Montag, 5. August 2019

Drei Rants zur Saure-Gurken-Zeit

In den letzten Sommerferien war immer irgendetwas los, was die Leute von dummen Gedanken abhielt. Oft genug waren es Landtags-, Bundestags- oder Europawahlen, oft kombiniert mit Themen wie Internetzensur, Five-Eyes-Überwachungsskandalen oder Flüchtlinge, um die sich gekümmert werden musste. Beim Blick in die Schlagzeilen hatte ich zwar nicht immer das Gefühl, dass sich während des Sommers immer diejenigen vor die Mikrofone stellen, man zu normalen Zeiten dort hingelassen hätte. In diesem Jahr hingegen habe ich erstmals seit langer Zeit das Gefühl, dass wirklich nichts los ist, und das bedeutet nicht nur, dass es nichts gibt, worüber wir reden können, sondern auch, dass die Leute über nichts reden, die man mit allen verfügbaren Mitteln daran hätte hindern müssen. Drei Beispiele:

Greta segelt

Monatelang habe Thunberg überlegt, lässt sie verlauten, doch nun habe sie eine Lösung: Segeln sei eine emissionsarme Methode, den Atlantik zu überqueren. Nun könnte ich freilich lästern, dass Thunberg, hätte sie mehr Zeit in einer Schule als davor verbracht, sich mit dem Blick in ein Geschichtsbuch viel Aufwand hätte sparen können, weil sie dann gewusst hätte, dass ihre Landsleute schon rund 1000 Jahre vor ihr auf diese Idee gekommen waren. Auf der anderen Seite finde ich ihr Engagement völlig in Ordnung, zumal auch mir in der Schule niemand etwas über Leif Eriksson erzählt hat. Was mich eher stört, ist die praktische Nutzlosigkeit dieses PR-Stunts, schlimmer noch, die Botschaft, die er hinterlässt: Abomino pauperos, "Ich verabscheue die Armen" oder neudeutsch: "Eure Armut kotzt mich an." Sich als Vorzeige-Aktivistin gesponsort in ungefähr zwei Wochen auf einer Rennjacht nach Amerika schaukeln zu lassen, ist keine Kunst. Es ist aber ungefähr so realitätsnah, wie aufgrund der erfolgreichen Apollo-Missionen von einer Besiedlung des Mondes zu sprechen. Die Netto-Kassiererin, die mehrere Jahre für ihre Ferienreise nach New York sparen musste, wird ganz bestimmt nicht vier von insgesamt fünf Wochen ihres Jahresurlaubs allein schon mit der Hin- und Rückfahrt verbringen wollen - falls sie sich die überhaupt leisten kann. Selbst die Geschäftsreisende, die pünktlich am Dienstag um 10 Uhr zur Besprechung in Boston erwartet wird und die Bootsreise von der Firma bezahlt bekommt, kann mit Zeitangaben wie "ungefähr zwei Wochen" keine zuverlässigen Termine vereinbaren, nicht zuletzt, weil ihr Kalender eine deutlich dichtere Taktung vorsieht. Sie wird also notgedrungen das Flugzeug nehmen und die CO2-Strafgebühren in Kauf nehmen. Mit anderen Worten: Mobilität soll endlich wieder etwas sein, was den Prominenten, Schönen und Reichen dieser Welt vorbehalten ist. Der Rest von uns soll gefälligst schön klimafreundlich die Ferien auf dem überfüllten Campingplatz am Baggersee verbringen.

Nun könnten wir uns in der Tat darüber unterhalten, ob wir dem Götzen Mobilität in den letzten Jahrzehnten nicht etwas arg gehuldigt haben. Billige Flugreisen zum Beispiel waren zu meiner Kindheit keine Selbstverständlichkeit. Die gerieten erst mit dem Aufkommen der Discount-Airlines Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger in Regionen, die Auto und Bahn vergleichsweise teuer erscheinen lassen. Diese Preisänderung hatte aber weiterreichende Auswirkungen, als sich auf den ersten Blick vermuten ließe. Sie veränderte das Reiseverhalten in ganz Europa. Die Menschen setzten sich für eine Reise von Lübeck nach Frankfurt nicht mehr in einen Zug, sondern ins Flugzeug. Was zuvor knapp fünf Stunden dauerte, ließ sich mit An- und Abreise zum Flughafen in drei erledigen und war bei rechtzeitiger Buchung sogar billiger. Wer günstig von Hamburg nach London wollte, musste nicht mehr einen Tag in Reisebussen und auf Fähren verbringen, sondern flog zum Taschengeldpreis mal eben hin. Die Welt wurde kleiner. Verreisen innerhalb Europas war nicht mehr den Reichen als teurer Luxus vorbehalten, sondern für alle erschwinglich.

