Ja, ich weiß, es ist ein Fehler. Man sollte bei einem Artikel bei Heise-Online niemals über die letzte Zeile hinweg rollen und auf "Kommentare" klicken. Ab und zu kann ich aber der Versuchung nicht widerstehen, insbesondere dann, wenn es um ein Thema geht, das geradezu nach intelligenten Kommentaren schreit. Was folgt, ist Ernüchterung:
Handelt ein Artikel von der Deutschen Post, kann man darauf wetten, dass sich die Leute darin überbieten, über die Preise, den miesen Service und das misslungene E-Post-Experiment zu schimpfen.
Handelt ein Artikel von Windows, kommen reflexartig die Ergüsse einiger Linux-Taliban, die darüber herziehen, dass grafische Oberflächen ohnehin schon Teufelszeug sind und dass jeder, der Windows benutzt, den Mächten des Bösen dient.
Umgekehrt findet sich bei jedem Linux-Artikel irgendein selbsternannter IT-Experte, der irgendein exotisches Stück Hardware nicht unter SuSE zum Laufen bekam und damit den ultimativen Beweis erbracht sieht, dass Linux nie funktioniert hat, nicht funktioniert und niemals funktionieren wird.
Geht es um Innenpolitik, jammert bestimmt die Hälfte der Beiträge, Deutschland sei ja so unglaublich schlimm, sie würden jetzt sofort ausziehen. Dummerweise schreiben sie das nach einem halben Jahr immer noch.
Handelt der Artikel von irgendeiner technischen Schwierigkeit, hagelt es haufenweise kluges Geschwätz, wie man das alles ganz leicht lösen kann. Spam zum Beispiel, kein Ding: Man löscht einfach alle Mails, deren Verfasser man nicht kennt - eine Spitzenidee für alle Firmenportale. Schadprogramme, nichts einfacher als das: Man nehme einen alten PC, baue die Festplatte aus, starte ein textbasiertes Linux von CD, deaktiviere alle aktiven Inhalte, und wenn man trotz allem mal Daten aus dem Netz laden muss, speichert man sie auf einem USB-Stick und trägt den zum eigentlichen Rechner, der natürlich ohne jede Netzanbindung daneben steht. Wahlcomputer? Trivial: Also, man nimmt die Wahlberechtigten und teilt sie in zwei Gruppen, dann teilt man diese Gruppen wieder, und so weiter, bis man Peer Groups mit einer Größe zwischen 6 und 12 Personen gebildet hat. Jedes dieser Gruppenmitglieder denkt sich nun für jedes andere Mitglied eine mindestens hundertstellige Primzahl aus und teilt allen Mitgliedern das Produkt mit, während es aus den von den anderen Mitgliedern mitgeteilten Produkten seine eigene ID wiederum mittels Multiplikation dieser Zahlen ermittelt. Bei der Wahl potenziert man diese Zahl im Kopf mit der laufenden Nummer der zu wählenden Partei modulo einer vom Wahlcomputer erzeugten Zufallszahl und gibt diese als Votum ein. Alles ganz simpel.
Besonders religiös wird der Eifer, wenn es um HTML-Mails geht. Ich erinnere mich noch gut an die wüsten Beschimpfungen, denen man sich aussetzte, wenn man in den Neunzigern deutsche Umlaute in E-Mails verwendete. Das sei ja das Allerletzte, hieß es da, kein Mensch brauche Sonderzeichen, und man solle doch gefälligst auf die Leute Rücksicht nehmen, deren Mailer nur 7-Bit-ASCII versteht. Ähnlich pastoral ist der Ton heute, wenn jemand erklärt, warum HTML-Mails Teufelszeug sind. Die Bandbreite heißt es immer wieder, die Bandbreite werde verschwendet, kein Mensch brauche HTML, und außerdem gäbe es ja noch die Mailclients aus dem Jahr 1996 - mit Verlaub, Freunde, noch alles klar im Kopf? Schon mal auf den Kalender geguckt? Wir sind auf dem Weg ins zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Kein Mensch benutzt mehr euren Nostalgieschrott für Nerds mit Persönlichkeitsstörung (was ja eigentlich ein Pleonasmus ist). Ich finde Microsoft ja auch doof, aber wenn die Jungs etwas hinbekommen haben, ist es das Zusammenwirken ihrer Produkte. Ich muss täglich tabellarisch aufgearbeitete Texte verschicken, und da gibt es kaum etwas Feineres, als mit Copy und Paste einen Abschnitt aus einer Excel-Tabelle in eine Mail zu kopieren. Ich habe übrigens auch keinen Akustikkoppler mehr, sondern eine DSL-Leitung, und wisst ihr, was es die stört, wenn ich neben dem Youtube-Video und meinem Linux-CD-Torrent mal eben ein paar Kilobyte HTML-Tags durch das Kabel schicke? Es mag ja sein, dass aus Sicherheitsaspekten HTML-Mails bedenklich sind, aber dann muss ich eben zusehen, wie ich mit diesem Risiko umgehe und nicht weltfremd davon schwafeln, dass wir am besten zur Morsetaste zurückkehren sollen. Wenn ihr unbedingt die Amish im Netz sein wollt, dann seid es, aber bitte geht nicht dem Rest der Welt auf die Nerven, indem ihr sie zu missionieren versucht.
Natürlich sind die Widrigkeiten der Realität einem echten Heise-Forenschwätzer egal. Ihn interessiert nur, dass er für seinen kleinen Kellerverhau eine Lösung gefunden hat, mit der er persönlich klar kommt. Dass seine Idee außerhalb seines Acht-Kubikmeter-Universums vollkommener Blödsinn ist, ficht ihn nicht an. Aus seiner Sicht ist alles da draußen ohnehin ein verdammenswerter Abfall von der wahren - seiner - Lehre.
Wichtig beim Forengewäsch: Je radikaler, je intoleranter, je marktschreierischer, desto eher ist die heiß ersehnte Grünfärbung des Kommentars erreicht. Wer nicht spätestens im zweiten Beitrag mit einem Nazivergleich ums Eck kommt, gerät schnell in den Verdacht, selbst einer zu sein. Bei Heises liebt man das Krachlederne.
Das Allerwichtigste: Auf keinen Fall sollte man nachsehen, ob die zwanzig Beiträge, die bereits auf der Seite stehen, vielleicht exakt das Gleiche sagen wie man selbst. Schließlich ist man gekommen, zu verkünden, nicht zu lauschen.
Sollte ich jemals wieder auf die blödsinnige Idee kommen, im Heise-Forum zu lesen und mich darüber aufzuregen, bitte ich jemanden, der im Gegensatz zu mir noch seinen Verstand beisammen hat, mich auf meinen eigenen Artikel hinzuweisen.
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