Es gibt Kombinationen von Zeitpunkten und Nachrichten, bei denen man allen Beteiligten mindestens zwei Wochen Zwangspause verordnen möchte, damit jeder Zeit hat, über die Sache nachzudenken. Terrormeldungen zum Jahreswechsel gehören in diese Kategorie. Beim Wort "Terrorismus" schalten die Leute ohnehin schon gern die höheren Hirnfunktionen ab, und wenn sie dann noch über die Feiertage reichlich Zeit haben, all das, was ihnen gerade durchs glühweindurchtränkte Stammhirn wabert, ins nächstbeste Mikrofon zu erbrechen, kann dabei nur Unsinn heraus kommen.
Die Situation in Kürze: Acht Jahre nach dem letzten Flugzeugattentat versucht wieder jemand, eine Maschine beim Landeanflug auf Detroit zu sprengen. Pech für ihn, Glück für die anderen Passagiere: Er ist zu dämlich, den Zünder auszulösen. An dieser Aufgabe scheiterten vor ihm auch die Leute, die den Regionalexpress nach Koblenz in die Luft jagen wollten. Was immer man den Jungs in den Ausbildungslagern beibringt, Bombenbauen ist es offenbar nicht.
Nun hätte man den gescheiterten Anschlag zum Anlass nehmen und in Ruhe darüber nachdenken können, welche Konsequenzen man daraus zieht. Statt dessen stürzt man sich auf schnelle Lösungen wie eine Rugbymannschaft auf den Ball. Wie üblich werden die Durchsuchungen an den Flughäfen verschärft, und ich wage die Vorhersage, dass man nur ein paar Wochen warten muss, bis die Sicherheitskräfte die Sache wieder etwas laxer sehen. Als wenn Anschläge grundsätzlich nur im Bündel aufträten und nach spätestens zwei Wochen kein Terrorist mehr Lust hat, Leute umzubringen. Das ist etwa genau so dämlich wie die Leute, die wie verrückt in die Eisen treten, nachdem sie von einer Radarfalle geblitzt wurden. Es mag euch ja intellektuell überfordern, Freunde, aber Geld spart man, wenn man deutlich vor der Falle bremst, nicht dahinter.
Einzelne Fluglinien erwägen jetzt, Handgepäck komplett zu verbieten. Politiker wie Vural Öger von der SPD schlagen in einem Interview vor, Medikamente und Flüssigkeiten nur noch nach vorherigem Antrag an Bord nehmen zu dürfen. Großartige Idee, am besten vier Wochen vorher, damit hätten wir bei dieser Gelegenheit auch diese lästigen Last-Minute-Flüge abgeschafft. Warum schicken wir die Passagiere nicht gleich nackt an Bord - oder, noch besser: Wir lassen gar keine Menschen mehr an Bord, die Maschine fliegt leer ans Ziel, und die Reisenden fahren mit einer Kutsche hinterher, wo sie dann reichlich Gelegenheit haben, sich an die Zeiten zu erinnern, als die Technik noch dem Menschen diente und nicht umgekehrt.
Auch in anderer Hinsicht ist Ögers Interview bemerkenswert. Wer es mit den rhetorischen Meisterwerken von der Leyens oder Schäubles vergleicht, stellt auffällige Ähnlichkeiten in der Wahl der sprachlichen Mittel fest. Da wird die böse Botschaft ("Wir wollen teures Spielzeug für eine Sicherheitssimulation und den ehrlichen Fluggast spüren lassen, wie willkürlich er uns ausgeliefert ist") gerade einmal in Halbsätzen angerissen, während jede Möglichkeit genutzt wird, blitzartig das Thema zu wechseln, sich in langen Monologen über unstrittige Fragen auszulassen ("Wir müssen die Ursachen des Terrorismus ergründen", "Ich bin für vereinfachte Kontrollen") und natürlich geht es immer wieder um das Wort "Sicherheit". Acht mal benutzt er es innerhalb weniger Minuten. Das Wort "Freiheit" fällt nur zweimal. Begriffe wie "Menschenwürde" oder "Persönlichkeitsrechte" gebraucht, wenn überhaupt, der die Fragen stellende Journalist Jasper Barenberg.
Als die ultimative Waffe gegen den internationalen Terrorismus gelten im Moment Nacktscanner. Wenn man erst den Passagieren bis auf die Haut gucken kann, so ist man überzeugt, dann können die auch nichts mehr an Bord schmuggeln. Einigen Leuten ist freilich nicht ganz wohl beim Gedanken, sich ungewollt nackt vor einem Flughafenmitarbeiter aufbauen zu müssen, weswegen auch schnell Order ausgegeben wurde, die Maschinen künftig Ganzkörperscanner zu nennen. Die gelieferten Bilder bleiben wohlgemerkt die gleichen, aber sie klingen doch gleich viel netter. Um noch einmal auf Öger zurück zu kommen: Er spricht von "fortschrittlicher Technik".
