Die Aktion Mensch veranstaltet jährlich ein Filmfestival, in dem es generell um die Frage geht, wie wir unsere Welt und unser Leben gestalten wollen. In diesem Jahr geht es um Macht - wie sie funktioniert, wie sie ausgeübt wird, nötige und unnötige Regeln sowie die Frage, wie weit wir uns durch Andere bestimmen lassen wollen.
Datenschützer werden hellhörig, denn genau darum geht es bei der Grundrechtsdebatte: Wie viel Macht maßt sich die Regierung an, wofür braucht sie diese, und hat sie es möglicherweise schon zu weit getrieben?
Um diese Frage dreht es sich auch in der Dokumentation Strange Culture, der am 22.11. um 15 Uhr im Bonner Rex gezeigt wird. Der amerikanische Künstler Steve Kurtz wacht eines Morgens auf und stellt fest, dass seine Frau Hope tot neben ihm im Bett liegt. Die herbei gerufenen Rettungskräfte bemerken, wie im Haus Petrischalen mit Bakterienkulturen herumstehen und alarmieren das FBI, das kurz darauf in Schutzanzügen das Haus stürmt. Dass Kurtz in Vorbereitung einer Veranstaltung zu genetisch manipulierten Lebensmitteln vollkommen harmlose Bakterien ganz legal im Internet bestellt hat, geht in die Köpfe der Ermittler nicht hinein. Sie sehen nur ein Buch über Bioterrorismus und eine Einladung zu einer Kunstausstellung, auf der dummerweise auch noch ein paar arabische Schriftzeichen stehen. Damit ist die Sache klar: Kurtz plant einen biologischen Anschlag. Kurtz wird verhaftet.
Zwar stellt sich schnell heraus, dass Hope ganz schlicht an Herzversagen gestorben ist und dass man mit den Bakterienkulturen keinen Schaden anrichten kann, aber wenn die Mühlen erst einmal zu mahlen begonnen haben, dann mahlen sie eben, und wenn man einen Terroristen erst einmal am Wickel hat, dann bekommt man den schon irgendwie verurteilt - egal, weswegen.
Deswegen lautet die Anklage auch Betrug unter Ausnutzung des Postwesens. Immerhin wurden die Bakterienkulturen ja per Post verschickt. Was daran Betrug sein soll, wenn man harmlose Bakterien mit der Post transportieren lässt und wer überhaupt der Betrogene ist, bleibt offen. Hauptsache, man klagt erst einmal.
So absurd das Verfahren auch sein mag, so bezeichnend ist die Reaktion seines Umfelds. Seine eigenen Studenten weigern sich, eine Unterschriftenliste mit Solidaritätsadressen zu unterzeichnen - nicht, weil sie an seiner Unschuld zweifeln, sondern weil sie Angst haben, mit der Wahrnehmung ihrer Meinungsfreiheit anzuecken und Repressalien befürchten.
Der Film wirft viele Fragen auf: Warum war die Staatsanwaltschaft so versessen darauf, Kurtz zu verurteilen? Wollte man einen kritischen Geist ruhig stellen, wollte man sein eigenes Scheitern nicht eingestehen, hat man einfach im Rahmen der 9/11-Hysterie der Meinung nicht wahrhaben wollen, dass ungewöhnliches Verhalten keine Straftat ist? Kann uns Ähnliches auch in Deutschland blühen?
Wer Lust hat, über diese Fragen zu diskutieren, ist eingeladen, nach dem Film noch eine Weile zu bleiben. Als Referenten stehen neben Vertretern der Humanistischen Union und des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung auch der Kölner Rechtsanwalt und Netzaktivist Dominik Boecker zur Verfügung.
Sonntag, 25. Oktober 2009
Veranstaltungshinweis: Ringvorlesung Datenschutz in Bonn
Immer nur über das Geschehene schreiben, hat auf die Dauer auch keinen Wert, deshalb richtet sich der Blick jetzt nach vorn. In die Zukunft steht das Sinnen! Frischwärts! Aber hallo!
Da wären beispielsweise fünf Termine, die sich Datenschutzinteressierte im Kalender markieren sollten: Es handelt sich um die Ringvorlesung Datenschutz im Bonner B-IT. Die Referentenliste ist vom Feinsten: Klaus Brunnstein, Gerhart Baum, padeluun, Spiros Simitis und Knut Wenzel. Der letzte Name auf der Liste sagt mir offen gesagt nichts, was aber daran liegt, dass er katholischer Theologe und damit nicht das ist, woran man spontan denkt, wenn das Stichwort Bürgerrechte und IT fällt. Umso spannender ist sein Thema: "Theologische Vorbehalte gegenüber dem Willen zum totalen Wissen" Dass eine eher der Verkündigung und dem Bekenntnis zugeneigte Religion etwas zum Thema Privatsphäre zu sagen hat, liegt nicht unbedingt nahe, und ich bin gespannt, was Wenzel an Argumenten liefern wird.
Am 29.10. um 19.30 Uhr geht es im B-IT mit einem Vortrag Brunnsteins über den Schutz der Privatsphäre in Zeiten des Internet los. Details finden sich unter dem oben genannten Link. Ich kann nichts versprechen, aber ich habe sehr hohe Erwartungen an die Veranstaltungsreihe.
Da wären beispielsweise fünf Termine, die sich Datenschutzinteressierte im Kalender markieren sollten: Es handelt sich um die Ringvorlesung Datenschutz im Bonner B-IT. Die Referentenliste ist vom Feinsten: Klaus Brunnstein, Gerhart Baum, padeluun, Spiros Simitis und Knut Wenzel. Der letzte Name auf der Liste sagt mir offen gesagt nichts, was aber daran liegt, dass er katholischer Theologe und damit nicht das ist, woran man spontan denkt, wenn das Stichwort Bürgerrechte und IT fällt. Umso spannender ist sein Thema: "Theologische Vorbehalte gegenüber dem Willen zum totalen Wissen" Dass eine eher der Verkündigung und dem Bekenntnis zugeneigte Religion etwas zum Thema Privatsphäre zu sagen hat, liegt nicht unbedingt nahe, und ich bin gespannt, was Wenzel an Argumenten liefern wird.
Am 29.10. um 19.30 Uhr geht es im B-IT mit einem Vortrag Brunnsteins über den Schutz der Privatsphäre in Zeiten des Internet los. Details finden sich unter dem oben genannten Link. Ich kann nichts versprechen, aber ich habe sehr hohe Erwartungen an die Veranstaltungsreihe.
Nun also de Maizere
Nach Zimmermann meinte ich, es könne nicht schlimmer kommen,
und es kam Schäuble.
Nach Schäuble meinte ich, es könne nicht schlimmer kommen,
und es kam Kanther (Seiters muss ich übersehen haben).
Nach Kanther meinte ich, es könne nicht schlimmer kommen,
und es kam Schily.
Nach Schily meinte ich, es könne nicht schlimmer kommen,
und es kam noch einmal Schäuble.
Der war tatsächlich schlimmer als er selbst.
Jetzt meine ich, nach Schäuble könne es nicht mehr schlimmer kommen
und bin gespannt, wie de Maizere es schaffen mag, mich zu verblüffen.
und es kam Schäuble.
Nach Schäuble meinte ich, es könne nicht schlimmer kommen,
und es kam Kanther (Seiters muss ich übersehen haben).
Nach Kanther meinte ich, es könne nicht schlimmer kommen,
und es kam Schily.
Nach Schily meinte ich, es könne nicht schlimmer kommen,
und es kam noch einmal Schäuble.
Der war tatsächlich schlimmer als er selbst.
Jetzt meine ich, nach Schäuble könne es nicht mehr schlimmer kommen
und bin gespannt, wie de Maizere es schaffen mag, mich zu verblüffen.
Samstag, 24. Oktober 2009
Buchempfehlung: "Angriff auf die Freiheit"
Die letzten Monate waren turbulent, was das Thema Datenschutz und Bürgerrechte anbelangt. Beschränkte sich der Protest gegen Hackerparagraphen, Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz, RFID in Reisepässen und Fingerabdrücken in Personalausweisen vor allem auf die üblichen Bürgerrechtsgruppen, war bei der Internetzensur offenbar das Maß voll. Die Geeks gingen auf die Straße, und eine bis dahin als unbedeutender Spinnerverein belächelte Partei schaffte aus dem Stand heraus 2 Prozent bei der Bundestagswahl. Nun sind 2 Prozent kein politisches Erdbeben, selbst die SPD schafft noch mehr, bemerkenswert ist aber die mediale Aufmerksamkeit, die der Protest bekam. Offenbar haben weit mehr als die Wähler der Piratenpartei das Gefühl, dass es die Regierungen mit ihrem Kontrollwahn zu weit treiben.
In diese Stimmung hinein passt "Angriff auf die Freiheit". Juli Zeh und Ilja Trojanow, deren Schwerpunkt bisher eher auf Romanen lag, versuchen sich am politischen Sachbuch, und es gelingt ihnen auf Anhieb ein Standardwerk.
Wer die Diskussion um digitale Bürgerrechte der letzten Jahre verfolgt hat, wird nicht viel Neues finden, aber er findet das Bekannte ungewöhnlich kompakt und gut analysiert. Allein schon die 28 Seiten Anmerkungen am Ende des Buches sind eine wertvolle Quellensammlung, wenn man für eine Diskussion noch einmal herausfinden muss, wo die vielen Zahlen und Zitate, die einem im Kopf herum schwirren, genau herkommen.
Immer wieder dreht sich das Buch um Sprache. Sprache, die Terroristen die Menschenrechte verweigert. Sprache, die Technokratie mehr Wert einräumt als Demokratie. Sprache, die nicht mehr zwischen Verdächtigen und überführten Verbrechern unterscheidet. Sprache aber auch, mit der sich die Sprecher ungewollt entblößen - wie beispielsweise Wolfgang Bosbach, der noch 2007 E-Mails als "modernste IT-Technik" (Wofür steht eigentlich das "T" bei "IT?) ansah.
