Samstag, 27. Juni 2009

Internet vor Wahlen abschalten!

Die Meldungen auf Spiegel Online und Heise lassen zunächst vermuten, dass wieder irgendein Internetausdrucker das falsche Kraut geraucht hat: Verschiedene Politiker befürchten, dass durch Twitter die Gültigkeit von Wahlen gefährdet ist.

Ganz so absurd, wie er auf den ersten Blick anmutet, ist der Gedanke nicht. Am Wahltag befragen die Meinungsforschungsinstitute Wähler direkt nach dem Verlassen der Wahllokale, was sie gewählt haben. Diese Zahlen teilen sie nachmittags den Parteien mit. Man kann sich jetzt über die Zuverlässigkeit dieser Umfragen streiten, aber unabhängig von davon misst man ihnen eine hohe Bedeutung bei. Gerade bei knappen Wahlentscheidungen könnte eine vorzeitige Veröffentlichung dieser Ergebnisse zu schwer vorhersehbaren Ergebnissen führen. Im analogen Zeitalter war die Gefahr nicht besonders groß, weil die Massenmedien sich auf jeden Fall zurück gehalten hätten. Im Zeitalter des Internet sieht die Lage natürlich schon anders aus. Wer sieht, wie schnell sich im Moment Nachrichten über Twitter verbreiten, kann absehen, dass vorzeitig veröffentlichte Wahlprognosen zu chaotischen Zuständen führen könnten. Je nachdem, wer seine Klientel schneller mobilisiert, könnte ein siegentscheidender Sturm auf die Wahllokale ausgelöst werden.

"Mit Verlaub, wer ist denn so dämlich und kann bei einer so wichtigen Angelegenheit wie einer Wahl nicht wenigstens bis zur offiziellen Verkündung des Ergebnisses seine Finger bei sich behalten?" könnten Sie jetzt sagen. Wenn Sie schon so fragen: Julia Klöckner, CDU und Ulrich Kelber SPD, beide Mitglieder des deutschen Bundestages und sowas von Web 2.0, dass sie fast schon Web 2.1 sind. Diese beiden fühlen sich nicht nur verpflichtet, im edlen demokratischen Ringen den Willen des Volkes zu repräsentieren, nein, sie sind sogar so nah am Puls der Zeit, dass für sie selbst die Wahl eines Staatsoberhauptes nur ein hippes Event darstellt. Aus diesem Grund durfte so ein unwichtiger Hannes wie der Präsident des Deutschen Bundestages auch nicht das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl verkünden, nein das mussten die beiden Speerspitzen der Informationselite unbedingt vorher über Twitter ihren ganzen Followern mitteilen.

Was bei der Wahl des Bundespräsidenten zum Glück nur ein Akt trampelhafter Wichtigtuerei zweier selbstverliebter Provinzpotentaten mit Erziehungsdefizit war, kann bei der Bundestagswahl dazu führen, dass die ganze Abstimmung ungültig wird. Na gut, speziell bei der Wahl im September ist nicht viel Spannung drin, sieht man einmal von der Frage ab, ob die SPD über die Fünf-Prozent-Hürde kommt, aber wenn es wirklich einmal um etwas ginge, könnte eine vorzeitige Bekanntgabe der Prognosen alles kippen. Deswegen zögerte der bekannte Spezialist für politischen Dadaismus, Dieter Wiefelspütz, auch keine Sekunde mit einem Vorschlag: Exit-Polls verbieten, tralafitti nochmal. Da hat wohl einer nicht ganz aufgepasst, was? Wozu haben wir denn bis dahin für viel teures Geld eine Internet-Zensurinfrastruktur aufgebaut? Da schalten wir für den Wahltag in Deutschland doch Twitter einfach ab, Sperrseite davor und jeden, der die Domain aufruft, wegen Wahlsabotage einsperren. Immerhin geht es doch hier um den Fortbestand der Demokratie, da muss die freie Meinungsäußerung schon einmal zurückstecken können. Wenn auch nur ein Stimmzettel gerettet wird, muss uns doch jedes Mittel recht sein, oder sind Sie etwa für Wahlfälschung?

Den Parteivertretern einfach zu sagen, sich für ein paar Stunden zu beherrschen, Verantwortung zu zeigen, keine Verbrechen zu begehen, einfach mal, um es mit Dieter Nuhr zu sagen, die Fresse zu halten, scheint nicht möglich zu sein.

Donnerstag, 25. Juni 2009

Man muss nicht zwischen Regen und Traufe wählen

Um sicher zu gehen, habe ich noch einmal nachgelesen: Es gibt keinen 147. Artikel des Grundgesetzes mit dem Wortlaut "Der Bundeskanlzer wird entweder von der CDU oder der SPD gestellt".

Das glaubt mir allerdings keiner. Egal, mit wem ich rede, die Frage, wer die nächste Wahl gewinnt, dreht sich um die Wahrscheinlichkeit - oder im Fall der SPD um die Unwahrscheinlichkeit - dass eine der beiden so genannten Volksparteien die Mehrheit im Bundestag bekommt. Selbst, wenn man mit einem Wähler der GrünInnen, der Linkspartei oder der FDP spricht, geht es im Wesentlichen darum, wer mit wem koaliert, um dann entweder Merkel oder Steinmeier mit Kanzlerwürden auszustatten.

Natürlich wissen das auch die CDU und die SPD, weswegen beispielsweise der Verantwortliche für den SPD-Onlinewahlkampf Sebastian Reichel dem Spiegel gegenüber erklärt: "Letztlich geht es im September um ein ganzes Spektrum von Themen und um die Entscheidung zwischen zwei Kanzlerkandidaten." Genau hier liegt der Fehler.

Das äußerste Maß an wahltaktischer Flexibilität, das in meinem Bekanntenkreis vorkommt, ist ein Wechsel zwischen CDU und SPD. Normalerweise bleibt man jedoch im jeweiligen politischen Lager und wechselt allenfalls zwischen den wahrscheinlichen Koalitionspartnern. Jeder grummelt "Die machen doch ohnehin, was sie wollen. Es ist doch eigentlich egal, wen man wählt, die unterscheiden sich ja ohnehin kaum noch", aber niemand ist bereit, daraus die Konsequenz zu ziehen. So wissen SPD und CDU: Das Schlimmste, was ihnen passieren kann, ist für vier Jahre in die Opposition geschickt zu werden. Da sitzt man brav seine Zeit ab, wartet, bis sich das Volk an der Regierung satt gesehen hat und weiß, dass man dann auch einen Eimer Wasser zur Wahl stellen könnte und trotzdem gewönne. Was meinen Sie, warum Gerhard Schröder 1998 Kanzler wurde? Lesen Sie doch einmal genau durch, mit welchen Aussagen dieser Mann zur Wahl antrat. Unter normalen Umständen hätte ihm kein empfindungsfähiges Wesen die Stimme gegeben, aber die Leute hatten Kohl einfach satt.

Schlimmstenfalls Opposition - ich habe schon unangenehmere Dinge erlebt. Richtig betrachtet kann die Oppositionsrolle richtig lustig sein. Man sitzt einfach da und nörgelt grundsätzlich an allem herum, was die Regierung so treibt. Der Kanzler könnte übers Wasser gehen - die Opposition hätte auszusetzen, dass er es danach nicht in Wein verwandelt hat.

