Samstag, 10. Oktober 2009

Why can't they shut up?

Oft habe ich es in den vergangenen Wochen geschrieben und damit auch stets eine Hoffnung verbunden: Es war Wahlkampf, Betonung auf "war". Jetzt dürfen wir alle wieder vernünftiges Zeug reden, auch prominente Politiker. Ob auf deutsch oder auf englisch, egal, Hauptsache, nach langer Zeit wieder etwas mit einem Funken Verstand.

Damit dürfte klar sein, worauf ich hinaus will: Guido Westerwelle, ein Drama in drei Akten.

Erster Akt: Westerwelle spricht englisch - holprig, mit starkem Akzent, und man muss das Video schon einige Male ansehen, um eine Vorstellung zu bekommen, was der Mann überhaupt sagen will. Andererseits: Ist es so ungewöhnlich, bei einer Politikeräußerung keine Ahnung zu haben, worum es geht? Ich bin überzeugt, Westerwelle hätte in feinstem Hochdeutsch reden können, semantisch wäre nicht mehr als in der englischen Fassung herum gekommen. So bemitleidenswert Westerwelles Ringen mit der englischen Sprache auch sein mag - ich habe von wesentlich gebildeteren Menschen schon wesentlich schlechteres Englisch gehört, und ich wüsste gern, wie sich die Leute, die sich am lautesten mokieren, in einer Situation schlagen, in der sie auf eine Frage eingehen müssen, zu der ihnen nichts einfällt und dabei sich auch noch einer Fremdsprache bedienen sollen. Er hat es wenigstens versucht, und so schlimm, wie allseits behauptet, fand ich es nicht. Es mag ja sein, dass es nicht "second last or third last", sondern "second to last or third to last" heißt, aber wegen einer ausgelassenen Präposition rege ich mich nicht auf.

Zweiter Akt: Westerwelle spricht kein englisch. Irgendwer muss dem ansonsten von jeder Selbstkritik ungefährdeten kommenden Außenminister erzählt haben, dass sein Ausflug in die englische Sprache noch Potenzial nach oben hatte. Das muss dem Mann, der sonst keine Gelegenheit auslässt, sein von der Faktenlage gänzlich losgelöstes Selbstbewusstsein zur Schau zu stellen, innerlich so zugesetzt haben, dass er bei seiner ersten großen Pressekonferenz nach der Wahl um jeden Preis vermeiden wollte, englisch zu sprechen. So weit ist nichts einzuwenden. Die Frage ist nur, wie man die Sache verkauft. Mit einem Funken Verstand und Diplomatie hätte der künftige oberste Diplomat einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt etwa sagen können: "Bitte entschuldigen Sie, damit ich Ihre Frage angemessen beantworten kann, möchte ich gerne einen Dolmetscher hinzu ziehen." Statt dessen bürstet Westerwelle mit der Attitüde eines frisch gebackenen Abiturienten
den BBC-Reporter ab. In der Sache vielleicht noch verständlich, aber mit Sätzen wie "Es ist Deutschland hier" völlig inakzeptabel. Das scheint dem smarten Strahlemann von der FDP auch ansatzweise klar geworden zu sein, als er seinen Sätzen nur noch resigniert nachhorchen konnte. Um den Scherbenhaufen, den er als Elefant im Porzellanladen soeben hinterlassen hatte, notdürftig beiseite zu wischen, bot er dem Journalisten hastig an, sich nachher "bei einer Tasse Tee" noch auf englisch zu unterhalten und fegte bei dieser Wendung mit seinem Riesensäugergesäß gleich die nächste Regalreihe um - denn nichts brauchten die Briten in diesem Moment weniger, als auf das Klischee der teetrinkenden Volltrottel zurück geworfen zu werden. Besser kann man sich für das Amt des Außenministers nicht disqualifizieren.

Dritter Akt: Cem Özdemir rettet die deutsche Ehre. Guido hat's wieder mal gerissen, darüber war man sich einig. Doch anstatt die Sache damit auf sich bewenden zu lassen und abzuwarten, wie erneut der Beweis angetreten wird, dass in diesem Land auch wirklich jeder Außenminister werden kann, meint die Liga der politisch korrekten Gentlemen unter ihrem Mastermind Cem Özdemir, noch einen drauf setzen zu müssen. In einem weiteren Video bittet Özdemir im Namen aller guten DeutschInnen die BBC um Vergebung. Ehrlich. Aufrichtig. Mit Dackelblick. Und perfekt einstudiertem Englisch mit US-amerikanischem Akzent. Ganz, ganz toll. Ja, das müssten wir jetzt wohl die nächsten vier Jahre lang ertragen, aber dann, bei der nächsten Wahl, da kämen die GrünInnen zurück, und dann sei die Zeit der Finsternis vorbei.

Mit Verlaub, geht's noch? Westerwelle mag ja vielleicht nicht der Hellste sein, aber wir haben schon ganz andere Repräsentanten überlebt. Es ist auch nicht so, als hätten mit CDU und FDP Voldemort und Sauron zugleich die Macht übernommen, und wir seien gezwungen, jene düstren Jahre zu durchleiden, bis dann der Ami oder eine andere höhere Macht uns befreien. Wir leben in einer Demokratie, auch wenn so mancher Minister an deren Beseitigung arbeitet. Ein Wahlergebnis ist kein Gottesurteil, das man mit demütig gesenktem Kopf hinnimmt, sondern nur eine grobe Richtungsangabe. Es ist unsere Aufgabe als Volkssouverän, ständig kontrollierend und korrigierend in diese Weichenstellung einzugreifen. Ansprachen, die geistig aus einer Zeit vor 20 Jahren stammen, in der an den Hauswänden Sprüche wie "AusländerInnen! Lasst und mit diesen Deutschen nicht allein!" standen, sind eine possierliche Staffage fürs Haus der Geschichte, aber doch bitte kein ernst zu nehmender politischer Appell der Gegenwart. Die gaussche Normalverteilung gilt für Deutsche wie auch andere Menschen in gleicher Weise. Es gibt schlaue Menschen und dumme, integre Menschen und Lumpen, und ihr Pass hat mit Sicherheit keinen Einfluss darauf. Wer gelegentlich Nachrichten liest, wird feststellen, dass es kein Privileg von Guido Westerwelle ist, entsetzlich dummes Zeug zu reden. Das können Andere auch, und zwar reichlich. Der Einzige, der Grund hätte, sich für sein dämliches Gerede zu entschuldigen, wäre Westerwelle selbst. Das Letzte, was wir brauchen, ist noch ein weiterer vorlauter Streber, der meint, sich und stellvertretend die ganze Nation für die Peinlichkeiten eines Politclowns entschuldigen zu müssen und bei der Gelegenheit zu zeigen, wie toll er doch englisch kann.

Sic tacuisses, philosophus mansisses.