Die Sprache zeigt vor allem eins: Den Sprechern ist es völlig egal wie lächerlich sie sich bei denen machen, die ihnen genauer zuhören, so lange beim oberflächlichen Zuhörer der Eindruck hängen bleibt: "Mensch, der hat ja Recht. Wir brauchen unbedingt mehr Überwachung." Da stört es auch nicht weiter, wenn Jörg Ziercke seine Forderung, die Festplatten privater Computer durchsuchen zu können, mit "skrupellosen Kriminellen [die] ins Internet ausweichen" begründet, was mit lokalen Festplatten rein gar nichts zu tun hat. Ebenso findet es niemand daran, dass die mit herkömmlicher Technik erzielten Fahndungserfolge als Argument für weitere Handlungsbefugnisse herhalten müssen.
Zeh und Trojanow haben viele Zitate gesammelt und zerpflücken sie nacheinander. Dabei schlagen sie zwar einen scharfen Tonfall an, halten sich aber mit Polemik zurück. So bleibt am Ende ein engagierter Appell, sich gegen die ausufernde Staatsmacht zur Wehr zu setzen, der umso glaubwürdiger wirkt, weil die beiden Autoren stilistisch auf dem Teppich blieben.
"Angriff auf die Freiheit" eignet sich sowohl für Einsteiger, die sich einen Überblick verschaffen wollen, als auch für Leute, die sich schon lange im Thema bewegen und eine gut geschriebene Argumentationshilfe brauchen.
Ilja Trojanow, Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. Hanser, 14,90 €.
In diese Stimmung hinein passt "Angriff auf die Freiheit". Juli Zeh und Ilja Trojanow, deren Schwerpunkt bisher eher auf Romanen lag, versuchen sich am politischen Sachbuch, und es gelingt ihnen auf Anhieb ein Standardwerk.
Wer die Diskussion um digitale Bürgerrechte der letzten Jahre verfolgt hat, wird nicht viel Neues finden, aber er findet das Bekannte ungewöhnlich kompakt und gut analysiert. Allein schon die 28 Seiten Anmerkungen am Ende des Buches sind eine wertvolle Quellensammlung, wenn man für eine Diskussion noch einmal herausfinden muss, wo die vielen Zahlen und Zitate, die einem im Kopf herum schwirren, genau herkommen.
Immer wieder dreht sich das Buch um Sprache. Sprache, die Terroristen die Menschenrechte verweigert. Sprache, die Technokratie mehr Wert einräumt als Demokratie. Sprache, die nicht mehr zwischen Verdächtigen und überführten Verbrechern unterscheidet. Sprache aber auch, mit der sich die Sprecher ungewollt entblößen - wie beispielsweise Wolfgang Bosbach, der noch 2007 E-Mails als "modernste IT-Technik" (Wofür steht eigentlich das "T" bei "IT?) ansah.
Die Sprache zeigt vor allem eins: Den Sprechern ist es völlig egal wie lächerlich sie sich bei denen machen, die ihnen genauer zuhören, so lange beim oberflächlichen Zuhörer der Eindruck hängen bleibt: "Mensch, der hat ja Recht. Wir brauchen unbedingt mehr Überwachung." Da stört es auch nicht weiter, wenn Jörg Ziercke seine Forderung, die Festplatten privater Computer durchsuchen zu können, mit "skrupellosen Kriminellen [die] ins Internet ausweichen" begründet, was mit lokalen Festplatten rein gar nichts zu tun hat. Ebenso findet es niemand daran, dass die mit herkömmlicher Technik erzielten Fahndungserfolge als Argument für weitere Handlungsbefugnisse herhalten müssen.
Zeh und Trojanow haben viele Zitate gesammelt und zerpflücken sie nacheinander. Dabei schlagen sie zwar einen scharfen Tonfall an, halten sich aber mit Polemik zurück. So bleibt am Ende ein engagierter Appell, sich gegen die ausufernde Staatsmacht zur Wehr zu setzen, der umso glaubwürdiger wirkt, weil die beiden Autoren stilistisch auf dem Teppich blieben.
"Angriff auf die Freiheit" eignet sich sowohl für Einsteiger, die sich einen Überblick verschaffen wollen, als auch für Leute, die sich schon lange im Thema bewegen und eine gut geschriebene Argumentationshilfe brauchen.
Ilja Trojanow, Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. Hanser, 14,90 €.
Sonntag, 18. Oktober 2009
Aufgeschoben ist nicht
Die Koalitionsverhandlungen zum Thema innere Sicherheit sind abgeschlossen, und die Netzgemeinde feiert - ist doch auf den ersten Blick viel gewonnen: Die Internetzensur wird ein Jahr lang nicht umgesetzt. Statt dessen will man versuchen, illegale Inhalte beim Provider löschen zu lassen. Die bei der Vorratsdatenspeicherung angefallenen Daten sollen nur bei einer Gefahr für Leib und Leben ausgewertet werden dürfen. Beim BKA-Gesetz soll der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung etwas gestärkt werden. "Großartig", mag man sich denken. "Da hat sich die FDP ja weit gehend durchgesetzt und ihre Wahlversprechen eingelöst."
Wie man's nimmt.