So brauchen sich CDU und SPD seit Bestehen der Bundesrepublik nicht groß zu sorgen, es passiert schon nichts. Gut, böse Zungen fragen sich, ob zuerst die Piratenpartei oder die SPD die Fünf-Prozent-Hürde erreicht; die Piraten seien näher dran, aber die SPD sei schneller, aber man merkt bei der SPD nicht unbedingt, dass jemand angesichts niederschmetternder Wahlergebnisse ernsthaft nervös wird. Vielleicht ist das Einzige, was die SPD noch zum Nachdenken bewegen könnte, tatsächlich der totale Mandatsverlust, doch daran glaubt natürlich keiner.

Es kann auf Dauer nicht gut für eine Demokratie sein, wenn das Regierungsamt nur zwischen zwei Parteien ausgeschachert wird. Keine dieser Parteien sieht einen Grund, mal wirklich von Grund auf zu überlegen, ob man noch richtig liegt. Im Gegenteil: Am besten bleibt man immer brav beim Bewährten. Der Wähler nennt diese Stasis "Kontinuität" und findet sie gut.

Was bräche eigentlich hierzulande zusammen, wenn beispielsweise die FDP den Kanzler stellte? Na gut, ein schlechtes Beispiel, weil Guido Westerwelle eher eine Politikersimulation als eine ernst zu nehmende Alternative zum Bestehenden darstellt, aber lassen wir dies für den Moment beiseite. Was ist eigentlich zu verrucht an der Idee, eine der bisher um die zehn Prozent abräumende Partei mit genügend Stimmen auszustatten, dass sie in der gleichen Größenordnung wie CDU und SPD spielt? Ich weiß, man denkt an die Führungsriege der kleinen Parteien und denkt "Himmel, bloß nicht die", aber mit Verlaub: Claudia Roth wirkt auch nicht so viel lächerlicher als Franz Müntefering.

Eine Stimme für eine Splitterpartei sei eine verschenkte Stimme, heißt es immer wieder. Nach dieser Logik hätten es die GrünInnen nie geschafft. Bei Wahlbeteiligungen um 50 Prozent reichen zwei bis drei Prozent der Wahlberechtigten, um eine Partei ins Parlament zu hieven; das sollte doch ein Anreiz sein.

Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich sage nicht, dass eine kleine Partei automatisch eine gute Partei ist. Einige dieser Parteien können mir gar nicht klein genug sein. Was ich aber sage, ist: Halten Sie die Augen offen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine vermeintlich aussichtslos winzige Gruppe Ideen hat, welche die gesamte politische Landschaft beleben. Reißen Sie CDU und SPD aus der selbstgefälligen Gewissheit, dass der Bundeskanzler praktisch ihnen gehört. Die Saurier waren einst die unumstrittenen Herrscher dieses Planeten, aber sie haben es nicht geschafft, sich den veränderten Bedingungen anzupassen und starben aus, während die anfangs völlig unbedeutenden Säugetiere zu Primaten entwickelten. Zwingen Sie unsere beiden Saurier zur Evolution.

Es kann den beiden nur nützen.

Kichenlimericks 3

Ein Küster im Norden von Müster,
der fand den Altarbereich finster.
Mit Geschmack und der Gabe
eines Eimers voll Farbe
Bestrich er das Kruzifix ginster.

Compiling Cisco VPN client on Linux #1

It's a neverending story: Compiling a Cisco VPN client on your Linux box is a real pain in the... sorry, I lost my temper. Every time you update your kernel it's mere luck whether the client compiles or not. Let me express it diplomatically: The Cisco guys don't have their main focus on maintaining the Linux sources.

When you google your way through the different support forums, you learn that most of the hints only work for one specific kernel version on one specific Distribution. So all I can say for the solution below, is: It worked for me, it might not work for you.

"Why don't you use vpnc?" I hear you ask. The answer is: I tried, but I failed to adapt my certificates and configuration to vpnc. My attempts ended up in obscure error messages. If someone knows how to do this, please drop me a line.

Here is what I did:

Tested system: Linux wo.nz 2.6.28-13-generic #44-Ubuntu SMP Tue Jun 2 07:57:31 UTC 2009 i686 GNU/Linux

Download the VPN client here (in my case vpnclient-linux-x86_64-4.8.01.0640-k9.tar.gz) and untar the archive.

tar xfvz Desktop/vpnclient-linux-x86_64-4.8.01.0640-k9.tar.gz

Download the patches here. For me,
vpnclient-linux-2.6.24-final.diff did the job.

cd to vpnclient and apply the patches

all@wo.nz:~/vpnclient$ patch -p1 < ~/Desktop/vpnclient-linux-2.6.24-final.diff
patching file GenDefs.h
patching file interceptor.c

After that, compile your client as usual

./vpn_install

This worked well for me, but I assume the compile errors will come back, so I choose to put a number in this article's headline.

Good luck!

Dienstag, 23. Juni 2009

Sonntag ist nicht so'n Tag

Es gibt Leute, die beschweren sich über nasse Füße, wenn das Schiff auf dem Grund des Ozeans liegt.

Zu diesen Leuten scheint Wolfgang Huber zu gehören. Wolfgang Huber, seines Zeichens Berlins evangelischer Bischof, hat jetzt entdeckt, dass es Leute gibt, die am Sonntag arbeiten, und da er als studierter Theologe die Bibel sehr gut kennt, weiß er, dass der Feiertag heilig ist - so heilig, dass man an ihm nicht arbeiten und lieber in die Kirche gehen soll. Damit hat er aus Sicht seiner Religionsgemeinschaft auch grundsätzlich Recht und bekommt nicht wenig Geld dafür, dass er genau diese Auffassung vertritt. Abgesehen vom theologischen Aspekt hat ein zentraler freier Tag viele Vorteile: Man kann gemeinsam etwas unternehmen, man hat auch nicht das Gefühl, etwas zu verpassen, weil ja alle einen Gang runter geschaltet haben. Auch aus psychologischer Sicht hat der Rhythmus zwischen Wochenende und Arbeitstagen etwas für sich: Er verleiht dem Leben Struktur. Wahrnehmung ist das Erkennen von Unterschieden. Wir wissen nur, was hell ist, weil wir es vom Dunklen unterscheiden; wir nehmen etwas nur deswegen als heiß wahr, wenn wir das Gefühl von Kälte kennen; wir schmecken Süßes nur, weil wir es von den anderen Geschmäckern unterscheiden können. Wären alle Tage im Prinzip gleich und nur durch willkürlich hingestreute Freizeit unterbrochen, käme unser Zeitempfinden durcheinander. Ohne Sonntage gibt es nur noch - ja was? Tage, einfach nur Tage.

Das aber ficht Herrn Huber nicht an. Er will den Sonntag retten, weil der im Grundgesetz steht und reicht deswegen Verfassungsklage ein.

Was? Wo soll der Sonntag stehen? Im Grundgesetz? Wo denn da?

Zugegeben steht er nicht gerade an prädestinierter Stelle, sondern in Artikel 139 der Weimarer Verfassung. Gemeinsam mit den Artikeln 136, 137, 138 und 141 gehört dieser Artikel - und das weiß auch nicht unbedingt jeder - laut Artikel 140 des Grundgesetzes mit dazu.

Nun muss man in Staatsbürgerkunde nicht allzu gut aufgepasst haben, um zu wissen, dass die so weit hinten im Grundgesetz stehenden Artikel gegen die ersten 20 in der Bedeutungsskala etwas abfallen. Darüber hinaus steht da auch nur etwas von "bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt", was man nicht gerade als flammenden Appell zu Einhaltung der Feiertagsruhe werten kann. Das weiß auch Bischof Huber, weswegen er auch gleich das ganz große Geschütz hervor kramt und mit Artikel 3 die Religionsfreiheit ins Spiel bringt. Dieser Artikel, so ist Huber überzeugt, steht im eklatanten Widerspruch zum Berliner Ladenöffnungsgesetz, das es künftig an satten 10 Sonntagen erlauben soll, auch sonntags die Kaufhäuser zu öffnen. Insbesondere an den vier Adventssontagen soll dem Mammon gefröhnt werden. Das ist der Kirche ein Dorn im Auge, schließlich sei der Advent eine Zeit der Besinnung, die man in Konzerten und auf Adventsbasaren verbrächte.

