Ab und zu habe ich äußerst ungern Recht.
Da wäre beispielsweise meine WG-Mitbewohnerin Sabine. Sie guckt immer etwas mitleidig, wenn ich mich am Küchentisch über Datenschutz in Rage rede. In ihren Augen sehen wir Alumützenträger die Sache viel zu verbissen. "Bleib locker", sagt sie gerne. "Glaubst Du wirklich, dass es in der realen Welt irgendwen gibt, den es stört, wenn seine Hauswand fotografiert wird? Irgendwen, der eure völlig verdreckte, unbenutzbare Verschlüsselungssoftware benutzt? Irgendwen, den es ernsthaft stört, dass seine Freunde auf Facebook sehen, was er gerade treibt? Was ihr Datenschutz-Heinis da veranstaltet, heißt am Ende, dass wir die ganze Zeit mit einer digitalen Burka rumrennen, nur damit ihr eure Angst vor dem Großen Bruder ausleben könnt." Ich halte dann immer meine generellen Bedenken dagegen, im Internet überhaupt irgendetwas von Relevanz über sich zu erzählen, weil es eigentlich immer einen Gauner gibt, der damit Unsinn anstellt. Sabine findet das albern. "Du hast Dich eindeutig zu viel mit Sicherheitsfragen beschäftigt", sagt sie. "Natürlich gibt es auch im Internet zwielichtige Typen, aber wenn man einigermaßen die Augen offen hält, kann nicht viel passieren."
Dann kam gestern.
"Mir ist da was Komisches passiert", erzählt Sabine. "Vor zwei Wochen bekomme ich eine SMS, jemand hätte mir eine MMS hinterlegt. Nun kann mein Telefon keine MMS verarbeiten, also habe ich den Link in der SMS in meinem Browser aufgerufen, die ID eingegeben, aber da war nichts. Jetzt bekomme ich auf einmal eine Mail, ich soll denen 80 € bezahlen." Wahrscheinlich - oder hoffentlich - stöhnen Sie gerade kollektiv auf. Nicht wieder diese Masche, nicht wieder dieser uralte Trick. Wo bleibt eigentlich unsere Verbraucherschutzministerin, wenn sie sich gerade einmal nicht bei Facebook abmeldet? Die Internetzensur haben sie im Jahr 2009 im Rekordtempo durchgeprügelt - ein Gesetz mit schweren handwerklichen Mängeln, aber immerhin: Wenn es um das große Posen geht, entwickelt selbst unsere ansonsten eher zum Aussitzen neigende Regierung fast so etwas wie Dynamik. Was war, als in Japan die Reaktoren zu glühen begannen? Da hat die gleiche Regierung, die noch kurz vorher der Atomlobby ein dreißig Jahre währendes Geschenk überreichte, auf einmal den Rentierpulliträger in sich entdeckt und ein rechtlich zwar völlig unsinniges Moratorium verkündet, aber zumindest gezeigt, dass es keinen Wind gibt, in den Schwarz-Gelb nicht sein Fähnchen respektive seine Windkraftanlagen hängt. Dass aber seit Jahrzehnten viertklassige Winkeladvokaten mit einer vor allem aus Chuzpe bestehenden Mischung juristisch haltloser Drohgebärden Geld aus all denen herauspressen, die nicht so wie ich Woche für Woche ihren Therapeuten mit neuen Wahnvorstelleungen über die Gefahren des Internet nerven, lässt in meinen Augen nur einen Schluss zu: zu wenig Presse, zu wenig Wählerstimmen, also egal.
Natürlich habe ich mir die Seite angesehen. Es war der klassiche Aufbau: Zwar steht der Kostenhinweis auf der Startseite, aber in einem Kästchen versteckt, das man selbst im Vollbildmodus nur dann sieht, wenn man scrollt und dann auch noch in einer Schriftgröße und einem Farbkontrast, der vor allem eins nahe legt: Hier will jemand mehr verschleiern als offenlegen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass weder der Link auf die AGB, noch auf das Impressum funktionieren. Gut, ein weiterer AGB-Link funktioniert dann, wenn man Javascript aktiviert, aber insgesamt ist es der klassische Seitenaufbau, den man vornimmt, um Leute über seine wahren Absichten im Dunkeln zu lassen.
