Die Koalitionsverhandlungen zum Thema innere Sicherheit sind abgeschlossen, und die Netzgemeinde feiert - ist doch auf den ersten Blick viel gewonnen: Die Internetzensur wird ein Jahr lang nicht umgesetzt. Statt dessen will man versuchen, illegale Inhalte beim Provider löschen zu lassen. Die bei der Vorratsdatenspeicherung angefallenen Daten sollen nur bei einer Gefahr für Leib und Leben ausgewertet werden dürfen. Beim BKA-Gesetz soll der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung etwas gestärkt werden. "Großartig", mag man sich denken. "Da hat sich die FDP ja weit gehend durchgesetzt und ihre Wahlversprechen eingelöst."
Wie man's nimmt.
Sehen wir uns die Verbesserungen im Detail an: Am BKA-Gesetz kommt es zu Änderungen in homöopathischen Dosen. Wer so wie ich nicht daran glaubt, dass sich die Wirkung einer Substanz durch extreme Verwässerung steigern lässt, wird sich fragen, was bei den äußerst schwammigen Formulierungen der von Schäuble und Leutheusser-Schnarrenberger einberufenen Pressekonferenz an konkreten Maßnahmen heraus kommen soll. Festgelegt hat man sich auf nichts. Schlimmer noch: Die Onlinedurchsuchung bleibt bestehen, ihre Hürden sollen nur etwas erhöht werden. Ohne jetzt die ganzen Argumente wieder hervor zu kramen: Bereits der Vorgang, Ideen abzufangen, die gerade einmal das Stadium einer hingekritzelten Textdatei haben und weit von jeder praktischen Umsetzung entfernt sind, überschreitet die Grenze zur Gedankenpolizei.
Die Vorratsdatenspeicherung bleibt erhalten - lediglich ergänzt um eine Auflage, es mit der Auswertung nicht zu übertreiben. Heißt: Jeder Telefonierer, jeder E-Mailschreiber, jeder Internetsurfer bleibt in den Augen der Bundesregierung terrorverdächtig und muss ständig überwacht werden.
Den lächerlichsten Sieg haben die FDP und die Netzgemeinde aber an dem Punkt errungen, den sie am meisten bejubelten: beim Interneterschwerungsgesetz. Hier hat sich kaum etwas geändert - ach, reden wir nicht drum herum: Nichts hat sich geändert. Das Gesetz durchläuft weiterhin das Gesetzgebungsverfahren und wird damit nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt geltendes Recht. Provider wie die Telekom haben bereits die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Zensurmaßnahmen getroffen und könnten jederzeit loslegen. Die Bundesregierung hat sich streng genommen nur darauf verständigt, das von ihr selbst beschlossene Gesetz einzuhalten und erst zu versuchen, eine Seite löschen zu lassen. Das einzige Zugeständnis an die Kritiker besteht darin, die Sperrlisten vorerst leer zu lassen und erst etwas später an die Provider zu schicken. Ein wichtiges Detail übersehen die Meisten hierbei: Das Gesetz behandelt ausdrücklich nur dokumentierten Kindesmissbrauch, und nur auf das Aufschieben dieser Sperren haben sich die Verhandlungspartner geeinigt. Es gibt aber noch so fantastisch viele andere Dinge, die man ebenfalls zensieren lassen kann, und für die man den bestehenden Gesetzestext nur geringfügig umschreiben muss: illegale Kopien, politischer Extremismus, religiöser Fundamentalismus, Terrorismus, Drogenhandel, Aufforderung zur Gewalt, Killerspiele, Kampfhundeseiten - man muss nur eines dieser Themen in den Medien ordentlich hochkochen und zusehen, wie das Volk nach zwei Wochen schreit, es müsse irgendetwas dagegen getan werden. Sehen Sie sich die Umfragen an. Die Leute stehen auf populistischen Aktionismus. Bürgerrechte sind ihnen schnuppe, so lange der Bezinpreis stimmt und man auf der Autobahn mit 230 km/h in ein Stauende preschen kann. Das ist Freiheit, nicht dieses rührselige Gejammer um ungehinderten Informationsfluss.
Es ist nicht so, als hätten die Piratenpartei, der FoeBuD, der AK Vorratsdatenspeicherung und der AK Zensur schlagartig ihre Aufgabe verloren. Sie haben es nur noch schwieriger, sich Gehör zu verschaffen, weil alle glauben, sie hätten gewonnen.