Es ist Montag, und nach einem verregneten Wochenende mit reichlich Gelegenheit, daheim irgendwelchen Unsinn auszubrüten, drängt es unsere Führungselite wieder in die Zeitungsspalten, um munter gegen Demokratie und Menschenrechte zu trommeln. Im Ring begrüßen wir heute einen alten Hasen, der bislang kaum eine Gelegenheit ausließ, sein, sagen wir, äußerst distanziertes Verhältnis zu den ersten Artikeln des Grundgesetzes zu demonstrieren, und eine bislang Unbekannte, die von europäischer Ebene kommend die Zangenbewegung gegen die Grundrechte komplettiert.
BKA-Chef Jörg Zierke lässt sich in "Bild" mit dem Satz zitieren: "Datenschutz hilft Kinderschändern" und reiht sich damit in die Riege derer ein, die spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung nicht müde werden, von einem Staat zu schwärmen, in dem der Bürger für die Polizei, nicht die Polizei für den Bürger da ist.
Neu dabei ist EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die - wie der Zufall es so will - gerade in dem Moment die längst als unbrauchbar erkannte Idee der Internetzensur aus der politischen Mottenkiste kramt, in dem selbst CDU und SPD zu verstehen beginnen, warum dieser Ansatz nicht funktioniert. Hierzu wurde in Deutschland bereits mehrfach alles gesagt, was zu sagen ist. Der AK Zensur fasst noch einmal zusammen, wieso eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung bleibt, auch wenn man die Leute mit Stoppschildern zum Wegschauen auffordert.
Die Strategie der Chinesen in der EU ist klar: Auf nationaler Ebene lässt sich Zensur nicht verkaufen, also muss man den Hebel dort ansetzen, wo demokratische Mechanismen erst seit kurzem zu funktionieren beginnen - im schwer zu durchschauenden Dickicht von Ministerrat, Kommission und EU-Parlament. Obwohl das Parlament direkt gewählt wird, genießt es beim europäischen Wahlvolk kaum Interesse. Dadurch entsteht ein Teufelskreis: Ein verzweifelt um Bedeutung kämpfendes Parlament hat zu wenig Rückhalt bei den Wählern, weswegen es weitere Schwierigkeiten hat, sich gegenüber anderen europäischen Institutionen durchzusetzen, was das bereits gefestigte Bild beim Wähler bestätigt. Als Ergebnis können geübte Strategen auf EU-Ebene fast jeden Blödsinn beschließen, der niemals ein nationales Parlament passiert hätte, aber nun in den Ländern durchgedrückt wird, weil es von oben als europäische Richtlinie kommt.
Das hat nichts mehr mit Demokratie zu tun, aber es liegt an uns, diesen Zustand zu ändern. Wer heute Bürgerrechte abschaffen möchte, geht auf die europäische Ebene. Er sollte dort auf unsere Gegenwehr treffen.
Montag, 29. März 2010
Sonntag, 28. März 2010
Rette uns, CDU!
Dass Pressemeldungen nicht gerade zu den herausragenden literarischen Leistungen des Volks der Dichter und Denker zählen, ist bekannt und nichts, was nennenswert beunruhigen sollte. Was aber der Stellv. Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Günter Krings MdB und der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der EVP im Europäischen Parlament Manfred Weber MdEP am 26.3. von sich gaben, ist schon ein besonderes Kleinod. Ursprünglich hatte ich vor, die Angelegenheit mit einer Twitter-Anmerkung auf sich beruhen zu lassen, aber nachdem ich mir die Erklärung genauer angesehen hatte, fand ich diese mit rhetorischen Billigtricks angereicherte Ansammlung von Viertel- bis Unwahrheiten geradezu perfekt geeignet, um die Argumentationsweise der Befürworter eines Präventivstaats zu beleuchten. Es kommt selten vor, aber bei dieser Presseerklärung hatte ich buchstäblich bei jedem Satz dieses Bild vor Augen.
Doch lassen wir den Taten Worte folgen. Die Pressemitteilung beginnt:
Vielleicht hat die CDU ja auch ein ganz anderes Urteil gelesen. In der mir vorliegenden Kopie heißt es nämlich: "Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden." Das ist mehr als einfach nur ein bisschen Herumgeschraube an der Panzertür, hinter der man die Magnetbänder wegschließt. Das geht ans Wesen des bisherigen Gesetzestextes.
Da ist er wieder, der blinde Aktionismus, der spätestens seit 2001 an die Stelle besonnenen und nachhaltigen Handelns getreten ist. Wie oft muss man denn noch von Deutschlands obersten Richtern die laienhaft zusammengeschmierten Gesetzesimitate um die Ohren gehauen bekommen, bis man endlich begreift, dass Gesetze nicht hastig zwischen zwei Linien Koks auf der Bundestagstoilette hingehuddelt werden sollen?
Der Trick ist alt, nennt sich "über Bande spielen" und funktioniert so: Eine Regierung will ein Gesetz verabschieden und stellt es im eigenen Land zur Diskussion. Ein Sturm der Entrüstung erhebt sich. Selbst üblicherweise regierungstreue Experten sind sich einig: Man hat ja schon viel Blödsinn aushalten müssen, aber dieses Gesetz schaffe es souverän, die bisherigen Eseleien in den Schatten zu stellen. Angesichts dieses Gegenwinds beschließt die Regierung, das Vorhaben scheinbar einzustampfen. "Wir haben verstanden" heißt es medienwirksam, und leise fügt man hinzu "dass wir auf demokratischem Weg das Gesetz nicht durchgesetzt bekommen und wir deshalb nach Brüssel gehen müssen." Noch während der Pressekonferenz saust schon ein Regierungsvertreter zum EU-Ministerrat, im Gepäck das gerade grandios gescheiterte Gesetz. Im Ministerrat wiederum sieht die Angelegenheit schon viel entspannter aus. Hilfst du mir bei meinem, helfe ich dir bei deinem Unsinnsgesetz, heißt es, und wenn sich der Regierungsvertreter beeilt, schafft er es, noch vor Ende der Pressekonferenz wieder in Berlin zu sein, um dort mit Dackelblick zu verkünden, man stimme den Kritikern zu, das neue Gesetz sei der letzte Blödsinn, aber da sei diese zutiefst ärgerliche EU-Richtlinie mit zufälligerweise dem gleichen Wortlaut, und man habe nun leider keine andere Wahl, man müsse dieses Gesetz in Kraft treten lassen. Um eine Vorstellung zu vermitteln, wie dringend "müssen" in Wirklichkeit ist: Erich Möchel zufolge liefen Ende 2009 fünfzig Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich. Haben Sie irgendwo gelesen, dass die EU kurz davor ist, in Österreich einzumarschieren, um die renitente Ostmark zur Raison zu bringen?
Falls Sie glauben, das europäische "Über-Bande-Spiel" sei ein Hirngespinst: Ist es nicht ein erstaunlicher Zufall, dass die EU-Kommission just in dem Moment, da das Internetzensurgesetz in Deutschland auf der Kippe steht, mit einem Vorstoß für einen europaweiten Ansatz kommt?
Die hier getroffene Unterstellung ist derart weit von der Realität entfernt, dass ich mich frage, ob die Herren Krings und Weber so dumm sind, dass sie selbst die niedrigen Ansprüche unseres Landes arg strapazieren, oder ob sie mit einer ans Kriminelle grenzenden Dreistigkeit lügen. Damit es auch der Letzte merkt: Natürlich speichert Ihr Internetanbieter in diesem Moment Ihre IP-Adresse. Er merkt sie sich nur nicht für ein halbes Jahr. Vor allem merkte er sich selbst zu Zeiten des gekippten Gesetzes eines nicht: die von Ihnen aufgerufenen Internetadressen. Wenn man Ihnen also ein Verbrechen nachweisen will, brauchte und braucht man neben den Verbindungsdaten des Internetanbieters eine Protokolldatei des Servers, auf dem Sie vermeintlich zugange waren, in der die IP-Adressen der zugreifenden Rechner standen. Ohne diese Datei kann Ihr Internetanbieter Vorratsdaten speichern, bis ihm die Platte überquillt - sie nützen den Behörden nichts.
