Sonntag, 3. Mai 2009

Hjumenn, wä a ju?

Bad Godesberg sucht die Kirchentags-Combo.

So ungelenk kommt man natürlich im Zeitalter von Church 2.0 nicht mehr daher. Deswegen lud man auch zum - ich erlaube mir, zu zitieren: "Kirchentags Pre-Event" mit "Band Contest", "Public Voting" und "Catering". Für alle, die der altbackenen Vorstellung anhängen, Sprache sei zur Verständigung und nicht dazu da, anderen Leuten zu zeigen, wie toll man schon mit dict.leo.org umgehen kann: Es handelte sich um eine Vorveranstaltung zum evangelischen Kirchentag in Bremen, bei der mehrere Musiker einen Wettbewerb veranstalteten und das Publikum darüber abstimmen durfte, wer als Gewinn 1000€ bekommen und beim Kirchentag auftreten sollte. Ach ja, was zu Essen gab es auch noch.

Wie dem auch sei, ganz so dumm wie immer behauptet, kann die PISA-Generation nicht sein, immerhin war sie in der Lage, das Plakate wie das unter http://www.ekir.de/BadGodesberg-Voreifel/bgv_index_53819.php zu verstehen und sich rechtzeitig zu Veranstaltungsbeginn einzufinden. Um in die Kirche zu gelangen, musste man an einigen vierschrötigen Kerlen vom Sicherheitsdienst vorbei, die offenbar als ausgleichendes Element zur Liebe des HErrn gedacht waren, suchte sich in der mäßig gefüllten Kirche einen Platz und harrte der Dinge. Es ging los, und was dann passierte, gibt es in dieser Form ausschließlich bei Kirchens: Die Tontechnik versagte.

Um dieses Phänomen wirklich würdigen zu können, muss man sich die jahrtausendealten Erfahrungen in Erinnerung rufen, welche die Kirche in Sachen Akustik hat. Bereits ihr Religionsstifter hielt eine seiner wichtigsten Reden auf einem Berg, und als gerade kein Berg greifbar war, fuhr er auf einen See hinaus. In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich die Kunst des Kathedralenbaus, und stets achtete man bei der Gestaltung darauf, dass Orgel und Liturg gut zu hören waren.

Dann kam das 20. Jahrhundert, mit ihm der elektrische Strom und damit auch die Möglichkeit, Geräusche elektrisch zu verstärken. Es gab einige tapfere Versuche, sich dieser neuen Herausforderung zu stellen, aber im Wesentlichen ist man sich fremd geblieben. Als Ergebnis gibt es abgesehen vom Sonntagsgottesdienst keine größere Veranstaltung, bei der man nicht ernsthafte Schwierigkeiten hat, alle Akteure harmonisch aufeinander abgestimmt und so zu Gehör zu bringen, dass man nicht noch tagelang mit einem Tinnitus herumlauft. Die Ursachen hierfür sind komplex und dürften ein dankbares Forschungsgebiet abgeben. Mitunter gibt es einfach keinen Tontechniker. Dann wiederum gibt es einen, aber man wäre besser bedient, gäbe es ihn nicht. Gibt es einen guten Tontechniker, dann finden es die restlichen Akteure irgendwie also echt total uncool, vor der Veranstaltung einen sauberen Testdurchlauf durchzuführen. Gibt es gute Tontechniker und mitdenkende Akteure, dann ist der Gemeindesaal, in dem das alles stattfinden soll, bis 5 Minuten vor Veranstaltungsbeginn von der radikalfeministischen Lesbenyogagruppe belegt, die unter keinen Umständen bereit ist, ihr Kampfgebiet ausnahmsweise in die mehr als ausreichend dimensionierte Teestube zu verlegen.

Eine andere Marotte zeigt sich bei Kirchenveranstaltungen: Man will ja doch irgendwie Kirche sein, oder, netter gesagt: Man will christliches Profil zeigen. Deswegen kann man es nicht einfach damit bewenden lassen, fünf Bands auf die Bühne zu stellen, die dem Publikum ordentlich einheizen, nein, da muss unbedingt vorher noch jemand zwei angestaubte Jugendkreuzweglieder mit der Gemeinde zusammenklampfen. "Freund", mag man ihm entgegenrufen. "deine Begeisterung für die evangelische Kirche in allen Ehren, aber die Leute sind hier, um besungen zu werden, nicht selbst zu singen. Was soll das? Muss die Veranstaltung auf dem Papier ein Gottesdienst sein, damit die GEMA nicht zuschlägt? Dann jedoch sei die Frage erlaubt, warum ein harmloser Gottesdienst von Kleiderschränken bewacht wird, unter deren Mithilfe der Zweite Weltkrieg einen anderen Ausgang genommen hätte. Geht es aber nicht um juristische Tricksereien, sondern tatsächlich darum, Flagge zu zeigen, wage ich zu bezweifeln, dass diese Botschaft beim Publikum ankam. Ein Konzert ist ein Konzert, und alle vom Amtskirchgengewissen getriebenen Versuche, dem ein pastorales Feigenblättchen umzuhängen, können nur scheitern. Wenn du mir nicht glaubst, warte das Ende der Veranstaltung ab, zu dem ich später noch etwas sagen werde."

Es traten fünf verschiedene Gruppen auf, wobei das Spektrum von Alternative Punk mit offenbar überschaubarer Bühnenerfahrung über Soul-Jazz vom Feinsten bis hin zu professionell vorgetragenem Rock reichte. Wie Musikveranstaltungen üblich, bei denen das Publikum entscheidet, spielte der musikalische Aspekt weniger eine Rolle als der optische Eindruck. Anders ist nicht zu erklären, dass eine Kapelle den ersten Preis errang, deren Mitglieder im Durchschnitt elf Jahre alt sind, deren Kompositionen im Wesentlichen aus drei bis vier im 4/4-Takt angeschlagenen Akkorden bestehen und deren noch Jahre vom Stimmbruch entfernter Sänger verzweifelt wie Peter Maffay nach einer durchzechten Nacht zu klingen versucht. Altersgemäß sang er als Abräumer des Abends dann auch seine Fassung von "Backe, backe Kuchen" - ja, richtig gelesen - das aber mit so viel männlich-harter Lebenserfahrung in der Stimme, dass Ursula von der Leyen sofort die Eltern wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht belangen müsste.

Was die vier Angehörigen der Rolf-Zuckowsky-Zielgruppe noch musikalisch von echten Musikern trennen mag - im Posen konnten ihnen die anderen Gruppen nicht das Wasser reichen. Von einer Pressefotografin zur Aufstellung für ein Foto gebeten, erstarrten die vier prompt in einer Pose, gegen die Laokoon wie Bauerntheater wirkt.

Das Auditorium hatte also beschlossen, dass allein diese vier niedlichen, also wirklich sowas von niedlichen, also ich weiß gar nicht, wie ich's sagen soll, total süßen und knuffigen, den Rest lesen sie am Besten im Gästebuch auf deren Webseite nach - dass allein diese vier Künstler genügend Gewicht auf die Waage bringen, um Bonn und die beiden ihn umliegenden Kirchenkreise würdig repräsentieren zu können. Darauf einen Segen.

Den hatte man sich nämlich, guter kirchlicher Tradition folgend, ganz für den Schluss aufgehoben, für den Zeitpunkt, an dem alles gesagt ist und kein Mensch, zumindest keiner der anwesenden Teenager, auch nur das leiseste Interesse daran hat, ob da vorne noch einer mit den Armen wedelt und was vom HErnn erzählt. Die Leute gingen, und das war eine der wenigen guten Entscheidungen des Abends.