In Hamburg betritt ein ehemaliger Zeuge Jehovas einen Königreichssaal, erschießt sieben Menschen und anschließend sich selbst. Wie immer nach solchen Taten schauen jetzt alle zurück auf deren Vorgeschichte und defäkieren klug, wie das Ganze hätte verhindert werden können. Das ist etwa so sinnig, als fragten Sie nach einem verwandelten Elfmeter den Torwart, warum er sich nicht in die richtige Ecke gestellt hat, wo doch so klar war, dass der Schütze dorthin zielen wird, aber offenbar ist es das, was im Journalismusstudium als "kritische Berichterstattung" verkauft wird.
Der öffentliche Diskurs tobt, und täglich ruft eine neue Journalismus-Volontärin bei der Innenministerin an, um sie ob ihrer Versäumnisse zur Rede zu stellen. Nun gibt es fähige Besetzungen dieses Postens, und es gibt Nancy Faeser. Traditionell fing das Verkehrsministerium den intellektuellen Bodensatz des Kanzleramts auf, aber offenbar fühlte sich die SPD berufen, nach der soliden Vorlage von Hans-Peter Friedrich (CSU) das Spektrum des Innenministeriums nach unten abzurunden - mit Erfolg. War ihr spontaner Vorschlag, die Waffengesetze zu verschärfen, angesichts eines der strengstens Waffengesetze weltweit zwar etwas albern aber wenigstens zielgerichtet, verlor die Ministerin im Verlauf des zunehmenden Handlungsdrucks offenbar die Übersicht und dachte sich offenbar: "Egal, ich fordere jetzt einfach irgendwas, Hauptsache ich zeige Handlungsfähigkeit", und so verfiel Sie der Idee, das probate Mittel gegen Amokschützen in Häusern seien Messerverbote in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Zugegeben, exakt so hat sie es nicht gesagt. Tatsächlich bezog sie sich auf mit Messern verübte Attentate in Regionalzügen nahe Hamburg, aber es ist der gleiche Geist panischer Aktivität, die gleiche Realitätsferne, so dass im Ergebnis egal ist, wogegen der Vorschlag helfen soll - er wird es nicht.
Wir kennen derartige Ideen zur Genüge. Wann immer auf einem Bahnhof Personen aufs Gleis geschubst werden, kommt irgendein Spezi auf die Idee, Wände mit eingelassenen Türen am Bahnsteig zu errichten, die sich erst öffnen, wenn ein Zug eingefahren ist. Neben der Finanzierung bleibt auch die Frage offen, wie das in einem Land funktionieren soll, in dessen Schienennetz viele verschiedene Zugmodelle mit unterschiedlich positionierten Türen verkehren.
Nachdem ein Amokfahrer mit einem gestohlenen LKW in die Menschenmenge eines Weihnachtsmarkts gefahren war, haben die Kommunen die Gelände mit riesigen Pollern gesichert, was lediglich zur Folge hatte, dass Täter auf PKW umstiegen, mit denen sie auf Bürgersteigen oder anderen ungesicherten Wegabschnitten herumfuhren. Natürlich kamen auch hier ein paar ganz Kluge auf die Idee, Barrieren zwischen Fahrbahn und Gehweg zu bauen - wie auch immer das funktionieren soll. Das ist aber auch egal. Es geht nicht darum, einen praktikablen Vorschlag zu unterbreiten, es geht allein um die Botschaft: "Ich könnte was gegen den Missstand unternehmen, wenn man mich nur ließe. Die Lösung habe ich geliefert, um die Umsetzung muss sich jemand anderes kümmern."
Vorschläge nach Waffenkontrollen in öffentlichen Verkehrsmitteln tauchen mit schöner Regelmäßigkeit auf, wenngleich auch eher in der Sommerpause, herausposaunt von viertklassigen Provinzpotentaten, die von ihrer Partei schnell wieder weggeschlossen werden, wenn nach der Saure-Gurken-Zeit die Profis aus dem Urlaub kommen. Dass eine amtierende Bundesinnenministerin derart unausgegorenen Blödsinn heraussprudelt, kommt selten vor und mag dem Umstand geschuldet sein, dass Faeser in Hessen einen Wahlkampf um das Amt der Ministerpräsidentin bestreitet. So sehr ich es begrüßte, ihr dabei Erfolg zu wünschen und sie damit auf Bundesebene los zu sein, so wenig möchte ich einem so sympathischen Land wie Hessen eine solche Regierungschefin an den Hals wünschen.
