Dumm ist nur, wer die schwerste Last zu tragen hat. Die mittelständische Angestellte zückt beim Streik der öffentlichen Verkehrsbetriebe notfalls das Mobiltelefon und bestellt sich ein Taxi. Das Geld dafür hat sie in einer Stunde Arbeit wieder rein. Die Putzfrau, die im gleichen Büro die Tische wischt, verliert knapp einen Tagesverdienst. Wenn sie Pech hat, bekommt sie sogar noch eine Abmahnung, weil sie sich im Stau verspätete.
Das alles bin ich zu akzeptieren bereit. Je größer das Chaos, desto stärker der öffentliche Druck, desto besser die Verhandlungsposition der Streikenden. Vielleicht schafft das sogar etwas mehr Gerechtigkeit. Wenn die chronisch unterbezahlten und überlasteten Krankenschwestern die Arbeit niederlegen, merkt man vielleicht endlich, was sie eigentlich wert sind. Dummerweise sitzen sie an einer so kritischen Stelle, dass sie ihren Bereich gar nicht unverorgt lassen können. Das wiederum schwächt ihre Position, denn sie wollen natürlich nicht, dass ihretwegen jemand stirbt.
Streiks müssen schmerzen, und die unbeteiligte Öffentlichkeit muss sich solidarisch zeigen. Wie schon gesagt: Das verstehe ich. Was ich nicht verstehe, ist die Ungleichheit, mit der diese Solidarität eingefordert wird. So streikten am 26. und 27.3. die Verkehrsbetriebe in Köln und Bonn. Knapp 1,5 bis 2 Millionen Menschen des Ballungsraums mussten sich auf auf Staus und Verdienstausfälle einstellen, auf Taxen und Fahrgemeinschaften umsteigen oder einfach auch mal ein paar Kilometer zu Fuß gehen. Wer sich die Bedingungen vor Augen hält, unter denen Busfahrerinnen arbeiten, knirscht mit den Zähnen, denkt sich aber, dass eine Lohnerhöhung nicht die Falschen trifft und nimmt einige Unannehmlichkeiten in Kauf.
Doch halt! Aus Sicht der Gewerkschaften gibt es offenbar zwei Arten von Menschen: Den Pöbel, der jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit unsere schönen Straßenbahnen verstopft und dann eine erlesene Spezies, ein edles Geblüt offenbar, praktisch die Herrenrasse unter den ÖPNV-Benutzern: den FC-Fan.
Ich hoffe, Sie haben das letzte Wort mit ehrfürchtigem Flüstern gehaucht, denn immerhin sprechen Sie von einem Kölner Nationalheiligtum, Teil des Weltkulturerbes, an Erlesenheit allenfalls und dann auch nur knapp vom Dom geschlagen: dem 1. FC. Wenn der spielt, dann ist das praktisch Hochamt, die Fahrt dorthin eine Pilgerreise zu den heiligen Stätten. Wer sich auf diese Reise begibt, steht unter direktem Schutz des HErrn. Einer solchen himmlischen Mission darf sich ein irdischer Streik nicht in den Weg stellen.
Da ist dann freilich nicht mehr die Rede davon, Streiks müssten schmerzen, wenn sie Erfolg haben wollen. Da redet freilich kein Mensch davon, alle Arbeitenden müssten sich solidarisch zeigen. Nein, wenn - Engelschor an - der Effzeh spielt, darf dessen Fans nicht das kleinse Ungemach widerfahren. Deswegen ist es ja wohl klar, dass an einem solchen Tag selbstverständlich nicht gestreikt wird.
Es ist schon putzig, wie die Gewerkschaft gegenüber wehrlosen Lohnarbeiterinnen das arbeitskampferprobte Maul gar nicht weit genug aufreißen kann, aber schlagartig einknickt, wenn ein paar handfeste Fußballfans drohen, einem die Bude auseinander zu nehmen. Respekt, ver.di, das nenne ich Rückgrat.
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