Ach so, auf dem Adventsbasar bezahlt man offenbar nur mit einem freundlichen Lächeln, aber lassen wir diese kleinkarierte Unterscheidung zwischen gutem und bösem Kapitalismus. Vergessen wir für einen kurzen Moment auch, wie Huber auf seinem letzten Kreuzzug vor wenigen Wochen Berlin im Sumpf des Heidentums versinken sah, weil es den Schülern nicht möglich sein sollte, das Fach Ethik zu Gunsten des Religionsunterrichts aus dem persönlichen Stundenplan zu streichen. Werfen wir statt dessen einen Blick in die sonntäglichen Kirchen, die ja offenbar Gottesdienste im Schichtbetrieb abhalten müssen, um der anstürmenden Massen der Gläubigen Herr zu werden. Ich weiß nicht, welche Gemeinden Wolfgang Huber zu besuchen pflegt, aber die, deren Gottesdienste ich in den letzten 20 Jahren erlebte, hatten ganz bestimmt kein Platzproblem. Wenn ich mir weiterhin ansehe, wie alt abgesehen von den drei ihre Pflichtstunden abreißenden Konfirmanden die jüngsten Besucher sind, könnte man ohne Schwierigkeiten den Sonntag komplett zum Werktag umwidmen, ohne dass auch nur ein Anwesender aus Arbeitsgründen nicht kommen könnte. Schwierig würde es allenfalls, setzte man das Rentenalter auf 70 hoch.

Interessant wäre es, käme Hubers Argumentation in Karlsruhe durch. Dann wäre es nur angemessen, wenn die vielen Millionen Muslime, die in Hinsicht auf ihre Gottesdienstteilnahme eine ganz andere Disziplin an den Tag legen, auf die Idee kämen, den Freitag für sich als Feiertag zu reklamieren. Außerdem wäre da noch der Schabbes der Juden, der Mittwoch der Jesiden, und bestimmt findet sich auch noch für die anderen Tage eine passende Religion.

Um es noch einmal zu sagen: Es ist ein ehrens- und unterstützenswertes Anliegen Hubers, sich für einen gemeinsamen freien Tag in der Woche einzusetzen, aber die religiöse Karte, fürchte ich, sticht hier nicht. Ich weiß nicht, ob die Kirche allen Ernstes die Ursache für leere Gottesdienste in der Aufweichung des arbeitsfreien Sonntags sieht, aber in den letzten Jahrzehnten habe ich genug Eindrücke gesammelt, um mit Überzeugung sagen zu können: Der Sonntag, liebe Amtskirchen, ist eine eurer geringsten Sorgen.

Schönen Sonntag.

Kirchenlimericks 2

Ein Pastor am Ostrand von Meppen
behandelte Helfer als Deppen.
Doch diese, nicht blöde,
verließen ihn schnöde.
Jetzt kann er sich selber abschleppen.

Montag, 22. Juni 2009

Phrasen, auf die die Welt gewartet hat 1

"Das Internet ist kein rechtsfreier Raum."

Als ich Marjorie fragte, wie oft dieser Begriff vorkommt, bekam ich als Ergebnis 6390 Treffer, was mich erstaunt. Ich hätte mit weit mehr gerechnet. Von seiner Aussage her ist der Satz etwa so wertvoll wie "Das Autobahnnetz steht nicht außerhalb des Geltungsbereichs der StVO" oder "Die Wüste ist kein sandfreies Gelände". Das ist den Leuten, die solche Sätze sagen, ebenfalls klar, aber sie wollen natürlich das Gegenteil andeuten, wie etwa hiermit: "Ursula von der Leyen ist keine von jeglicher Sachkenntnis unberührte Populistin auf Stimmenfang im Wahlkampf." So schreibt man sich allein durch die Benutzung des Buchstabens "k" um jede Verleumdungsklage herum.

Nun steht es jedem frei, das zu sagen, was ihm gerade durch den Kopf schießt, aber finden Sie nicht auch, dass diese Phrase ein klein wenig überstrapaziert wurde? Nach fest kommt ab, und nach "Ich habe verstanden, was du sagen willst" kommt "Geh, Spatzerl, im Gegensatz zu dir ist meine Erinnerung so gut, dass ich nicht jede Trivialität wie ein Mantra herunterbeten muss, also hör bitte auf damit".

Doch es ist noch eine Weile hin bis zur Bundestagswahl - reichlich Gelegenheit für so manchen geistigen Hinterbänkler, sich als selbsternannter Rechtsexperte Gehör zu verschaffen.

Samstag, 20. Juni 2009

Kirchenlimericks 1

Falls ich es vergessen haben sollte: Bei Kirchens treibe ich mich auch gelegentlich herum, und da sich das Warten auf die Ewigkeit etwas hinzieht, hatte ich genug Zeit, mir etwas auszudenken, was die Welt ganz bestimmt nicht braucht: Kirchenlimericks. Hier ist einer davon:

Ein Pastor im Umkreis von Gießen
tat's sich mit dem Küster verdrießen.
Doch der trug's mit Fassung.
Bis zu seiner Entlassung
der Messwein war nicht zu genießen.

Mittwoch, 17. Juni 2009

One upon a time in the web

Glorreich waren sie, jene Tage, in denen Pioniere die Grenzen immer weiter verschoben, in denen ein Mann, der wusste, wie man in der Wildnis überlebt, das leben durfte, was noch am ehesten den Begriff "Freiheit" verdient. Es war nicht alles leicht in jenen Tagen, aber man wusste sich zu arrangieren.

Dann kam die Eisenbahn und mit ihr die Leute, denen ein kleines Stückchen Land und ein Häuschen darauf nicht genug waren. Sie wollten Geld, schnell und viel. Sie wollten dafür nicht monatelang einen Acker umgraben oder nach Gold schürfen, sondern bequem in ihren Saloons und Hotels darauf warten, dass das Geld zu ihnen kommt. Begriffe wie Freiheit waren ihnen egal, solange das Geschäft blüht.

Die frühen Siedler und die Geschäftemacher konnten sich natürlich nicht verstehen, zu unterschiedlich waren ihre Auffassungen. Die einen sahen in einem Stück Land ihr Fleckchen Freiheit, die anderen ein profitables Hotel. Auf lange Sicht hatten die Siedler das Nachsehen, weil sie im Wesentlichen ihre kleine Welt verteidigten, während die Geschäftemacher die Massen anzogen, denen Blockhütten und Donnerbalken im Wald nicht zuzumuten waren.

Mit den Massen kamen die Bürokraten der Regierung. Aus den matschigen Feldwegen wurden ordentliche Straßen, aus den Blockhütten mehrstöckige Steinhäuser. In den Augen der Siedler war dies das Schlimmste, was passieren konnte. Genau deswegen hatten sie die Alte Welt verlassen. Sie wollten ihre eigenen Herren sein, unabhängig von den Ämtern und Büros, in denen weit entfernt vom Leben Verordnungen und Gesetze beschlossen wurden. Auf der anderen Seite hatte diese Welt der festgesetzten Maße, Gewichte und Gesetze nicht nur Nachteile. Wer sich jetzt ungerecht behandelt fühlte, ging zum Sheriff und konnte hoffen, dass der sich schon darum kümmert, dass Recht und Ordnung herrschen.