Interessant ist auch der rhetorische Kniff, der bei Argumentationen dieser Art gern angewendet wird: geblufftes Expertenwissen. Gerade Ziercke und von der Leyen fabulieren munter drauflos, wenn es darum geht, in plastischen Bildern die Gefahren des Internet zu schildern. Dabei ist es völlig egal, dass die Realität deutlich langweiliger daher kommt, wichtig ist nur die Botschaft: "Das Internet bedroht auch dich, lieber Wähler, aber unsere Superhelden können dich retten. Hör nicht auf die zotteligen Typen vom CCC, die immer so ein kompliziertes Zeugs reden. Du verstehst es nicht, wir verstehen es nicht, also vergessen wir es." Diesmal verbreiten sich Kindesmissbraucher also in "Internetblogs" - womit einmal mehr der Nachweis geführt wäre, dass dieses "Web 2.0" Teufelszeug ist. Erst bedrohen die Blogger mit ihren Artikeln die armen Zeitungen, und wenn sie damit fertig sind, vergewaltigen sie ihre Kinder. So einfach kann die Welt sein, wenn man sie mit den Augen der CDU sieht.
Wenn man Experten zitieren möchte, dann sollte man am besten auch einen Experten hinzuziehen, nicht jemand, der von seinem Dienstherrn bescheinigt bekam: "Es ist so aufwändig, dass der Chef des Bundeskriminalamts, der Herr Ziercke, der versteht e bissel was davon." E bissel? E bissel versteht jeder Informatiklehrer was vom Internet. Wenn ich Eingriffe in die Menschenrechte fordere, wäre "sehr viel was davon verstehen" ein angemessener Anspruch an einen Experten. Statt dessen bemüht man einen klangvollen Namen, den Chef des Bundeskriminalamts, der in der Vergangenheit vor allem durch rhetorische Tricksereien und nicht durch besondere Sachkunde auffiel.
Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass ihre gewählten Volksvertreter sorgfältig ausgearbeitete Gesetze verabschieden, die sich an die im Grundgesetz garantierten Menschen- und Bürgerrechte halten.
Doch lassen wir den Taten Worte folgen. Die Pressemitteilung beginnt:
Brüssel stellt gar nichts in Frage. Es sind unter anderem deutsche Datenschützer, die nach ihrem Teilerfolg vor dem Bundesverfassungsgericht versuchen, die Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene zu kippen. Die Botschaft dieser leichten Verwechslung von Ursache und Wirkung ist daher: Ihr weinerlichen Alemannen und Terroristenfreunde, lasset alle Hoffnung fahren, die Feste Brüssel wanket nicht."Es ist ein fataler Trugschluss zu glauben, Brüssel würde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich in Frage stellen."
Wenn es wirklich so unbestritten ist, frage ich mich, was der FoeBuD, der CCC, die Humanistische Union, die DVD, Teile von Grünen und der FDP, die Piratenpartei, diverse Landes- sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in den letzten Jahren für ein Theater veranstaltet haben. Es mag ja sein, dass sich die Abgeordneten Krings und Weber einig sind, aber über 34.000 Beteiligte an der größten Verfassungsklage seit Bestehen der Bundesrepublik sind nicht das, was man sich gemeinhin unter "völlig unbestritten" vorstellt."Es völlig unbestritten, dass die Vorratsdatenspeicherung ein notwendiges und geeignetes Mittel ist, um schwere Straftaten, Organisierte Kriminalität und Terrorismus zu verfolgen."
Nur weil juristische Texte in zähem Deutsch verfasst sind, sollte man nicht darauf vertrauen, dass sie ohnehin keiner liest und munter behaupten, was einem gerade in den Kram passt. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts war es, über die Verfassungsmäßigkeit einer bestimmten Ermittlungstechnik zu entscheiden. Wäre der Fortbestand unserer Zivilisation in der behaupteten Weise bedroht, hätten die Karlsruher Richter in einer Güterabwägung die Vorratsdatenspeicherung für rechtmäßig erklärt. Ganz so zweifelsfrei kann die Feststellung also nicht sein. Wer es anders sieht, möge die genaue Stelle in der Urteilsbegründung nennen."Dies hat das Bundesverfassungsgericht ohne jeden Zweifel festgestellt!"
"Es hat lediglich höhere Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit vorgeschrieben."
Vielleicht hat die CDU ja auch ein ganz anderes Urteil gelesen. In der mir vorliegenden Kopie heißt es nämlich: "Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden." Das ist mehr als einfach nur ein bisschen Herumgeschraube an der Panzertür, hinter der man die Magnetbänder wegschließt. Das geht ans Wesen des bisherigen Gesetzestextes.
"Daher kann jetzt das Gesetz unverzüglich entsprechend nachgebessert werden."
Da ist er wieder, der blinde Aktionismus, der spätestens seit 2001 an die Stelle besonnenen und nachhaltigen Handelns getreten ist. Wie oft muss man denn noch von Deutschlands obersten Richtern die laienhaft zusammengeschmierten Gesetzesimitate um die Ohren gehauen bekommen, bis man endlich begreift, dass Gesetze nicht hastig zwischen zwei Linien Koks auf der Bundestagstoilette hingehuddelt werden sollen?
"Damit kommt Deutschland auch seinen Verpflichtungen zur Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie nach."
Der Trick ist alt, nennt sich "über Bande spielen" und funktioniert so: Eine Regierung will ein Gesetz verabschieden und stellt es im eigenen Land zur Diskussion. Ein Sturm der Entrüstung erhebt sich. Selbst üblicherweise regierungstreue Experten sind sich einig: Man hat ja schon viel Blödsinn aushalten müssen, aber dieses Gesetz schaffe es souverän, die bisherigen Eseleien in den Schatten zu stellen. Angesichts dieses Gegenwinds beschließt die Regierung, das Vorhaben scheinbar einzustampfen. "Wir haben verstanden" heißt es medienwirksam, und leise fügt man hinzu "dass wir auf demokratischem Weg das Gesetz nicht durchgesetzt bekommen und wir deshalb nach Brüssel gehen müssen." Noch während der Pressekonferenz saust schon ein Regierungsvertreter zum EU-Ministerrat, im Gepäck das gerade grandios gescheiterte Gesetz. Im Ministerrat wiederum sieht die Angelegenheit schon viel entspannter aus. Hilfst du mir bei meinem, helfe ich dir bei deinem Unsinnsgesetz, heißt es, und wenn sich der Regierungsvertreter beeilt, schafft er es, noch vor Ende der Pressekonferenz wieder in Berlin zu sein, um dort mit Dackelblick zu verkünden, man stimme den Kritikern zu, das neue Gesetz sei der letzte Blödsinn, aber da sei diese zutiefst ärgerliche EU-Richtlinie mit zufälligerweise dem gleichen Wortlaut, und man habe nun leider keine andere Wahl, man müsse dieses Gesetz in Kraft treten lassen. Um eine Vorstellung zu vermitteln, wie dringend "müssen" in Wirklichkeit ist: Erich Möchel zufolge liefen Ende 2009 fünfzig Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich. Haben Sie irgendwo gelesen, dass die EU kurz davor ist, in Österreich einzumarschieren, um die renitente Ostmark zur Raison zu bringen?
