Dienstag, 17. Dezember 2019

Habemus Gretam

Stüge der Messias auf die Erde hernieder, um vom Kommen des Reichs des HErrn zu künden, er bekäme freundlich, aber bestimmt gesagt, er möge gefälligst den Mund halten, damit wir alle uns auf das wirklich Wichtige konzentrieren können.

Greta.





Greta rund um die Uhr. Greta steigt auf ein Segelschiff. Die Welt diskutiert die Umweltbilanz von Segelschiffen, den Preis dieses speziellen Segelschiffs und die Beschaffenheit der Kajüte. Greta steigt vom Segelschiff. Und gleich wieder rauf, weil die Klimakonferenz verlagert wurde. Greta steigt wieder vom Segelschiff. In einen Zug. Einen DEUTSCHEN Zug. Und twittert.

Die Nation geht steil.

Na gut, es ist natürlich schon ein ungewöhnliches Ereignis, dass sie im Zug überhaupt Empfang hatte, aber was die Nation wirklich auf die Palme brachte, war: Greta sitzt auf dem Fußboden. AUF DEM FUSSBODEN! Erste Greta-Fans wurden schon mit Absperrband gesichtet, um diesen heiligen Ort zur Anbetungsstätte umzuwidmen.

Was die Volksseele noch mehr zum Kochen bringt: Die Presseabteilung der Bahn twittert zurück. Maximal dämlich. Mit 9,7 Kramp auf der nach oben offenen Karrenbauer-Skala für trampelhafte Pressearbeit. Thunberg möge doch bitte auch twittern, dass sie im ICE soundso zwischen A-Kaff und B-Hausen einen Sitzplatz gehabt hätte. Einen supitollen in der ersten Klasse. Und wie sie da vom elfenhaften Bahnpresonal umschmeichelt worden sei.

Bei solchen überspezifischen Angaben wissen Kenner der Öffentlichkeitsarbeit natürlich sofort. was sie bedeuten, nämlich, dass außerhalb dieses exakt definierten Rahmens alles eine reine Katastrophe war. Dass zum Beispiel der ursprünglich für die Fahrt geplante Zug ausgefallen war und Thunberg eine Ersatzverbindung nehmen musste, die dann natürlich überfüllt war. Spiegel Online hat es sehr schön auf den Punkt gebracht: PR-Profis hätten dem Schöpfer auf Knien für die Gelegenheit gedankt, sich als umweltfreudliches und offenbar selbst Thunbergs strengen Kriterien genügendes Transportmedium in Szene zu setzen. Sie hätten selbstverständlich die Misslichkeit überfüllter Züge mit ein paar locker-freundlichen Worten zur Sprache gebracht und sich noch irgendwas Nettes einfallen lassen; was weiß ich, einen Gutschein oder irgendwas in der Art. Meine Güte, die Pressemeldung schreibt sich so einfach, die hätte selbst ich hinbekommen. Statt dessen setzen sie offenbar den unausgeschlafenen Praktikanten an die Tastatur, der das Kunststück hinbekommt, den auf der Torlinie liegenden Ball wieder in die eigene Hälfte zu grätschen.

Als wenn das alles nicht schon peinlich genug wäre, kocht jetzt die Twittersphäre hoch. Es wundert mich, dass nicht längst ein eigener Hashtag dafür existiert. #bahngate vielleicht oder #methunberg oder #aufschreidaysForFussboden. Leute, jetzt lasst mich nicht hängen. Irgendwer muss doch ganz scharf darauf sein, sich am nächsten Sonntagabend in irgendeiner Fernseh-Sabbelrunde seine Viertelstunde Ruhm abzuwarholen. Als der moderne Simon Petrus, Stellvertreter Gretas auf Erden, der sie todesmutig vor den Bahnpharisäern beschützt.

Wenn der deutsche Hobbyjurist erst einmal so richtig in Wallung kommt, gibt es kein Halten mehr. Gegen nichts weniger als die DSGVO habe sich die Bahn versündigt. DIE DSGVO!
Unfassbar. Fehlen noch die UN-Menschenrechtskonvention oder die Zehn Gebote. Kommt bestimmt noch.

Kurz für BWLer und alle Anderen, die sich schnell noch wegducken konnten, als das Denkvermögen verteilt wurde: Ad 1, nein. Es gibt Fahrkahrtenautomaten und Schalter, an denen sich ohne Schwierigkeiten anonym Tickets kaufen lassen. Darüber hinaus existiert ein buntes Sammelsurium verschiedener Zeitfahrkarten wie beispielsweise die Bahncard100, mit denen ich einfach so in einen Zug einsteigen kann, ohne personenbezogene Daten zu hinterlassen.

Ad 2, da zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt war, dass Thunberg auf dem Heimweg (Thunbergs Heimatland ist allgemein bekannt) von der Klimakonferenz (Tagungsort ebenfalls bekannt) war, Twitter den Zeitpunkt eines Tweets markiert, das Foto offensichtlich in einem ICE aufgenommen wurde und zwischen der Schweiz und Norddeutschland ICEs nicht im 10-Minuten-Takt verkehren, sollten selbst zweitklassige Journalisten in der Lage sein, den fraglichen Zug auf maximal zwei einzugrenzen. Selbst wenn all das nicht gegeben wäre: Greta Thunberg ist nicht irgendein unbekanntes verhuschtes Gör auf einem Interrail-Trip. Greta Thunberg gehört zu den bekanntesten Menschen dieses Planeten. Sie war für den Friendensnobelpreis nominiert und ist Trägerin des alternativen Nobelpreises. Allein schon, um für ihr Anliegen zu werben, lebt sie Teile ihres Lebens öffentlich, und, naja, dieser Tweet gehört nun einmal dazu. Wenn die Bahn ergänzend die Zugnummer und Wagenklasse hinterherschiebt, nachdem Thunberg schon längst auf der Fähre sitzt, ist unbestritten die juristisch fragwürdige Veröffentlichung eines personenbezogenen Datums, aber ein ungefähr so schwerer Eingriff, als wenn jemand Mick Jagger fotografiert, wie er aus einem Taxi vor einer Konzerthalle aussteigt. in der er gleich auftritt. Während der Fahrt wäre das vielleicht noch etwas Anderes gewesen, weil damit Stalker auf dumme Gedanken gebracht werden können - aber danach?

Ad 3, lies die verdammten Datenschutzbestimmungen der Bahn und deren AGB, da steht das alles haarklein drin, und wenn du dem Laden nicht traust, aber dennoch irgendwann mit der Bahn fahren musst (der Naivität dieses Tweets nach zu urteilen, ist das nicht allzu oft der Fall), dann GEH ZUM FAHRKARTENSCHALTER, DU VOLLTROTTEL, ODER BIST DU SELBST DAZU ZU BLÖD?

Falls jetzt so ein ganz ein Schlauer mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 GG kommt: Erstens sind die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat, und mir wird wohl kaum jemand erzählen wollen, der Hornochse aus der Bahn-PR-Abteilung, der diesen unfassbar dämlichen Tweet abgesetzt hat, handle im hoheitlichen Auftrag als staatliches Vollzugsorgan. Zweitens gilt die Gleichheit vor dem Gesetz natürlich auch für Greta Thunberg, aber wer sich in die Öffentlichkeit begibt, befindet sich in der Öffentlichkeit, auch eine twitternde Klimaaktivistin. Drittens: Wenn der sich mit juristischem Viertelwissen aufplusternde Social-Media-Kreuzritter nicht mehr weiterweiß, kommt irgendwann entweder der Nazivergleich oder das Grundgesetz. Mit bis zum Ellenbogen durchgedrückten Drama-Button. Nein, die Bahn hat mit der Bekanntgabe einer Zugnummer nicht nur Thunbergs Persönlichkeitsrechte verletzt, nein es sind ihre GRUND- und MENSCHENRECHTE! Ein Fall für Karlsruhe, ach was sage ich, Den Haag, wenn nicht gar die UN-Blauhelme!



Zur Klarstellung: Ich halte Greta Thunberg für eine gewaltige Nervensäge, aber genau das ist ihre Aufgabe, und die erledigt sie gut. Ihr Narrativ ist das der neuen Johanna von Orleans, die sich todesmutig den Herrschern der Welt entgegenwirft, damit ihre Generation noch eine Chance hat, auf diesem Planeten zu leben. Das mag alles ein wenig theatralisch wirken, aber ihr großer Verdienst besteht darin, dass sich weltweit (vor allem junge) Menschen wieder für etwas einsetzen, nachdem die Generation ihrer Eltern an dieser Aufgabe episch gescheitert ist, weil sie sich nach der Schule aalglatt durch ihre Kleinbürgerkarriere gewieselt und fürs Reihenhäuschen mit SUV in der Garage gespart hat. Wenn ich die Frage beantworten müsste, was mich mehr anwidert: hysterische, selbstgerechte Kinder auf Weltrettungsmission oder die breithintrige Generation derer, die sehenden Augens diesen Planeten vor die Wand gekarrt, nachdem sie noch in den Achtzigern die tollen Ökos gespielt haben, ich glaube, Fridays for Future käme besser davon.

Das ist es vielleicht auch, was mich wirklich in Rage versetzt: Es ist mir egal, ob Thunberg irgendwo zwischen München und Flensburg einen Sitzplatz im ICE hatte. Nicht ganz so egal ist mir, dass ich zwei Tage lang die Großmäuler in meiner Timeline nicht loswurde, die das arme, zarte Gretchen wortreich gegen die mordlüsterne Presseabteilung der Bahn verteidigen zu müssen meinten, und die endlich die Klappe hielten, mussten sämtliche von mir gelesenen Nachrichtenmedien sich ebenso wortreich über die Frage auslassen, zwischen welchen Drecksnestern in der Republik Thunberg einen Sitzplatz in welcher Wagenklasse hatte und ob das von ihr getwitterte Foto eventuell gestellt gewesen sein könnte. Was mir absolut nicht egal ist: Wir haben Winter. Einen Winter, in dem ich morgens bei frühlingshaften 14 Grad (Celsius, nicht Fahrenheit) zur Arbeit gegangen bin. Das Ökosystem dieses Planeten steuert auf den Kollaps zu, und wenn wir dieses Problem gelöst haben, können wir vielleicht auch etwas dagegen unternehmen, dass dieses Land bald von Nazis regiert wird, und wenn wir das geschafft haben, können wir uns darum kümmern, dass eine Handvoll Menschen auf diesem Planeten so reich ist, dass sie sich eine Boeing zum Frühstück kaufen können, während der Rest von uns sich glücklich schätzen kann, wenn das Gehalt reicht, um sich irgendein Rattenloch als Wohnung zu leisten. Es ist nicht so, als gäbe es nicht reichlich und existenzielle Probleme. Die Frage, ob Greta Thunberg sich nicht alleine gegen die Denkverlierer von der Bahn-PR zur Wehr setzen kann (Spoiler: sie kann), gehört nicht dazu.

So, und jetzt ganz schnell zurück zu Twitter. Da wartet schon die nächste Sau darauf, durchs Dorf getrieben zu werden.

Update

Es gibt einen Hashtag, er lautet #gretagate2019, und falls ich jemals Zweifel gehegt haben sollte, ob sich inzwischen auf Twitter überwiegend sabbernde Idioten tummeln, sind sie hiermit verflogen.

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