Samstag, 26. Mai 2012

My little Congress

Sigint 2012 in Köln

Nach einem Jahr Pause ruft der CCC zur zweiten Großveranstaltung neben dem Congress, und die Nerds kommen - nicht so zahlreich wie nach Berlin, aber genug, um eine angenehme Atmosphäre aufkommen zu lassen. Geboten wird, was das Herz begehrt: ein reichhaltiges Vortragsprogramm, Workshops, Ausstellungsfläche und zwei Bars mit viel Mate.

Überragende Neuigkeiten gab es nicht, dafür umso mehr Analysen und Positionsbestimmungen. Wo sind wir gerade? Diese Frage beantwortete Constanze Kurz hinsichtlich des Bundestrojaners. Udo Vetter vertiefte weiter, worauf man im Fall einer Hausdurchsuchung und beim Kontakt mit Ermittlungsbehörden allgemein achten sollte. Ein ähnliches Thema bearbeitete Dominik Boecker, der darüber aufklärte, wie Bundestrojaner und TKÜ eingesetzt werden dürfen. Die Aktivistinnen des FoeBuD stellten ihr bereits im Dezember letzten Jahres gestartetes Social Swarm Projekt vor, das sich zum Ziel gesetzt hat, datenschutzfreundliche Alternativen zu den großen sozialen Netzen zu bieten. Malte Spitz referierte über den aktuellen Stand der Vorratsdatenspeicherung. Am Rande der Veranstaltung zog der AK Zensus Bilanz, der vor zwei Jahren auf der Sigint als Widerstandsbewegung gegen die Volkszählung ins Leben gerufen wurde. Mehrere Vorträge kümmerten sich um den Eigentumsbegriff. Dass man Clickjacking nicht als alten Hut abtun sondern in seiner aktuellen Form des UI-Redressings sehr ernst nehmen sollte, verdeutlichte Marcus Niemietz. Schon mehr eine Kunstaktion als ein Vortrag waren Benjamin Fuhrmannecks Betrachtungen zum Spam.

Einer der Höhepunkte der Sigint 12 war aus meiner Sicht die Keynote Stephan Urbachs am zweiten Tag, der mit der Ausrede aufräumte, als Hacker beschäftige man sich nur mit der Technik, und was die Anderen damit anstellten, läge außerhalb des eigenen Einflussbereichs. In seiner großartig vorgetragenen Rede stellte er klar: Wir haben Verantwortung, wir können uns nicht herausreden, wir haben die Pflicht, aktiv zu werden.

Der mit Abstand am besten besuchte Vortrag war auch gleichzeitig der, um den es im Vorfeld die meisten Diskussionen gegeben hatte. Das Thema habe beim CCC nichts zu suchen, hieß es. Dass dem sogar zwei Stunden eingeräumt würden, stelle erstens den Sinn der ganzen Sigint in Frage und werfe Zweifel auf, ob der CCC noch in die richtige Richtung steuere. Was war passiert? Hatte Jörg Zierke den Vereinsvorsitz übernommen? Hatte Constanze Kurz erklärt, die Sicherheit der Bürger könne nur durch den Polizeistaat angemessen gewährleistet werden? Nein, es ging um Ponys. Nicht die dicken, stinkenden Viecher, die einem den Stall zukoten, sondern Zeichentrickfiguren. Ich erinnere mich noch mit Grausen an diese furchtbaren, in Cremefarben gehaltenen Puppen mit den übertrieben langen Haaren, die in den Achtzigern  die Zimmer kleiner Mädchen verkitschten. Inzwischen wurde zumindest die Form der verkaufsfördernden Zeichentrickserie optisch kräftig modernisiert, was absurderweise dazu führte, dass nicht nur  Kinder, sondern auch viele Erwachsene ihr Herz für die Serie entdecken. Das alles wäre für den CCC nicht weiter wichtig, fände sich nicht ausgerechnet ein besonders aktiver Teil der erwachsenen Ponyfans in seinem Umfeld. Einige von ihnen haben sogar einen Podcast zu diesem Thema, was Anlass für die Sigint-Organisatoren war, diese Leute einzuladen.