Falls Sie glauben, das europäische "Über-Bande-Spiel" sei ein Hirngespinst: Ist es nicht ein erstaunlicher Zufall, dass die EU-Kommission just in dem Moment, da das Internetzensurgesetz in Deutschland auf der Kippe steht, mit einem Vorstoß für einen europaweiten Ansatz kommt?
"Es kann nicht hingenommen werden, völlig tatenlos zuzusehen, dass etwa widerliche Straftaten wie die in Internetblogs beschriebene Vergewaltigung eigener Kinder über die Auflösung der IP-Adresse nicht mehr verfolgt werden können."
Die hier getroffene Unterstellung ist derart weit von der Realität entfernt, dass ich mich frage, ob die Herren Krings und Weber so dumm sind, dass sie selbst die niedrigen Ansprüche unseres Landes arg strapazieren, oder ob sie mit einer ans Kriminelle grenzenden Dreistigkeit lügen. Damit es auch der Letzte merkt: Natürlich speichert Ihr Internetanbieter in diesem Moment Ihre IP-Adresse. Er merkt sie sich nur nicht für ein halbes Jahr. Vor allem merkte er sich selbst zu Zeiten des gekippten Gesetzes eines nicht: die von Ihnen aufgerufenen Internetadressen. Wenn man Ihnen also ein Verbrechen nachweisen will, brauchte und braucht man neben den Verbindungsdaten des Internetanbieters eine Protokolldatei des Servers, auf dem Sie vermeintlich zugange waren, in der die IP-Adressen der zugreifenden Rechner standen. Ohne diese Datei kann Ihr Internetanbieter Vorratsdaten speichern, bis ihm die Platte überquillt - sie nützen den Behörden nichts.
Interessant ist auch der rhetorische Kniff, der bei Argumentationen dieser Art gern angewendet wird: geblufftes Expertenwissen. Gerade Ziercke und von der Leyen fabulieren munter drauflos, wenn es darum geht, in plastischen Bildern die Gefahren des Internet zu schildern. Dabei ist es völlig egal, dass die Realität deutlich langweiliger daher kommt, wichtig ist nur die Botschaft: "Das Internet bedroht auch dich, lieber Wähler, aber unsere Superhelden können dich retten. Hör nicht auf die zotteligen Typen vom CCC, die immer so ein kompliziertes Zeugs reden. Du verstehst es nicht, wir verstehen es nicht, also vergessen wir es." Diesmal verbreiten sich Kindesmissbraucher also in "Internetblogs" - womit einmal mehr der Nachweis geführt wäre, dass dieses "Web 2.0" Teufelszeug ist. Erst bedrohen die Blogger mit ihren Artikeln die armen Zeitungen, und wenn sie damit fertig sind, vergewaltigen sie ihre Kinder. So einfach kann die Welt sein, wenn man sie mit den Augen der CDU sieht.
"Andere Wege, so auch der BKA Präsident Jörg Ziercke, stehen schlechthin nicht zur Verfügung."
Wenn man Experten zitieren möchte, dann sollte man am besten auch einen Experten hinzuziehen, nicht jemand, der von seinem Dienstherrn bescheinigt bekam: "Es ist so aufwändig, dass der Chef des Bundeskriminalamts, der Herr Ziercke, der versteht e bissel was davon." E bissel? E bissel versteht jeder Informatiklehrer was vom Internet. Wenn ich Eingriffe in die Menschenrechte fordere, wäre "sehr viel was davon verstehen" ein angemessener Anspruch an einen Experten. Statt dessen bemüht man einen klangvollen Namen, den Chef des Bundeskriminalamts, der in der Vergangenheit vor allem durch rhetorische Tricksereien und nicht durch besondere Sachkunde auffiel.
"Daher muss diese Schutzlücke schnellstmöglich geschlossen werden."Erneut erfolgt der Griff in die sprachliche Werkzeugkiste. Eine Lücke hat sich aufgetan. Blank und schutzlos liegt das deutsche Volk da. Durch die Lücke hindurch strömen "schwere Straftaten, Organisierte Kriminalität und Terrorismus" und fallen über uns her. In einer solchen Situation darf man nicht lang nachdenken, erst recht keine Zeit damit verschwenden, sich an die Verfassung zu halten, nein, da muss man schnell von drinnen was dagegen nageln - hastig, hässlich, stümperhaft, auch nicht unbedingt lange haltbar, Hauptsache, man bekommt die Lücke irgendwie geschlossen. "Schnellstmöglich" eben. Sie kennen so etwas vielleicht, wenn der Glaser eine kaputte Fensterscheibe mit einer Notverglasung versieht, deren einzige Funktion darin besteht, so lange eine geschlossene Fläche wieder herzustellen, bis eine richtige Scheibe zur Hand ist. Für Fenster mag dies auch eine sinnvolle Taktik sein, aber in der Politik schafft man Gesetze für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Da klebt kein Herr Krings auf die Schnelle ein Hilfsgesetz hin, das nur so lange halten muss, bis ein richtiger Politiker vorbei kommt und die Sache richtig formuliert.
"Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein." Ist es das, was die beiden Abgeordneten sagen wollen, aber nach einer anderen Formulierung suchen, weil die alte hoffnungslos überstrapaziert wurde? Niemand stellt eine solche Selbstverständlichkeit in Frage, aber indem man sie nennt, erweckt man den Eindruck, als gäbe es hier ein Defizit. Mal sehen, ob ich das auch kann:"Unsere Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass der Staat sie schützt und mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen schwere Straftaten wirksam vorgeht."
Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass ihre gewählten Volksvertreter sorgfältig ausgearbeitete Gesetze verabschieden, die sich an die im Grundgesetz garantierten Menschen- und Bürgerrechte halten.
Samstag, 20. März 2010
Frühjahrsputz 2010 in Bonn
Mag es am schlechten Wetter, der ungünstigen Uhrzeit, am sehr kurzfristigen Zustandekommen der Aktion, der Aktionsform an sich oder am Desinteresse gelegen haben - außer Vertretern der Piratenpartei fand sich sonst niemand zum vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in Bonn veranstalteten Frühjahrsputz auf dem Münsterplatz ein. Mit hohem Engagement und Kooperationsbereitschaft in der Vorbereitungsphase hatten die Bonner Piraten, insbesondere Direktkandidatin Julia Schramm, einmal mehr gezeigt, wie wichtig ihnen Datenschutzfragen auch über Parteigrenzen hinaus sind. Ziel des gemeinschaftlichen Schrubbens war es, Aufmerksamkeit auf die künftigen Vorhaben der digitalten Bürgerrechtler zu lenken. Insbesondere die anstehende Massenklage gegen ELENA vor dem Bundesverfassungsgericht und das geplante Vorgehen gegen die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verdienen Aufmerksamkeit nicht nur innerhalb eines eingeschworenen Datenschützerzirkels. Sehr schön zum Anlass passte die aktuelle Schlagzeile des "Bonn Express": "Handy-Skandal - Wir können alle abgehört werden." Wenn Datenschutzthemen es bis in den Boulevard schaffen, stehen die Chancen für unser Anliegen vielleicht gar nicht einmal so schlecht, wie die eher verhaltene Öffentlichkeitswirkung einer Fegeaktion befürchten lässt.
Freitag, 19. März 2010
"Das hat doch nichts mit Datenschutz zu tun"
Anja denkt nüchtern. Wenn Sie jemanden brauchen, der Sie auf den Teppich zurück holt, wenn Sie sich so richtig in Rage geredet haben, fragen Sie Anja. Ein Satz von ihr reicht, und Sie sehen die Welt gleich viel entspannter.