Bemerkenswert bedeckt halten sich derzeit die Fluggesellschaften. Für sie läuft es natürlich prächtig. Jedes Kilo, das nicht als Handgepäck an Bord darf, muss in die Koffer und dort möglicherweise extra bezahlt werden. Jeden Bedarfsgegenstand, den der Fluggast im Koffer lässt, muss er sich möglicherweise an Bord teuer besorgen. Völlig neue Geschäftsfelder eröffnen sich beispielsweise für Mietnotebooks, an denen die Leute während des Fluges arbeiten können. So trennt sich endlich wieder Spreu von Weizen. Der Student soll brav die Zeitung vom Vortag lesen, während der Herr Manager neben ihm die Geschicke seiner Firma leitet.
Wenn Sie wirklich und in Zahlen nachweisbar etwas dagegen unternehmen wollen, dass Leute getötet oder verkrüppelt werden, dann setzen Sie sich für besser ausgebildete Ärzte ein. Damit retten Sie allein in Deutschland jedes Jahr so viele Menschen, wie beim Anschlag auf das WTC starben. Verbieten Sie das Rauchen - nicht ein bisschen, mit Aufklebern und in Restaurants, nein komplett. Auf diese Weise retten jährlich Sie so vielen Deutschen das Leben, wie bei der Schlacht um Kiew ums Leben kamen. Sorgen Sie dafür, dass die Leute vernünftig Auto fahren, und Sie retten jedes Jahr eine Landstadt wie Heimbach im Kreis Düren. Gut, der kulturelle Verlust mag sich in Grenzen halten, wenn Heimbach von der Landkarte verschwände, aber es handelt sich immerhin um vier- bis fünftausend Menschen, die im Zweifelsfall lieber leben als tot herumliegen.
Das sind jetzt nur die Zahlen für Deutschland. Sorgen Sie weltweit für bessere Ärzte, weniger Drogen und vorsichtige Autofahrer, und al-Qaida hat keine Chance, die Zahl geretteter Leben auch nur halbwegs wieder wegzubomben.
Aber nein, statt dessen brauchen wir Nacktscanner - möglichst schnell, möglichst teuer, möglichst viele. Es geht ja nicht darum, real etwas zu unternehmen, um unsere Überlebenswahrscheinlichkeit zu erhöhen, es geht um Populismus und Aktionismus. Politiker lassen sich offenbar lieber neben teurem High-Tech-Krempel fotografieren als vor 100.000 durch ein Nichtraucherprogramm geretteten Menschen.
Noch einmal: Die einzig wirklich sicheren Flugzeuge stehen unbenutzt im Hangar. Sobald jedoch sich eines in die Luft erhebt, sprechen alle bislang bekannten Statistiken und Naturgesetze dafür, dass es irgendwann auch wieder unten ankommen wird. Die Frage ist nur wie sanft und in wie vielen Teilen. Nehmen wir für den Augenblick an, die Wahrscheinlichkeit einer sanften Wiederankunft ließe sich durch Eingangskontrollen wie für Gefängnisinsassen signifikant erhöhen. Dann bliebe die Frage, ob sich die Terroristen nicht einfach ein neues, leichteres Ziel aussuchen - Züge zum Beispiel. Ich weiß, die Diskussion, ob wir an den Bahnhöfen nicht ähnliche Sicherheitsmechanismen wie an Flughäfen installieren sollen, wurde schon geführt, aber die Frage ist so dümmlich, dass ich sie nur mit einem Satz würdige: Was meint ihr, worin der einzige verbliebene Vorteil von Zügen als Verkehrsmittel ist, wenn es schon nicht Geschwindigkeit oder Preis sind?
Doch selbst, wenn man jetzt auch eine Stunde vor Abfahrt eines Zuges durch die Kontrollen gelangt sein müsste, was will man als nächstes schützen? Kaufhäuser? Das Wiesbadener Kreuz? Vor Schulen haben wir ja bereits mit Eingangskontrollen angefangen, in Kinos werden wir mit Nachtsichtgeräten kontrolliert, und jede U-Bahn hat mehr Kameras als der Big-Brother-Container. Glauben wir ernsthaft, uns gegen jede denkbare Bedrohung schützen zu können? Müssen wir wirklich jede Zeitungsmeldung über ein paar durchgeknallte Bubis zum Anlass nehmen, unsere Regierungen mit aller Macht zum Ausbau des Überwachungsstaats aufzufordern? Sind Freiheit und Menschenwürde tatsächlich so furchtbare Dinge, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, sie loszuwerden?
Angst und Hysterie sind schlechte Ratgeber, aber wir haben sie zunehmend zur Richtschnur unseres Handelns erhoben. Ein jugendlicher Amokläufer hat vor seiner Tat Halflife gespielt - prompt wollen alle ein Verbot der "Killerspiele". Zwei asoziale Idioten schlagen einen Rentner zusammen - alles schreit nach flächendeckender Kameraüberwachung. Die Familienministerin winkt mit ein paar zusammengelogenen Zahlen über Kindesmissbrauch - sofort fordern alle die Internetzensur. Ein Mistkerl versagt beim Zünden einer Bombe - das Volk giert nach Nacktscannern. Wenn es bloß auf alle Fragen des Lebens so einfache Antworten gäbe. Doch die Welt ist komplizierter, und für die meisten Antworten braucht man nun einmal etwas länger als ein paar Stunden. Wir sollten uns diese Zeit nehmen.
In diesem Sinne: einen schönen Jahrswechsel.
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