Gründe für die Unsinnigkeit von Messerverboten in öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es viele. Fangen wir mit dem überspezifischen Verbot ausgerechnet von Messern an, oder um es mit der Ministerin zu sagen: "Gewalttäter können mit Messern Furchtbares anrichten." Das können sie auch mit Hämmern, Schraubendrehern, abgebrochenen Flaschen, Papierscheren, Beilen, Kettensägen und Blumendraht - die offenbar weiterhin erlaubt sein sollen.
Die zweite Frage ist, wie das durchgesetzt werden soll, und da wären wir wieder bei der Forderung nach Kontrollschleusen wie am Flughafen, mit Faesers Worten: "Wer mit dem Flugzeug reist, darf ja auch kein Messer mitnehmen." Da es sich für eine Ministerin mit fünfstelligem Monatssalär nicht ziemt, gemein mit dem Pöbel den allwerktäglichen Weg zur Arbeit anzutreten, mag ihr der Unterschied zwischen einem Linienbus mit vielleicht 70 Personen, der alle paar hundert Meter zum Ein- und Aussteigen sowie einem Linienflugzeug mit 300 Personen, das eine Stunde zu einem 600 Kilometer entfernten Ziel unterwegs ist, nicht gewahr sein, aber weder ist im Einstiegsbereich Platz geschweige denn Zeit für eine pro Person mindestens 30 Sekunden dauernde Waffenkontrolle, noch gibt es dazu die Möglichkeit an den zahlreichen Bushaltestellen. Öffentliche Verkehrsmittel sollen eine Alternative zum eigenen Auto sein. Sie wurden für kurzentschlossene Nutzung optimiert. Selbst, wenn Sie am Bahnhof ein wenig mit dem Fahrkartenautomaten herumspielen, um den für Sie günstigsten Tarif zu finden, sollte der Vorgang in fünf Minuten abgeschlossen sein. Wer Bushaltestellen und Bahnhöfe mit Flughäfen vergleicht, wünscht sich mindestens eine Stunde vor dem "Boarding" anreisende Passagiere, Vereinzelungsschleusen mit Nacktscannern, Metalldetektoren, bewaffnetes Sicherheitspersonal und ein Gepäckband mit Durchleuchtungseinrichtung - um mit dem Bus eine Viertelstunde zur Haltestelle Berliner Platz fahren zu können. So gelingt die ökologische Verkehrswende.
Nehmen wir des Spaßes halber an, wir hätten tatsächlich irgendeine magische Lösung gefunden, mit der wir Bus- und Bahnreisende auf Messerbesitz prüfen können. Wahrscheinlich geht das mit Blockchain und AI, zu irgendwas muss der Krempel ja gut sein. Dann bleibt die Frage, ob die Verantwortlichen wissen, wozu öffentliche Verkehrsmittel da sind. Ich verrate es an dieser Stelle: um Menschen und deren Gepäck zu transportieren. Um die fröhliche Ausflugsrunde zu transportieren, die am Vierertisch ein Picknick verspeist und das mitgebrachte Obst schneiden will. Um die Tischlergesellin zu transportieren, die im Werkzeug einen Teppichschneider hat. Um den Radfahrer zu transportieren, der für alle Fälle sein Taschenmesser mitnimmt. Um das Ehepaar zu transportieren, das sich neues Besteck gekauft hat. Sollen diese Leute künftig von der Fahrt ausgeschlossen werden? Sollen sie ihr Gepäck bei der Fahrerin abgeben und es beim Ende der Fahrt wieder ausgehändigt bekommen? Sollen sie ihre Einkäufe durch einen Kurierdienst nach hause bringen lassen? Sollen sie vielleicht doch lieber das Auto nehmen, das zu benutzen wir ihnen aus Klimaschutzgründen nach Kräften verleidet haben?
Aktuellen Umfragen zufolge ist die AfD mit 20 Prozent bundesweit hinter der CDU zweitstärkste Partei. Ich habe sie nie gewählt und werde sie nie wählen, aber ihre Popularität wundert mich nicht.
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