Das erste, was im Krieg stirbt, ist bekanntlich die Wahrheit, und das erste, was im Wahlkampf stirbt, ist die Redlichkeit. Da in der Welt immer irgendwo Krieg herrscht und in der Bundesrepublik auch immer irgendeine Wahl ansteht, sind Wahrheit und Redlichkeit in diesem Land selten anzutreffende Tugenden. Einen Funken davon bekamen die Leser von Informationweek dieser Tage zu sehen, als Bundesinnenminister Schäuble neben der an Idiotie kaum noch zu überbietenden Platitüde vom "Internet als rechtsfreien Raum" in einem seiner wenigen ehrlichen Momente einräumte, das von Union und Spezialdemokraten durch die Instanzen gehetzte Internetverhinderungsgesetz könne vielleicht den einen oder anderen klitzekleinen Fehler haben und sei nicht zuletzt deswegen so hastig verabschiedet worden, damit die CDU im Wahlkampf punkten kann. Die Internetaktivisten reagierten prompt. Endlich bekamen sie das bestätigt, was sie die ganze Zeit schon vermutet hatten. Vom "Pakt mit dem Teufel" war die Rede, davon, dass die CDU mit der Einführung der Internetzensur die Büchse der Pandora geöffnet hat, nur um ein paar Stimmen zu ergaunern. Das ist zwar wahr, aber nur zum Teil.
Sehen wir uns den fraglichen Ausschnitt noch einmal an. Da heißt es: "Das Gesetz [...] sei [...] auch deshalb entstanden, um die CDU gegenüber anderen Parteien abzusetzen." Man achte auf das Wort "auch". Es ist nicht etwa so, dass wir die Internetzensur ohne Wahlkampf nie bekommen hätten. Sie kam nur etwas hastiger und etwas früher als geplant. Um dem Einen oder Anderen die Illusion zu nehmen: Der Innenminister ist nicht in Wirklichkeit ein dufter Kumpel, mit dem vor Wahlen vielleicht ein bisschen die Pferde durchgehen. Der Innenminister ist ein verbitterter, fanatischer und zutiefst traumatisierter Mann auf seinem persönlichen Kreuzzug gegen das Böse. Es gehört zu den größten Errungenschaften moderner Rechtsprechung, dass das Opfer nicht über seinen Täter richten darf, weil es nicht um individuelle Rache, sondern um Gerechtigkeit geht. In der Bundesrepublik ist dieses Prinzip ausgehebelt.
Es geht nicht um einen "Pakt mit dem Teufel". Das nämlich hieße, ein Übel in Kauf zu nehmen, um ein Gut zu erlangen. CDU und SPD jedoch wollten beides - dokumentierten Kindesmissbrauch verhindern und das böse Internet in den Griff bekommen. Der freie Datenverkehr war nicht die Seele, die sie an den Teufel verkaufen mussten, um arme Kinder zu retten - nein, die Internetzensur ist die bewusst eingesetzte Waffe, mit der man verhindern will, dass sich durch das Internet unsere Gesellschaft zu sehr ändert.
Eigentlich müssen wir sogar froh sein, dass die Internetzensur so hastig eingeführt wurde, weil wir so die Chance haben, dass das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht wegen seiner handwerklichen Fehler verhindert wird. Doch selbst dann sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. Stellvertretend für die CDU hat Schäuble die Richtung vorgegeben, und eine Parteiensimulation wie die FDP wird in ihrer Extase, endlich wieder Ministerposten zu bekleiden, sich einen Kehricht um ihr vollmundiges Wahlkampfgetöse scheren.
Es ist Zeit, sich den Parteien wieder in Erinnerung zu rufen - egal ob Wahlkampf oder nicht.