Sehen wir uns die Verbesserungen im Detail an: Am BKA-Gesetz kommt es zu Änderungen in homöopathischen Dosen. Wer so wie ich nicht daran glaubt, dass sich die Wirkung einer Substanz durch extreme Verwässerung steigern lässt, wird sich fragen, was bei den äußerst schwammigen Formulierungen der von Schäuble und Leutheusser-Schnarrenberger einberufenen Pressekonferenz an konkreten Maßnahmen heraus kommen soll. Festgelegt hat man sich auf nichts. Schlimmer noch: Die Onlinedurchsuchung bleibt bestehen, ihre Hürden sollen nur etwas erhöht werden. Ohne jetzt die ganzen Argumente wieder hervor zu kramen: Bereits der Vorgang, Ideen abzufangen, die gerade einmal das Stadium einer hingekritzelten Textdatei haben und weit von jeder praktischen Umsetzung entfernt sind, überschreitet die Grenze zur Gedankenpolizei.
Die Vorratsdatenspeicherung bleibt erhalten - lediglich ergänzt um eine Auflage, es mit der Auswertung nicht zu übertreiben. Heißt: Jeder Telefonierer, jeder E-Mailschreiber, jeder Internetsurfer bleibt in den Augen der Bundesregierung terrorverdächtig und muss ständig überwacht werden.
Den lächerlichsten Sieg haben die FDP und die Netzgemeinde aber an dem Punkt errungen, den sie am meisten bejubelten: beim Interneterschwerungsgesetz. Hier hat sich kaum etwas geändert - ach, reden wir nicht drum herum: Nichts hat sich geändert. Das Gesetz durchläuft weiterhin das Gesetzgebungsverfahren und wird damit nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt geltendes Recht. Provider wie die Telekom haben bereits die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Zensurmaßnahmen getroffen und könnten jederzeit loslegen. Die Bundesregierung hat sich streng genommen nur darauf verständigt, das von ihr selbst beschlossene Gesetz einzuhalten und erst zu versuchen, eine Seite löschen zu lassen. Das einzige Zugeständnis an die Kritiker besteht darin, die Sperrlisten vorerst leer zu lassen und erst etwas später an die Provider zu schicken. Ein wichtiges Detail übersehen die Meisten hierbei: Das Gesetz behandelt ausdrücklich nur dokumentierten Kindesmissbrauch, und nur auf das Aufschieben dieser Sperren haben sich die Verhandlungspartner geeinigt. Es gibt aber noch so fantastisch viele andere Dinge, die man ebenfalls zensieren lassen kann, und für die man den bestehenden Gesetzestext nur geringfügig umschreiben muss: illegale Kopien, politischer Extremismus, religiöser Fundamentalismus, Terrorismus, Drogenhandel, Aufforderung zur Gewalt, Killerspiele, Kampfhundeseiten - man muss nur eines dieser Themen in den Medien ordentlich hochkochen und zusehen, wie das Volk nach zwei Wochen schreit, es müsse irgendetwas dagegen getan werden. Sehen Sie sich die Umfragen an. Die Leute stehen auf populistischen Aktionismus. Bürgerrechte sind ihnen schnuppe, so lange der Bezinpreis stimmt und man auf der Autobahn mit 230 km/h in ein Stauende preschen kann. Das ist Freiheit, nicht dieses rührselige Gejammer um ungehinderten Informationsfluss.
Es ist nicht so, als hätten die Piratenpartei, der FoeBuD, der AK Vorratsdatenspeicherung und der AK Zensur schlagartig ihre Aufgabe verloren. Sie haben es nur noch schwieriger, sich Gehör zu verschaffen, weil alle glauben, sie hätten gewonnen.
Wie man's nimmt.
Sehen wir uns die Verbesserungen im Detail an: Am BKA-Gesetz kommt es zu Änderungen in homöopathischen Dosen. Wer so wie ich nicht daran glaubt, dass sich die Wirkung einer Substanz durch extreme Verwässerung steigern lässt, wird sich fragen, was bei den äußerst schwammigen Formulierungen der von Schäuble und Leutheusser-Schnarrenberger einberufenen Pressekonferenz an konkreten Maßnahmen heraus kommen soll. Festgelegt hat man sich auf nichts. Schlimmer noch: Die Onlinedurchsuchung bleibt bestehen, ihre Hürden sollen nur etwas erhöht werden. Ohne jetzt die ganzen Argumente wieder hervor zu kramen: Bereits der Vorgang, Ideen abzufangen, die gerade einmal das Stadium einer hingekritzelten Textdatei haben und weit von jeder praktischen Umsetzung entfernt sind, überschreitet die Grenze zur Gedankenpolizei.
Die Vorratsdatenspeicherung bleibt erhalten - lediglich ergänzt um eine Auflage, es mit der Auswertung nicht zu übertreiben. Heißt: Jeder Telefonierer, jeder E-Mailschreiber, jeder Internetsurfer bleibt in den Augen der Bundesregierung terrorverdächtig und muss ständig überwacht werden.
