Mittwoch, 3. Februar 2010

Die Grenzen des Rechtsstaats

Darf man nun oder darf man nicht? Ist es rechtens, ist es gerecht, ist es gerechtfertigt, dass die Bundesregierung eine CD kauft, auf der sich die Daten mutmaßlicher Steuerhinterzieher befinden - eine CD, deren Inhalt wahrscheinlich nicht auf legale Weise zustande kam?

In der Debatte schwingen mehrere Begriffe mit, derer man sich bewusst sein sollte, weil sie gern vermischt werden: Recht, Moral und Neid.

Fangen wir mit dem Neid an. Auf der einen Seite habe ich einen Bekannten, der einen Rechtsanwalt einschalten muss, damit ihm das bereits anerkannte Hartz-IV-Geld ausgezahlt wird. Der Deutlichkeit halber: Die lokalen Behörden bezweifeln nicht, dass er Anspruch auf das Geld hat, sie zahlen es einfach nicht und kommen mit den abenteuerlichsten Begründungen, was diesmal dazwischen kam. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die im Monat das Geld netto bekommen, das ich im Jahr brutto auf der Lohnsteuerkarte stehen habe und dafür erheblich weniger leisten müssen. Es ist mir unbegreiflich, wie Leute, die durch himmelschreiende Inkompetenz Firmen zugrunde gerichtet und Arbeiter in die Armut getrieben haben, Bonuszahlungen in Millionenhöhe kassieren. Auf dem Weg zur Arbeit muss ich jeden Morgen durch ein Villenviertel, und jeden Morgen frage ich mich, was die Eigentümer dieser Traumhäuser bitteschön so viel besser leisten als ich, das es rechtfertigt, sie in einem 20-Zimmer-Schloss und mich in einem Rattenloch wohnen zu lassen.

Wenn Sie begriffen haben, wie Kapitalismus funktioniert, hat Sie der letzte Absatz kalt gelassen. Vielleicht haben Sie Mitleid mit dem Hartz-IV-Empfänger, aber dass Leute unverschämt viel Geld für eine homöopathisch dosierte Leistung bekommen können, sehen Sie als Teil des Spiels an. Wenn jemand ein Vermögen dafür erhält, dass er ein funktionierendes Unternehmen in den Bankrott treibt, wer ist dann bitte der größere Idiot: derjenige, der das Geld annimmt oder der es ihm zahlt? Wenn jemand zu Ihnen käme und sagte: "Du hast auf deinem Posten total versagt? Super, hier hast du die Millionen" - lehnten Sie das Geld ab, weil es Ihnen ungerecht erschiene? Im Zweifelsfall könnte man doch gar nicht so schnell gucken, wie sie die Scheine weggesteckt haben.

Ganz eng mit dem Neid ist die Moral verwandt, die eben schon die ganze Zeit mitschwang. Mit welchem Recht muss sich mein Bekannter tagelang von Leitungswasser ernähren, während im Nobelrestaurant zwei Straßen weiter allein die Vorsuppe so viel Geld kostet, dass man sich bei Aldi davon Essen für eine Woche kaufen könnte? Wenn wir schon akzeptieren, dass solche Auswüchse einfach Teil des Systems sind, dann kann man doch wenigstens erwarten, dass die Leute, denen der Reichtum offenbar aus allen Taschen quillt, sich wenigstens an die Spielregeln halten, was unter anderem heißt, dass sie brav ihre Steuern zahlen.

Steuern sind ohnehin ein heikles Thema. Wenn Sie so wie ich einfacher Angestellter sind, haben Sie ohnehin kaum Spielraum. Im Prinzip haben Sie schon alles gezahlt, und es geht allenfalls darum, ob Sie durch geschickte Argumentation noch ein paar Euro zurückbekommen. Alles in allem reden wir vielleicht von einem Abendessen beim Griechen für zwei Personen. Wenn Sie die Steuererklärung so richtig frisieren könnten, Sie täten es, aber es lohnt sich einfach nicht.

Anders ist es bei den Leuten, die mutmaßlich auf der berühmten CD stehen. Hier geht es nicht um Hunderte oder Tausende, hier geht es um Millionen von Euro. Ab dieser Größenordnung kann man sinnvollerweise darüber nachdenken, Geld über merkwürdige Transaktionen in europäische Steueroasen zu verschieben. Wer reich genug für solche Spielereien ist, sollte eigentlich erwachsen genug sein, zu wissen, dass er damit dem Land, in dem er diesen Reichtum munter kassierte, Schaden zufügt. Auf den "Standort Deutschland" schimpfen viele, aber komischerweise hat keiner Schwierigkeiten, dort reich zu werden. Nur den Staat, der diesen Reichtum durch seine Infrastruktur erst ermöglichte und ihn durch ein bemerkenswertes Rechtssystem schützt, in Form von Steuern für seine Hilfe zu entlohnen, scheint zu viel verlangt.