Der Grund, warum ich überhaupt auf diese Masche weiter eingehe, ist auch nicht die bisher hinlänglich bekannte Methode. Die Firma hat sich einen, wie ich finde, sehr raffinierten Trick einfallen lassen. Sucht man nämlich bei Google nach dem Seitennamen und Stichworten wie "Betrug" oder "Abzocke", bekommt man vor allem Verweise auf sich selbst so titulierende Foren zur "Abzocke", in denen es vor allem um eines geht: Die vermeintliche Betrügerfirma hat Recht!
Oh, sollte hier ausnahmsweise einmal ein seriöser Anbieter zu Unrecht bezichtigt werden? Ist diesmal die Sache wirklich klar? Anscheinend schon, denn in den Foren schwärmen die Nutzer vom tollen und kulanten Service des Unternehmens, andere verweisen auf Gerichtsentscheidungen und Videos, in denen Staatsanwälte angeblich die Rechtmäßigkeit des Angebots bestätigen. Man sollte bei all dem allerdings eines unterlassen: Sich den Wortlaut genauer ansehen.
Bei dem scheinbaren Gerichtsentscheid handelt es sich nämlich nicht um ein Urteil, sondern um ein nicht näher spezifiziertes "Gerichtsverfahren", das vor allem nicht in einem Urteilsspruch, sondern angeblich damit endete, dass der Nutzer die Forderung anerkannte, nachdem er vom Gericht darauf hingewiesen wurde, dass eine Zahlungspflicht besteht, wenn im Angebot ausreichend deutlich auf die Kosten hingewiesen wird. Achtung: Es steht nirgendwo, dass dies beim Angebot dieser Firma der Fall ist. Ähnlich steht es um das Staatsanwalts-Video, bei dem vor allem auffällt, dass die gestellte Frage nicht vorkommt und die Antwort mehrere Schnitte enthält. Auch hier drängt sich der Eindruck auf, der Beitrag, so er denn überhaupt in irgendeiner Form authentisch ist, sei auf die Stellen reduziert worden, die eine bestimmte Aussage stützen sollen. Nüchtern betrachtet stellt der Staatsanwalt auch nur dar, wie er im Fall offenkundig unberechtigter oder nicht ausreichend begründeter Anklagen verfährt: Er ermittelt nicht weiter. Sprich: Er äußert sich zum formalen Vorgehen einer Behörde in einem angehenden Strafrechtsverfahren. Ob dies in irgendeiner Form mit dieser speziellen Firma in Verbindung steht, geht aus dem Beitrag nicht hervor. Zur Möglichkeit eines zivilrechtlichen Verfahrens äußert er sich auch nicht und vor allem: Gerichtsurteile sprechen in Deutschland Richter, keine Staatsanwälte.
Zu guter Letzt lohnt es sich, die Forenbeiträge zu lesen, die der scheinbar schuldlosen Firma Recht geben. Die ähneln sich nämlich auffällig. Ebenfalls verblüfft, wie einig sich die Autoren sind. Wer so wie ich häufiger in Foren zu diesem Themen geblättert hat, weiß, wie emotional da geschrieben und vor allem auch das Offensichtliche immer wieder in Frage gestellt wird. Beiträge wie die hier angesprochenen blieben in einem normalen Diskussionsforum nicht ohne Widerrede. Spannend ist auch, dass die sich im Sinne der Firma äußernden Foren keinen gesteigerten Wert darauf legen, darauf hinzuweisen, wer sie überhaupt betreibt. Ich weiß nicht, wie Sie es sehen, aber mir drängen sich dezente Zweifel auf, was die Unabhängigkeit dieser Angebote angeht.
Die Tricks der Seitenanbieter werden also geschickter. Das Google-Spamming beherrschen sie inzwischen also auch. Insgesamt kann ich nur das wiederholen, was ich in meinen Sicherheitsseminaren immer wieder sage: Misstrauen Sie im Internet jedem. Geben Sie Daten über sich selbst nur dann heraus, wenn es gar nicht anders geht, und schauen Sie in diesem Fall lieber dreimal nach, ob Sie nicht irgendwelche versteckten Kosten übersehen haben. Wenn Sie doch einmal in die Falle getappt sind: Nerven behalten. Wenn Sie mir nicht glauben - wozu Sie allen Grund haben - gehen Sie zur Verbraucherzentrale. Ein Besuch bei einem auf diesem Gebiet spezialisierten Anwalt kann auch nicht schaden. Und wie immer: Üben Sie politischen Druck aus. Regierungen neigen derzeit zu Nervosität, und wenn sie mitbekommen, wo sie ausnahmsweise auch einmal sinnvoll agieren können, besteht die Chance für eine Neuregelung im Sinne der Verbraucher
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