Den lächerlichsten Sieg haben die FDP und die Netzgemeinde aber an dem Punkt errungen, den sie am meisten bejubelten: beim Interneterschwerungsgesetz. Hier hat sich kaum etwas geändert - ach, reden wir nicht drum herum: Nichts hat sich geändert. Das Gesetz durchläuft weiterhin das Gesetzgebungsverfahren und wird damit nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt geltendes Recht. Provider wie die Telekom haben bereits die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Zensurmaßnahmen getroffen und könnten jederzeit loslegen. Die Bundesregierung hat sich streng genommen nur darauf verständigt, das von ihr selbst beschlossene Gesetz einzuhalten und erst zu versuchen, eine Seite löschen zu lassen. Das einzige Zugeständnis an die Kritiker besteht darin, die Sperrlisten vorerst leer zu lassen und erst etwas später an die Provider zu schicken. Ein wichtiges Detail übersehen die Meisten hierbei: Das Gesetz behandelt ausdrücklich nur dokumentierten Kindesmissbrauch, und nur auf das Aufschieben dieser Sperren haben sich die Verhandlungspartner geeinigt. Es gibt aber noch so fantastisch viele andere Dinge, die man ebenfalls zensieren lassen kann, und für die man den bestehenden Gesetzestext nur geringfügig umschreiben muss: illegale Kopien, politischer Extremismus, religiöser Fundamentalismus, Terrorismus, Drogenhandel, Aufforderung zur Gewalt, Killerspiele, Kampfhundeseiten - man muss nur eines dieser Themen in den Medien ordentlich hochkochen und zusehen, wie das Volk nach zwei Wochen schreit, es müsse irgendetwas dagegen getan werden. Sehen Sie sich die Umfragen an. Die Leute stehen auf populistischen Aktionismus. Bürgerrechte sind ihnen schnuppe, so lange der Bezinpreis stimmt und man auf der Autobahn mit 230 km/h in ein Stauende preschen kann. Das ist Freiheit, nicht dieses rührselige Gejammer um ungehinderten Informationsfluss.
Es ist nicht so, als hätten die Piratenpartei, der FoeBuD, der AK Vorratsdatenspeicherung und der AK Zensur schlagartig ihre Aufgabe verloren. Sie haben es nur noch schwieriger, sich Gehör zu verschaffen, weil alle glauben, sie hätten gewonnen.
Sonntag, 11. Oktober 2009
Mehr als nur Stimmenfang
Das erste, was im Krieg stirbt, ist bekanntlich die Wahrheit, und das erste, was im Wahlkampf stirbt, ist die Redlichkeit. Da in der Welt immer irgendwo Krieg herrscht und in der Bundesrepublik auch immer irgendeine Wahl ansteht, sind Wahrheit und Redlichkeit in diesem Land selten anzutreffende Tugenden. Einen Funken davon bekamen die Leser von Informationweek dieser Tage zu sehen, als Bundesinnenminister Schäuble neben der an Idiotie kaum noch zu überbietenden Platitüde vom "Internet als rechtsfreien Raum" in einem seiner wenigen ehrlichen Momente einräumte, das von Union und Spezialdemokraten durch die Instanzen gehetzte Internetverhinderungsgesetz könne vielleicht den einen oder anderen klitzekleinen Fehler haben und sei nicht zuletzt deswegen so hastig verabschiedet worden, damit die CDU im Wahlkampf punkten kann. Die Internetaktivisten reagierten prompt. Endlich bekamen sie das bestätigt, was sie die ganze Zeit schon vermutet hatten. Vom "Pakt mit dem Teufel" war die Rede, davon, dass die CDU mit der Einführung der Internetzensur die Büchse der Pandora geöffnet hat, nur um ein paar Stimmen zu ergaunern. Das ist zwar wahr, aber nur zum Teil.
Sehen wir uns den fraglichen Ausschnitt noch einmal an. Da heißt es: "Das Gesetz [...] sei [...] auch deshalb entstanden, um die CDU gegenüber anderen Parteien abzusetzen." Man achte auf das Wort "auch". Es ist nicht etwa so, dass wir die Internetzensur ohne Wahlkampf nie bekommen hätten. Sie kam nur etwas hastiger und etwas früher als geplant. Um dem Einen oder Anderen die Illusion zu nehmen: Der Innenminister ist nicht in Wirklichkeit ein dufter Kumpel, mit dem vor Wahlen vielleicht ein bisschen die Pferde durchgehen. Der Innenminister ist ein verbitterter, fanatischer und zutiefst traumatisierter Mann auf seinem persönlichen Kreuzzug gegen das Böse. Es gehört zu den größten Errungenschaften moderner Rechtsprechung, dass das Opfer nicht über seinen Täter richten darf, weil es nicht um individuelle Rache, sondern um Gerechtigkeit geht. In der Bundesrepublik ist dieses Prinzip ausgehebelt.
Es geht nicht um einen "Pakt mit dem Teufel". Das nämlich hieße, ein Übel in Kauf zu nehmen, um ein Gut zu erlangen. CDU und SPD jedoch wollten beides - dokumentierten Kindesmissbrauch verhindern und das böse Internet in den Griff bekommen. Der freie Datenverkehr war nicht die Seele, die sie an den Teufel verkaufen mussten, um arme Kinder zu retten - nein, die Internetzensur ist die bewusst eingesetzte Waffe, mit der man verhindern will, dass sich durch das Internet unsere Gesellschaft zu sehr ändert.
Eigentlich müssen wir sogar froh sein, dass die Internetzensur so hastig eingeführt wurde, weil wir so die Chance haben, dass das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht wegen seiner handwerklichen Fehler verhindert wird. Doch selbst dann sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. Stellvertretend für die CDU hat Schäuble die Richtung vorgegeben, und eine Parteiensimulation wie die FDP wird in ihrer Extase, endlich wieder Ministerposten zu bekleiden, sich einen Kehricht um ihr vollmundiges Wahlkampfgetöse scheren.