Für die Siedler hatte diese Welt keinen Platz mehr.

Eine ähnliche Situation erleben wir gerade im Web. Die allerersten Pioniere hatten diese Welt mit ihren Akustikkopplern und viel technischem Verstand erforscht und die Grenzen des Machbaren immer weiter gesteckt. Es war eine Welt, in der man sich noch weitgehend gegenseitig vertraute. Man meldete sich mit telnet auf anderen Systemen an, ohne Angst zu haben, dass jemand das Passwort mitschnitt, man sendete sich Mails per SMTP und hatte keinen Grund, den Absender zu fälschen.

Im Gegensatz zu den Siedlern war man im Internet nie wirklich allein. Das verwundert nicht, war es doch immer schon die Aufgabe des Netzes, Menschen zu verbinden und nicht zu trennen. Das führte dazu, dass es von Anfang an Recht und Gesetz im Internet gab, es wurde nur anders umgesetzt. Wenn etwas aus dem Ruder lief, wandte man sich an den zuständigen Admin und wenn der nicht spurte, an den Provider. Die hatten ihre Mittel, Inhalte zu löschen, Nutzer auszusperren und notfalls auch ganz profan anzuzeigen.

Schnell stellte sich aber auch heraus, dass bestimmte Gesetze der analogen Welt schwer ins Internet zu übertragen waren. Schon Wau Holland sagte, dass es sich bei Computern um Datenkopiermaschinen handelt. Wer hieran etwas technisch zu ändern versucht, stellt das Wesen des Computer auf den Kopf. Will man ein Urheberrecht aus der Zeit der Offsetdrucker und Schallplattenpressen auf ein datenträgerübergreifendes Medium zu übersetzen, steht man vor der Wahl, entweder die technische Entwicklung dreißig Jahre zurück zu schrauben oder das Recht der neuen Technik anzupassen.

Sei Mitte der Neunziger befindet sich das Web im Umbruch. Firmen wie AOL sorgten dafür, dass die Menschen massenhaft das Internet nutzten. Diese Leute verstanden auf technischer Ebene immer weniger vom Netz, aber sie brachten Geld. Im globalen Dorf wurden Supermärkte, Amüsierviertel und die ersten Ziegelsteinbauten errichtet. Die Netzpioniere waren nicht über jeden Auswuchs dieser neuen Zeit erfreut, aber da die sich neu eröffnenden Möglichkeiten die Unannehmlichkeiten wie Scriptkids, Spam sowie betrügerische Onlinehändler überwogen, entwickelte man einfach neue Überlebensstrategien und ging mit der Zeit.

Dann kamen die Ordnungsliebhaber. Auch sie brachten eine Denkweise mit, die nicht so recht zur digitalen Welt passte. Aus ihrer Sicht war das Netz ein unreglementierter Haufen, der dringend aufgeräumt werden musste. Wozu das Netz gut war, sahen sie nicht, aber dafür sahen sie umso genauer, wozu es nicht gut sein sollte: Schmuddelseiten, Extremismus und Straftaten. Es bildete sich eine unheilige Allianz aus Ordnungshütern und Geschäftemachern. Den Geschäftemachern war das Gesetz solange völlig egal, wie es nicht ihren Interessen nützte, aber dort, wo sich beides deckte, drehten sie den Spieß um und spielten sich den Ordnungsliebhabern gegenüber als Gesetzeshüter auf.

Wenn es um Recht und Ordnung geht, schätzen deren Verfechter die klare Kante. Wenn auch nur ein Kind gerettet werde, heißt es, sei jedes Kontrollmittel im Internet recht. Damit befindet man sich in bester christlicher Tradition. wird doch schon Arnold Amalrich nachgesagt, er habe 1209 bei der Erstürmung der Katharerstadt Béziers angeordnet, unterschiedslos alle Einwohner zu töten, Gott werde die Seinen schon erkennen.

Die Netzpioniere verstehen nicht nur, wie das Netz auf technischer Ebene funktioniert, sie verstehen seine Philosophie. Sie wissen, warum es wurde, wie es ist, und was passiert, wenn man ihm eine Struktur aufzwingt, die seinem Charakter widerspricht. Ihnen ist klar, dass ein staatlich kontrolliertes Internet nichts mehr mit dem jetzigen zu tun hat. "Information wants to be free." Das war das Motto, unter dem sie seinerzeit einer Welt entflohen, in der Zeitungsverlage und Fernsehanstalten die Meinung vorgaben und wo ein einsam vor sich hin kommentierender Mensch nicht wahrgenommen wurde. Jetzt droht das Internet genau diese Hierarchie wieder zu bekommen. Es gibt im Netz nicht "ein bisschen inhaltliche Kontrolle", genauso wenig, wie es "ein bisschen schwanger" gibt. Entweder hat man das Netz im Griff oder nicht.

Das Internet steht vor einem Umbruch. Die Frage ist, ob die Balance zwischen freier Information und freier Geschäftemacherei erhalten bleibt, oder ob man eine Wildblumenwiese zugunsten eines Englischen Luxusrasens aufgibt. Im Moment spricht vieles dafür, dass der Gärtner Mittel und Wege hat, seinen Luxusrasen durchzusetzen. Das heißt aber auch, dass diejenigen, die sich auf der Wildblumenwiese wohl fühlten, gehen müssen.

Es sieht schlecht aus für die Siedler. Viele von ihnen packen ihre Sachen, werfen noch einen letzten Blick auf das, was sie noch als weites, freies Land kannten, steigen aufs Pferd und suchen eine Gegend, in der man sie noch frei leben lässt.

Der Websten hat ihnen nichts mehr zu bieten.

Wörterbuch des Undemokraten, Teil 2:

moralisch verkommen

Uhlsch für: Ich habe mir meine Meinung gebildet und bin nicht bereit, meine weltanschauliche Seifenblase durch schnöde Fakten platzen zu lassen. Ich teile gern aus, aber wehe, wenn der Pöbel zurückkeilt. Ich habe einen Doktortitel, ich bin Abgeordneter. Kritik an mir ist ein Angriff gegen Moral und Demokratie.

Donnerstag, 11. Juni 2009

Und er vergibt uns doch

Morgenandachten im Radio sind für gewöhnlich die blinden Flecken in der Wahrnehmung des Zuhörers. Für fünf Minuten, bei einigen Stationen auch deutlich weniger, schaltet sich eine Stimme aus einem Paralleluniversum auf Sendung und setzt im gleichen Tonfall, mit dem ein Tierpfleger eine außer Kontrolle geratene Elefantenherde zu beruhigen versucht, der Hörerschaft auseinander, wie G'tt so funktioniert.

In Bezug auf die Ewigkeit sind fünf Minuten eine kurze Zeit, in der man nur endlich viel Worte sagen kann. Endlich viel Worte aus einer ebenfalls endlichen Menge gewählt lassen sich nur endlich oft kombinieren. Stichwort für mathematisch Interessierte: Urnenexperiment mit Zurücklegen, n^k. Wenn man aus der Menge unterschiedlicher Kombinationen über Jahrzehnte täglich schöpft, hat man irgendwann alles durchprobiert. Was ich hier durch die Blume auszudrücken versuche: Es sieht so aus, als sei nahezu alles, was man in einer Radiokurzandacht sagen kann, schon gesagt worden, jedenfalls wiederholt sich das Ganze seit einiger Zeit. Das ist aber nicht weiter schlimm, es hört ohnehin niemand zu.

