Es ist Sommer, vielleicht erklärt es das.
Es ist Sommer, und bei Temperaturen jenseits der 30 Grad versagen offenbar nicht nur in ICEs die Klimaanlagen, sondern auch in manchen Kriminalbeamtenhirnen die Vorrichtungen, die für üblich dafür sorgen, dass man einen kühlen Kopf behält. Anders ist nicht zu erklären, warum der BDK, dessen Mitglieder wiederholt ihre Abneigung dagegen erklärt hatten, sich an die Verfassung halten zu müssen, einen elektronischen Angriff auf Computer mit einem Atomkrieg vergleicht. Doch lassen wir sich den BDK-Vorsitzenden Klaus Jansen selbst blamieren:
"Attacken auf die digitale Infrastruktur des Landes können sich ähnlich verheerend auswirken wie atomare Angriffe."
Man male sich das Bild aus: Kaum hat der Angreifer das Passwort für die Homepage des Dackelzüchtervereins erraten, stürzen von der Wucht dieses Angriffs getroffen in kilometerweitem Umkreis des Rechenzentrums die Häuser ein. Dackel rennen mit verbranntem Fell nach Herrchen winselnd durch die Straßen. Wo einst ein "Warnung vor dem Hunde" vom Fortbestand des westlichen Abendlandes kündete, zeugt nur noch ein geschmolzenes Anti-Floh-Halsband von Zeiten, als hier noch Leben gedieh. Hürth-Kalscheuren wird zum Hiroshima der Neuzeit.
Ist es das, Herr Jansen, was an Blödsinnigkeit uns zuzumuten Sie die Stirn besitzen? Ich rechne mich durchaus der IT-Nerd-Fraktion zu, und glauben Sie mir: Im Gegensatz zu Ihnen kennen wir den Unterschied zwischen einer kollabierenden Netzinfrastruktur und Millionen toter oder elend an der Strahlenkrankheit verendender Menschen.
Jansen nimmt in dem Interview jede Gelegenheit wahr, sich zu disqualifizieren. So fordert er die Bundesregierung auf,
"endlich 'Verkehrsregeln' für das Internet zu schaffen".
Spätestens seit Martin Haases exzellentem Verriss auf der Sigint 2010
sollte auch der letzte Phrasendrescher begriffen haben, dass die Metapher der Datenautobahn nicht nur hoffnungslos ausgelutscht, sondern auch noch unpassend ist, doch das ficht natürlich jemanden nicht an, der beim Klang seiner eigenen Worte von einem Entzücken ins nächste fällt, statt sich selbst kritisch zu hinterfragen. Also gut, fordern wir das, was es sehr zum Leidwesen der Netzaktivisten schon überreichlich gibt: Gesetze, die untertalentierten Abmahnanwälten ein gesichertes Einkommen verschaffen. Vielleicht ist es ja sinnvoll, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu opfern, damit unsere armen Juristen in Lohn und Brot stehen.
Ein Klassiker aus dem Gruselkabinett der Überwachungsfetischisten darf natürlich auch bei Jansen nicht fehlen - die Ausweispflicht im Internet:
“Was wir brauchen, ist ein verlässlicher Identitätsnachweis im Netz. Wer das Internet für Käufe, Online-Überweisungen, andere Rechtsgeschäfte oder Behördengänge nutzen will, sollte sich zuvor bei einer staatlichen Stelle registrieren lassen müssen.“
Diese Forderung ist deshalb so gefährlich, weil sie auf den ersten Blick so vernünftig erscheint. Natürlich ist es sinnvoll, wenn meine Bank sicher sein kann, dass ein Überweisungsauftrag von meinem Konto auch durch mich autorisiert ist, aber warum sollte beispielsweise der "Spiegel" für ein Onlineabonnement mehr wissen, als dass die Bezahlung erfolgt ist? Amazon braucht natürlich noch eine Lieferadresse, aber auch dort kann es doch völlig egal sein, wer bezahlt, so lange das Geld ankommt. Wir haben uns stillschweigend daran gewöhnt, zumindest bei Bezahlungen im Internet unsere Anonymität aufzugeben, aber eigentlich ist das kompletter Unsinn. Die Kassiererin im Supermarkt will ja auch von mir keinen Personalausweis, sie will Geld, und ein paar anonyme Münzen reichen ihr dabei völlig. Das Letzte, was wir brauchen, ist eine staatliche Stelle, die bei Bedarf jede unserer Bewegungen im Internet verfolgen kann. Genau das ist es aber, was uns mit dem neuen Personalausweis ab November droht: Zunächst als freiwillige und auch zutiefst sinnvolle Maßnahme eingeführt - punktuell sich ausweisen zu können -, wird schon nach wenigen Wochen aus der Freiwilligkeit Pflicht, wenn es nämlich wieder einmal darum geht, terroristische Anschläge, organisierte Kriminalität, dokumentierten Kindesmissbrauch oder - am allerschlimmsten - illegale Kopien zu verhindern. Wer nichts zu verbergen hat, wird auch nichts dagegen haben, sich auf Schritt und Tritt überwachen zu lassen, wird es heißen, und wer etwas dagegen hat, dass Herr Jansen ihm beim Surfen zuschaut, wird sich rechtfertigen müssen, warum er dafür ist, dass vor laufender Kamera Kinder vergewaltigt werden. Intimität und Datenschutz sind doch sowieso nur für Verbrecher.