"Sieh's mal so", sagte sie, als ich ihr in einem längeren Monolog erzählt hatte, was ich von ihrer Payback-Karte halte. "Ich fühle mich einfach nicht unwohl bei dem Gedanken, dass Kaufhof weiß, was ich einkaufe. Es mag ja sein, dass die Gefahr besteht, dass die Daten in falsche Hände geraden, aber ich habe nicht den Eindruck, dass dies wirklich geschieht. Vielleicht interessieren sich die Leute gar nicht so sehr für den Kram, wie du immer befürchtest." Überhaupt kann sie meine Aufregung zu Datenschutzfragen nicht nachvollziehen. "Es passiert doch nicht wirklich etwas", lächelt sie. "Wenn auch nur ein Teil dessen eingetreten wäre, was Du mir vor 20 Jahren ins Ohr gejammert hast, als der maschinenlesbare Ausweis eingeführt wurde, dann wäre Deutschland ein einziges großes Gefängnis. Das ist es aber nicht. Was du als Überwachungsstaat ansiehst, finden die meisten Leute nicht schlimm. Du regst dich künstlich über Kleinigkeiten auf, und tief in dir drinnen weißt du, dass es weit wichtigere Dinge gibt." Kurz: Zu einer Bedrohung braucht man immer zwei: Einen, der sie ausübt, und einen, der sie empfindet. Eine Bedrohung, die nicht als solche empfunden wird, ist keine.
So wie Anja denken die meisten Menschen. Wir Datenschützer gelten als verschrobener Haufen, und nur wenige können nachempfinden, warum wir so ein Brimborium veranstalten. Was uns ganz offensichtlich fehlt, ist die "Killerapplikation", der klassische Fall aus dem realen Leben, bei dem jedem Nicht-Geek klar wird, worum es uns geht. Vielleicht habe ich einen von denen kürzlich erlebt.
Da rief mich Anja an: "Sag mal, wie stelle ich die Lesebestätigungen bei Windows Mail ab?" - "Was genau willst du, keine anfordern oder keine versenden?" - "Keine versenden." Ich erklärte es ihr, konnte mir dann aber nicht die Frage verkneifen: "Nur so aus Interesse, warum willst du keine Lesebestätigungen versenden? Bei uns Datenschützern ist die Frage ja klar, aber dass du dich auf einmal dafür interessierst, wundert mich." - "Ich will verhindern, dass die Leute wissen, wann ich eine Mail gelesen habe, weil sie dann erwarten, dass ich sofort antworte, aber ich will mich nicht drängen lassen." - "Guck mal, genau das ist genau das, was wir immer wieder sagen." - "Wieso? Das hat doch mit Datenschutz nichts zu tun."
In meinen Augen hat es sehr viel mit Datenschutz zu tun, nur dass es diesmal nicht um den bösen Überwachungsstaat, den Repressionsapparat und die Datensammelwut internationaler Großkonzerne geht - wir Datenschützer lieben das wuchtige Vokabular, drunter geht's nicht - sondern im persönlichen Umfeld ansetzt, dort, wo sich Leute vertrauen, sich nichts Böses wollen. Trotzdem hat man Geheimnisse voreinander - keine schlimmen, einfach nur die Uhrzeit, zu der man seine Mails liest. Man will sich einfach nicht unter Druck gesetzt fühlen.
Vielleicht müssen wir in der Datenschutzdiskussion weg von den großen Bedrohungszenarien, weg von der moralischen Keule.Vielleicht müssen wir viel mehr auf Alltagssituationen abzielen, banale Dinge wie Lesebestätigungen von Mails. Wenn wir es geschafft haben, das Bewusstsein für Datenschutz bei solchem Kleinkram zu wecken, dann können wir vielleicht auch irgendwann vermitteln, warum wir Vorratssdatenspeicherung für ganz großen Unfug halten.
"Sieh's mal so", sagte sie, als ich ihr in einem längeren Monolog erzählt hatte, was ich von ihrer Payback-Karte halte. "Ich fühle mich einfach nicht unwohl bei dem Gedanken, dass Kaufhof weiß, was ich einkaufe. Es mag ja sein, dass die Gefahr besteht, dass die Daten in falsche Hände geraden, aber ich habe nicht den Eindruck, dass dies wirklich geschieht. Vielleicht interessieren sich die Leute gar nicht so sehr für den Kram, wie du immer befürchtest." Überhaupt kann sie meine Aufregung zu Datenschutzfragen nicht nachvollziehen. "Es passiert doch nicht wirklich etwas", lächelt sie. "Wenn auch nur ein Teil dessen eingetreten wäre, was Du mir vor 20 Jahren ins Ohr gejammert hast, als der maschinenlesbare Ausweis eingeführt wurde, dann wäre Deutschland ein einziges großes Gefängnis. Das ist es aber nicht. Was du als Überwachungsstaat ansiehst, finden die meisten Leute nicht schlimm. Du regst dich künstlich über Kleinigkeiten auf, und tief in dir drinnen weißt du, dass es weit wichtigere Dinge gibt." Kurz: Zu einer Bedrohung braucht man immer zwei: Einen, der sie ausübt, und einen, der sie empfindet. Eine Bedrohung, die nicht als solche empfunden wird, ist keine.
So wie Anja denken die meisten Menschen. Wir Datenschützer gelten als verschrobener Haufen, und nur wenige können nachempfinden, warum wir so ein Brimborium veranstalten. Was uns ganz offensichtlich fehlt, ist die "Killerapplikation", der klassische Fall aus dem realen Leben, bei dem jedem Nicht-Geek klar wird, worum es uns geht. Vielleicht habe ich einen von denen kürzlich erlebt.
Da rief mich Anja an: "Sag mal, wie stelle ich die Lesebestätigungen bei Windows Mail ab?" - "Was genau willst du, keine anfordern oder keine versenden?" - "Keine versenden." Ich erklärte es ihr, konnte mir dann aber nicht die Frage verkneifen: "Nur so aus Interesse, warum willst du keine Lesebestätigungen versenden? Bei uns Datenschützern ist die Frage ja klar, aber dass du dich auf einmal dafür interessierst, wundert mich." - "Ich will verhindern, dass die Leute wissen, wann ich eine Mail gelesen habe, weil sie dann erwarten, dass ich sofort antworte, aber ich will mich nicht drängen lassen." - "Guck mal, genau das ist genau das, was wir immer wieder sagen." - "Wieso? Das hat doch mit Datenschutz nichts zu tun."
In meinen Augen hat es sehr viel mit Datenschutz zu tun, nur dass es diesmal nicht um den bösen Überwachungsstaat, den Repressionsapparat und die Datensammelwut internationaler Großkonzerne geht - wir Datenschützer lieben das wuchtige Vokabular, drunter geht's nicht - sondern im persönlichen Umfeld ansetzt, dort, wo sich Leute vertrauen, sich nichts Böses wollen. Trotzdem hat man Geheimnisse voreinander - keine schlimmen, einfach nur die Uhrzeit, zu der man seine Mails liest. Man will sich einfach nicht unter Druck gesetzt fühlen.
Vielleicht müssen wir in der Datenschutzdiskussion weg von den großen Bedrohungszenarien, weg von der moralischen Keule.Vielleicht müssen wir viel mehr auf Alltagssituationen abzielen, banale Dinge wie Lesebestätigungen von Mails. Wenn wir es geschafft haben, das Bewusstsein für Datenschutz bei solchem Kleinkram zu wecken, dann können wir vielleicht auch irgendwann vermitteln, warum wir Vorratssdatenspeicherung für ganz großen Unfug halten.