Es ist Zeit, sich den Parteien wieder in Erinnerung zu rufen - egal ob Wahlkampf oder nicht.
Sehen wir uns den fraglichen Ausschnitt noch einmal an. Da heißt es: "Das Gesetz [...] sei [...] auch deshalb entstanden, um die CDU gegenüber anderen Parteien abzusetzen." Man achte auf das Wort "auch". Es ist nicht etwa so, dass wir die Internetzensur ohne Wahlkampf nie bekommen hätten. Sie kam nur etwas hastiger und etwas früher als geplant. Um dem Einen oder Anderen die Illusion zu nehmen: Der Innenminister ist nicht in Wirklichkeit ein dufter Kumpel, mit dem vor Wahlen vielleicht ein bisschen die Pferde durchgehen. Der Innenminister ist ein verbitterter, fanatischer und zutiefst traumatisierter Mann auf seinem persönlichen Kreuzzug gegen das Böse. Es gehört zu den größten Errungenschaften moderner Rechtsprechung, dass das Opfer nicht über seinen Täter richten darf, weil es nicht um individuelle Rache, sondern um Gerechtigkeit geht. In der Bundesrepublik ist dieses Prinzip ausgehebelt.
Es geht nicht um einen "Pakt mit dem Teufel". Das nämlich hieße, ein Übel in Kauf zu nehmen, um ein Gut zu erlangen. CDU und SPD jedoch wollten beides - dokumentierten Kindesmissbrauch verhindern und das böse Internet in den Griff bekommen. Der freie Datenverkehr war nicht die Seele, die sie an den Teufel verkaufen mussten, um arme Kinder zu retten - nein, die Internetzensur ist die bewusst eingesetzte Waffe, mit der man verhindern will, dass sich durch das Internet unsere Gesellschaft zu sehr ändert.
Eigentlich müssen wir sogar froh sein, dass die Internetzensur so hastig eingeführt wurde, weil wir so die Chance haben, dass das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht wegen seiner handwerklichen Fehler verhindert wird. Doch selbst dann sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. Stellvertretend für die CDU hat Schäuble die Richtung vorgegeben, und eine Parteiensimulation wie die FDP wird in ihrer Extase, endlich wieder Ministerposten zu bekleiden, sich einen Kehricht um ihr vollmundiges Wahlkampfgetöse scheren.
Es ist Zeit, sich den Parteien wieder in Erinnerung zu rufen - egal ob Wahlkampf oder nicht.
Samstag, 10. Oktober 2009
Why can't they shut up?
Oft habe ich es in den vergangenen Wochen geschrieben und damit auch stets eine Hoffnung verbunden: Es war Wahlkampf, Betonung auf "war". Jetzt dürfen wir alle wieder vernünftiges Zeug reden, auch prominente Politiker. Ob auf deutsch oder auf englisch, egal, Hauptsache, nach langer Zeit wieder etwas mit einem Funken Verstand.
Damit dürfte klar sein, worauf ich hinaus will: Guido Westerwelle, ein Drama in drei Akten.
Erster Akt: Westerwelle spricht englisch - holprig, mit starkem Akzent, und man muss das Video schon einige Male ansehen, um eine Vorstellung zu bekommen, was der Mann überhaupt sagen will. Andererseits: Ist es so ungewöhnlich, bei einer Politikeräußerung keine Ahnung zu haben, worum es geht? Ich bin überzeugt, Westerwelle hätte in feinstem Hochdeutsch reden können, semantisch wäre nicht mehr als in der englischen Fassung herum gekommen. So bemitleidenswert Westerwelles Ringen mit der englischen Sprache auch sein mag - ich habe von wesentlich gebildeteren Menschen schon wesentlich schlechteres Englisch gehört, und ich wüsste gern, wie sich die Leute, die sich am lautesten mokieren, in einer Situation schlagen, in der sie auf eine Frage eingehen müssen, zu der ihnen nichts einfällt und dabei sich auch noch einer Fremdsprache bedienen sollen. Er hat es wenigstens versucht, und so schlimm, wie allseits behauptet, fand ich es nicht. Es mag ja sein, dass es nicht "second last or third last", sondern "second to last or third to last" heißt, aber wegen einer ausgelassenen Präposition rege ich mich nicht auf.