So sollte man meinen. Tatsächlich aber hört doch gelegentlich jemand zu, insbesondere wenn sich ein rhetorisch guter Pastor wie Burkhard Müller im Februar dieses Jahres in sechs Andachten zu Wort meldet. Müller spricht eine klare Sprache und setzt sich gern in Szene - gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches Pastorendasein. Wer verständlich spricht, läuft freilich auch Gefahr, verstanden zu werden. In diesem speziellen Fall ging es um eine etwas heikle Frage, die Müller so klar beantwortete, dass auch das schlichteste Gemüt verstand, worum es ihm ging: Musste Jesus sterben, damit die Sünden vergeben wurden? Müller sagt: Nein.

Verständlichkeit hat eben nicht nur Vorteile. Denken wir an Fußball oder die Rechtschreibung. Im Prinzip weiß jeder, worum es geht: Das Runde muss in das Eckige, und "es sich leicht machen" schreibt man neuerdings getrennt. Das ist verständlich, was den klassischen Wichtigtuer veranlasst, sich sofort als Experte zu fühlen. Verständlich sein heißt aber nicht, dass etwas auch wirklich verstanden wird. Das ist bei Sport- und Sprachfragen nicht anders als bei Theologie. Nicht umsonst kann man alle drei Fachrichtungen studieren. Es gibt also Themen, über die man genauer nachgedacht haben sollte - was natürlich niemanden hindert, sich von jeglicher Sachkenntnis unberührt dazu zu äußern.

Sei es die Frage, wie man am besten Tore schießt, Worte schreibt oder transzendente Mächte behandelt - je weniger man weiß, desto mehr glaubt man, und je mehr man glaubt, desto weniger übernimmt die Ratio, umso mehr die Emotion das Ruder. Bei der Frage, ob Gott unbedingt ein Menschenopfer braucht, um die Sündhaftigkeit der Menschen vergeben zu können, scheiden sich bei Protestanten die Geister mit einer Vehemenz, dass die Taliban als vergleichsweise entspannte Richter in Glaubensfragen durchgehen. Von Ketzerei und Häresie war die Rede, von Irrlehren, abstrusen Ideen, blankes Entsetzen habe die Leute ergriffen, große Wut und riesengroße Enttäuschung darüber, dass die Bibel auf den Kopf gestellt wird.

Nun mag man von Pastor Müller halten, was man will, aber man sollte unabhängig von Zustimmung oder Ablehnung die Kirche im Dorf, in diesem Fall Bonn-Endenich, lassen. Müllers Worte mögen eine nicht ganz uneitle Schmissigkeit haben, aber bei alledem ist der Mann evangelischer Theologe und nicht der Papst. Er hat seinen Hörern nicht vorgeschrieben, was sie glauben sollen, sondern seine Interpretation der Bibel dargelegt - nach guter Wissenschaftlersitte immer brav mit Nennung der Quelle. Wer sich der Mühe unterzieht, bei ihm nachzubohren, bekommt auch eine ausgesprochen differenzierte Antwort. Müller sagt nämlich nicht, dass Jesus umsonst gestorben ist, das Ganze also eine Art Betriebsunfall war. Statt dessen sagt er, Jesus sei so weit gegangen, dass er ab einen bestimmten Punkt nur noch die Wahl hatte, zu fliehen und damit seine Idee zu verraten oder sich seinen Gegnern zu stellen und der Welt zu zeigen, dass er gar nicht anders kann als bis zum Äußersten zu gehen. Das Einzige, was Müller bezweifelt, ist die Behauptung, ein allmächtiger Gott sei ohne Blutopfer nicht fähig, den Menschen zu vergeben. Dabei betont er immer wieder, dass dies seine persönliche Sicht der Dinge ist - sauber und schlüssig hergeleitet, aber eben keine objektive Wahrheit. Am Ende bleibt eine Position, die sich von der seiner Gegner nur wenig unterscheidet: Jesus konnte so oder so nicht anders, als für seine Überzeugung zu sterben, aber in der Müllerschen Exegese fand die Sündenvergebung unabhängig davon statt.

Gleichwohl fiel der Sturm im Abendmahlskelch heftig aus, und da es um das himmlische Heil ging, hielt man es nicht für nötig, sich an irdische Umgangsformen zu halten. Statt sich mit Müller direkt auseinander zu setzen, wandte man sich gleich an den Präses, dass er seinen Endenicher Hirten zur Raison bringe. Der wiederum reagierte nicht wie erwartet und ließ Müller statt dessen gewähren; eine angemessene Entscheidung, denn Müllers Position ist zwar umstritten, wird aber von anderen Theologen geteilt.

Fragt man Müllers Gegner, was genau sie so in Rage bringt, kommen Antworten, die zumindest für den theologischen Laien Fragen offen lassen. Im Sündentod offenbare sich die Liebe G'ttes, heißt es dann. Klar, darauf hätte ich auch selbst kommen können, und wie genau geht das vor sich? "Die Liebe Gottes reicht bis in den Tod, damit die Menschen von der Macht des Todes und der Sünde befreit sind und ein neues Leben
führen können." Wundert es irgendwen bei solchen gewundenen Formulierungen ernsthaft, dass eines Tages jemand Ockhams Rasiermesser zückt und dem Ganzen ein klares "Nein" entgegen setzt?

Leute wie Müller seien es, welche die Leute aus der Kirche trieben, wird behauptet. Man korrigiere mich, wenn ich jetzt Falsches erzähle, aber die Leute rennen der Kirche seit Jahrzehnten davon. Dass dies am unzureichenden Verkünden der Kreuzigung in der Mel-Gibson-Fassung liegt, erscheint mir als Erklärung doch etwas gewagt.

"Man soll die Leute da abholen, wo sie stehen", bekommt jeder zu hören, der bei Kirchens auch nur ansatzweise neue Gedanken äußert. In der Praxis heißt dies, dass jeder an Altersstarrsinn erkrankte Querulant allein eine komplette Gemeinde ausbremsen kann, wenn er nur trotzig genug mit dem Fuß aufstampft. Nichts gegen Pastor Müller, aber man überschätzt ihn meiner Meinung nach, wenn man ihm die Macht unterstellt, einen Massenexodus aus der Kirche auslösen zu können.
Wahrer Glaube zeigt sich doch gerade darin, dass er immer wieder auf die Probe gestellt wird und dennoch besteht. Wer Burkhard Müller die Schuld am Einsturz des eigenen theologischen Kartenhauses vorwirft, verwechselt Ursache und Auslöser. Wie schwach muss der Glaube eines Menschen denn noch sein, wenn sechs mal fünf Minuten Radioandacht ihn derart aus der Bahn werfen?

Interessanterweise wird es zumindest auf Rundfunkebene keinen weiteren Grund geben, sich über Burkhard Müller aufzuregen. Der WDR hat nämlich auf den Kalender gesehen und ganz überrascht festgestellt, dass wir schon 2009 und nicht mehr 2004 haben - fünf Jahre zu spät für den inzwischen Siebzigjährigen, noch Radiopredigten zu halten. Offenbar verlieren Pastoren mit ihrem 65. Geburtstag schlagartig die Fähigkeit, noch einen klaren Satz von sich zu geben. Welch ein Zufall, dass dem WDR diese Erkenntnis gerade jetzt kommt.