Montag, 15. März 2010
Netzaktivisten bündeln Kräfte
"Wenn Du drei Viertel der deutschen Internetaktivisten auf einen Schlag erledigen willst, brauchst Du nur dieses Tagungshaus zu sprengen." Dieser Satz eines Teilnehmers am AKtivCongrez 2010 in Hamburg beschreibt gut die Zusammensetzung des Koordinierungstreffens, auf dem sich rund 70 Vertreter der Arbeiskreise Vorratsdatenspeicherung und Zensur, des FoeBuD, CCC, Gewerkschaften, FDP, Grüne und Piratenpartei, aber auch einige organisatorisch Ungebundene vom 12. bis 14. März zusammensetzten, um ihr weiteres Vorgehen zu organisieren. Wer auch immer in den letzten Monaten und Jahren in der deutschsprachigen Netzkultur von sich reden machte - die Wahrscheinlichkeit, ihn auf dem Kongress zu treffen, war hoch.
Zu besprechen gab es einiges, vor allem aber zwei Fragen: Wie sehen die nächsten Aktionen aus? Wie bekommen wir unsere Kräfte besser gebündelt?
Gerade die organisatorische Frage nahm viel Raum ein, hatte es doch in den vergangenen Monaten immer wieder Reibungsverluste gegeben, weil Datenschutz, digitale Bürgerrechte und Zensur zwar thematisch nah beieinander liegen, aber organisatorisch auf die beiden großen Arbeitskreise verteilt sind und die Verteilung nicht immer klar ist.
Eine zweite wichtige Frage war die nach der nächsten Massenaktion. Die Diskussion ging lange hin und her, am Ende fand sich eine Mehrheit für eine Großdemonstration am 11.9. in Berlin und einem bundesweiten Aktionstag vor der Fußballweltmeisterschaft. Einigkeit herrschte beim Anspruch, vom klassischen "Wir karren möglichst viele Leute auf einen großen Platz, lassen sie einige Stunden mit Transparenten im Kreis laufen und glauben ernsthaft, damit etwas bewegt zu haben" weg will. Es fehlt allerdings noch die zündende Idee, wie die Alternative aussieht.
Diffus sind auch noch die Vorstellungen zum bundesweiten Aktionstag, zumal die Planungsphase recht kurz ist, wenn man noch vor der Fußballweltmeisterschaft etwas zustande bringen will. Die Schwierigkeit liegt möglicherweise darin, dass man bei einer zentralen Großveranstaltung sofort ein Bild im Kopf hat, wie so etwas aussieht, und wenn einem partout nichts einfällt, hat man immer noch als Verlegenheitslösung den klassischen Massenaufmarsch mit Transparenten und Trillerpfeifen. Bei einem dezentralen Aktionstag braucht man ein Konzept, das überall funktioniert und dennoch ein Gesamtbild ergibt. Ohne den getroffenen Beschluss in Frage stellen zu wollen - so lange sich niemand findet, der ihn durchführt, ist er nicht viel wert.
Sehr viel konkreter sind die Ideen, was die Umsetzung eines anderen großen Wunsches angeht: Internationalisierung. Es zeichnet sich schon seit längerer Zeit ab, aber das Vorratsdatenspeicherungsurteil zeigt es noch einmal: Digitale Bürgerrechte muss man auf europäischer Ebene behandeln, wenn man erreichen will, dass sie sich in Deutschland verbessern. Politische Entscheidungen werden zunehmend europaweit getroffen, und die jüngsten Abstimmungen des EU-Parlaments zeigen deutlich, dass sich die Parlamentarier ihrer eigenen Macht bewusst werden und die Chancen für eine Demokratisierung der EU deutlich steigen. Die deutschen Internetaktivisten werden sich daran beteiligen.
Den größen Schritt voran ging es bei der Entwicklung des "Inkubators". Dieser aus der Zeit der dotcom-Blase vorbelastete Begriff beschreibt den Wunsch, eine zentrale Anlaufstelle zu haben, an die man sich wenden kann, wenn man als Bürgerrechtsaktivist etwas anzubieten hat oder etwas sucht und die passenden Kontakte oder Informationen braucht - eine Art NGOogle. Hier gediehen die Ideen so weit, dass die organisatorische und technische Umsetzung bereits anläuft.
So weit zu den Ergebnissen. Fast noch mehr als die beeindruckt mich aber der Weg, wie sie erreicht wurden. Ich hatte als Kind der Achtziger oft genug Gelegenheit, gute Bewegungen aufkeimen, gedeihen und schließlich an inneren Streitigkeiten eingehen zu sehen. Wenn ich mir ansehe, wie die digitalen Bürgerrechte zur Zeit agieren, habe ich begründete Hoffnung, dass hier etwas von Dauer entsteht. Obwohl es in den letzten Jahren immer wieder Streitereien gab, die bisweilen sehr hässlich ausgetragen wurden, schafft es die Bewegung immer wieder, sich auf gemeinsame Ziele zu konzentrieren. An der Sachlichkeit, mit der hier diskutiert wurde, kann sich manch ein abgebrühter Politprofi ein Beispiel nehmen. Mitunter waren einzelne Teilnehmer einfach übermüdet und deswegen ihr Tonfall etwas genervt, aber es wurde nie persönlich. Tricksereien und Zermürbungstaktiken, wie ich sie von Parteiversammlungen und -tagen kenne, fehlten völlig. Mitunter zogen sich Diskussionen etwas in die Länge, aber das geschah offensichtlich nicht aus Berechnung.
Ebenfalls beeindruckend waren die verschiedenen Techniken, die während des Kongresses souverän zum Einsatz kamen. Wer nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte, hielt sich über Twitter auf dem Laufenden. Im Etherpad arbeiteten mehrere Leute gleichzeitig zur Diskussion schon am Protokoll. Wenn jemand eine Datei oder eine Mitschrift brauchte, reichte eine Twitternachricht, und kurz darauf hatte man alle benötigten Informationen. Wer noch an Parteitage gewohnt ist, auf denen es schon als große Leistung galt, wenn einzelne Papiere im Verlauf des Tages fotokopiert und an die Teilnehmer verteilt wurden, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn Ergebnisse praktisch sofort vorliegen. Es gibt etwas zu erledigen? Die Adressen, unter denen man arbeiten kann, sind bekannt, und bei 70 Leuten findet sich immer jemand, der mit anpackt.
Ein Detail, das an dieser Stelle erwähnt werden sollte: Das gastgebende Tagungszentrum des DGB bot angefangen von der Bewirtung über die Zimmer bis hin zur Komplettabdeckung mit WLAN hervorragende Rahmenbedingungen. Die Bundeszentrale für politische Bildung ermöglichte einen äußerst niedrigen Teilnehmerbeitrag. Das sollte man im Kopf behalten, wenn man das nächste Mal über Gewerkschaften und verschwendete Steuergelder lästert.
Zu guter Letzt ein herzliches Dankeschön an alle, die sich an der Vorbereitung, Organisation und Durchführung beteiligt haben.
Zu besprechen gab es einiges, vor allem aber zwei Fragen: Wie sehen die nächsten Aktionen aus? Wie bekommen wir unsere Kräfte besser gebündelt?
Gerade die organisatorische Frage nahm viel Raum ein, hatte es doch in den vergangenen Monaten immer wieder Reibungsverluste gegeben, weil Datenschutz, digitale Bürgerrechte und Zensur zwar thematisch nah beieinander liegen, aber organisatorisch auf die beiden großen Arbeitskreise verteilt sind und die Verteilung nicht immer klar ist.
