Sonntag, 1. Juli 2018

Buchkritik - Katharina Nocun: Die Daten, die ich rief

In den vergangenen Jahren hat die Netzaktiven-Bewegung viele Leute nach oben gespült, bei denen man sich verzweifelt gefragt hat, welche Eigenschaft außer hysterischem Kreischen sie wohl besonders auszeichnen mag. Oft genug nutzten diese Leute dann ihre Viertelstunde Ruhm, noch schnell ein Buch zusammenzukritzeln, gern mit einem lustigen Wortspiel, vielleicht irgendwas mit "klicken", um sich so den Anschein von Relevanz zu geben.

Zum Glück gehört Katharina Nocun nicht zu dieser Art Netzaktiven, im Gegenteil. Sie tauchte vor ungefähr einem Jahrzehnt in der Szene auf, diskutierte engagiert, gern auch etwas überspitzt, aber eben auch immer sachkundig. Das sind nicht die Voraussetzungen für eine Blitzkarriere, aber Kattascha setzte offenbar mehr auf Seriösität als auf Krawall. Den konnte sie durchaus auch. Wenn sie es darauf anlegte, konnte sie auch auf einer improvisierten Bühne einer Demonstration einheizen, und der eine oder andere knackige Spruch kam dabei zustande. Insgesamt aber bestach sie in erster Linie durch Sachkunde und Argumente.

Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum sie ungewöhnlich lang mit einem Buch auf sich warten ließ. Andere Aktive waren ihr zuvorgekommen, hatten Mitte 20 Autobiografien verfasst, sich an der Netzbewegung im Allgemeinen und den Piraten im Besonderen abgearbeitet. Auch Kattascha hätte dazu reichlich Anlass gehabt. Statt dessen kommt sie mit ihrem Buch zu einer relativ unspektakulären Zeit und zeigt gerade damit ein gutes Zeitgefühl.

Kattascha ist Datenschutzaktivistin und deswegen schreibt sie, wen wundert's, über Datenschutz. Das große Grundlagenwerk, der alles verändernde Meilenstein, die neue Referenzgröße zu diesem Thema ist dabei nicht herausgekommen, aber das war wohl auch nie ihr Anspruch. Zu viele haben vorher ebenfalls darüber geschrieben: Gerhart Baum, Ilja Trojanov und Juli Zeh, Constanze Kurz und Frank Rieger, Jan Philipp Albrecht, Malte Spitz, um nur einige Namen zu nennen. Nach all diesen Büchern noch irgendetwas komplett Neues zu erwarten, wäre Unsinn. Was man jedoch erwarten kann, ist alle paar Jahre ein Buch, das den aktuellen Stand sauber darstellt; ein Buch, das man jemandem, der in die Materie einsteigen will, in die Hand geben und sagen kann, dass da die wesentlichen Argumente erläutert werden. Ein solches Buch war mal wieder fällig, und dankenswerterweise hat Kattascha es geliefert, engagiert, gut lesbar, kompetent. Dass im hinteren Teil, in dem es um konkrete Tipps geht, der eine oder andere Hinweis nicht korrekt ist, stört nicht weiter. Der Rest gleicht das vollkommen aus.

Das Buch beginnt mit einer Recherche, die sich von der Idee her bei Malte Spitz "Was macht ihr mit meinen Daten?" bedient und nachforscht, wo welche Informationen über uns anfallen und verarbeitet werden. Wer Spitz' Buch gelesen hat, findet hier keine sensationellen Neuigkeiten, aber eine willkommene Aktualisierung. Im zweiten Teil geht es um die Möglichkeiten, und mit den über uns gewonnenen Daten zu manipulieren. Anhand vieler Fallbeispiele und selbst durchgeführter Experimente räumt Kattascha mit dem Mythos auf, das Netz sähe für alle gleich aus und behandle auch alle gleich. Der dritte Teil beschreibt Möglichkeiten der Gegenwehr, und hier fehlt neben diversen technsichen Maßnahmen auch nicht der dringende Appell, politisch aktiv zu werden. Zum Abschluss gibt es eine reichhaltige Literaturliste, welche die zahlreichen im Buch genannten Beispiele mit Quellen belegt. Schön wäre es gewesen, wenn der Text schon direkt auf diese Werke verwiesen hätte, aber wahrscheinlich wollte der Verlag nicht mit Dutzenden Fuß- und Endnoten unnötig Leute verschrecken.

Mein persönlicher Lieblingsabschnitt ist der über das Zustandekommen der DSGVO, der gerade in der zur Zeit herrschenden Anti-Datenschutz-Hysterie all denen um die Ohren gehauen gehört, die sich lautstark darüber echauffieren, wie unfassbar böse dieses Gesetzeswerk ist. Dieser Abschnitt beschreibt, wie massiv und mit welch unredlichen Methoden bisweilen gegen das Zustandekommen des Gesetzes lobbyiert wurde. Es wird klar, wie dringend notwendig die Verordnung war, dass sie trotz aller Kritik eine deutliche Verbesserung zur vorherigen Lage darstellt und dass die zum Großteil extrem uninformiert herumtönenden Kritiker vielleicht einmal darüber nachdenken sollten, wem sie mit ihrem Gekreische Schützenhilfe leisten.

Katharina Nocun:  Die Daten, die ich rief. Lübbe 2018, 18 €.

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