Fußballfinale, 89. Minute. Die Heimmannschaft liegt ein Tor zurück, da bekommt sie einen Elfmeter zugesprochen. Der Ausgleichstreffer, und alles wäre wieder offen. Der Stürmer legt den Ball hin, nimmt kurz Anlauf, schießt - und verfehlt das Tor um glatte zwei Meter.
Abpfiff. Pressekonferenz. Die Frage kommt auf, wie ein so hoch geschätzter Spieler in der entscheidenden Situation so grauenhaft verreißen kann. Doch der lässt den Vorwurf nicht gelten und strahlt die Reporter an: "Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, jeder Andere hätte noch weiter daneben geschossen."
So oder so ähnlich lässt sich die Haltung Martin Dörmanns bei einer Diskussionsveranstaltung "Was bringt das neue Zugangserschwerungsgesetz?" am 23.7.09 in Köln zusammenfassen. Dörmann, der Bundestagsabgeordnete, der die Herzen der Internetgemeinde mit dem Satz "Zwischenfragen anderer Mitglieder dieses Hauses gestatte ich gerne, aber nicht die des Kollegen Tauss" im Sturm eroberte. Doch wir dürfen nicht ungerecht sein, es geht auch tralafitti. Wie bei einer Veranstaltung, die stattfindet, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, nicht anders zu erwarten war, ging es hier nicht um den Dialog, sondern darum, Position zu beziehen. Dörmann wollte vermitteln, dass wenigstens Teile der SPD nachgedacht hatten, bevor sie das Gesetz beschlossen. Die anwesenden Vertreter des politischen Teils der Internetgemeinde wollten vermitteln, dass die im Bundestag vertretenen Parteien es gründlich vermasselt haben. Entsprechend hielt sich das Aufkommen neuer Argumente in Grenzen. Interessant war es dennoch, bekam man doch endlich alles kondensiert vorgetragen und musste sich nicht durch endlose Beiträge in Mailinglisten blättern.
"Pass auf, der Dörmann ist ein gefährlicher Diskussionspartner", wurde mir gesagt, als ich erzählte, ich wolle mir die Veranstaltung ansehen. "Der Mann ist Jurist, rhetorisch gewandt und extrem gut informiert. Wer es mit dem aufnehmen will, muss sich intensiv vorbereiten." Entsprechend hoch waren meine Erwartungen.
Um es abzukürzen: Ich bin etwas ernüchtert. Für Dörmann spricht sein sympathisches Auftreten und die Tatsache, dass er der erste Vertreter der Zensurbefürworter ist, der seinen Gegnern ausdrücklich nicht unterstellt, dokumentierte Kinderschändung gutzuheißen. Was für ihn spricht, ist ein sachlicher Stil und seine Informiertheit. Was mich enttäuschte, waren die zwei Hauptlinien seiner Argumentation: "Ohne die SPD wäre es schlimmer gekommen." und "Wenn es schlimmer kommt, waren es die Anderen." So klingt nicht jemand, der von seiner Position überzeugt ist. Mich erinnern diese Sätze an Pontius Pilatus und die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg: "Ich wasche meine Hände in Unschuld." und "Wir waren alle im Widerstand." Sich aus der Verantwortung, aktiv die Internetzensur vorangetrieben zu haben, mit der Begründung herausstehlen zu ve4rsuchen, von der Leyen und Schäuble hätten viel wildere Positionen durchsetzen wollen, klingt in meinen Ohren wie Kinder, die alle mit treuherzigem Augenaufschlag versichern, sie hätten den Ball nicht ins Fenster geschossen, der müsse von allein dahin gekommen sein. Gut ins Bild passt auch die Auffassung, das in §9 des Gesetzes definierte Expertengremium sei beim Bundesdatenschutzbeauftragten gut aufgehoben, weil es woanders noch schlechter hinpasse. Das ist etwa so einleuchtend wie das Argument, dreieckige Räder seien besser als viereckige, weil es einmal weniger holpere. Wer in das Bundesdatenschutzgetz sieht, findet dort in §4g unter den Aufgaben des Bundesbeauftragten viel zum Thema Datenschutz. Dass es hierzu auch gehört, zum Erfüllungsgehilfen des BKA zu werden, kann man nur mit äußerster Fantasie hineinlesen. Es scheint mir eher so, als habe man nach der einzigen Bundeseinrichtung gesucht, die irgendetwas mit Computern zu tun hat und deren Ruf in IT-Kreisen noch halbwegs unbeschadet ist. Dass "passt miserabel" immer noch besser als "passt garnicht" ist, verbessert die Lage auch nicht. Fast schon naiv war die von Dörmann geäußerte Hoffnung, die Internetgemeinde werde ein wache Auge auf die deutsche Sperrliste haben und kritisch verfolgen, ob die darauf befindlichen Einträge auch gerechtfertigt seien. Wohlgemerkt: Die Liste ist laut Gesetz geheim. Man kann allenfalls auf illegalem Weg oder durch technische Kniffe an sie gelangen. Genauso kann man auch versuchen, in einem dunklen Raum mit unbeschrifteten Karten Poker gegen einen Gegner zu spielen, der ständig die Regeln ändert. Ebenso fadenscheinig finde ich das Argument, man hätte mit dem Internetverhinderungsgesetz ganz klar festgelegt, dass es hier nur um die Bekämpfung dokumentierter Kinderschändung ginge. Es mag ja sein, dass man an speziell diesem Gesetz nicht groß herumschrauben kann, aber man muss nicht besonders intelligent sein, um mit dem Gesetz zum Fotokopierer zu gehen und danach mit dem Kugelschreiber das Wort "Kinderpornografie" durch "Volksverhetzung", "Bombenbauanleitungen", "Urheberrechtsverstöße" oder "alles, was mir schon immer auf die Nerven ging" zu ersetzen. So gesehen ist die von der SPD gefeierte Einschränkung des Gesetzes auf einen konkreten Straftatbestand sogar unredlicher, als gleich ein universelles Zensurgesetz auf den Weg zu bringen, weil man es den Anderen überlässt, sich die Finger zu beschmutzen.
Die SPD hat sich von der CDU vor sich her treiben lassen. Sie hat es nicht verstanden, einer auf unterster populistischer Ebene agierenden Gruppe zur Beseitigung von Bürgerrechten entgegen zu treten. Sie hat allenfalls versucht, das in den Brunnen stürzende Kind unten weich aufkommen zu lassen. Dörmanns Wunsch, wenigstens seinen Standpunkt zu verdeutlichen, ist anerkennenswert, das Niveau seiner Argumentation hebt ihn weit über die von der Leyens, Schäubles, Uhls, zu Guttenbergs und Wiefelspütze, aber es ändert nichts daran, dass die SPD es mit einer einzigen Abstimmung geschafft hat, sich das Vertrauen einer kompletten Wählerschicht zu verspielen. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt vorhat, jemals dieses Vetrauen wieder zu gewinnen, aber wird schwer für sie.