Der Vortragsbeginn rückte näher, und auf einmal füllten sich die Flure mit Fans des Podcasts. Einige von ihnen waren sogar ohne Zögern bereit, 30 € für ein Tagesticket zu zahlen, nur um dabei sein zu können. Als es losging, war schnell klar: Das Ganze mag wenig mit Technik und Hacking im engen Sinn gemein haben, aber es geht klar um ein Stück Nerdkultur. Die Referentinnen führten unterhaltsam durch die Vergangenheit und Gegenwart des Ponyphänomens, erklärten die Geisteshaltung der Fans und zeigten viele Bilder aus der Serie. Selbst wenn man den Vortrag nur nach Publikumsgröße und Stimmung beurteilt, war er ein Erfolg.

Doch noch ein anderer Punkt war interessant: das Flauschen. Gemeint ist das Gegenteil eines Shitstorms, also das betont aufmuternde und positive Behandeln eines Menschen. Davon abgesehen, dass es wirklich immer wieder schön ist, von seiner Umwelt ein wenig Zuwendung zu erfahren, berührt diese Verhaltensweise einen Punkt, der seit der Hippiebewegung von jeder Generation neu entdeckt werden muss: Kaum etwas ist entwaffnender, kaum etwas reizt mehr, kaum etwas ist schwerer angemessen zu handhaben als jemand, der auf Agression mit übertriebener Freundlichkeit antwortet. Im Prinzip handelt es sich um eine Kampftaktik der frühen Christen: Schlag mir ins Gesicht, und ich lächle dich an, weil ich weiß, dass du ein armer Sünder bist, dem ich vergebe und mit dem ich Mitleid habe. Kann man jemandem noch deutlicher zeigen, wie weit man sich ihm überlegen wähnt? Kann man jemanden noch schneller zur Weißglut treiben?

Was ist die Sigint und was will sie sein? Grob gesagt ist sie der Sommer-Congress - mit etwa 700 Teilnehmern deutlich kleiner, aber vom Zeitpunkt sehr gut geeignet für eine Halbjahresbilanz. Findet der Congress fast am östlichsten Rand der Republik statt, liegt der Veranstaltungsort der Sigint knapp vor der Westgrenze, was denen entgegen kommt, die nicht für jede größere CCC-Veranstaltung stundenlang Richtung Berlin reisen wollen. Die vergleichsweise geringe Teilnehmerinnenzahl mag etwas den Woodstock-Charakter dämpfen, dafür hat man aber um diese Jahreszeit in der Kölner Gegend eine hohe Wahrscheinlichkeit für sommerliche Temperaturen, so dass man sich auch einmal für ein paar Stunden draußen hinsetzen und auf einer Wiese die Sonne genießen kann. Versuchen Sie das Ende Dezember auf dem Alexanderplatz.

Das Komed als Austragungsort ist zwar ganz nett, allerdings zerreißt die Aufteilung in zwei Gebäude die Veranstaltung, und man kommt sich beim Weg zum großen Vortragssaal etwas verloren vor. So gesehen hat die Sigint genau mit den umgekehrten Schwierigkeiten des Congress zu kämpfen, der bekanntlich aus allen Nähten platzt.

Damit wären wir auch beim größten Plus der Sigint angelangt: Sie ist viel entspannter als der Congress.  Wer eins der - mit unterschiedlos 60 € zugegeben nicht gerade billigen - Dauertickets haben will, bekommt eins und muss nicht als 1337 |-|4X0r ein Skript zusammenzimmern. Wer einen Vortrag besuchen möchte, geht einfach hin. Schlimmstenfalls muss man stehen, aber dass der Saal wegen Überfüllung geschlossen werden muss, kommt nicht vor. Herrscht auf dem Congress eher die Atmosphäre der gegenseitigen bedingungslosen Akzeptanz, geht die Stimmung auf der Sigint noch einen Schritt weiter: Wir beide sind Nerds, also gibt es interessante Dinge, die wir voneinander erfahren können.

Was sich auf dem Congress bereits zeigt, merkt man auf der Sigint noch deutlicher: Der CCC war nie und ist nicht eine reine Technikervereinigung, sondern sieht sich als Treffpunkt der Hackerkultur, zu der nun einmal auch bizarre Erscheinungen wie Ponyfilme gehören. Wer einem Nerd vorwirft, infantil zu sein, stellt damit die Quelle seiner Kreativität in Frage. Die Stärke des Clubs besteht gerade darin, diesen verschiedenen Strömungen ein Zuhause und eine Möglichkeit zum Austausch zu bieten. Sieht sich der Congress mit einem mehr technischem Schwerpunkt, bietet die Sigint mehr Möglichkeiten zum Experimentieren und nach meinem Empfinden auch mehr Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Bis zum nächsten Jahr.

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