Montag, 8. Juni 2009

Wörterbuch des Undemokraten, Teil 1:

Tralafitti:
Wiefelspützsch für: Ich habe einen Doktor, du nicht. Ich habe ein Bundestagsmandat, du nicht. Ich bekomme netto das Doppelte von dem, was du brutto bekommst. Ich bin gewählt, und bis zur nächsten Wahl kümmert es mich nicht, was die Leute wie du von mir halten. Du hast mich nicht gewählt, und du wirst mich auch nicht wählen - warum sollte ich mich um dich kümmern? Ich will das Medium Internet, insbesondere Foren wie "Abgeordnetenwatch" gar nicht erst verstehen. Es ist mir egal, ob ich mich oder meine Partei damit in den Augen von Technikspinnern wie dir der Lächerlichkeit preisgebe und so den Platz der SPD im Zwanzig-Prozent-Ghetto zementiere. Hast du meinen Listenplatz angesehen? Solange die SPD über fünf Prozent kommt, bin ich drin.

Tralafitti - so hört es sich an, wenn man sich als Volksvertreter nicht mehr ums Volk scheren muss.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Generation C64 - Entstehung eines Begriffs?

Die Familienministerin verwechselt Sperren und Löschen, genau genommen verwechselt sie Wegschauen mit Bekämpfen, ganz böse Zungen formulieren, mit ihrer Strategie setze sie sich für die ungehinderte Verbreitung dokumentierter Kinderschändung ein und wolle nur sicher stellen, dass man ihr im eigenen Land nicht dabei zusehen kann - und in der realen Welt findet man das im Wesentlichen in Ordnung. Die Netzgemeinde sieht dies in ihrer schweigenden Mehrheit möglicherweise ebenso, aber eine kleine Gruppe Aktivisten geht auf die Palme. Wie groß diese Gruppe ist, lässt sich schwer sagen, aber offenbar erregt sie genug Aufmerksamkeit, dass sich zumindest die Onlineausgaben der Zeit, der taz, des Handelsblatts, der Süddeutschen, der FAZ und des Spiegels ihr widmen. In einem gut geschriebenen Artikel beschreibt der Spiegel jetzt dieses Phänomen und versucht bei dieser Gelegenheit, einen Begriff zu etablieren: Generation C64.

Das klingt nach 68er und nach Generation Golf. Wie bei jedem neu aufkommenden Schlagwort, man denke nur an "Web 2.0", fühlt man sich zunächst hin und her gerissen zwischen Ablehnung eines zu platten Begriffs und der Begeisterung, eine Gedankenwolke endlich mit einem Wort fassen zu können. Welches der beiden Gefühle siegt und ob die vom Spiegel vorgeschlagene Vokabel unverändert übernommen wird, zeigen die nächsten Wochen.

Der Versuch des Spiegel, sich mit einem schmissig geschriebenen Artikel als Wortschöpfer zu etablieren, ist offensichtlich, aber so funktioniert das Geschäft nun einmal: Wer ein Feld besetzen will, muss es stürmen. Anhand der Reaktionen auf den Artikel merkt man, dass der Artikel einen Nerv getroffen hat.

Um eine Idee zu bekommen, wie die Generation C64 aussieht, nehmen greifen wir uns zufällig jemanden heraus, der gerade in der Nähe ist und sich von diesem Schlagwort beschrieben fühlt - mich - und sehen nach, womit er sich den Tag über so beschäftigt:

Die morgendliche Lektüre besteht nicht in der Papierausgabe einer Zeitung, sondern im Überfliegen der wichtigsten Meldungen bei Spiegel Online und dem Heise-Newsticker. Der Gang zum Briefkasten entfällt, weil sich dort außer der alle 14 Tage erscheinenden c't ohnehin nur selten etwas befindet. Statt dessen gilt die Aufmerksamkeit den verschiedenen E-Mailkonten. Wichtig ist dabei der Plural. Spamfilter in allen Ehren, aber eine Adresse, die keiner kennt, kann man auch nicht mit Werbung verstopfen. Entsprechend gibt es verschiedene Adressen, die ich nach Vertrauenswürdigkeit gestaffelt den Leuten nenne.

Über den Chat-Client kommt eine Terminanfrage rein. Ich sehe im Online-Kalender nach und schicke eine Bestätigung. Damit ich die Sache nicht vergesse, synchronisiere ich die Verabredung auch gleich mit dem Mobiltelefon.

Bei einer Rechnung ist ein Detail unklar. Ich schreibe eine kurze Mail und habe eine Stunde später die Antwort. Die Überweisung nehme ich online vor.

Eine weitere Mail kommt rein - ob man meinen Plakatentwurf noch einmal haben könnte, an der Veranstaltung habe sich eine Kleinigkeit geändert. Die Mail mit der Datei ist Minuten später unterwegs.

Der Kassenwart des Vereins schreibt, er habe Schwierigkeiten mit den Abrechnungen für die Honorarkräfte. Die fertig ausgefüllte Tabelle bekommt er eine halbe Stunde später - selbstverständlich asymmetrisch mit GPG verschlüsselt.

Das Telefon klingelt. Ein Freund hat ein Computerproblem. Da die Ferndiagnose zu schwierig wird, melde ich mich auf seinem Rechner an und sehe nach, ob noch was zu retten ist. Nebenher lade ich mir die aktuelle Ubuntu-Installations-CD, weil ich nachher noch einen Rechner neu aufsetzen möchte. Die Frage, wie man die etwas ungewöhnliche Grafikkarte zur Mitarbeit überreden kann, hat eine kurze Forenrecherche bereits erledigt.

In der Zwischenzeit schreibe ich noch den einen oder anderen Forenkommentar, lese bei Twitter die neuesten Schlagzeilen von Zeitungen und Bloggern und sehe beim Onlinebuchhändler nach, was es Neues gibt.

So ähnlich sehen viele Tage aus, und ich bin kein extremer Internetnutzer. Das Netz ist einfach nur ein selbstverständlicher Teil meines Lebens geworden. Zusammen mit einem Freund aus Hamburg auf einem Server in Karlsruhe zu arbeiten, während man selbst in einem Hotel in Prag sitzt, ist natürlich eine furchtbar aufregende Sache - wenn man darüber nachdenkt. In den meisten Fällen jedoch habe ich die virtuelle Omnipräsenz schon einfach als ganz natürliche Sache zur Kenntnis genommen.

Für die Generation C64 sind Computer nichts Ungewöhnliches. Das heißt aber nicht, dass sie uns nicht faszinieren. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich meiner Oma Briefe schreiben musste, weil sie kein Telefon hatte. Wenn ich mich verschrieb, musste ich noch einmal von vorn anfangen. Kommunikation über große Distanzen war Luxus. Wie weit der telefonische Gesprächspartner entfernt war, hörte man deutlich an der Leitungsqualität.

Als die ersten 64er in diese analoge und im Wesentlichen nicht von Strom durchflossene Welt eindrangen, stellten sie eine Sensation dar. Wirklich etwas Sinnvolles mit ihnen anfangen konnte niemand, aber wer das Universum in der Brötchendose betrat, begab sich in eine völlig neue Welt, in der andere Gesetze galten. Das Tollste aber war: Man konnte dieses Universum ändern. Man konnte Programme schreiben und diesen Wunderkisten sagen, was sie erledigen sollten. Bedingung war natürlich, dass man sich auf ihre Welt einließ, aber wer das tat, kam sich vor wie 15 Jahre später der elfjährige Harry Potter, als er feststellte, dass er an die Gesetze der Muggelwelt nicht gebunden, sondern ein Zauberer war.

