"Natürlich ist Kinderpornografie eine schlimme Sache..."
Vielleicht wird diese Formel dereinst als "Von-der-Leyensche-Abbitte" in die Geschichte eingehen. Publizistisch ist der Bundesfamilienministerin jedenfalls ein KO-Sieg gelungen. Jeder, der an ihrer von jeglicher Sachkenntnis ungetrübten Entscheidung Kritik zu üben wagt, muss gebetsmühlenhaft etwas betonen, was jeder, der auch nur einen Funken mehr Verstand als diese Frau hat, allein schon aus statistischen Gründen als gegeben voraussetzen kann: Man kann von der Leyen für eine inkompetente Fehlbesetzung halten, ohne pädophil zu sein.
Das Totschlagargument, mit dem die Ministerin zur Zeit jede Diskussion niederknüppelt, wirkt so gut, dass selbst in den sonst um Ausgewogenheit bemühten öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen am Abend der Vertragsunterzeichnung mit den großen Internetanbietern nicht einmal angedeutet wurde, dass man eine Pandorabüchse geöffnet hatte. Überall war man sich einig: Endlich ist Schluss mit der Kinderpornografie. Nicht ein einziger Sender deutete auch nur an, dass man im Begriff ist, in Deutschland chinesische Verhältnisse zu schaffen: Kein Bit fließt dort durch die Leitung, das nicht vorher vom großen Zensor gnädig abgenickt wurde. Mamis mit Kontrollwahn, die ihre Kinder am liebsten an einer Kette mit sich herumführen möchten, damit ihnen bloß nichts zustößt, werden die Idee von Mutter Ursula wahrscheinlich ganz toll finden, aber volljährige Bundesbürger, die mit der Informationskultur des begonnenen 21. Jahrhunderts vertraut sind, empfinden eine gewisse Skepsis dabei, dass im Internet nur noch die Sachen zu finden sein sollen, die unterhalb des geistigen Horizonts der Familienministerin liegen. Na gut, wenigstens wird das Web dann überschaubar.
Künstliche Differenzen werden aber auch an anderen Fronten aufgebaut. Da ging es beispielsweise vor kurzem in Berlin darum, ob Religion weiterhin als freiwilliges zusätzliches Fach oder als Alternative zum Ethikunterricht angeboten werden soll. Noch einmal: Religionsunterricht gäbe es so oder so, aber wenn sich das Bürgerbegehren durchgesetzt hätte, wäre es möglich gewesen, das konfessionsübergreifend verbindliche Fach Ethik zugunsten konfessionsgebundener Religion abzuwählen. Man kann sich engagiert um die Qualität des Ethikunterrichts streiten, aber darum ging es dem Volksbegehren nicht. Nein, es ging um "Freiheit".
Nun wäre gegen ein wenig Übertreibung nichts einzuwenden, wäre der Begriff der Freiheit nicht in den letzten Jahren so hemmungslos überstrapaziert worden. Unvergessen ist die "freie Fahrt für freie Bürger", aber auch die Parole "Freiheit statt Angst" geht zwar in eine mir sehr genehme politische Richtung, an der Wortwahl hingegen kann man noch arbeiten.
Die Taktik ist jedesmal gleich: Dränge den politischen Gegner in eine Ecke, aus der er sich erst einmal befreien muss, bevor er etwas zur Sache sagen darf, wobei immer der Restverdacht an ihm haften bleibt, es mit der Rechtfertigung nicht ganz ernst zu meinen. Probieren wir es doch gleich einmal aus:
"Ich habe ja nichts gegen Ausländer."
Da weiß man doch sofort: Gleich kommt etwas Braunes. Oder vielleicht etwa nicht? Was ist mit einer Mutter, die ganz einfach bezweifelt, dass ihr Kind in einer Klasse, in der Deutsch nicht mehrheitlich als Muttersprache gesprochen wird, diese Sprache in angemessener Weise lernen kann?
"Ich habe ja nichts gegen Amerika."
Abgesehen davon, dass es dem Sprecher in der Regel um die USA und nicht etwa Kanada, Chile oder Mexiko geht, ist es doch bezeichnend, dass man, wenn man christliche Hassprediger nicht für die Idealbesetzung des Präsidentenamtes hielt, sich zu betonen genötigt sah, man rede damit selbstverständlich nicht dem Antiamerikanismus das Wort. Spannend wird es ohnehin, wenn der Glanz des jetzigen Amtsinhabers in den Widrigkeiten des Tagesgeschäfts etwas matter wird. Ist man, wenn man dies kritisiert, automatisch gegen alternativpigmentierte Mitmenschen afroamerikanischen Migrationshintergunds?
"Natürlich waren die Anschläge von New York, Madrid und London eine schlimme Sache."
Das ist meine persönliche Lieblingsentschuldigung. Wer meint, dass Überwachungskameras an jeder Häuserecke mehr schaden als nutzen, wer den Innenminister nicht seine E-Mails mitlesen lassen möchte, wer findet, dass es die Sicherheitspolitiker mit ihren Generalverdächtigungen ein wenig übertreiben, muss erst einmal vorweg schicken, dass er für Terrorismus nichts übrig hat. Allein schon der künstlich errichtete Gegensatz von Freiheit und Sicherheit führt in die rhetorische Sackgasse. Warum sollen Freiheit und Sicherheit, wenn sie schon unbedingt in einer Beziehung stehen müssen, sich nicht gegenseitig bedingen können? Ist es so absurd, sich einen Staat vorzustellen, der allein deshalb weniger Schwierigkeiten mit Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung hat, weil seine mit den Verhältnissen zufriedenen Einwohner nicht zu Gewalttaten neigen?
Nein, ich werde Ihnen jetzt nicht darlegen, ob ich für Glaubensfreiheit bin, ob Ausländerfeindlichkeit in meinem Beruf eine äußerst schlechte Idee ist, ob ich große Hoffnungen in Obama setze, ob ich nichts besseres zu tun habe, als Flugzeuge in anderer Leute Hochhäuser zu steuern, und ich werde ganz bestimmt kein Gutachten vorlegen, das die Unbedenklichkeit meiner sexuellen Ausrichtung bescheinigt. Wer tatsächlich glaubt, mich in eine Ecke packen zu müssen, wird auch nicht durch noch so weitschweifige Ausführungen von seiner Meinung abzubringen sein. Ich weigere mich, mich für meine Meinung zu entschuldigen. Ich habe keine Lust, ständig zu sagen, was ich nicht bin.
Fragen Sie mich lieber, was ich bin.