Freitag, 19. März 2010

"Das hat doch nichts mit Datenschutz zu tun"

Anja denkt nüchtern. Wenn Sie jemanden brauchen, der Sie auf den Teppich zurück holt, wenn Sie sich so richtig in Rage geredet haben, fragen Sie Anja. Ein Satz von ihr reicht, und Sie sehen die Welt gleich viel entspannter.

"Sieh's mal so", sagte sie, als ich ihr in einem längeren Monolog erzählt hatte, was ich von ihrer Payback-Karte halte. "Ich fühle mich einfach nicht unwohl bei dem Gedanken, dass Kaufhof weiß, was ich einkaufe. Es mag ja sein, dass die Gefahr besteht, dass die Daten in falsche Hände geraden, aber ich habe nicht den Eindruck, dass dies wirklich geschieht. Vielleicht interessieren sich die Leute gar nicht so sehr für den Kram, wie du immer befürchtest." Überhaupt kann sie meine Aufregung zu Datenschutzfragen nicht nachvollziehen. "Es passiert doch nicht wirklich etwas", lächelt sie. "Wenn auch nur ein Teil dessen eingetreten wäre, was Du mir vor 20 Jahren ins Ohr gejammert hast, als der maschinenlesbare Ausweis eingeführt wurde, dann wäre Deutschland ein einziges großes Gefängnis. Das ist es aber nicht. Was du als Überwachungsstaat ansiehst, finden die meisten Leute nicht schlimm. Du regst dich künstlich über Kleinigkeiten auf, und tief in dir drinnen weißt du, dass es weit wichtigere Dinge gibt." Kurz: Zu einer Bedrohung braucht man immer zwei: Einen, der sie ausübt, und einen, der sie empfindet. Eine Bedrohung, die nicht als solche empfunden wird, ist keine.

So wie Anja denken die meisten Menschen. Wir Datenschützer gelten als verschrobener Haufen, und nur wenige können nachempfinden, warum wir so ein Brimborium veranstalten. Was uns ganz offensichtlich fehlt, ist die "Killerapplikation", der klassische Fall aus dem realen Leben, bei dem jedem Nicht-Geek klar wird, worum es uns geht. Vielleicht habe ich einen von denen kürzlich erlebt.

Da rief mich Anja an: "Sag mal, wie stelle ich die Lesebestätigungen bei Windows Mail ab?" - "Was genau willst du, keine anfordern oder keine versenden?" - "Keine versenden." Ich erklärte es ihr, konnte mir dann aber nicht die Frage verkneifen: "Nur so aus Interesse, warum willst du keine Lesebestätigungen versenden? Bei uns Datenschützern ist die Frage ja klar, aber dass du dich auf einmal dafür interessierst, wundert mich." - "Ich will verhindern, dass die Leute wissen, wann ich eine Mail gelesen habe, weil sie dann erwarten, dass ich sofort antworte, aber ich will mich nicht drängen lassen." - "Guck mal, genau das ist genau das, was wir immer wieder sagen." - "Wieso? Das hat doch mit Datenschutz nichts zu tun."

In meinen Augen hat es sehr viel mit Datenschutz zu tun, nur dass es diesmal nicht um den bösen Überwachungsstaat, den Repressionsapparat und die Datensammelwut internationaler Großkonzerne geht - wir Datenschützer lieben das wuchtige Vokabular, drunter geht's nicht - sondern im persönlichen Umfeld ansetzt, dort, wo sich Leute vertrauen, sich nichts Böses wollen. Trotzdem hat man Geheimnisse voreinander - keine schlimmen, einfach nur die Uhrzeit, zu der man seine Mails liest. Man will sich einfach nicht unter Druck gesetzt fühlen.

Vielleicht müssen wir in der Datenschutzdiskussion weg von den großen Bedrohungszenarien, weg von der moralischen Keule.Vielleicht müssen wir viel mehr auf Alltagssituationen abzielen, banale Dinge wie Lesebestätigungen von Mails. Wenn wir es geschafft haben, das Bewusstsein für Datenschutz bei solchem Kleinkram zu wecken, dann können wir vielleicht auch irgendwann vermitteln, warum wir Vorratssdatenspeicherung für ganz großen Unfug halten.

2 Kommentare:

Akif Sahin hat gesagt…

Also ich kann irgendwie sowohl Anja als auch dich verstehen... Was mach ich denn jetzt nur? Ich nehm euch beide als die zwei Extreme wahr die es gibt... Völlige Gleichgültigkeit und extremes Engagement... Der Otto-Normal-Akif hält da einiges für sehr wichtig, anderes eher nicht...

Publikumsbeschimpfung hat gesagt…

Lieber Otto-Normal-Akif, die Wahrheit liegt im Zweifelsfall irgendwo dazwischen. In einem anderen Artikel habe ich vorher schon das Dilemma beschrieben, in dem ich den Datenschutz sehe: Wenn man ihn wirklich bis ins letzte Extrem treibt, führt er nicht zu mehr, sondern zu weniger Freiheit. Deswegen versuche ich, meine Position nicht mit der Keule durchzukämpfen, sondern Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist mühseliger, aber die Betroffenen sind am Ende mit dem Ergebnis zufriedener. Oder kürzer: Extremismus ist mir suspekt. Dir noch ein schönes Restwochenende!