Vor allem hatten wir eine Chance, die spätere Generationen nicht hatten: Wir konnten die Kisten verstehen. Nun will ich nicht behaupten, auch nur annähernd verstanden zu haben, wie der VIC oder die CPU des 64ers funktionieren, aber ich weiß wenigstens, dass tief unterhalb der Welt der animierten Fenster, Transparenzeffekte und 3D-Engines eine Schicht liegt, in der es im Wesentlichen darum geht, Werte in Speicherzellen zu schreiben, sie auszulesen, sie umzuwandeln und gegebenenfalls an eine andere Stelle des Programms zu springen. Ähnlich ist es mit dem Internet: Ich könnte niemals eine vernünftige Homepage gestalten, aber ich weiß, dass unter dem Youtube-Video eine Ebene kommt, in der man sich über die Frage unterhält, wie ein Signalpegel auf eine Leitung geschaltet wird.

Die Generation C64 besteht nicht aus lauter IT-Experten. Die meisten von uns haben sich entschlossen, so wie ich im Mittelmaß zu versauern, doch bevor wir das taten, hatten wir zwei Jahrzehnte Zeit, uns in aller Ruhe anzusehen, wie aus einem dreiadrigen RS232-Kabel am Userport des 64ers das Internet wurde. Wir haben begriffen, wie es in seinen Grundzügen arbeitet und wir wissen, was es wert ist. Als wir jung waren, konnte man eine größere Menge Leute vielleicht erreichen, indem man in der Schülerzeitung einen Artikel schrieb. Dazu musste man die Redaktion überreden, den Artikel abzudrucken, und wenn man Glück hatte, lasen ihn in der ganzen Stadt vielleicht ein paar hundert Leute. Heute stellt man einfach einen neuen Kommentar in sein Blog ein, und wenn man sich gut dabei anstellt, kann man es im Netz zu einiger Berühmtheit bringen. Es mag ja sein, dass man bis auf wenige Promille alles, was die neue Kommunikationsfreiheit ermöglicht, vergessen kann, aber diese Entscheidung überlässt man unserer Meinung nach den Nutzern, nicht den Regierungen.

Man kann den Deutschen viel vorwerfen, aber eines nicht: dass sie sich blindlings auf jede Neuerung stürzen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was passierte, als vor einigen Jahrzehntausenden der erste Mensch mit einem Faustkeil aufkreuzte. Da ging bestimmt schon das Genöle los: "Also nee, das geht ja nun gar nicht. Rehe konnte man doch früher auch so auswaiden, wozu braucht man auf einmal so ein Ding? Das führt doch zu einer Faustkeilisierung des Denkens, und wenn ich mir erst das Missbrauchspotenzial vorstelle; ich male mir lieber nicht aus, was passiert wäre, wenn Hitler schon Faustkeile besessen hätte - überhaupt: Wo kommen die Steine überhaupt her? Da, wo du sie suchst, brütet doch bestimmt eine seltene Vogelart, und was passiert, wenn so ein Faustkeil mal kaputt ist? Wirfst du den dann einfach weg? Das dauert doch bestimmt Jahre, bis der biologisch abgebaut ist."

Als in Deutschland die Internetnutzung im großen Stil anfing, wusste noch keiner, was man damit anfangen sollte, aber alle wussten: Da sind Nazis drin. Und Anleitungen zum Bombenbauen. Und Pornos. Na gut, das Dritte dürfte der Grund sein, warum sich das Internet in Deutschland überhaupt etablieren konnte, auch wenn es keiner zugibt.

Entschuldigung, das was natürlich Quatsch, und alle Nutzungsstatistiken, die Mitte der Neunziger erstellt wurden, belegen das. Ich wollte mir nur die Pointe nicht entgehen lassen. Dummerweise gibt es weite Teile der politischen Kaste in Deutschland, die den ganzen Unsinn mit dem Sündenpfuhl glauben. Ihre Gedankenwelt hat die Siebziger nie verlassen, als man sich seine Meinung für die nächsten Stunden noch am Kiosk kaufte. Kommunikation ist herrschaftliches Wissen, das von einer Oligarchie dem Volk verabreicht wird. Untereinander redet man vielleicht am Telefon oder in der Kneipe, auf keinen Fall jedoch darf jeder einfach so ein potenzielles Millionenpublikum ansprechen. Meinungsfreiheit schön und gut, aber nur so lange, wie man mit seiner Meinung nicht mehr Leute erreicht, als in ein Wohnzimmer passen. Für die politische Kaste ist das Internet eine Art Versandhauskatalog, in dem man als Verbraucher herumblättern und sich Angebote aussuchen kann. In einer solchen Welt haben Begriffe wie Informationsfreiheit keine Bedeutung. Unterstützt wird diese Haltung von Leuten, die sich von der nahezu unendlichen Vielfalt des Internet überfordert fühlen. Sie wollen exakt drei Seiten aufrufen: die Fahrplanauskunft, ihren Webmailzugang und - immerhin geht man mit der Zeit - den Onlinebuchhändler mit den tollen Sonderangeboten. Die ständigen Berichte von Phishern, trojanischen Pferden und Viren verunsichern sie zutiefst. Wenn der Staat hier eingriffe und außer der Fahrplanauskunft, dem Webmailzugang und dem Onlinbuchhändler mit den tollen Sonderangeboten alles andere gesperrt wäre, fänden sie das großartig.

Die Generation C64 tickt anders. Sie hat gelernt, Sachen auszuprobieren, ohne sich dabei künstlich beschränken zu lassen. Barrieren dieser Art fasst sie als Funktionsstörungen auf, die man beseitigen muss.

Dass die politische Kaste schon lange über ihre Köpfe hinweg regiert, nimmt die Generation C64 seit Jahrzehnten zur Kenntnis. Sie findet das nicht weiter schlimm, solange die Politik nicht versucht, in die Sphäre der Generation C64 hinein zu regieren - doch genau das findet zunehmend statt:

- Das Kopieren von Programmen und Filmen wird immer weiter erschwert. Die Generation C64 kann verstehen, dass Autoren für ihre Arbeit entlohnt werden wollen. Was sie nicht versteht, sind die minutenlangen Vorspänne auf den ehrlich gekauften DVDs, bei denen man sich anhören muss, wie schlimm das Kopieren von Filmen ist. Man kann diesen Vorspann nicht überspringen, man darf nichts unternehmen, um ihn nicht mehr sehen zu müssen, das verbietet nämlich das Gesetz. Wer die DVD illegal kopiert, kann sich den Vorspann natürlich herausschneiden.

- Der Besitz von "Hackerprogrammen" ist strafbar. Hier herrscht bei der Generation C64 vor allem Kopfschütteln über die unglaubliche Schludrigkeit, mit der das Gesetz formuliert wurde. Niemand hat etwas dagegen, wenn der Staat gegen elektronische Einbrüche vorgehen möchte, aber dann soll er doch bitte nachdenken und nicht ein Gesetz verabschieden, das theoretisch den Besitz eines funktionierenden Betriebssystems mit Gefängnis ahndet.

- Jeder, der sich im Internet bewegt, ist ein potenzieller Terrorist. Wieder einmal hat die Generation C64 nichts gegen die der Vorratsdatenspeicherung zu Grunde liegende Idee, sie hat nur etwas gegen die Brachialmethoden, mit der sie durchgesetzt wird. Die Bundesregierung soll gern gegen Terroristen vorgehen, aber sie soll dabei nicht Millionen Internetnutzer unter Generalverdacht stellen und von jedem ein Kommunikationsprofil anlegen.

