Montag, 25. Mai 2015

In memoriam Douglas Adams

Es war irgendwann in den Osterferien 1984, die Wikipedia behauptet, der 29.4. Ich war mit meinen Eltern in deren Ferienhaus und langweilte mich fürchterlich. Das Ferienhaus war eng, klein, abgelegen im schwäbischen Niemandsland und bot exakt nichts, was einen pubertierenden Teenager auch nur halbwegs interessieren könnte. Selbst meinen C64 hatte ich nicht mitnehmen dürfen. Der Grund des Marianengrabens war im Vergleich ein abwechslugsreicher, reizüberfluteter Ort.

Mitten in die Ereignislosigkeit hinein ertönte auf einmal die Stimme meiner Eltern. Ich solle doch kurz zum Fernseher kommen. Na prima. Bestimmt wird es wieder etwas sein, was die beiden unter dem Begriff "Unterhaltung" missverstehen. "Da läuft gerade was Lustiges", sagten sie. "Irgendwas mit Weltraum. Das ist doch was für dich." Naja, ansehen kann man es sich ja mal. Besser als das dumpfe Nichts eines langen Feriennachmittags in der Einöde war es bestimmt.

Was ich dann sah, sollte mein Leben verändern.

Ich weiß nicht, ob Sie diese Momente kennen, in denen Sie eine Fernsehsendung sehen, ein Buch lesen oder ein Lied hören, und Ihnen sofort klar ist, dass Sie die Welt nie mehr so sehen werden wie zuvor. Ihre Wortwahl ändert sich, Ihr Humor ändert sich, es ist, als hätte sich ein Schalter um- und eine neue Erkenntnisebene in Ihnen freigelegt. So etwa ging es mir, als ich den ersten Teil der BBC-Verfilmung von "Per Anhalter durch die Galaxis" sah.

Die Schauspieler waren schlecht. Die Tricktechnik war schlecht. Die Synchronisation war schlecht. Das merkte ich aber nicht. Was ich sah, waren Computeranimationen von Lexikonseiten, die von Handtüchern sprachen, warum sie so wahnsinnig wichtig sind. Es ging um Vogonen, Babelfische und den gefräßigen Plapperkäfer von Traal. Britischer konnte man das Universum nicht sehen.

Mitte der Achtziger gab es kein Internet. Man konnte nicht auf Youtube herumklicken und Videoclips aus aller Welt bestaunen. Wer nach Großbritannien wollte, musste eine lange Zug- oder Busreise in Kauf nehmen - zuzüglich einer Fährüberfahrt, denn der Bau des Kanaltunnels hatte damals noch nicht einmal begonnen. Verwaschene Kopien von Monty-Python-Filmen wurden wie Goldschätze herumgereicht - sofern man überhaupt wusste. dass es Monty Python gibt. Britischer Humor gelangte nur tröpfchenweise dosiert nach Westdeutschland. Die Meisten kannten England nur aus Edgar-Wallace-Filmen, und die waren tatsächlich in Berlin oder Hamburg gedreht worden. Die BBC-Verfilmung des "Anhalters" war in mehrfacher Hinsicht besonders: Erstens wagte man sich überhaupt an Science-Fiction, zweitens war es nicht eine verstaubte Konserve aus den Sechzigern, drittens war es Humor und viertens kam er aus einem Land, das sich damit auskannte: England.

Selbst heute denken viele Deutsche bei englischem Humor an die krachledernen Werke von "Mr. Bean" oder "Little Britain", und wenn die deutsche Spießerseele am Altjahresabend ihren Klimax erreicht, versammelt sie sich zu "Dinner for One" vor dem Fernseher. Bezeichnenderweise kennt hierzulande praktisch niemand die anderen Werke Rowan Atkinsons, die, in denen er nicht als "Mr Bean" lallt, sondern spricht, und zwar virtuos. Das ist natürlich nicht ganz so leicht zu verstehen wie fliegende Torten.

Fliegende Torten gab es auch beim "Anhalter" nicht, statt dessen das, was in meinen Augen britischen Humor auszeichnet: den Hang zum Absurden, den Plauderton beim Behandeln des Sensationellen und die Überbetonung des Alltäglichen. Dass die galaktische Währung Ningi eine dreieckige Gummimünze mit einer Kantenlänge von 6800 Meilen ist, behandelt das Buch mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der es erkärt, warum ein alle Sprachen übersetzender Fisch der Beweis für die Nichtexistenz Gottes ist. Den Wert von Handtüchern hingegen sollte man keinesfalls unterschätzen. Die sind wichtig. Was man damit alles anfangen kann!