Eine zweite wichtige Frage war die nach der nächsten Massenaktion. Die Diskussion ging lange hin und her, am Ende fand sich eine Mehrheit für eine Großdemonstration am 11.9. in Berlin und einem bundesweiten Aktionstag vor der Fußballweltmeisterschaft. Einigkeit herrschte beim Anspruch, vom klassischen "Wir karren möglichst viele Leute auf einen großen Platz, lassen sie einige Stunden mit Transparenten im Kreis laufen und glauben ernsthaft, damit etwas bewegt zu haben" weg will. Es fehlt allerdings noch die zündende Idee, wie die Alternative aussieht.
Diffus sind auch noch die Vorstellungen zum bundesweiten Aktionstag, zumal die Planungsphase recht kurz ist, wenn man noch vor der Fußballweltmeisterschaft etwas zustande bringen will. Die Schwierigkeit liegt möglicherweise darin, dass man bei einer zentralen Großveranstaltung sofort ein Bild im Kopf hat, wie so etwas aussieht, und wenn einem partout nichts einfällt, hat man immer noch als Verlegenheitslösung den klassischen Massenaufmarsch mit Transparenten und Trillerpfeifen. Bei einem dezentralen Aktionstag braucht man ein Konzept, das überall funktioniert und dennoch ein Gesamtbild ergibt. Ohne den getroffenen Beschluss in Frage stellen zu wollen - so lange sich niemand findet, der ihn durchführt, ist er nicht viel wert.
Sehr viel konkreter sind die Ideen, was die Umsetzung eines anderen großen Wunsches angeht: Internationalisierung. Es zeichnet sich schon seit längerer Zeit ab, aber das Vorratsdatenspeicherungsurteil zeigt es noch einmal: Digitale Bürgerrechte muss man auf europäischer Ebene behandeln, wenn man erreichen will, dass sie sich in Deutschland verbessern. Politische Entscheidungen werden zunehmend europaweit getroffen, und die jüngsten Abstimmungen des EU-Parlaments zeigen deutlich, dass sich die Parlamentarier ihrer eigenen Macht bewusst werden und die Chancen für eine Demokratisierung der EU deutlich steigen. Die deutschen Internetaktivisten werden sich daran beteiligen.
Den größen Schritt voran ging es bei der Entwicklung des "Inkubators". Dieser aus der Zeit der dotcom-Blase vorbelastete Begriff beschreibt den Wunsch, eine zentrale Anlaufstelle zu haben, an die man sich wenden kann, wenn man als Bürgerrechtsaktivist etwas anzubieten hat oder etwas sucht und die passenden Kontakte oder Informationen braucht - eine Art NGOogle. Hier gediehen die Ideen so weit, dass die organisatorische und technische Umsetzung bereits anläuft.
So weit zu den Ergebnissen. Fast noch mehr als die beeindruckt mich aber der Weg, wie sie erreicht wurden. Ich hatte als Kind der Achtziger oft genug Gelegenheit, gute Bewegungen aufkeimen, gedeihen und schließlich an inneren Streitigkeiten eingehen zu sehen. Wenn ich mir ansehe, wie die digitalen Bürgerrechte zur Zeit agieren, habe ich begründete Hoffnung, dass hier etwas von Dauer entsteht. Obwohl es in den letzten Jahren immer wieder Streitereien gab, die bisweilen sehr hässlich ausgetragen wurden, schafft es die Bewegung immer wieder, sich auf gemeinsame Ziele zu konzentrieren. An der Sachlichkeit, mit der hier diskutiert wurde, kann sich manch ein abgebrühter Politprofi ein Beispiel nehmen. Mitunter waren einzelne Teilnehmer einfach übermüdet und deswegen ihr Tonfall etwas genervt, aber es wurde nie persönlich. Tricksereien und Zermürbungstaktiken, wie ich sie von Parteiversammlungen und -tagen kenne, fehlten völlig. Mitunter zogen sich Diskussionen etwas in die Länge, aber das geschah offensichtlich nicht aus Berechnung.
Ebenfalls beeindruckend waren die verschiedenen Techniken, die während des Kongresses souverän zum Einsatz kamen. Wer nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte, hielt sich über Twitter auf dem Laufenden. Im Etherpad arbeiteten mehrere Leute gleichzeitig zur Diskussion schon am Protokoll. Wenn jemand eine Datei oder eine Mitschrift brauchte, reichte eine Twitternachricht, und kurz darauf hatte man alle benötigten Informationen. Wer noch an Parteitage gewohnt ist, auf denen es schon als große Leistung galt, wenn einzelne Papiere im Verlauf des Tages fotokopiert und an die Teilnehmer verteilt wurden, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn Ergebnisse praktisch sofort vorliegen. Es gibt etwas zu erledigen? Die Adressen, unter denen man arbeiten kann, sind bekannt, und bei 70 Leuten findet sich immer jemand, der mit anpackt.
Ein Detail, das an dieser Stelle erwähnt werden sollte: Das gastgebende Tagungszentrum des DGB bot angefangen von der Bewirtung über die Zimmer bis hin zur Komplettabdeckung mit WLAN hervorragende Rahmenbedingungen. Die Bundeszentrale für politische Bildung ermöglichte einen äußerst niedrigen Teilnehmerbeitrag. Das sollte man im Kopf behalten, wenn man das nächste Mal über Gewerkschaften und verschwendete Steuergelder lästert.
Zu guter Letzt ein herzliches Dankeschön an alle, die sich an der Vorbereitung, Organisation und Durchführung beteiligt haben.
Verfassungsbeschwerde gegen ELENA gestartet
Ab sofort gibt es beim FoeBuD die Möglichkeit, sich unter
https://petition.foebud.org/ELENA kostenlos an der Sammelklage gegen ELENA zu beteiligen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen die Vorratsdatenspeicherung stehen die Chancen gut, dass der Elektronische Entgeltnachweis in seiner jetzigen Form keinen Bestand haben wird.
Das Datenschutzzentrum beschreibt den Umfang der erhobenen Daten:
"Gemeldet werden müssen ab Anfang 2010 Name, Anschrift,Versicherungsnummer, Gesamt-, Steuer- und Sozialversicherungs-Bruttoeinkünfte, Abzüge für die Sozialversicherung sowie steuerfreie Bezüge. Zu besonderen Anlässen wie Änderungen eines Arbeitsverhältnisses werden zusätzliche Pflichtangaben fällig, etwa, ob eine Kündigung schriftlich und ob sie per Post erfolgt ist, ob eine Sozialauswahl stattgefunden hat, von welcher Arbeitsagentur diese überprüft worden ist, ob nach Auffassung des Arbeitgebers ein vertragswidriges Verhalten vorgelegen hat. Gefragt wird nach möglicherweise streitigen Umständen, die erst gerichtlich geklärt werden müssten, etwa eine Arbeitsabwesenheit als Vertragsbruch des Arbeitnehmers anzusehen ist oder nicht. Es muss unterschieden werden bei unbezahlten Fehlzeiten zwischen unerlaubtem Fernbleiben von der Arbeit und unbezahltem Urlaub, um z.B. einen kranken Angehörigen zu pflegen."
Diese Datenhalde halten viele Datenschützer für überdimensioniert. Die hier gesammelten Informationen wecken Begehrlichkeiten und laden zum Missbrauch geradezu ein. Zahlreiche Vorfälle wie bei der Telekom und der Deutschen Bahn belegen, dass sensible Daten früher oder später zweckentfremdet werden oder anderweitig in falsche Hände geraten. Bei der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht geht es damit nicht nur um Arbeitnehmerrechte, sondern um unser Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Ich lade daher jeden ein, sich an der Klage zu beteiligen.
https://petition.foebud.org/ELENA kostenlos an der Sammelklage gegen ELENA zu beteiligen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen die Vorratsdatenspeicherung stehen die Chancen gut, dass der Elektronische Entgeltnachweis in seiner jetzigen Form keinen Bestand haben wird.