- Dein Gehirn gehört mir: Viele Menschen verwenden ihren Computer als Auslagerungsdatei für Gedanken, darunter fixe Ideen und unbedacht geäußerte Wünsche, die nie auch nur in die Nähe der Realität kommen werden. Selbst davor schreckt die Bundesregierung nicht zurück und behält sich das Recht vor, Spionageprogramme auf fremden Rechnern zu installieren um herauszufinden, was das Volk so alles denkt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diesem Treiben sehr hohe Hürden vorgeschoben, aber wirklich beeindruckt hat dies die Innenminister nicht.

- Wahlurnen zu Losbuden: Im Zeitalter, in dem man mit Highspeed auf dem Informationsuperhighway surft, nimmt sich eine papierbasierte Wahl natürlich popelig aus, zumal in einigen Gegenden ein Wahlrecht herrscht, das den Wahlhelfern fast ein Hochschulstudium abverlangt, um auch nur die Gültigkeit des Stimmzettels feststellen zu können. Die Idee, diesen Vorgang zu automatisieren, lag nahe, und wieder einmal schaffte es die Politik, aus einer im Grunde sinnvollen Idee völligen Blödsinn werden zu lassen. Das Argument, eine schwarze Kiste, die um 18.00 Uhr freudestrahlend das Wahlergebnis verkündet, könne ja wohl kaum ein über Jahrzehnte bewährtes und vor allem für Laien nachprüfbares Zählverfahren ersetzen, wurde mit der Bemerkung beseite gewischt, die so genannten Experten sollten mit ihrem akademischen Genörgel aufhören, der TÜV habe sich einen Prototyp angesehen und der habe prächtig funktioniert. Eine Generation, die mit Computerfehlern groß geworden ist, kann über derart naiven Optimismus allenfalls den Kopf schütteln.

- Das Fass zum Überlaufen brachte der Gesetzesentwurf zur Sperrung von Internetseiten. Ohne jetzt auf die technischen und politischen Details einzugehen: Wenn einer Ministerin auf wissenschaftlicher Ebene ein Fehler nachgewiesen wird, sollte sie dazu mehr argumentatives Material als das Wort "unterirdisch" haben.

Auf Kritik reagiert die politische Kaste unwillig. Für den SPD-Politiker Wiefelspütz besteht die politische Auseinandersetzung aus den Worten: "DNS, TLD, GAGA, GOGO, TRALAFITTI oder was?" Der CSU-Bundestagsabgeordnete Uhl findet die Einwände des CCC "juristisch ohne Sinn und Verstand und moralisch verkommen". Die Familienministerin unterstellt Leuten, die ihr technisch überlegen sind, kriminelle Absichten: "Wen kenne ich, der Sperren im Internet aktiv umgehen kann? Die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20 Prozent. Die sind zum Teil schwer Pädokriminelle."

Dass Politiker mitunter einfach Unsinn schwätzen, nimmt ihnen niemand ernsthaft übel. Auch wenn mancher Diätenbezieher dies nicht gern hört: Politiker sind auch nur Menschen und damit fehlbar. Was die Generation C64 aber ganz und gar nicht leiden kann, sind Politiker, die eine über Jahrzehnte gehende technische Entwicklung verschlafen haben und nun auf einmal im Bundestagswahlkampf mit Aktionismus punkten wollen. Minister, die auf der einen Seite damit kokettieren, dass sie dieses Internet, von dem die Leute neuerdings alle reden, auch nicht begriffen haben ("Es ist so aufwändig, dass der Chef des Bundeskriminalamts, der Herr Ziercke, der versteht e bissel was davon. Ich versteh nix davon." Wolfgang Schäuble zur Onlinedurchsuchung), auf der anderen Seite aber eine Statistik nach der nächsten herunterbeten, die angeblich besagt, dass außer Terroristen und Kinderschändern praktisch niemand das Netz benutzt, wirken unglaubwürdig, wenn nicht gar anmaßend. Es ist keine Schande, das Internet nicht begriffen zu haben, aber dann soll man sich bitte auch nicht als Experte aufspielen und das Internet regieren wollen.

Die Generation C64 hat "Per Anhalter durch die Galaxis" gelesen und kennt die Stelle mit dem Gefräßigen Plapperkäfer von Traal auswendig (
"Ein zum Verrücktwerden dämliches Vieh, es nimmt an, wenn du es nicht siehst, kann es dich auch nicht sehen – bescheuert wie eine Bürste, aber sehr, sehr gefräßig.") und fühlt sich dabei unwillkürlich an die Bundesfamilienministerin und ihre Pläne erinnert, durch eifriges Wegsehen die dokumentierte Kinderschändung zum Verschwinden zu bringen. Sie fragt sich, wie im realen Leben jemand so verblüffend nah an die Satire kommen kann.

Wer eine politische Karriere anstrebt, dient sich in der Parteihierarchie hoch, klebt Plakate, verteilt Flugblätter, sitzt sich auf zahlreichen Parteitagen eine Kreislaufschwäche an und versucht mit einem Politologie- oder Jurastudium den Sprung in die Staatskanzlei. Er weiß, dass scharfe Profile polarisieren und damit notwendigerweise auch Leute abschrecken. Als Konsequenz bezieht er nur selten Position und richtet sich vor allem nach dem, was ihm persönlich den größten Gewinn verspricht.

Diese vor allem von Durchhaltevermögen geprägte Welt ist der Generation C64 fremd. Sie denkt in Projekten. Zusammen mit Gleichgesinnten schließt man temporäre Bündnisse, die aber auch sofort wieder zerfallen, wenn die Aktion vorbei ist. Klassische Beispiele sind der "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" und der "Arbeitskreis Zensur". Beide verstehen sich als Arbeitskreise, nicht als Vereine oder Parteien. Ihren jeweiligen Bereich sehen sie so scharf, dass der AK-Vorrat am Anfang der Zensurdebatte öffentliche Stellungnahmen zu diesem Thema ablehnte, weil man seine Mitglieder nicht vereinnahmen wollte. Man konzentriert sich auf einzelne Punkte. Eine sich über Jahre hinziehende politische Arbeit fand bislang nicht statt.

Das könnte sich jetzt ändern. Die politische Kaste hat einfach zu oft und zu gründlich nicht verstanden, was die Generation C64 will. Sie klagt zwar über Nachwuchsmangel, schreckt aber jeden ab, der in Computern mehr sieht als eine aufgetakelte elektrische Schreibmaschine. Die durchs Netz tobenden Entrüstungsstürme hält sie für ein rein auf dieses Medium beschränktes Phänomen, das sich nicht in Wahlergebnissen niederschlägt und damit nicht der Beachtung wert ist. Möglicherweise hat sie mit dieser Einschätzung sogar Recht. Was aber, wenn wie vor dreißig Jahren genug Leute so genervt sind, dass sie außerparlamentarische Themen in den Bundestag hinein tragen wollen? Ähnlich wie damals tritt heute eine Partei an, deren Mitglieder sich auf ein bestimmtes Thema fixiert haben, von dem sie sehr viel verstehen und das ihnen äußerst wichtig ist. Wie vor dreißig Jahren handelt es sich um ein kleines Häufchen, das von den Etablierten für völlig durchgedreht, politik- und regierungsunfähig und somit unwählbar gehalten wird. Damals wie heute hat die Politik keine Antworten auf die Fragen dieser Gruppe und versucht, ihre Ratlosigkeit mit Verunglimpfungen zu übertünchen. Es ist nicht gesagt, dass die Piraten die neuen Grünen sind, aber die Parallelen drängen sich auf.

Vielleicht wird die Generation C64 jetzt erwachsen.