Zweiter Akt: Westerwelle spricht kein englisch. Irgendwer muss dem ansonsten von jeder Selbstkritik ungefährdeten kommenden Außenminister erzählt haben, dass sein Ausflug in die englische Sprache noch Potenzial nach oben hatte. Das muss dem Mann, der sonst keine Gelegenheit auslässt, sein von der Faktenlage gänzlich losgelöstes Selbstbewusstsein zur Schau zu stellen, innerlich so zugesetzt haben, dass er bei seiner ersten großen Pressekonferenz nach der Wahl um jeden Preis vermeiden wollte, englisch zu sprechen. So weit ist nichts einzuwenden. Die Frage ist nur, wie man die Sache verkauft. Mit einem Funken Verstand und Diplomatie hätte der künftige oberste Diplomat einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt etwa sagen können: "Bitte entschuldigen Sie, damit ich Ihre Frage angemessen beantworten kann, möchte ich gerne einen Dolmetscher hinzu ziehen." Statt dessen bürstet Westerwelle mit der Attitüde eines frisch gebackenen Abiturienten den BBC-Reporter ab. In der Sache vielleicht noch verständlich, aber mit Sätzen wie "Es ist Deutschland hier" völlig inakzeptabel. Das scheint dem smarten Strahlemann von der FDP auch ansatzweise klar geworden zu sein, als er seinen Sätzen nur noch resigniert nachhorchen konnte. Um den Scherbenhaufen, den er als Elefant im Porzellanladen soeben hinterlassen hatte, notdürftig beiseite zu wischen, bot er dem Journalisten hastig an, sich nachher "bei einer Tasse Tee" noch auf englisch zu unterhalten und fegte bei dieser Wendung mit seinem Riesensäugergesäß gleich die nächste Regalreihe um - denn nichts brauchten die Briten in diesem Moment weniger, als auf das Klischee der teetrinkenden Volltrottel zurück geworfen zu werden. Besser kann man sich für das Amt des Außenministers nicht disqualifizieren.
Dritter Akt: Cem Özdemir rettet die deutsche Ehre. Guido hat's wieder mal gerissen, darüber war man sich einig. Doch anstatt die Sache damit auf sich bewenden zu lassen und abzuwarten, wie erneut der Beweis angetreten wird, dass in diesem Land auch wirklich jeder Außenminister werden kann, meint die Liga der politisch korrekten Gentlemen unter ihrem Mastermind Cem Özdemir, noch einen drauf setzen zu müssen. In einem weiteren Video bittet Özdemir im Namen aller guten DeutschInnen die BBC um Vergebung. Ehrlich. Aufrichtig. Mit Dackelblick. Und perfekt einstudiertem Englisch mit US-amerikanischem Akzent. Ganz, ganz toll. Ja, das müssten wir jetzt wohl die nächsten vier Jahre lang ertragen, aber dann, bei der nächsten Wahl, da kämen die GrünInnen zurück, und dann sei die Zeit der Finsternis vorbei.
Mit Verlaub, geht's noch? Westerwelle mag ja vielleicht nicht der Hellste sein, aber wir haben schon ganz andere Repräsentanten überlebt. Es ist auch nicht so, als hätten mit CDU und FDP Voldemort und Sauron zugleich die Macht übernommen, und wir seien gezwungen, jene düstren Jahre zu durchleiden, bis dann der Ami oder eine andere höhere Macht uns befreien. Wir leben in einer Demokratie, auch wenn so mancher Minister an deren Beseitigung arbeitet. Ein Wahlergebnis ist kein Gottesurteil, das man mit demütig gesenktem Kopf hinnimmt, sondern nur eine grobe Richtungsangabe. Es ist unsere Aufgabe als Volkssouverän, ständig kontrollierend und korrigierend in diese Weichenstellung einzugreifen. Ansprachen, die geistig aus einer Zeit vor 20 Jahren stammen, in der an den Hauswänden Sprüche wie "AusländerInnen! Lasst und mit diesen Deutschen nicht allein!" standen, sind eine possierliche Staffage fürs Haus der Geschichte, aber doch bitte kein ernst zu nehmender politischer Appell der Gegenwart. Die gaussche Normalverteilung gilt für Deutsche wie auch andere Menschen in gleicher Weise. Es gibt schlaue Menschen und dumme, integre Menschen und Lumpen, und ihr Pass hat mit Sicherheit keinen Einfluss darauf. Wer gelegentlich Nachrichten liest, wird feststellen, dass es kein Privileg von Guido Westerwelle ist, entsetzlich dummes Zeug zu reden. Das können Andere auch, und zwar reichlich. Der Einzige, der Grund hätte, sich für sein dämliches Gerede zu entschuldigen, wäre Westerwelle selbst. Das Letzte, was wir brauchen, ist noch ein weiterer vorlauter Streber, der meint, sich und stellvertretend die ganze Nation für die Peinlichkeiten eines Politclowns entschuldigen zu müssen und bei der Gelegenheit zu zeigen, wie toll er doch englisch kann.
Sic tacuisses, philosophus mansisses.
Damit dürfte klar sein, worauf ich hinaus will: Guido Westerwelle, ein Drama in drei Akten.
Erster Akt: Westerwelle spricht englisch - holprig, mit starkem Akzent, und man muss das Video schon einige Male ansehen, um eine Vorstellung zu bekommen, was der Mann überhaupt sagen will. Andererseits: Ist es so ungewöhnlich, bei einer Politikeräußerung keine Ahnung zu haben, worum es geht? Ich bin überzeugt, Westerwelle hätte in feinstem Hochdeutsch reden können, semantisch wäre nicht mehr als in der englischen Fassung herum gekommen. So bemitleidenswert Westerwelles Ringen mit der englischen Sprache auch sein mag - ich habe von wesentlich gebildeteren Menschen schon wesentlich schlechteres Englisch gehört, und ich wüsste gern, wie sich die Leute, die sich am lautesten mokieren, in einer Situation schlagen, in der sie auf eine Frage eingehen müssen, zu der ihnen nichts einfällt und dabei sich auch noch einer Fremdsprache bedienen sollen. Er hat es wenigstens versucht, und so schlimm, wie allseits behauptet, fand ich es nicht. Es mag ja sein, dass es nicht "second last or third last", sondern "second to last or third to last" heißt, aber wegen einer ausgelassenen Präposition rege ich mich nicht auf.
