Spätestens am 27.12. eines Jahres beginnt zuverlässig die gleiche ebenso hysterisch wie folgenlos geführte Debatte, ob die Silvesterknallerei verboten werden soll. Mir ist es eigentlich egal, weil ich die Nacht zum Jahreswechsel so verbringe wie jede andere Nacht auch: schlafend, oder zumindest mit dem Versuch zu schlafen. Als Teenager fand ich das Reinfeiern noch interessant, mit guten Freunden sowie der heimlich Verehrten lauter ungesundes Zeug in sich hineinzustopfen, über Vergangenes und Zukünftiges zu sinnieren, gegen Mitternacht die Lieblingsplatte aufzulegen und dann irgendwann den Schlafsack auszurollen, um wenigstens ein bisschen Schlaf zu bekommen.
Dann kam das Raclette-Zeitalter.
Ich konnte noch nie verstehen, was die Leute daran reizt, maximal ineffizente Essenszubereitung zum gemeinsamen Ereignis zu stilisieren. Wenn ich Hunger habe, möchte ich essen. Ich möchte schnellstmöglich essen, ich möchte schmackhaft essen, und ich möchte dabei satt werden. Was ich nicht möchte, ist stundenlang schnippeln, das Geschnippelte in briefmarkengroße Pfännchen schaufeln, diese minutenlang unter eine Heizwendel zu halten, irgendwann die Nerven zu verlieren und den halbrohen Kram frühzeitig in sich hineinzuschaufeln. Am Ende ist noch ein Raummeter Geschnippel übrig, der den Gästen zum Mitnehmen aufgedrängt und am Ende verschämt weggeworfen wird. Ich weiß nicht, ob wir einem kollektivem Selbstbetrug aufsitzen, in Wirklichkeit alle diesen Quatsch hassen und nur mitspielen, weil sie glauben, die Anderen hätten Gefallen daran, aber zumindest ich versuche, bei Einladungen zu Silvesterparties herauszuhören, was es zu Essen gibt und sage ab, wenn die Antwort Raclette lautet. Diese an biedermeierlicher Verkrampftheit kaum zu überbietende Langweilerphantasie ist nichts für mich. Gesteigert kann sie nur noch werden, indem zu einer bestimmten Uhrzeit alle laufenden Aktivitäten unterbrochen werden, um "Dinner for one" zu gucken. Warum?
Ja, der Sketch ist ganz nett, und sein Englisch ist auf einem Niveau, das selbst im teutonischen Bildungshinterland noch mühelos verstanden wird. Er wird auch passabel gespielt, aber bitte: Was ist an diesem Sketch so besonders, dass er zum Pflichtprogramm einer Altjahresnacht gehört?
Das alles sind Bräuche, denen ich elegant ausweiche, indem ich die Nacht zum ersten Januar im Bett verbringe. Was ich nicht vermeiden kann, ist die mediale Dauerbefeuerung mit der Forderung, in diesem Jahr nun aber wirklich Böller endgültig zu verbieten. In dramatischem Tonfall bekomme ich die Feinstaubbelastung, den CO2-Ausstoß, den entstehenden Abfall, die Belastung der Tierwelt, die Verletzungsgefahr und nicht zuletzt die durch die Knallerei entstehende finanzielle Verschwendung vorgerechnet. Das mögen gute Argumente sein, aber warum kommt ihr damit erst jetzt, eine halbe Woche bevor es losgeht? Warum führt ihr diese Debatte exakt bis zum Nachmittag des 1. Januars, um dann 360 Tage wieder anderen Eichhörnchen hinterherzujagen? Geht es euch wirklich um die Silvesterraketen oder wollt ihr nur eurer Blase gegenüber besondere Linientreue demonstrieren und dass ihr euch vom kapitalistischen Konsumrausch der Jahresendzeit nicht euren messerscharfen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Missstände trüben lasst?
Wie gesagt: Mir ist es egal. In meinem Leben fehlt nichts, wenn es anlässlich eines kalendarischen Zufalls kein Feuerwerk gibt. Es fehlt mir aber auch nichts, wenn Aktivismus nicht in Effekthascherei ausartet, und genau diesen Eindruck habe ich bei der Diskussion ums Böllerverbot. Sie flammt kurz auf, die Akteure werfen sich dramatisch in Pose, nur um kurz darauf die Schultern zu zucken und sich ein neues Aufregerthema zu suchen, das ihnen Beachtung verschafft. Ich mag Fridays for Future nicht, mir geht die "Letzte Generation" auf die Nerven, aber ich erkenne an, dass hier Leute den Mumm haben, monatelang an einem Thema dranzubleiben und es in der Diskussion zu halten. Natürlich ist es organisatorisch einfacher, übers Jahr hinweg ab und zu eine Kreuzung als beispielsweise in den drei Tagen vor Jahresende die Verkaufsstände für Silvesterraketen in den Supermärkten zu blockieren, aber wenn die "Letzte Generation" uns eins gelehrt hat, ist es, dass exakt solche Aktionen es sind, die für Gesprächsstoff sorgen. Großspuriges Herumgeplustere auf Mastodon hingegen mag vielleicht euch selbst als eine Riesennummer vorkommen, da draußen im realen Leben beeindruckt das niemanden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen