Sonntag, 13. Oktober 2019

Buchkritik: die Trisolaris-Reihe

Vor sieben Wochen wies mich eine Bekannte auf die Trisolaris-Reihe hin. Ich besorgte mir die E-Book-Fassung, las ein paar Seiten - und verbrachte seitdem fast jede freie Minute mit diesen Büchern. Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. 2400 Seiten, das sind knapp 350 Seiten pro Tag. Selbst beim Herrn der Ringe habe ich mir mehr Zeit gelassen.



Die Trisolaris-Reihe ist kein Gute-Laune-Science-Fiction. Selbst die dystopischen Klassiker wie "Do androids dream of electric sheep?", "1984" oder "Brave new world" empfand ich im Vergleich als nicht so düster, weil sie sich erstens auf einen eng eingrenzbaren Zeitpunk beziehen und zweitens, wenn schon nicht in der Geschichte selbst, so doch für die Leserin die Botschaft enthalten, dass und wie sich eine solche dystopische Zukunft vermeiden lässt. Trisolaris hinterließ zumindest bei mir den Eindruck: Egal, was du unternimmst, es war die falsche Entscheidung. Selbst, wenn du dich richtig entscheidest, hilft es nicht viel, es dankt dir niemand und deine Gegner sind dit mindestens zwei Schritte voraus. Solltest du dennoch einmal den Eindruck gewonnen haben, die Dinge wendeten sich zum Besseren, stellt sich das als Täuschung heraus.

Doch zunächst zur Handlung: Sie beginnt im China zur Zeit der Kulturrevolution und endet irgendwo im Universum kurz vor dessen (vermeintlichem) Ende. Eine junge Wissenschaftlerin gerät in die Mühlen der politischen Säuberungsaktionen und kann sich mit viel Glück als Zwangsarbeiterin auf eine abgelegene Militärbasis retten, auf es dem Anschein nach Versuche gibt, feindliche Objekte mit starken Radiowellen zu zerstören. Erst nach einiger Zeit kommt die Wissenschaftlerin dahinter, dass die eigentliche Mission darin besteht, per Funk mit außerirdischen Zivilisationen Kontakt aufzunehmen. Allerdings haben diese Versuche wenig Aussicht auf Erfolg. Zu schwach ist das Signal, zu eng der Himmelsausschnitt, der überhaupt etwas davon mitbekommn könnte. Sie kommt jedoch auf die Idee, die Sonne als Reflektor und Verstärker zu benutzen und setzt heimlich eine Botschaft ab. Knapp neun Jahre später bekommt sie aus Richtung Alpha Centauri eine Antwort: Sendet keine weiteren Nachrichten! Wenn wir eure Position bestimmen, werden wir euch vernichten.

Was ist passiert? Alpha Centauri ist ein aus drei sich nach chaotischen Mustern umkreisenden Sonnen bestehendes System mit einem Planeten, der diese Sonnen unregelmäßig umkreist. Wegen der sich so ergebenden unvorhersagbaren Perioden, in denen sich der Planet stabil im Orbit um eine der drei Sonnen befindet und anderen, in denen er weit entfernt seine Bahnen zieht, entstehen in den stabilen Zeitaltern mehrere Hochkulturen, die  allerdings in den chaotischen Zeitaltern durch lebensfeindliche Bedingungen wieder ausgelöscht werden. Trotz dieser Widrigkeiten entwickelt sich Trisolaris kontinuierlich weiter - weiter sogar als die Menschheit des 20. Jahrhunderts. Als die Erde trotz der heimlich abgesetzten Warnung eines Hilfswissenschaftlers ihre Position verrät und sogar ausdrücklich um eine Invasion bittet, stellt Trisolaris in kurzer Zeit eine aus mehreren hundert Schiffen bestehende Flotte zusammen, die mit maximal 10 Prozent Lichtgeschwindigkeit reisen und einschließlich Beschleunigungs- und Bremsphase in 400 Jahren das 4 Lichtjahre entfernte Sonnensystem erreichen kann.

Von all dem wissen auf der Erde des inzwischen frühen 21. Jahrhunderts nur wenige. Als Trisolaris jedoch in Vorbereitung der Invasion auf Photonengröße geschrumpfte Supercomputer zur Erde schickt, die es schaffen, physikalische Grundlagenforschung in Collidern zu blockieren, merken langsam einige Leute, dass etwas nicht stimmen kann.  Die im Anflug befindliche  Flotte wird entdeckt. Der Menschheit erkennt, dass sie zwar noch 400 Jahre Zeit hat, sie allerdings dem Untergang geweiht ist, wenn sie nicht sofort anfängt, den technologischen Rückstand zu Trisolaris aufzuholen. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch denkbar schlecht. Die Sophonen genannten Kleinstcomputer verhindern nicht nur effektiv weite Teile der Forschung, die nötig wäre, um neuartige Antriebsmethoden, Computer und Waffen zu bauen, sie können darüber hinaus in Echtzeit jede Kommunikation abhören. Egal also, welche Pläne die Menschen entwerfen, sobald sie darüber mit irgendwem reden, erfährt Trisolaris davon. In ihrer Verzweiflung setzen die Vereinten Nationen deswegen die so genannten "Wandschauer" ein, vier Strategen mit weitreichenden Befugnissen, die nahezu alles anordnen können und niemandem erklären müssen, was sie damit im Schilde führen. Die geheimen Pläne zweier Wandschauer fliegen jedoch schnell auf. Der dritte kommt nicht so recht voran, und der vierte fängt offenbar gar nicht erst an. Erst, nachdem er massiv unter Druck gesetzt wird, entschließt er sich zu einer scheinbar völlig sinnlosen Aktion: Er schickt per Funk einen "Fluch" ins Weltall und behauptet, damit ein 50 Lichtjahre entferntes Sternensystem auslöschen zu können. Naheliegenderweise halten das alle für völligen Blödsinn.

In der Zwischenzeit erreicht eine unbemannte Sonde von Trisolaris die äußeren Regionen des Sonnensystems und trifft dort auf eine mehrere tausend Schiffe zählende Flotte, die aufgebrochen ist, um das harmlos erscheinende Objekt abzufangen und zu untersuchen. Schnell stellt sich aber heraus, dass die tropfenförmige Sonde alles andere als ungefährlich ist. Sie besteht aus ultrahartem Material, kann auf sehr hohe Geschwindigkeiten beschleunigen und ist allein dadurch in der Lage, selbst die dicksten Schiffspanzerungen ohne nennenswerte Schäden zu durchschlagen. Auf diese Weise löscht sie praktisch die gesamte irdische Raumflotte aus. Nur wenigen Schiffen gelingt die Flucht. Die Menschen sehen ein: Wenn schon gegen dieses Projektil keines ihrer Waffensysteme etwas auszurichten vermag, ist der Kampf gegen die Trisolaris-Flotte erst recht aussichtslos. Entsetzt fliehen die wenigen Kreuzer, die das Massaker der Tropfensonde überstanden haben, in unterschiedlichen Richtungen aus dem Sonnensystem, erkennen aber, dass ihre Vorräte nur dann für die weite Reise ausreichen, wenn sich ihre Besatzungen weitgehend gegenseitig auslöschen. In der resultierenden Schlacht verbleibt pro Flugrichtung ein Rauschiff, das zur langen Reise ins Ungewisse aufbricht. Aus Sicht der Erde sind sie gewissenlose Verräter, aus ihrer eigenen Sicht die einzigen Menschen, welche die Invasion überleben werden.

