Sonntag, 27. September 2009

Nichtwählen allein reicht nicht

Das System der repräsentativen Demokratie ist korrupt. Eine vom Volk meilenweit abgehobene politische Kaste lässt sich im Vierjahresrhythmus in ihrer Herrschaft bestätigen, um sich in der Zwischenzeit in ihr Raumschiff zurückzuziehen, in dem sie bis in alle Ewigkeit ihre sinnlosen Machtspielchen vollzieht und sich in den Spielpausen persönlich bereichert. Nichtwählen, das ist ist die Antwort. Dem Establishment zeigen, dass man nicht länger bereit ist, diese Verhöhnung der demokratischen Idee weiter mitzutragen. Trotz aller Anfeindungen stolz und mutig dazu stehen, dass man sich von den politischen Laiendarstellern nicht länger einlullen lässt.

Hach, da fühle ich mich doch gleich viel wohler, nachdem ich das geschrieben habe. Bekräftigt werde ich in meiner Auffassung noch durch einen Telepolis-Artikel, der ausführlich die grundsätzlichen Fehler des Ansatzes erläutert, durch Wahlen Macht an Vertreter abzugeben. Die wahren Demokraten, so betont der Artikel immer wieder, seien diejenigen, die sich tapfer der Versuchung widersetzen, nicht wählen und märtyrerhaft die an Verfolgung grenzenden Angriffe einer politisch korrekten Gesinnungspolizei ertragen. Kopf hoch, habt Mut! Der deutsche Widerstand stirbt, doch er ergibt sich nicht!

Jetzt haben wir's denen da oben aber kräftig gegeben. Die fangen bestimmt schon an zu zittern, weil wir sie durchschaut haben. Heute Abend wird Frau Merkel vor die Kameras treten und sagen: "Ich finde es ja prima, dass meine Regierung eine satte Mehrheit errungen hat, aber tut mir leid, ich kann die Wahl nicht annehmen. Gerade erfahre ich, dass 30% der Wahlberechtigten gar nicht mit abgestimmt haben. Das macht mich irgendwie total traurig. Ich und meine Kollegen haben deswegen beschlossen, den Bundestag aufzulösen und erst dann wieder zusammenzutreten, wenn wieder viel mehr Leute wählen gehen und wir eine wirkliche demokratische Legitimation haben. In der Zwischenzeit müsst ihr euch eben selbst etwas beschäftigen."

Wissen Sie, was passieren wird, wenn wirklich niemand mehr wählen geht? Weihnachtsmann und Osterhase werden gemeinsam ihre Geschenke austeilen, mit anderen Worten: Der Fall wird nie eintreten. Es gibt im Wahlgesetz keinen Passus, der festlegt, ab welcher Beteiligung eine Wahl gültig ist und was zu geschehen hat, falls dieses Quorum nicht erreicht wird. Mit anderen Worten: Solange es irgendetwas zum Auszählen gibt, wird es ein Wahlergebnis geben, aus dem sich eine Sitzverteilung ableitet, auch wenn nur die Kandidaten selbst wählen gehen und einfach sich selbst ankreuzen.

Es mag dem Telepolis-Autor nicht passen, aber wenn jemand nicht wählen geht und das auch noch für eine wahnsinnig tolle Entscheidung hält, muss er sich von mir, der ich nun wirklich nicht zu politischer Korrektheit neige, gefallen lassen, dass ich ihn für eine Idioten halte. Ich kann nachvollziehen, dass man auf die sich an Überflüssigkeit gegenseitig überbietende Riege von Politikersimulationen keine Lust mehr hat. Ich kann das Misstrauen verstehen, das viele Leute gegenüber einem System empfinden, in dem wie in einer Casting-Sendung ein paar Karrierejunkies von Ortsvereins- bis aus Landesebene durch verschiedene Auswahlrunden genudelt werden, bis zum Schluss ein stromlinienförmiger Strahlemann übrig bleibt, dessen Hauptverdienst vor allem darin besteht, sich auf seiem Weg nach oben die wenigsten Feinde gemacht zu haben. Ich bin sogar bereit, darüber zu diskutieren, ob man politische Ämter nicht besser einfach auslosen sollte, weil damit die Chance, per Zufall jemanden mit Verstand zu erwischen, höher als beim jetzigen Verfahren ist und vor allem deutlicher wäre, dass politische Verantwortung vor allem eines ist: eine Bürde, keine Belohnung für Beliebtheit. Ein Regierungschef, der wirklich begriffen hat, was sei Amt bedeutet, müsste eigentlich statt mit einem strahlenden Lächeln mit abgekauten Nägeln herumlaufen.

Wenn also jemand nicht zur Wahl geht, kann ich das verstehen. Dummerweise lassen es die Meisten darauf bewenden, und genau das kritisiere ich. Demokratien, egal ob parteienbasiert oder nicht, funktionieren nur bei aktiver Teilnahme des Volkes. Wer schmollend daheim herumsitzt, akzeptiert faktisch nur das Bestehende, auch wenn er noch so mit den Zähnen knirscht. Wer irgendetwas erreichen will, und sei es die Abschaffung des Parlamentarismus, muss aktiv werden, muss mit Leuten in Kontakt treten, muss Unterstützer gewinnen. Einfach nur maulen reicht nicht.

Nachtrag: Fast noch dämlicher als Nichtwählen ist in meinen Augen das bewusste ungültige Ausfüllen des Stimmzettels. Glaubt wirklich jemand, der Wahlvorstand falte beim Auszählen den Zettel auseinander, liefe bleich an, sage: "Da hat einer 'Alles Schwachköpfe' draufgeschrieben. Du liebe Güte, der hat ja Recht. Ich rufe sofort den Kanzler an, er soll die Wahlen absagen und bessere Kandidaten suchen." Ich habe über zehn Jahre als Wahlhelfer gearbeitet. Kein einziges Mal hat ein ungültiger Stimmzettel zu mehr Reaktionen geführt als zur Frage: "Wo is'n der Stapel mit den Ungültigen?"