Freilich gibt es kaum eine Dummheit, die sich nicht irgendwie steigern ließe, und so legt der BDK-Chef nach, als hätte er in der Asservatenkammer einen tiefen Zug aus den beschlagnahmten Joints genommen. Es bedürfe eines
„Reset-Knopfs für das Internet“, mit dem das Kanzleramt Deutschland im Ernstfall sofort vom Netz nehmen könne. „Nur so lässt sich eine laufende Attacke schnell stoppen.“
Selbst die Teilnehmer an meinen Computerkursen für Anfänger haben nur selten die obskure Idee, man könne das Internet als Ganzes irgendwie abschalten, aber offenbar glaubt Jansen tatsächlich an so etwas wie das hier. Unter normalen Umständen könnte man an dieser Stelle die Diskussion abbrechen und warten, bis sich das allgemeine Gelächter gelegt hat. Die Erfahrungen aus der Zensursula-Debatte lehren uns jedoch, das keine Idee so idiotisch ist, dass sich nicht ein paar Internetausdrucker finden, die sie mit aller Gewalt durchsetzen wollen, auch und gerade wenn dies bedeutet, dass damit das Internet in seiner bisherigen Form abgeschafft wird. Vor zehn Jahren hätten wir uns amüsiert gefragt, wie man in einem dezentralen und weltweiten Netz Zensur ausüben möchte. Heute lehren uns deutsche und chinesische Politiker: indem man das Netz zu einem nationalen Netz mit wenig Redundanz zerschnippelt und alle zentralen Netzkomponenten kontrolliert. Wir müssen also davon ausgehen, dass irgendeine profilierungssüchtige Leyendarstellerin das Sommertheater nutzt, um wirklich eine Infrastruktur zu schaffen, mit der sich der physikalisch in Deutschland befindliche Teil des Internet abklemmen lässt.
Ein Ausschaltknopf für die Datenautobahn - da sollte in puncto Absurdität kaum noch eine Steigerung möglich sein. Doch Jansen legt noch einen drauf. So
"solle die Polizei das Recht bekommen, 'Trojaner, Viren und Schadprogramme von privaten Rechnern entfernen zu dürfen', die zuvor von Kriminellen unbemerkt gekapert worden seien."
Sätze dieses Kalibers sollten in jedem Krankenhaus für einen amtlichen Totenschein reichen, da sich ganz offenbar keine Hirntätigkeit mehr nachweisen lässt. Der BDK-Chef verlangt nicht weniger, als der Kriminalpolizei Administratorrechte auf allen in Deutschland ans Internet angeschlossenen Computern zu geben, angefangen vom I-Phone in Ihrer Hosentasche über Ihren Schreibtischrechner bis hin zum 1-und-1-Server, auf dem Sie Ihre privaten Fotos lagern, und das alles nur, damit irgendein im Crashkurs mit Computerwissen versehener Kriminalbeamter ungefragt probieren darf, ob er Ihren Sasser-Wurm ohne Datenverlust von der Platte putzen kann. Vielleicht hat er ja Glück, und es geht dabei nicht allzu viel kaputt.
Das ist selbst für das an haltlosem Gewäsch reiche Sommertheater schon ein starkes Stück. Zutiefst beunruhigend ist hierbei vor allem, dass dieser Mann einer Organisation vorsteht, deren Mitglieder für die Sicherheit in diesem Land zuständig sind. Man kann nur mit Angstschweiß auf der Stirn hoffen, dass die restlichen im BDK organisierten Kriminalbeamten in Sachen Computer und Internet mehr Kompetenz als ihr Vorsitzender aufweisen.
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