Offenbar geht den großkalibrigen Steuerhinterziehen auch das Gefühl für Verhältnismäßigkeit verloren. Wenn man sich den berühmtesten Steuerhinterzieher der vergangenen Jahre, Klaus Zumwinkel, ansieht und vergleicht, wie klein der Teil seines Vermögens ist, den er über Liechtenstein an der Steuer vorbei schmuggeln wollte, fragt man sich, ob das alles wirklich den Ärger wert war. Natürlich, wir reden immer noch von Millionenbeträgen, aber bezogen auf Zumwinkels Gesamtreichtum ist es wenig. Wäre es nicht einfacher gewesen, dieses Geld gleich ordentlich zu versteuern?

Wahrscheinlich sind es blöde Fragen wie diese, die verhindern, dass ich Millionär werde.

Es geht also um Moral, es geht darum, dass aus moralischer Sicht Reichtum auch Verantwortung bedeutet. Schon das Grundgesetz sagt: Eigentum verpflichtet. Man muss kein Freund von Microsoft oder Bill Gates sein, aber die Entspanntheit, mit der Gates immer wieder Millionenbeträge für wohltätige Zwecke ausgibt, spricht natürlich für sagenhaften Reichtum aber eben auch dafür, dass dieser Mann die richtige Einstellung dazu hat.

Bis jetzt deutet alles darauf hin, die CD zu kaufen. Die Frage ist nur, ob man Daten, die dem Anschein nach illegal gesammelt wurden, verwerten darf.

Ob und in welchem Maß illegal ermittelte Fakten als Beweismittel in ein Gerichtsverfahren eingehen dürfen, ist in der Rechtsprechung nicht undbedingt laienverständlich aufgearbeitet. Als Faustregel kann man sagen: Widerrechtlich erhobenes Material hat keine Beweiskraft, kann aber als Ausgangspunkt genommen werden, um das gleiche Wissen mit legalen Mitteln zu erwerben. Der Spiegel argumentiert, der Staat greife im Zuge nachrichten- und geheimdienstlicher Operationen immer wieder zu unsauberen Mitteln, V-Leute arbeiteten so und außerdem sei Steuerhinterziehung derart asozial, dass man sich nicht so haben soll. Das ist es, was ich mit dem Vermischen meinte: Wir müssen zwischen dem differenzieren, was Recht ist und was wir als gerecht empfinden. Der reichen Pfeffersäcken so richtig zeigen, wo der Hammer hängt, mag ja vielleicht dem gesunden Volksempfinden entsprechen, aber zum Glück entscheiden Gerichte nicht mehr aufgrund dessen, was vom Marktplatz zu ihnen schallt. Dazu gehört, dass Beweise auf rechtem Weg zustande kommen. Das ist nicht etwa eine akademische Marotte weltferner Juristen, sondern die Verhinderung eines Dammbruchs. Andernfalls müsste man sich nämlich fragen, wo man die Grenzen zieht. Ist es dann vielleicht doch in Ordnung, ohne richterliche Kontrolle monatelang eine Wohnung zu verwanzen? Darf man vielleicht doch heimlich eine Hintertür auf dem Privatrechner installieren und nachsehen, ob etwas Feines zu finden ist? Kann man bei den Verhörmethoden nicht einmal etwas innovativer vorgehen? So einen Zahn kann man ja überall verlieren. Ich polemisiere? Sehen sie nach, was vor 20 Jahren noch als absolutes Tabu des Rechtsstaats galt und was wir seit 2001 als völlig legitime Mittel bei der (das Folgende mit Hall) Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Donnergrollen) wahlweise auch Kampf gegen das organisierte Verbrechen, Kinderpornografie, Drogenhandel, Kampfhunde, Killerspiele oder Gewaltvideos als Mittel akzeptieren. Hätte damals ein Innenminister gefordert, er wolle ständig Ihr Tagebuch lesen können und bei Knopfdruck auf 100 Meter genau wissen, wo Sie sich gerade aufhalten, hätte er zurücktreten müssen. Genau das ist es aber, was Bundestrojaner und Vorratsdatenspeicherung ermöglichen sollen, und gerade einmal einige Tausend von 80 Millionen Menschen regen sich darüber ernsthaft auf.

Leider verlaufen die Fronten bei der Diskussion nur zu klischeehaft: Die Wirtschaftsflügel der CDU und der FDP entdecken auf einmal den Datenschützer in sich und sind gegen den Kauf der CD, auf der anderen Seite sind die sich selbst als Anwälte des kleinen Mannes sehenden Verterter der SPD, Linken und GrünInnen dafür, immerhin sind Steuersünder fast schon sowas wie Terroristen.

Offenbar ist Datenschutz immer nur dann relevant, wenn es um den eigenen Kopf geht. Sobald man aber anderer Leute Schubladen durchwühlt, besiegt Voyeurismus den Rechtsstaat.

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