Ich sah die Serie und wusste: Das Buch dazu muss ich haben. Doch das war nicht so einfach. An den ersten Band kam man noch sehr leicht. Der wurde bei Ullstein verlegt und konnte in jeder Buchhandlung gekauft werden. Sehr viel schwieriger waren die anderen beiden zu diesem Zeitpunkt erhältlichen Bände. Ich brauchte Wochen, um zu begreifen, dass Bücher, die bei Zweitausendeins verlegt wurden, in normalen Buchhandlungen nicht nur nicht zu haben waren, sondern dass man dort nicht einmal von ihnen wusste. In der Stadtbücherei brauchte ich gar nicht erst nachzufragen; nicht, dass ich es nicht versucht hätte.

Man musste die Bücher also bestellen, und auch das war umständlicher als heute, wo man einfach auf die Webseite klickt, die Bestellung abschickt und allenfalls darüber nachdenkt, ob man mit Paypal, Bankeinzug oder Kreditkarte zahlen will. Bei Zweitausendeins brauchte man zunächst das "Merkheft", ein auf dünnem Papier gedrucktes Heftchen mit einem Bestellschein auf der letzten Seite. Den Schein musste man ausfüllen, in einen Briefumschlag stecken und abschicken. Eine Überweisung nahm man damals auch nicht per Online-Banking vor, sondern musste dazu einen Überweisungsschein ausfüllen und den bei der Bank vorbeibringen. Dazu kam, dass die Bände des "Anhalters" einzeln bis zu 20 D-Mark kosten konnten, was damals doppelt bis dreimal so viel Geld war, wie ein normales Taschenbuch kostete. Dafür sahen sie aber auch toll aus: rote, blaue oder grüne Teleskopaufnahmen mit Dutzenden kleiner Comicraumschiffe. Selbst die Schrift war außergewöhnlich: serifenlos und farbig. Das traute sich sonst niemand. Mein Vater schimpfte, das sei typografischer Unsinn, so etwas könne man gar nicht lesen. Natürlich konnte ich.

Irgendwann wollte ich natürlich das englische Original lesen. Noch einmal: Damals gab es kein Amazon. Selbst gute Buchhandlungen hatten nur eine spartanisch ausgestattete Fremdsprachenabteilung, die vor allem Schulbuchklassiker vertrieb. Für Profanliteratur wie den "Anhalter" war da natürlich kein Platz. Bessere Chancen hatte man in den Bahnhofsbuchhandlungen. Die waren zwar noch schlechter sortiert, aber dafür gab es dort auch englische Alltagsliteratur. Das Dumme war nur: Importbücher waren teuer. Sehr teuer.

Meine Ausgabe des "Hitchhikers" kostete 1,95 Britische Pfund, nach damaligem Wechselkurs etwa drei Euro. Das deutsche Preisschild ist inzwischen abgefallen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass englische Bücher immer etwa das Dreifache des umgerechneten Pfundpreises kosteten. Das hört sich zwar aus heutiger Sicht immer noch billig an, aber vor über 30 Jahren waren das absolute Apothekenbeträge. Zum Vergleich: Ein Big Mac kostete unter zwei Euro, und eine ordentliche Pizza bekam man in der Studentenkneipe für zwei bis drei Euro.

Der "Anhalter" stach also heraus. Er war besonders geschrieben, man kam nicht einfach an ihn heran, und billig war er auch nicht. Im Gegenzug eröffnete er eine neue Welt - eine Welt, in der die Zahl 42 unglaubliche Bedeutung hatte (nur wusste niemand genau, welche), eine Welt, in der Kricket eine unanständige Anspielung auf einen gescheiterten Vernichtungskrieg ist, eine Welt, in der man den Sound der Plutonium-Rockband "Disaster Area" am ausgewogensten in einem Betonbunker 37 Meilen von der Bühne entfernt genießt. Ich weiß einen pangalaktischen Donnergurgler zu schätzen und kenne das Geheimnis, wie man das Universum am besten regieren lässt: vom einzigen Wesen, das nicht das geringste Interesse daran hat.

Seit ich den "Anhalter" das erste Mal las, habe ich ihn ungezählte Male erneut gelesen. Bei sieben habe ich zu zählen aufgehört. Das Erlebnis, dass sich mit einem Schlag mein gesamtes Weltbild ändert, hatte ich danach natürlich auch noch bei anderen Gelegenheiten, aber selten. Der "Anhalter" ist auf jeden Fall eines prägendsten Erlebnisse meines Lebens.

In diesem Sinne: Happy Towel Day.

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