Zweiter Akt: Westerwelle spricht kein englisch. Irgendwer muss dem ansonsten von jeder Selbstkritik ungefährdeten kommenden Außenminister erzählt haben, dass sein Ausflug in die englische Sprache noch Potenzial nach oben hatte. Das muss dem Mann, der sonst keine Gelegenheit auslässt, sein von der Faktenlage gänzlich losgelöstes Selbstbewusstsein zur Schau zu stellen, innerlich so zugesetzt haben, dass er bei seiner ersten großen Pressekonferenz nach der Wahl um jeden Preis vermeiden wollte, englisch zu sprechen. So weit ist nichts einzuwenden. Die Frage ist nur, wie man die Sache verkauft. Mit einem Funken Verstand und Diplomatie hätte der künftige oberste Diplomat einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt etwa sagen können: "Bitte entschuldigen Sie, damit ich Ihre Frage angemessen beantworten kann, möchte ich gerne einen Dolmetscher hinzu ziehen." Statt dessen bürstet Westerwelle mit der Attitüde eines frisch gebackenen Abiturienten den BBC-Reporter ab. In der Sache vielleicht noch verständlich, aber mit Sätzen wie "Es ist Deutschland hier" völlig inakzeptabel. Das scheint dem smarten Strahlemann von der FDP auch ansatzweise klar geworden zu sein, als er seinen Sätzen nur noch resigniert nachhorchen konnte. Um den Scherbenhaufen, den er als Elefant im Porzellanladen soeben hinterlassen hatte, notdürftig beiseite zu wischen, bot er dem Journalisten hastig an, sich nachher "bei einer Tasse Tee" noch auf englisch zu unterhalten und fegte bei dieser Wendung mit seinem Riesensäugergesäß gleich die nächste Regalreihe um - denn nichts brauchten die Briten in diesem Moment weniger, als auf das Klischee der teetrinkenden Volltrottel zurück geworfen zu werden. Besser kann man sich für das Amt des Außenministers nicht disqualifizieren.
Dritter Akt: Cem Özdemir rettet die deutsche Ehre. Guido hat's wieder mal gerissen, darüber war man sich einig. Doch anstatt die Sache damit auf sich bewenden zu lassen und abzuwarten, wie erneut der Beweis angetreten wird, dass in diesem Land auch wirklich jeder Außenminister werden kann, meint die Liga der politisch korrekten Gentlemen unter ihrem Mastermind Cem Özdemir, noch einen drauf setzen zu müssen. In einem weiteren Video bittet Özdemir im Namen aller guten DeutschInnen die BBC um Vergebung. Ehrlich. Aufrichtig. Mit Dackelblick. Und perfekt einstudiertem Englisch mit US-amerikanischem Akzent. Ganz, ganz toll. Ja, das müssten wir jetzt wohl die nächsten vier Jahre lang ertragen, aber dann, bei der nächsten Wahl, da kämen die GrünInnen zurück, und dann sei die Zeit der Finsternis vorbei.
Mit Verlaub, geht's noch? Westerwelle mag ja vielleicht nicht der Hellste sein, aber wir haben schon ganz andere Repräsentanten überlebt. Es ist auch nicht so, als hätten mit CDU und FDP Voldemort und Sauron zugleich die Macht übernommen, und wir seien gezwungen, jene düstren Jahre zu durchleiden, bis dann der Ami oder eine andere höhere Macht uns befreien. Wir leben in einer Demokratie, auch wenn so mancher Minister an deren Beseitigung arbeitet. Ein Wahlergebnis ist kein Gottesurteil, das man mit demütig gesenktem Kopf hinnimmt, sondern nur eine grobe Richtungsangabe. Es ist unsere Aufgabe als Volkssouverän, ständig kontrollierend und korrigierend in diese Weichenstellung einzugreifen. Ansprachen, die geistig aus einer Zeit vor 20 Jahren stammen, in der an den Hauswänden Sprüche wie "AusländerInnen! Lasst und mit diesen Deutschen nicht allein!" standen, sind eine possierliche Staffage fürs Haus der Geschichte, aber doch bitte kein ernst zu nehmender politischer Appell der Gegenwart. Die gaussche Normalverteilung gilt für Deutsche wie auch andere Menschen in gleicher Weise. Es gibt schlaue Menschen und dumme, integre Menschen und Lumpen, und ihr Pass hat mit Sicherheit keinen Einfluss darauf. Wer gelegentlich Nachrichten liest, wird feststellen, dass es kein Privileg von Guido Westerwelle ist, entsetzlich dummes Zeug zu reden. Das können Andere auch, und zwar reichlich. Der Einzige, der Grund hätte, sich für sein dämliches Gerede zu entschuldigen, wäre Westerwelle selbst. Das Letzte, was wir brauchen, ist noch ein weiterer vorlauter Streber, der meint, sich und stellvertretend die ganze Nation für die Peinlichkeiten eines Politclowns entschuldigen zu müssen und bei der Gelegenheit zu zeigen, wie toll er doch englisch kann.
Sic tacuisses, philosophus mansisses.
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