Das Datenschutzzentrum beschreibt den Umfang der erhobenen Daten:
"Gemeldet werden müssen ab Anfang 2010 Name, Anschrift,Versicherungsnummer, Gesamt-, Steuer- und Sozialversicherungs-Bruttoeinkünfte, Abzüge für die Sozialversicherung sowie steuerfreie Bezüge. Zu besonderen Anlässen wie Änderungen eines Arbeitsverhältnisses werden zusätzliche Pflichtangaben fällig, etwa, ob eine Kündigung schriftlich und ob sie per Post erfolgt ist, ob eine Sozialauswahl stattgefunden hat, von welcher Arbeitsagentur diese überprüft worden ist, ob nach Auffassung des Arbeitgebers ein vertragswidriges Verhalten vorgelegen hat. Gefragt wird nach möglicherweise streitigen Umständen, die erst gerichtlich geklärt werden müssten, etwa eine Arbeitsabwesenheit als Vertragsbruch des Arbeitnehmers anzusehen ist oder nicht. Es muss unterschieden werden bei unbezahlten Fehlzeiten zwischen unerlaubtem Fernbleiben von der Arbeit und unbezahltem Urlaub, um z.B. einen kranken Angehörigen zu pflegen."
Diese Datenhalde halten viele Datenschützer für überdimensioniert. Die hier gesammelten Informationen wecken Begehrlichkeiten und laden zum Missbrauch geradezu ein. Zahlreiche Vorfälle wie bei der Telekom und der Deutschen Bahn belegen, dass sensible Daten früher oder später zweckentfremdet werden oder anderweitig in falsche Hände geraten. Bei der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht geht es damit nicht nur um Arbeitnehmerrechte, sondern um unser Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Ich lade daher jeden ein, sich an der Klage zu beteiligen.
Freitag, 5. März 2010
Menschenrechte als Zumutung empfunden
Das Bundesverfassungsgericht hat wieder einmal eines seiner legendären "Ja-aber"-Urteile gefällt. Vorratsdatenspeicherung ist generell in Ordnung, aber im Detail muss man sehr genau darauf achten, was man anstellt. Ich schätze das Bundesverfassungsgericht sehr für solche Urteile - gar nicht einmal, weil sie oft in meinem Sinne ausfallen, sondern weil ihr Zustandekommen mein Vertrauen in unsere Demokratie stärkt. Da haben sich ein paar Richter nicht etwa kurz vor Feierabend schnell ein Urteil aus den Fingern gesogen, sondern sich Zeit genommen und Mühe gegeben, den hinter der Klage stehenden Sachverhalt wirklich zu verstehen. Mehrere Beobachter der Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung erklärten übereinstimmend, sie wüssten zwar nicht, was die Richter letztlich entscheiden, aber man hätte immer wieder gemerkt, dass sie den dicken Stapel an Gutachten äußerst genau gelesen und vor allem begriffen haben. An einigen Punkten mag das Urteil hinter meinen Erwartungen zurück geblieben sein, aber damit kann ich leben. Es ist mir weniger wichtig, ob jemand die gleiche Meinung hat wie ich. Wichtig ist, ob er darüber nachgedacht hat, und das liest man bei jeder Zeile der Urteilsbegründung.
Das "Ja, aber" der Karlsruher Urteile mag viele ärgern, weil sie gern deutlichere Töne hören möchten. Tatsächlich aber spricht auch dies für das tief sitzende Rechtsempfinden der Richter. Das Bundesverfassungsgericht ist kein Ersatzparlament, das den laienhaften Pfusch der Regierungen gerade biegt. Artikel 20 (2) des Grundgesetzes: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Da steht nicht, dass die Opposition jedes durch eine demokratisch gewählte Mehrheit beschlossene Gesetz durch das Bundesverfassungsgericht wieder abschaffen lassen soll. Es mag ewigen Nörglern wie mir ja nicht passen, aber es gibt seit Gründung der Bundesrepublik eine breite Volksmehrheit für Regierungen, die sich erfolgreich für die Abschaffung von Grundrechten einsetzen. Es ist die Aufgabe der Volkssouveräns, nicht der Verfassungsrichter, daran etwas zu ändern.
Das eigentlich Beschämende an den letzten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts ist die Tatsache, dass sie überhaupt gefällt werden mussten. Gesetze werden nicht mehr sorgfältig über Monate hinweg ausgearbeitet, sondern hastig innerhalb weniger Wochen zusammengeschmiert. Der Pöbel soll sehen, dass die Regierung handelt - aktionistisch, wild entschlossen und über das Ziel hinaus schießend. Kurze Zeit später landet dieses Gehuddel auf dem Niveau einer Proseminararbeit vor Gericht, und seufzend müssen die Richter wieder einmal der politischen Kaste die Grundlagen des Rechtsstaats erläutern, auf dessen Wahrung die Parlamentarier vereidigt worden waren.
Wie reagieren die Abgewatschten? Geloben sie mit Schamesröte Besserung? Nein, sie sind auch noch dankbar, wissen sie doch, dass sie auf diese Weise an eine günstige Rechtsberatung gekommen sind. Man schleudert den Richtern einfach irgendein Papier mit Maximalforderungen hin und bekommt einige Wochen später ein Gutachten, in dem steht, wie weit man in Wirklichkeit gehen darf. Während man wartet, bricht man eben ein Weilchen die Verfassung.
Noch mehr als das beunruhigen mich jedoch andere Äußerungen, beispielsweise die Rainer Wendts, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft: "Das Urteil vom Dienstag ist ein ganz, ganz schwerer Schlag für die Verbrechensbekämpfung." Es sei "ein guter Tag für die Täter und ein schlechter für die Opfer". BDK-Chef Klaus Jansen: "Das können wir nicht hinnehmen."
Noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht ist kein Ersatzparlament. Die Richter fällen ihre Urteile nicht aufgrund parlamentarischer Mehrheiten, sondern in sorgfältiger Anwendung des Grundgesetzes. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leitet sich direkt aus Artikel 2 (Entfaltungsfreiheit) in Verbindung mit Artikel 1 (Menschenwürde) ab. Was die Kritiker des Urteilsspruchs also in Wirklichkeit sagen, ist: "Schlimm, dass wir uns bei der Polizeiarbeit an die Menschenrechte halten müssen." Was kommt als Nächstes? Die Forderung nach Folter, weil die schweren Jungs dann singen wie die Vögelein? Was sollen dann erst andere Berufsgruppen sagen? Sollen sich Chirurgen darüber beschweren, dass Operationen so viel schwieriger werden, wenn der Patient am Leben bleiben muss? Sollen es die Taxifahrer als unzumutbare Belastung empfinden, nicht mit 200 Sachen die Abkürzung durch die Fußgängerzone fahren zu dürfen? Werte Vertreter der Exekutive, möglicherweise ist es Ihnen nicht klar, aber es geht hier um die Einhaltung genau der Gesetze, zu deren Durchsetzung Ihr Berufsstand überhaupt ins Leben gerufen wurde. Darüber hinaus geht es nicht darum, beim Falschparken oder bei über die Gartengrenze gewachsenen Bäumen ein Auge zuzudrücken, es geht um die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte. Das sind keine Behinderungen, das sind die Grundlagen dieses Staates. Für Leute, die sich dagegen einsetzen, gibt es in diesem Land einen einfachen Begriff: Verfassungsfeinde.
Beispielhaft für viele Polizisten und Politiker erklärt der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-CSU-Bundestagsfraktion Peter Altmaier: "Ich gehe davon aus, dass die Bundesjustizministerin ein Interesse daran hat, möglichst schnell, das heißt vor der Sommerpause, einen Entwurf vorzulegen." Für alle, deren Hirnfunktionen nicht das Erfassen einfacher kausaler Zusammenhänge erlauben: "Möglichst schnell" und "vor der Sommerpause" zusammengeklierte Gesetze sind genau das, was in Karlsruhe gerade immer wieder gekippt wird - das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eingeschlossen. Was dieses Land braucht, sind keine populistischen Schnellschüsse, deren Kollateralschäden es locker mit dem erhofften Nutzen aufnehmen, sondern durchdachte, intelligente und wirksame Gesetze, die vom Volk akzeptiert werden.
Wie oft muss die Legislative noch von der Jurisdiktion abgewatscht werden, bis sie das begreift?
Nachtrag: Zur Ehrenrettung der Polizei sei gesagt, dass dort überwiegend Leute arbeiten, die wissen, dass man den Rechtstaat nur mit dessen eigenen Mitteln bewahren kann. Ein Interview mit dem Polizeispressesprecher Wolfgang Jürgens ist ein gutes Beispiel, für einen Staatsdiener, der konstruktiv und entspannt mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln arbeitet.
Das "Ja, aber" der Karlsruher Urteile mag viele ärgern, weil sie gern deutlichere Töne hören möchten. Tatsächlich aber spricht auch dies für das tief sitzende Rechtsempfinden der Richter. Das Bundesverfassungsgericht ist kein Ersatzparlament, das den laienhaften Pfusch der Regierungen gerade biegt. Artikel 20 (2) des Grundgesetzes: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Da steht nicht, dass die Opposition jedes durch eine demokratisch gewählte Mehrheit beschlossene Gesetz durch das Bundesverfassungsgericht wieder abschaffen lassen soll. Es mag ewigen Nörglern wie mir ja nicht passen, aber es gibt seit Gründung der Bundesrepublik eine breite Volksmehrheit für Regierungen, die sich erfolgreich für die Abschaffung von Grundrechten einsetzen. Es ist die Aufgabe der Volkssouveräns, nicht der Verfassungsrichter, daran etwas zu ändern.
Das eigentlich Beschämende an den letzten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts ist die Tatsache, dass sie überhaupt gefällt werden mussten. Gesetze werden nicht mehr sorgfältig über Monate hinweg ausgearbeitet, sondern hastig innerhalb weniger Wochen zusammengeschmiert. Der Pöbel soll sehen, dass die Regierung handelt - aktionistisch, wild entschlossen und über das Ziel hinaus schießend. Kurze Zeit später landet dieses Gehuddel auf dem Niveau einer Proseminararbeit vor Gericht, und seufzend müssen die Richter wieder einmal der politischen Kaste die Grundlagen des Rechtsstaats erläutern, auf dessen Wahrung die Parlamentarier vereidigt worden waren.
Wie reagieren die Abgewatschten? Geloben sie mit Schamesröte Besserung? Nein, sie sind auch noch dankbar, wissen sie doch, dass sie auf diese Weise an eine günstige Rechtsberatung gekommen sind. Man schleudert den Richtern einfach irgendein Papier mit Maximalforderungen hin und bekommt einige Wochen später ein Gutachten, in dem steht, wie weit man in Wirklichkeit gehen darf. Während man wartet, bricht man eben ein Weilchen die Verfassung.
Noch mehr als das beunruhigen mich jedoch andere Äußerungen, beispielsweise die Rainer Wendts, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft: "Das Urteil vom Dienstag ist ein ganz, ganz schwerer Schlag für die Verbrechensbekämpfung." Es sei "ein guter Tag für die Täter und ein schlechter für die Opfer". BDK-Chef Klaus Jansen: "Das können wir nicht hinnehmen."
Noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht ist kein Ersatzparlament. Die Richter fällen ihre Urteile nicht aufgrund parlamentarischer Mehrheiten, sondern in sorgfältiger Anwendung des Grundgesetzes. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leitet sich direkt aus Artikel 2 (Entfaltungsfreiheit) in Verbindung mit Artikel 1 (Menschenwürde) ab. Was die Kritiker des Urteilsspruchs also in Wirklichkeit sagen, ist: "Schlimm, dass wir uns bei der Polizeiarbeit an die Menschenrechte halten müssen." Was kommt als Nächstes? Die Forderung nach Folter, weil die schweren Jungs dann singen wie die Vögelein? Was sollen dann erst andere Berufsgruppen sagen? Sollen sich Chirurgen darüber beschweren, dass Operationen so viel schwieriger werden, wenn der Patient am Leben bleiben muss? Sollen es die Taxifahrer als unzumutbare Belastung empfinden, nicht mit 200 Sachen die Abkürzung durch die Fußgängerzone fahren zu dürfen? Werte Vertreter der Exekutive, möglicherweise ist es Ihnen nicht klar, aber es geht hier um die Einhaltung genau der Gesetze, zu deren Durchsetzung Ihr Berufsstand überhaupt ins Leben gerufen wurde. Darüber hinaus geht es nicht darum, beim Falschparken oder bei über die Gartengrenze gewachsenen Bäumen ein Auge zuzudrücken, es geht um die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte. Das sind keine Behinderungen, das sind die Grundlagen dieses Staates. Für Leute, die sich dagegen einsetzen, gibt es in diesem Land einen einfachen Begriff: Verfassungsfeinde.
Beispielhaft für viele Polizisten und Politiker erklärt der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-CSU-Bundestagsfraktion Peter Altmaier: "Ich gehe davon aus, dass die Bundesjustizministerin ein Interesse daran hat, möglichst schnell, das heißt vor der Sommerpause, einen Entwurf vorzulegen." Für alle, deren Hirnfunktionen nicht das Erfassen einfacher kausaler Zusammenhänge erlauben: "Möglichst schnell" und "vor der Sommerpause" zusammengeklierte Gesetze sind genau das, was in Karlsruhe gerade immer wieder gekippt wird - das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eingeschlossen. Was dieses Land braucht, sind keine populistischen Schnellschüsse, deren Kollateralschäden es locker mit dem erhofften Nutzen aufnehmen, sondern durchdachte, intelligente und wirksame Gesetze, die vom Volk akzeptiert werden.
Wie oft muss die Legislative noch von der Jurisdiktion abgewatscht werden, bis sie das begreift?
Nachtrag: Zur Ehrenrettung der Polizei sei gesagt, dass dort überwiegend Leute arbeiten, die wissen, dass man den Rechtstaat nur mit dessen eigenen Mitteln bewahren kann. Ein Interview mit dem Polizeispressesprecher Wolfgang Jürgens ist ein gutes Beispiel, für einen Staatsdiener, der konstruktiv und entspannt mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln arbeitet.
Mittwoch, 3. März 2010
28.4. Bonn: Direktkandidaten zur Landtagswahl
Noch sind einige Details in der Schwebe, aber ich weise schon einmal darauf hin: Am 28.4. findet in Bonn im Haus der Kirche eine Podiumsdiskussion mit den Direktkandidaten zur Landtagswahl statt. Ausrichter sind die Humanistische Union, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Zugesagt haben mit Ausnahme der CDU bisher Felix von Grünberg (SPD), Christian Trützler (Grüne), Jenny Morin-Nenoff (Linke) sowie ein Vertreter der FDP. Wer sich für (digitale) Bürgerrechte interessiert, ist herzlich eingeladen, in mehreren Fragerunden den Bewerbern auf den Zahn zu fühlen. Weitere Details folgen in diesem Blog
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