Egal, ob "Fridays for Future" sich durchsetzt oder nicht - Energie und damit auch Mobilität wird in Zukunft teurer sein, weil uns die fossilen Energieträger ausgehen. Wir werden uns überlegen müssen, welche Reise wichtig ist und welche wir uns schenken können. Wahrscheinlich lassen sich viele Geschäftsbesprechungen auch mit einer Videokonferenz erledigen. Andererseits weiß ich: Die zwischenmenschliche Komponente kann keine Videokonferenz ersetzen. Ich habe mitunter auf einer Geschäftsreise in zwei Sitzungen und einem Abend all die Schwierigkeiten aus dem Weg räumen können, die sich durch wochenlangen Mailverkehr und Onlinebesprechungen nicht klären ließen. Das mag vielleicht irrational erscheinen, aber so ticken wir Menschen nun einmal.

Auf der anderen Seite haben wir ein Vierteljahrhundert lang Mobilität zur absoluten Maxime erhoben, haben den innerstädtischen Wohnraum immer weiter verteuert, so dass selbst Gutverdienende in die Speckgürtel und aufs Land ausweichen mussten. Wer eine Stelle nicht annahm, weil er nicht täglich vier Stunden allein mit der Fahrt zur Arbeit und zurück verbringen wollte, musste sich blasierte Sprüche anhören, ein bisschen Flexibilität sei ja wohl das Mindeste, was in einer mobilen Gesellschaft an den Tag gelegt werden muss. Jetzt den Spieß umzudrehen und eben jene zu verteufeln, die sich dem Druck gebeugt und ein Lebensmodell mit viel Herumreisen aufgebaut haben, ist günstigstenfalls ignorant. Ich tendiere eher zu "verächtlich".

Mich persönlich stört es nicht besonders, wenn Fliegen wieder teurer wird. Ich fliege ohnehin nicht gern. Ich lebe allerdings auch schon lang genug, um zu wissen: Wenn die Politik "begünstigen" sagt, meint sie tatsächlich "alles Andere verteuern". Wenn sie "Anreize schaffen" sagt, meint sie in Wirklichkeit "Alternativen künstlich verkomplizieren". In der Praxis: Flüge werden für Normalsterbliche unerschwinglich, während gleichzeitig kein Cent in den Ausbau des Schienenverkehrs gesteckt wird. Statt schnelle, bequeme, zuverlässige und billige Zugreisen zu schaffen, werden wir für Flüge Antragsformulare ausfüllen müssen, in denen wir begründen, warum wir einen Spaziergang durch Rom einem Einkaufsbummel in Wanne-Eickel vorziehen.

Roller rollen

Am 17. Mai erlaubte der Bundesrat elektrische Tretroller im Straßenverkehr. Das ließ die bis an die Grenze des Reaktionären änderungsaverse teutonische Volksseele kochen. Was hatte der brave Germane nicht alles erdulden müssen: fünfstellige Postleitzahlen, "daß" mit "ss" am Ende, den Euro und jetzt auch noch diese Dinger, die neben linksgrün versifften Fahrradökos und gammligen Fußgängern, die sich nichts Anderes leisten können dem blechernen Ersatzgemächte den Platz auf der Straße wegnehmen. Was zu viel ist, ist zu viel. So nimmt es auch nicht Wunder, das für den "Spiegel" bereits knappe zehn Wochen später feststeht: Alles Tinneff. Die Roller werden nicht, wie es sich gehört, dafür genutzt, den Landmann zum Frondienst und zurück zu karren, sondern, hör sich das einer an, ZUM SPASS! Was fällt denen ein? Der Deutsche hat zu rackern, im Schweiße seines Angesichts, ab und zu darf er vielleicht noch ein paar Länder überfallen, aber spielen? Geht's noch?

Ich frage mich, was passiert wäre, hätte Gottlieb Daimler zehn Wochen nach Eröffnung seiner Autofabrik nachgesehen, ob sein Automobil nur zu ernsthaften Zwecken oder doch eher als Spaßvehikel benutzt wird und dann gesagt: "Experiment gescheitert, die Leute stellen nur Unsinn mit meiner Erfindung an, ich schließe meinen Laden wieder."

Natürlich hat die vom "Spiegel" zitierte Studie einen anderen Hintergrund. Es ging darin um die Hoffnung, die Leute mögen für kurze Distanzen vom Auto auf Elektrotretroller umsteigen. Eine überwiegend spielerische Nutzung legt dabei die Vermutung nahe, hier seien die neuen Geräte um ihrer selbst Willen und nicht als Ersatz für den PKW genutzt worden. Das wäre in der Tat aus ökologischer Sicht wenig erfreulich. Vielleicht stellt sich das auch tatsächlich heraus - aber doch bitte nicht bereits nach zehn Wochen.

Zumindest in meiner Gegend sind die E-Scooter gerade erst aufgetaucht. In manchen Städten gibt es sie noch gar nicht. Aus dieser Datenbasis mehr als die Aussage abzuleiten, dass es Tretrollerverleihmodelle gibt und sie genutzt werden, kann eigentlich nur jemandem einfallen, der in der Statistikvorlesung schon nach der ersten Woche gegangen ist. Doch gehen wir unabhängig von der unseriösen Folgerung einmal davon aus, dass die reinen Zahlen stimmen und die Roller tatsächlich im Moment vorwiegend für Spaßfahrten eingesetzt werden. Ist das nicht ganz natürlich? Probieren Leute Dinge nicht erst einmal aus, bevor sie sich ernsthaft auf sie verlassen? Kann man sich überhaupt auf sie verlassen? Zumindest dort, wo ich unterwegs bin, sehe ich nur selten abgestellte E-Roller, wenn ich einen brauchen könnte. Hinzu kommen das in meinen Augen umständliche Mietverfahren sowie das unattraktive Bezahlmodell. Wenn ich ohnehin eine Dauerkarte des lokalen Verkehrsverbunds habe, möchte ich sie einfach an den Roller halten und losfahren. Ich möchte nicht eine App auf mein Smartphone laden, Kreditkartendaten hinterlegen, Abos abschließen, QR-Codes scannen und irgendwelche hanebüchenen Minutenpreise zahlen. Ich bezahle meinen Verkehrsverbund bereits dafür, mich von A nach B zu bringen, und wenn die Busse und Bahnen mal wieder nach dem Lustprinzip fahren, will ich nicht noch extra dafür zahlen, dass jeden Monat ein nicht unerheblicher Betrag für eine nicht erbrachte Leistung abgezogen wird, während ich verzweifelt versuche, weniger als eine Stunde verspätet mein Ziel zu erreichen. Wundert es da, dass zumindest in der Anlaufphase E-Scooter eher als Spielzeug denn als alltägliches Verkehrsmittel genutzt werden?

Sicherheitsspezialisten schwätzen

So traurig es ist: Der Mord (ich nenne die Tat ungeachtet späterer juristischer Bewertungen einmal so) von Frankfurt, bei dem ein achtjähriger Junge vor einen in den Hauptbahnhof einfahrenden ICE geworfen wurde, hätte nicht verhindert werden können. Das wollen die Leute natürlich nicht wahrhaben, und so rangieren die Verbesserungsvorschläge von offenkundigem Blödsinn wie Videoüberwachung (Wie soll das funktionieren? Stellen sich Kameras schützend zwischen Fahrgäste und Gleisbett?) über Zutritt zum Bahnsteig nur mit Fahrkarte (OK, die Bahn wird's freuen, hat sie noch eine Möglichkeit mehr, ungerechtfertigt Geld zu kassieren, aber warum sollte ein Mörder schlagartig zum friedfertigen Menschen mutieren, weil er 40 Cent für ein Bahnsteigticket bezahlt hat?) und mehr Polizeipräsenz (Ich stelle mir gerade vor, wie am Hamburger Hauptbahnhof ganze Hundertschaften die Bahnsteigkanten absichern.) bis hin zu gut gemeinten, aber hierzulande nicht funktionierenden Ideen wie Barrieren, die sich nur auf Höhe der Zugtüren und zu dem Zeitpunkt öffnen, wenn der Zug zum Stillstand gekommen ist (was sehr präzise haltende Züge und einheitliche Türabstände bei allen Zugtypen voraussetzt). Doch selbst, wenn wir es hinbekämen, die Bahnhöfe abzusichern, wäre nicht viel gewonnen. Wer heute öffentlichkeitswirksam Menschen umbringen will, fährt mit einem LKW eine Uferpromenade entlang. Im Zweifelsfall reicht auch ein kleiner dimensionierter Lieferwagen oder ein PKW. Wer aufgrund erhöhter Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr an Bahnhöfen Menschen vor Züge schubsen kann, sucht sich eine stark befahrene Ampelkreuzung und schubst dort Leute vor Autos. Wie reagieren wir dann? Fordern wir Gitterzäune an Ampeln, die nur bei Grün geöffnet werden? Ich weiß, das wird niemandem gefallen, aber der Grund, warum wir uns jeden Tag auf die Straße wagen, ist der, dass wir zwar von Idioten umzingelt sind, von denen aber nur ein verschwindend geringer Teil uns Leid zufügen will. Wer uns das garantiert? Niemand. Es hat einfach bislang so funktioniert.

Nachträge

Greta atmet

Wenn mich etwas noch mehr anödet als eine junge Klugschwätzerin, sind es alte Klugschwätzer. Dass Thunbergs Segeltörn eine peinliche Symbolaktion ohne jeden Praxisbezug ist, sollte keine besondere Erkenntnis sein. Jetzt haben aber ein paar ganz besonders Schlaue bei der taz und Spiegel Online nachgerechnet und herausgefunden, dass die Fahrt hin noch einigermaßen umweltverträglich ablaufen mag, das Schiff aber von Amerika aus wieder nach Europa zurücksegelt und die zugehörige Crew erst eingeflogen werden muss - was den ökologischen Sinn der Aktion natürlich konterkariert.

Thunberg lernt also gerade auf die Harte Tour, was es heißt, im Rampenlicht zu stehen. Sie hat keine Gelegenheit ausgelassen, sich mit Maximalrhetorik als Heilige zu inszenieren, und die Medien haben brav den Hype mit angestachelt. Nun hat der große Nachrichtenzirkus vor allem eine Währung, und die lautet Aufmerksamkeit. Moral spielt da nur so lange eine Rolle, wie sie der Auflage hilft. Freund und Feind gibt es da nicht. Die gleiche Zeitung, die dich am Montag noch in den Himmel gelobt hat, wird dich am Dienstag als neuen Hitlermaostalin inszenieren, wenn es Klicks bringt. Was heißt "wenn", nein weil es Klicks bringt. Gegen den Strom zu schreiben, kommt immer gut an, zeigt es doch, wie mutig und kritisch jemand etwas hinterfragt. Da eignen sich Heilige wie Thunberg natürlich besonders gut. Einen Fleck an der glänzenden Fassade zu finden, ist für den sich vom Ruhm nicht blenden lassenden Geist schon fast eine Pflicht. Thunberg anzugreifen, ist natürlich schwer, hat sie doch gleich mehrere Attribute, die sie schützen: Frau, jung, Behinderung. Andererseits ist sie im Medienhaifischbecken noch eine ungeübte Schwimmerin, und wer so hohe moralische Maßstäbe anlegt wie Thunberg, wird an genau diesen Maßstäben gemessen - auch wenn dabei so ein Unfug herauskommt wie dieses Mal.

Wäre Thunberg geflogen, hätten sich die Leute aufgeregt.Wäre sie auf einem Frachter, der ohnehin auf dem Weg nach New York ist, mitgefahren, hätten sich die Leute über den Frachter aufgeregt. Selbst wenn sie wie gelegentlich gefordert eine Skype-Konferenz angesetzt hätte, wäre irgendjemand auf die Idee gekommen, nachzurechnen, wie viel Strom und Rechenleistung das verbraucht und wie der ökologische Fußabdruck der Skype-Server aussieht. Es verblüfft mich insgesamt, wie sehr seit Monaten die Debatte über Äußerlichkeiten geht. Wir haben ganze Talkshowabende erlebt, in denen ausgiebig die Frage erörtert wurde, ob es denn rechtlich zulässig sei, an einem Tag pro Woche die Schule zu schwänzen. Dass es den Schülerinnen  um irgendwas ging, war völlig egal. Einfach so den kostbaren Unterricht boykottieren, das geht ja nun wohl gar nicht.

Ähnlich ist es bei dieser - zugegeben peinlichen - Atlantik-Segeltour. Die eigentliche Frage ist in meinen Augen nicht, ob Thunberg bei dieser Aktion wirklich CO2 spart. Es ist egal, weil ihr Ausflug nicht einmal im Ansatz massentauglich ist. Die eigentliche Frage ist, ob und wie wir künftig weltweit mobil sein wollen, und die zu stellen, ist Thunberg gelungen.

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