In Paris brennt eine der bekanntesten, vielleicht auch eine der schönsten Kirchen der Welt, und die meisten Menschen sind sich einig: Das ist schade. Lass uns diese Kirche wieder aufbauen. Nur um das Wie sind sie sich nicht einig. Die Kirche sagt, ihr gehöre das Gebäude nicht, sondern dem Staat, der wiederum sagt, er habe kein Geld, und weil das einigen wenigen, sehr reichen Menschen zu viel Getue ist, kippen sie mal eben ihre Portokoasse um und spenden die nötige Summe. Die Rede ist von einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag.
Wunderbar, die Finanzierung ist geklärt. Schön, dass sich einige Dinge so schell lösen lassen. Damit könnte die Sache erledigt sein, gäbe es nicht den linken Stammhirnreflex, es immer besser wissen zu müssen als der Rest der Welt, und hier bedient sich die Empöreria eines rheotorischen Mittels, das sie beim politischen Gegner anzuprangern nicht müde wird: dem Whataboutism.
Wer das Wort nicht kennt: Es geht um die Taktik, eine an sich positive Sache zu diskreditieren, indem sie einem weiterhin bestehenden Mangel mit der Floskel: "aber was ist mit", englisch: "what about" gegenübergestellt wird. Einfache Beispiele: "Ihr setzt euch hier für Tierschutz ein, aber gegen die Abholzung des Regenwalds in Brasilien unternehmt ihr nichts." - "Ihr demonstriert hier für mehr Meinungsfreiheit, aber habt ihr euch schon mal in China angesehen, wie sie da mit der Opposition umgehen?" oder der rechte Klassiker: "Ihr engagiert euch hier dafür, dass sich Muslime eine Moschee bauen können, während gleichzeitig in der Türkei die Christen unterdrückt werden." Uns ärgern diese Argumentationsmuster, vermischen sie doch Dinge, die eigentlich nicht zusammenhängen. Das hindert uns natürlich nicht daran, diese Argumentationsmuster selbst anzuwenden.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich ärgere mich auch über die extreme Ungleichverteilung von Reichtum. Ich meine auch, dass wir hier etwas unternehmen müssen. Es ärgert mich aber der Anlass, zu dem diese Kritik angebracht wird. Hier hat nicht etwa ein reicher Pfeffersack für sich eine protzige Villa hingestellt oder sich eine neue Yacht gekauft. Nein, hier hat ein reicher Pfeffersack genau das getan, was wir immer wieder von ihm verlangen: Er hat seinen Reichtum für die Gemeinschaft eingesetzt.
JA, ABER DOCH NICHT SO!
"Sie sollen Steuern zahlen." Kann sich linke Selbstaufgabe noch kläglicher äußern? Früher, da ging es noch um die großen Ziele. Expropriiert die Exproprieteure! Alle Macht den Räten! Umsturz des kaptialistischen Wirtschaftssystems! Vergesellschaftung des Kapitals, Junkerland in Bauernhand, die Kapitalisten werden noch den Strick kaufen, an dem wir sie aufhängen, und jetzt: "Steuern zahlen." Ehrlich?
Der Staat soll am besten wissen, was mit meinem Geld geschehen soll? Ist das der Staat, der praktisch kein öffentliches Großbauprojekt innerhalb des vorgesehenen Zeit- und Budgetplans abschließt, der Staat, der Milliardenbeträge in Kriegsgerät investiert, das dann nicht einmal funktioniert (OK, das wiederum finde ich nicht weiter schlimm), der Staat, der die Sozialleistungen abbaut, die Krankenhäuser und Schulen kaputtspart und es noch nicht einmal hinbekommt, dass ein G8-Land funktionierenden Bahnverkahr hat? Diesem Staat soll ich vertrauen, dass er rund die Hälfte der Zeit, die ich mit Arbeit verbringe, sinnvoll in öffentlichen Nutzen investiert? Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten damit, fünfzig Prozent meines Einkommens an die Gemeinschaft abzugeben. Ich habe gewaltige Schwierigkeiten damit, zu sehen, wie dieses Geld sinnlos verbrannt wird. Wenn irgendein Milliardär ohne mit der Wimper zu zucken den Wiederaufbau eines der bekanntesten Kulturdenkmäler der westlichen Welt finanziert, bin ich zwar ein wenig neidisch, wie locker ihm das von der Hand geht, aber auf der anderen Seite: Das ist sein Geld, seine Entscheidung, und ich finde es allemal besser, dass sich schnell Sponsoren gefunden haben, statt dass die Trümmer des Gebäudes jahrelang im Regen verrotten.
Wir können uns gern darüber unterhalten, reiche Menschen mehr in die Verantwortung zu nehmen und Geld gerechter zu verteilen, aber bitte wählt euch dazu einen anderen Anlass als einen, an dem genau das wenigstens andeutungsweise geschieht.
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