Die Endzeitstimmung ändert sich schlagartig, als kurze Zeit später die Nachricht eintrifft, das Jahrzehnte zuvor mittels Funkspruch "verfluchte" Sternensystem sei tatsächlich zerstört worden. Die Menschen erkennen, wie sie trotz ihrer technischen Unterlegenheit eine Abschreckungswaffe einsetzen können. Die abgesendete Botschaft hatte nichts anderes als die Koordinaten des zu vernichtenden Sternensystems enthalten. Das Kalkül dahinter bestand in der Annahme, im Universum gäbe es viele technisch hoch stehende Zivilisationen. Wegen der großen Entfernungen zueinander und der großen kulturellen Unterschiede haben sie aber keine Möglichkeiten, sich gegenseitig von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen und müssen sicherheitshalber davon ausgehen, dass sie einander feindlich gesonnen sind. Wenn eine solche Zivilisation die Botschaft auffängt, wo sich eine andere Zivilisation befinden könnte, ist es aus strategischer Sicht sinnvoll, diese ohne weitere Prüfung zu vernichten. Genau das hatte der vierte Wandschauer mit seinem "Fluch" bewirken wollen, und darin bestand auch sein Abschreckungsplan. Sollte Trisolaris die Erde angreifen, könnte diese als letzten Akt noch die Koordinaten von Alpha Centauri ins All schicken. An der eigenen Vernichtung könnte die Erde damit zwar nichts ändern, aber Trisolaris wäre dann ebenfalls dem Untergang geweiht. Erde und Trisolaris schließen deswegen einen gegenseitigen Nichtangriffspakt ab. Die Lage scheint stabil.

Es entwickelt sich ein technischer und kultureller Austausch zwischen den beiden Zivilisationen. Im Zuge dieser Annäherung beginnen die Menschen, Trisolaris als befreundete Macht und den Abschreckungsschhild als nicht mehr zeitgemäß anzusehen. Darüber hinaus wird der Ruf laut, die beiden geflohenen Raumkreuzer für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Unter Vortäuschung einer Amnestie gelingt es, eines der beiden Schiffe zur Erde zurückzurufen und deren Besatzung zu inhaftieren. Das zweite Schiff ahnt die Finte, flieht weiter und wird daraufhin von irdischen Schiffen verfolgt.

Doch für ein Gleichgewicht des Schreckens müssen die beteiligten Parteien auch bereit sein, im Notfall den roten Knopf zu drücken. Als Trisolaris-Sonden die Erde angreifen, packen die "Schwerthalterin" genannte Verantwortliche Skrupel. Es gelingt den Sonden, die nötigen Sendeeinrichtungen zu zerstören und damit das Abschreckungsmittel der Menschen auszuschalten. Wieder einmal scheint alles so, als sei die Invasion unabwendbar. Die gesamte Erdbevölkerung wird gezwungen, nach Australien umzusiedeln, was natürlich zu katastrophalen Zuständen führt. Nach Ende der Umsiedlungen erwarten alle das Eintreffen der Invasionsflotte, doch wieder einmal kommt es anders.

Das noch verbliebene, weiterhin fliehende Raumschiff wurde zwischenzeitlich von dem mit durch zwei Trisolaris-Sonden begleiteten irdischen Kreuzer eingeholt. Durch eine Raumanomalie gelingt es den Gejagten aber nicht nur, das Verfolgerraumschiff zu kapern, sie schaffen es sogar, die bis dahin als unzustellbar geltenden Sonden zu zerstören. Verfolger und Verfolgte erfahren, dass es Trisolaris gelungen ist, die Verteidigungsmechanismen der Erde auszuschalten und beschließen, nun selbst die Koordinaten von Alpha Centauri ins All zu senden. Das wiederum bemerkt Trisolaris, bricht sofort seine Invasionspläne ab, kann aber die Katastrophe nicht mehr abwenden und muss zusehen, wie ihr Sternensystem zerstört wird.

Die Erde ist allerdings nur vorerst gerettet. Von Trisolaris hat sie zwar nichts mehr zu befürchten, aber es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis sie selbst entdeckt und ihrerseits ausgelöscht wird. Die Menschen analysieren die beiden ihnen bekannten Angriffe, die darin bestanden, eine gewaltige Sonneneruption und danach den Zusammenbruch des Sterns zu bewirken. Als geeignete Gegenmaßnahme bietet sich der Bau gewaltiger Weltraumstädte an, die hinter den vier Gasriesen im äußeren Sonnensystem Deckung suchen. Der Bau beginnt, und nach einigen Jahrzehnten ermöglichen die Weltraumstädte sogar ein sehr angenehmes Leben.

Es sollte nicht besonders überraschen, dass auch diese Annahme sich als trügerisch herausstellt. Das Vernichten eines Sterns ist nicht die einzige Angriffsmöglichkeit. Die Waffe, die das Sonnensystem am Ende auslöscht, faltet den gesamten umgebenden Raum von drei auf zwei Dimensionen zusammen. Der Menschheit bleibt nur übrig, sich ihrem Schicksal zu ergeben. Nur ein einziges heimlich und widerrechtlich gebautes Raumschiff erreicht mit zwei Frauen an Bord die nötige Geschwindigkeit, um seine Passagiere in Sicherheit zu bringen. Sie reisen zu einem Sternensystem, treffen dort auf einen ehemaligen Soldaten der Raumschiffe, die Jahrhunderte zuvor aus dem Sonnensystem geflohen waren. Als eine der Frauen zusammen mit ihm eine Auffälligkeit auf einem Planeten untersucht, geraten sie mit ihrem Raumschiff in eine Zeitanomalie, aus der sie erst viele Millionen Jahre später wieder ausbrechen können. Die Welt, in der sie auf diese Weise landen, ist weitgehend entvölkert. Zurückgeblieben ist nur eine Reihe Zeitkapseln, in der die verbliebenen Lebensformen den nahenden Big Crush mit anschließendem neuen Big Bang überstehen wollen.

Auch dieser Plan misslingt, als sich herausstellt, dass dem Universum für diese Zeitkapseln derart viel Materie entnommen wurde, dass es nicht wie vorgesehen kollabiert, sondern weiter expandiert. Der ehemalige Soldat und die Frau entschließen sich daraufhin, ihre Zeitkapsel zu verlassen, die darin vorhandene Materie wieder ins normale Universum zurückzuschaffen und auf einem halbwegs bewohnbaren Planeten das Ende des Universums in der Hoffnung abzuwarten, dass genügend andere Zeitkapselbewohner den gleichen Entschluss fassen wie sie.

So weit der stark vereinfacht wiedergegebene Inhalt von 2400 Seiten. Tatsächlich ist die Geschichte viel facettenreicher, wirft viel mehr Fragen auf und ist weit stimmungsvoller geschrieben als meine dürre chronologische Aufzählung. Ein wiederkehrendes Element ist das Verhalten einzelner Personen und die sich ändernde öffentliche Reaktion darauf. Zwischen der Heldenfeier und dem öffentlichen Zerfleischen liegen mitunter nur wenige Monate, obwohl sich an der Handlung selbst nichts geändert hat. Der vierte Wandschauer erlebt erst Bewunderung wegen seiner vermeintlichen Raffinesse, dann Ablehnung, weil den Leuten dämmert, dass er sich auf Kosten der Öffentlichkeit ein angenehmes Leben bereiten lässt. Als er seinen "Fluch" ins All sendet, erntet er Verachtung, weil er nach Jahren des Grübelns nur einen dürren Funkspruch hervorgebracht hat. Als sich die Wirkung des Funkspruchs zeigt, feiert ihn die Menschheit als Retter, nur um kurze Zeit später vor Gericht zu stellen, weil das von ihm als Ziel ausgewählte Sternensystem möglicherweise Leben beherbergt hat.

Welche Meinung wir selbst zu den jeweiligen Akteuren einnehmen, überlässt die Geschichte uns. Sie differenziert stark, legt die Motive dar, so dass uns selbst die Motive moralisch fragwürdigen Handelns klar werden. Als Ergebnis kennt die Geschichte kein klares Gut und Böse. Es mag Haltungen geben, mit denen wir uns mehr oder weniger stark identifizieren, aber es gibt nicht wie im Hollywood-Fernsehen klar umrissene Erzschurken, auf die sich die Ablehnung konzentrieren kann. Trisolaris will die Erde in Besitz nehmen. Aus Sicht der Menschen mag das kein netter Zug sein, aber wer wie Trisolaris ständig mit einer erneuten Auslöschung der eigenen Zivilisation aufgrund instabiler Umlaufbahnen rechnen muss, versteht die Verzweiflung, mit der sie eine Welt mit stabilen Lebensbedingungen suchen. Auf der Erde arbeiten mehrere Leute auf die Invasion und die damit einhergehende Vernichtung der Menschen hin, was auf den ersten Blick wie Verrat wirken mag. Wer jedoch gesehen hat, wie übel diesen Leuten mitgespielt wurde, versteht ihre tiefe Desillusionierung und die Überzeugung, dass eine so verkommene Zivilisation besser heute als morgen ausgelöscht wird.

Die Erzählung sucht sich keine besonders starken Persönlichkeiten aus. Ihre Helden haben ganz alltägliche Schwächen, zweifeln an sich selbst, handeln gern auch einmal egoistisch, stellen sich dumm an und begehen Fehler. Meist erscheint ihre Umgebung viel rationaler, zielstrebiger und intelligenter als sie. Wer durch das Blockbusterkino die großen, weisen und selbstlosen Gesten gewohnt ist, findet hier ein realistischeres Bild. Keine Handlung ist ohne Makel. Ständig bleibt das Gefühl hängen, ein echter Held hätte anders gehandelt. Gerade deswegen jedoch ist die Erzählung so glaubwürdig, und wir merken: Comic-Helden gibt es praktisch nicht. In die Heldenrolle rutschen die Betroffenen eher zufällig, und wer genau hinsieht, findet hinter der Verklärung ein deutlich trüberes Bild. Meist entscheiden Details darüber, was die Öffentlichkeit als Ruhmestat und was als Schurkerei ansieht, und nur weil sie in einem Moment die eine Haltung einnimmt, kann sie schnell wieder kippen.

Ein weiterer schöner Kniff ist die Art, wie die technischen Errungenschaften der Menschheit eingeführt werden. Obwohl die Bücher in die Kategorie der "harten" Science-Fiction gehören, tauchen Erfindungen auf, bei denen meine Physiklehrerin zarte Zweifel ob deren auch nur theoretischer Möglichkeit geäußert hätte. Doch bevor das Staunen zu groß wird, taucht irgendeine außerirdische Technologie auf, und wir erkennen: Es mag ja sein, dass die Menschen sich mit viel Mühe Fusionsreaktoren aus den Rippen geschnitzt haben, aber schau her: Trisolaris faltet den Raum und erreicht damit mal eben Lichtgeschwindigkeit und das ohne große Beschleunigungs- und Bremsmanöver. So etwas frustriert nicht nur die in der Geschichte vorkommenden Menschen, es lässt auch die etwas abgedrehteren irdischen Erfindungen glaubwürdiger erscheinen. Du findest Fusionsreaktoren unwahrscheinlich? Trisolaris kann mit Lichtgeschwindigkeit reisen, da wirst du mir doch wohl noch einen Fusionsreaktor abkaufen.

Um der über viele Jahrhunderte gehenden Haupthandlung Zusammenhang zu geben, unternehmen die Hauptakteurinnen mittels Kälteschlaf Zeitreisen. Das Motiv, wie sich die Beurteilung ein und desselben historischen Ereignisses ändern kann, tritt hierdurch noch stärker hervor. Bemerkenswert finde ich hierbei jedoch auch, wie sich die Erzählung trotz allem Erfindungsreichtums Grenzen setzt. Schneller als Lichtgeschwindigkeit geht nicht (naja, Echtzeitkommunikation mittels verschränkter Photonen geht dann irgendwie doch), und Zeitreisen gehen nur nach vorne. Die Geschichte spielt nicht einmal mit der Überlegung und festigt dadurch den Eindruck: Wir strapazieren die Gesetze der Physik schon arg, indem wir Materie auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und Raumdimensionen wegfalten, aber wir drehen nicht völlig ab.

Sehr gut gefällt mir das Erzähltempo. Der Autor lässt sich Zeit, führt Charaktere gründlich ein, beschreibt ihren Werdegang und Motive. Allein schon die vielen Kapitel, die der erste Band verwendet, eine ganz und gar irdische Geschichte zu erzählen, ohne das für zwei ganze Bücher bestimmende Hauptmotiv offenzulegen, und dennoch interessant zu sein, finde ich meisterlich geschrieben.

Großartig finde ich auch das Motiv der allgegenwärtigen Überwachung verknüpft mit der durch Trisolaris bewirkten Forschungsblockade. Indem das physikalische Wissen für mehrere hundert Jahre auf dem heutigen Stand eingefroren wird, erfinden die Menschen über lange Zeit auch nur Dinge, die heute zumindest theoretisch denkbar sind und für die wir nur vorhandene Technologie verbessern, aber keine neuen Gesetze der Physik entdecken müssen. So bleiben Computer über lange Zeit ungefähr auf dem heutigen Stand, werden weder wesentlich kleiner, noch leistungsstärker. Um das zu können, bräuchten wir Fortschritte in der Quantenphysik. Auch hier zeigt der Autor, was wir bereits heute bauen könnten, wenn wir uns nur genügend anstrengen, und wo die Phantasie beginnt.

Die Überwachung hingegen  beschreibt die Geschichte ganz anders, als wir es von den Klassikern wie "1984" kennen. Trisolaris hat "Sophonen" genannte photonengroße Computer zur Erde geschickt, die jede Art von Kommunikation belauschen können, sei sie elektronisch, auf Papier geschrieben oder ein Gespräch. Dadurch wissen die Außerirdischen immer ganz genau, was mehr als eine Person plant, weil sie dafür mit irgendjemandem reden muss. Interessanterweise taucht dieses Motiv in umgekehrter Form im zweiten Band auf, als es um die Frage geht, wie sich zwei Zivilisationen am besten verhalten, die so gut wie nichts voneinander wissen. Die Wandschauer wissen also, dass jede ihrer Handlungen beobachtet wird und müssen einen Plan entwickeln, von denen außer ihnen selbst niemand etwas weiß, für den sie aber äußere Hilfe brauchen und aus diesem Grund Dinge unternehmen, von denen keiner sagen kann, ob das schon die offen angewendete Strategie ist oder ob sich die eigentliche Idee erst viel später zeigt. Es ist etwa so, als säßen zwei Gruppen Schachspielerinnen vor einem Brett, die sich jeweils auf ihre Züge einigen müssen, eine Gruppe aber sich heimlich austauschen, während die zweite sich nur in offener Aussprache verständigen kann.

Da ich mich nur sehr oberflächlich mit chinesischer Kultur auskenne, weiß ich nicht genau, ob das auf mich bisweilen kalt und egoistisch wirkende Handeln einiger Personen im Buch ein Erzählkniff ist, oder ob ein Chinese das nicht weiter ungewöhnlich fände. So oder so gefällt mir diese Sichtweise, bricht sie doch mit meinen bisherigen Lesegewohnheiten und wirft für mich neue ethische Fragen auf.

Die Trisolaris-Reihe gehört nicht zu meinen Lieblingsbüchern, dafür ist sie mir zu düster. Sie gehört aber mit Sicherheit zu den besten Büchern, die ich gelesen habe und die ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Liu Cixin
Die drei Sonnen ISBN-13: 978-3453317161
Der dunkle Wald ISBN-13: 978-3453317659
Jenseits der Zeit ISBN-13: 978-3453317666
Heyne-Verlag, jeweils 17 €

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