Mittwoch, 18. September 2013

Nichtwähler-FAQ

Zum Thema Nichtwählen habe ich mich schon an anderer Stelle ausgelassen. Da aber regelmäßig zu Wahlen die gleichen selbsternannten Querdenkerinnen auftauchen und mit gewichtiger Stimme verkünden, warum sie als wahre Widerstandskämpferinnen gegen das korrupte System ganz mutig nicht zur Wahl gehen, habe ich mich entschieden, die häufigsten Argumente aufzugreifen und zu schreiben, was ich davon halte.

"Es ist meine freie Entscheidung, nicht wählen zu gehen."

Natürlich ist es das, genau so, wie es meine freie Entscheidung ist, dein Verhalten dumm zu finden. Wenn du einfach nicht wähltest und dafür den Rest der Zeit den Mund hieltest, hätten wir auch keine Schwierigkeiten miteinander. Statt dessen liegst du mir die ganze Zeit jammernd in den Ohren, alles sei so schlimm. Nun, du hattest die Gelegenheit, es zu ändern. Du hast sie nicht wahrgenommen. Geh mir nicht auf die Nerven.

Bitte, jetzt drück nicht auf die Tränendrüse und wein mir was vor, ich "diskriminiere", ja schlimmer noch "bashe" dich. Die Freiheit, alles zu tun, umfasst nicht die Pflicht der Umstehenden, jeden Schwachsinn zu bejublen. Freiheit heißt nicht zuletzt, für die Folgen seines Tuns gerade zu stehen, und das kann eben auch heißen, sich von mir auslachen lassen zu müssen.

"Es ändert sich ja doch nichts."

Zugegeben, die Parteien boten in den letzten Jahrzehnten reichlich Anlass zur Enttäuschung. Als Rot-Grün Ende des letzten Jahrhunderts Schwarz-Gelb ablöste, dachten wir, jetzt käme der große Generationenwechsel, alles werde gut. Statt dessen bestand eine der ersten Entscheidungen darin, sich aktiv an einem Krieg zu beteiligen. Kurz darauf beschloss die gleiche Regierung ein ganzes Bündel verfassungswidriger "Sicherheitsgesetze". Kurz vor Ende ihrer Regierungszeit schaffte sie dann noch den Sozialstaat ab. Die dann folgene schwarz-rote Koalition wollte eigentlich niemand. Deswegen verzeihen wir es ihr sogar fast, dass sie die Internetzensur beschloss. Vom derzeitigen schwarz-gelben Bündnis erwartete niemand allzu viel, allenfalls, dass ihre Politik aus einem Guss sein werde. Statt dessen besticht sie durch Peinlichkeiten, Abwarten, Zaudern und Konfusion in einer Form, welche die Ära Kohl als eine Zeit radikaler Entschlossenheit erscheinen lässt. Egal, wie die nächste Regierung aussehen wird - ich zweifle nicht eine Sekunde daran, dass sie es ähnlich vergeigen wird.

Also einpacken und nach hause gehen? Nein, denn so funktioniert Demokratie nicht.

Der letzte Satz hatte eine schöne Doppelbedeutung. Tatsächlich funktioniert Demokartie so nicht. Jetzt. In diesem Moment. Die Leute glauben, Demokratie sei eine Art Luxusrestaurant, das zu besuchen man sich alle vier Jahre leisten kann. Dann schaut man andächtig auf die Karte, wählt mit Kennermiene ein Gericht aus und hat es dann in exakt der Form zu genießen, wie es sich der Vier-Sterne-Koch im seinem Refugium gedacht hat.

Genau das ist Quatsch. Demokratie ist die schmierige Pommesbude an der Ecke. Der unrasierte Typ hinter dem Tresen ist keinen Deut besser oder schlechter als du, und wenn der mal wieder Pamp serviert, dann langst du kurz rüber und erzählst ihm deine Meinung. Mehr sogar: Zur Not schubst du ihn beiseite und kochst deinen eigenen Kram. Du musst nur genug Leute finden, die dein Zeug essen wollen. Vielleicht stellst du dich beim Kochen furchtbar an, vielleicht schmeckt dein Essen genau so grässlich wie das der Anderen, aber es ist dein Essen. Du sorgst dafür, dass es gelingt.

Demokratie lebt von ständiger Einmischung. Wenn du den Eindruck hast, dass sich ein Raumschiff Bundestag gebildet hat, in dem eine abgehobene Abgeordnetenkaste weit entfernt vom Volk herumschwebt und ihr eigenes Leben lebt, dann liegt es daran, dass du es zugelassen hast - dass über Jahrzehnte hinweg dir nichts als Jammern einfiel. Zum Glück muss das Raumschiff gelegentlich zum Proviantholen landen. Sorgen wir dafür, dass es diesmal am Boden bleibt.

"Ich werde ein Signal setzen."


Wer streut eigentlich immer wieder dieses blödsinnige Gerücht, ungültig abgegebene Stimmen könnten abends in den Balkengrafiken bei ARD und ZDF auftauchen, wenn nur genügend entsprechend ankreuzen? Leute, wollt ihr mir denn mit aller Gewalt beweisen, dass wirklich jeder Depp wählen gehen darf? Die Sitzverteilung berechnet sich nach den abgegebenen gültigen Stimmen. So lange es auch nur eine einzige davon gibt, kommen sinnvolle Werte heraus, und niemand merkt etwas. Ihr könnt auch gern ellenlange Ergüsse auf den Stimmzettel kritzeln, warum ihr alles doof findet. Glaubt ihr ernsthaft, das liest sich jemand durch? Wie stellt ihr euch die Auszählung vor? Meint ihr, wir säßen da im Kreis, jemand entfaltet feierlich den Stimmzettel, ruft: "Gaudete! Höret die Stimme des Volkssouveräns!", verliest das Votum, und ein Mönch mit Gänsekiel protokolliert andächtig das Ergebnis auf Pergament? Ich habe über Jahrzehnte im Wahllokal gesessen. Abends beim Auszählen wollten wir vor allem eins: heim. Wir haben zugesehen, so schnell wie möglich fehlerfrei auszuzählen. Da guckt keiner, welche Pamphlete irgendein Wichtigtuer verfasst hat. Da zählt nur eins: gültig oder nicht? Geschwafel gehört zur Kategorie "ungültig", wird zwar auch zahlenmäßig erfasst, hat aber keine Auswirkung aufs Wahlergebnis.

"Ich bin Anarchistin."

Heißt: Du lehnst die parlamentarische Demokratie prinzipiell als Instrument der Entscheidungsfindung ab und möchtest ein anderes System herbei führen. Du magst dich wundern, aber das respektiere ich. Genauer: Ich respektiere es, so lange du deine Revolution nicht aufs Wohnzimmer oder den monatlichen Debattierklub beschränkst, wo ihr euch gegenseitig euer Leid klagt, sondern dich friedlich für eine Änderung des Systems einsetzt. 

Keine Kommentare: