Wer in diesen Tagen so wie ich notgedrungen soziale Medien liest (um mühsam unter einem Berg Mist die eine goldene Nadel herauszusuchen, die den ganzen Aufwand lohnt), bekommt ein Musterbeispiel, wie Filterblasen funktionieren. Die eine Seite sieht nur die Randalierer und überbietet sich gegenseitig in Forderungen, wie jetzt weiter vorgegangen werden soll. Grundrechte? Jetzt mal keine humanistische Weinerlichkeit. Hier herrscht Krieg. Auf der anderen Seite sieht man nur "Cops" oder "Bullen", und die haben den ganzen Tag lang nichts anderes im Sinn, als unschuldige, zartfühlende und total friedliebende Demonstranten zu misshandeln. Ja, der Supermarkt, das war vielleicht etwas übertrieben, aber schließlich geht es hier um den Freiheitskampf, da ist kein Platz für humanistische Weinerlichkeit.
Es geht in Hamburg auch längst nicht mehr um Demonstrationen oder den G20-Gipfel. Was da gerade abgeht, trieben Jungs unter der Dusche vor dem Schwimmunterricht: gucken, wer den längeren hat. Den Randalierern geht es nur noch darum, der Polizei ordentlich einzuheizen, während die Staatsmacht alle verfügbaren Mittel aufbietet, um dem Volk zu zeigen: Wir sind stärker. Um die eigentlich zu stellenden Fragen geht es schon lange nicht mehr, ging es wahrscheinlich nie: ob die Leute, die derzeit über das Schicksal dieses Planeten zu entscheiden haben, die Richtigen sind, ob sie die richtigen Entscheidungen treffen und womit sie ihre Macht legitimieren.
Was mich vor allem aber aufregt, ist die Frage: Welcher egoübersteuerte Vollidiot kam eigentlich auf die komplett bescheuerte Idee, die 20 mächtigsten Menschen der Erde in einer politisch aktiven Millionenstadt zusammenzurufen? Was war der Antrieb? War nicht jede einzele Sekunde, jedes angezündete Auto, jeder Wasserwerfereinsatz nicht auf die Sekunde genau vorherzusagen gewesen? War es nicht vollkommen klar, dass eine Stadt wie Hamburg mit einer jahrzehntelangen Geschichte von Hausbesetzungen und einer starken linksalternativen Szene keine gute Wahl ist für ein Stelldichein der Supermächtigen? Ein solches Treffen kann man in einer Großstadt nur durchziehen, indem man Unbeteiligte drangsaliert, und genau das passiert in Hamburg seit Wochen. Den Meisten dürfte der G20-Gipfel herzlich egal sein. Sollen sich doch ein paar Pfeffersäcke in teuren Hotels die sorgsam manikürten Hände schütteln und sich gegenseitig ihrer Bedeutung versichern. Wahrscheinlich ist es sogar sehr sinnvoll, sich alle paar Monate nicht nur zu einer Sykpe-Konferenz zusammenzuschalten, sondern sich im Analogleben auszutauschen. Wenn das aber bedeutet, dass zum Schutz dieser Anhäufung extrem gefährdeter Menschen eine Stadt in ein Hochsicherheitsgefängnis verwandelt wird und millionen Menschen, die mit der Sache nichts am Hut haben, wie Schwerstverbrecher behandelt werden, sind das Maßnahmen, die sich in einer Demokratie nicht vermitteln lassen. Laut der Verfassung dieses Landes geht alle Macht vom Volk aus, nicht von paramilitärischen Polizeieinheiten. Warum mussten die Organisatoren des G20-Treffens mit aller Gewalt beweisen, dass sie imstande sind, eine der größten Städte der Bundesrepublik zu drangsalieren? Hätte da nicht vorher jemand kommen und denen ins Ohr flüstern können: "Toll, du hast wirklich den längsten, kannst ganz stolz auf dich sein, und jetzt gucken wir noch einmal genau hin, ob es wirklich Hamburg sein muss."
Wäre es nur um das Treffen gegangen, hätte man irgendeine Wiese in Mecklenburg-Vorpommern oder eine Almhütte in Bayern nehmen und sie weiträumig absperren können. Man hätte eine Ölplattform in der Nordsee oder einen Flugzeugträger im Atlantik nehmen können. Da hätte es exakt null Krawalle gegeben, kein Auto hätte gebrannt, kein Laden wäre geplündert worden, und der am schlimmsten verletzte Polizist wäre ein Kerl gewesen, der sich beim Kaffee die Lippen verbrüht hat.
Aber nein, es musste Hamburg sein, obwohl vollkommen klar war, wo es enden wird. Es war der Fehdehandschuh, der vor die Füße der linken Krawallszene geworfen und dankbar aufgenommen wurde. Ich weiß nicht, was den Verantwortlichen vorschwebte, ob man Putin zeigen wollte, dass man auch im Westen sein Volk im Griff hat oder Trump mit der schicken Elbphilharmonie beeindrucken wollte. Vielleicht sollte es auch um Volksnähe gehen, wobei man unter "Volk" natürlich ein paar Dutzend handverlesene Calquere mit BND-geprüftem Leumund versteht, während der Pöbel hinter hohen Mauern (das dürfte Trump auch gefallen) ehrfürchtig das Lustwandeln der über sie herrschenden Halbgötter bewundern darf.
Hat nicht so ganz geklappt.
Nachtrag:
Die Realität zurechtdefinieren
Ja, ich weiß, es ist Sommer, es ist Wahlkampf, und in sozialen Medien ist Maulaufreißen allemal beliebter als Hirneinschalten. Dennoch: "Das waren keine Linken, das waren ganz gewöhnliche Verbrecher" zu krakeelen, ist das neue "wenn das der Führer gewusst hätte". Für die Leute, die es mit elementarer Logik nicht so haben: Links und Verbrecher sein schließen sich gegenseitig nicht aus. Man muss sich nicht entscheiden, ob man links oder Verbrecher sein will, man kann beides gleichzeitig sein: linker Verbrecher, und genau die Typen sind am Wochenende herumgelaufen. Es gibt bestimmte Formen von Ausschreitungen, wenn man Bescheuerte an linke Ideologie heranlässt, es gibt bestimmte Formen von Ausschreitungen, wenn man Bescheuerte an rechte Ideologie heranlässt, es gibt bestimmte Formen von Ausschreitungen, wenn man Bescheuerte an irgendeine Form von Religion, insbesondere den Islam heranlässt. Verschont mich bitte mit dem Geschwafel, euer jeweiliges Gedankengebäude sei das Paradies auf Erden, sei ohne Fehl und Tadel, und alle Schattenseiten gehörten einfach nicht dazu. Schwachsinn. Der Gulag gehört zum Kommunismus wie die Hexenverbrennung zum Christentum wie Al Qaida zum Islam. Wer davor die Augen verschließt, bekämpft die Auswüchse nicht, sondern sorgt dafür, dass sie weiter auftreten.Besonders idiotisch finde ich Hinweise der Art, man solle aufpassen, wen man meint, wenn man "die Linke" schreibt. Es könne ja auch die Partei gemeint sein, und die sei nicht mit "der Linken" gleichzuseten. Leute, wenn sich eine Partei einen derart dämlichen Namen gibt, dann will sie gleichgesetzt werden, und dann bekommt sie auch die Prügel ab, die ihr eigentlich nicht zustehen. Mit Verlaub, ich kam nicht auf die Idee mit diesem Namen.
Heiko Maas gibt Intervies wie ein Anfänger
Wie immer, wenn man verzweifelt hofft, langsam müsse nun wirklich der intellektuelle Tiefpunkt erreicht sein, kommen Leute wie Heiko Maas daher und zeigen: Es ist immer noch Spiel nach unten. Gefragt von der "Bild", ob er ein Konzert wie "Rock gegen links" befürworte, antwortet er nicht etwa mit der einzig angemessenen Antwort: "Sachma Alte, biste beknackt? Lass uns meinetwegen Konzernte veranstalten, aber dann gegen Gewalt, für Verständigung für friedliches Miteinander. 'Rock gegen links' ist genau so ein dämlicher Titel wie es 'Rock gegen rechts' war. Schau mal, ich bin rechts, die ganze SPD ist rechts, die CDU ist vergleichsweise links, aber keiner von uns käme auf die Idee, irgendwas anzuzünden, und deswegen ist es vollkommen überzogen, ein Konzert gegen eine sich noch halbwegs gemäßigt äußerernde politischer Haltung zu veranstalten, wenn man eigentlich nur die extremen Auswüchse meint." Statt dessen verläuft das Gespräch so, und ich erlaube mir, hier "Spiegel Online" zu zitieren:Bild-Moderatorin Anna von Bayern fragte an dieser Stelle: "Also, Sie wünschen sich ein 'Rock gegen Links'?"Maas: "Ja , ein 'Rock gegen Links', oder wie auch immer man das dann nennt. Das müssen diejenigen entscheiden, die sowas auf die Beine stellen. Aber so etwas kann doch nicht ohne gesellschaftliche Reaktion bleiben. Wir sind viel zu oft die schweigende Mehrheit und das reicht eben nicht mehr, wie wir permanent sehen."Zugegeben, "Bild" hat Maas das Zitat praktisch in den Mund gelegt. Nun ist Heiko Maas aber auch nicht der Vorsitzende des Wolfenbüttler Dackelzüchtervereins, der mit schweißnassen Händen sein erstes Interview gibt, sondern er ist ein hochbezahlter Spitzenpolitiker mit jahrzehntelanger Erfahrung im Umgang mit Medien. Vor allem redet er nicht zum ersten Mal in seinem Leben mit "Bild". Der Trick, schon ein vorbereitetes Zitat in der Tasche zu haben und vom Interviewten nur noch abnicken zu lassen, ist uralt und wird auch von deutlich seriöseren Medien als "Bild" angewendet. Wer in eine so offensichtliche Falle hineintappt, ist entweder unerfahren, oder er tappt mit Absicht hinein. Die Prügel, die Heiko Maas gerade bezieht, bezieht er völlig zu Recht, und er bezieht sie nicht nur für das eine Zitat, sondern sozusagen für sein Lebenswerk. Keiner hat dem Mann gezwungen, sich von einem relativ moderaten Justizminister zum Law-and-Order-Kläffer auf Hans-Peter-Uhl-Niveau zu wandeln.
Herr Lehrer, sehen Sie, wie brav ich bin!
Insgesamt wundert mich, was die SPD geritten hat, sich bei der Aufarbeitung der G20-Gewalttaten rechts an der CDU vorbeizumogeln. Natürlich drischt im Moment alles, was die Konservativen an Law-and-Order-Kaspern aufbieten kann, auf die SPD ein, deren Hamburger Oberbürgermeister vermeintlich total versagt hat. Jetzt könnte die SPD Mumm in den Knochen haben und eine Debatte über Deeskalationsstrategien und die Frage führen, ob die Reaktion auf einen konfrontativen Sicherheitsapparat wirklich darin bestehen soll, noch konfrontativer, noch repressiver vorzugehen. Natürlich ist diese Argumentation schwerer zu führen, und von rechts bezöge man dafür auch reichlich Prügel, aber es wäre die längst überfällige Gelegenheit, sich von der CDU abzugrenzen. Statt dessen verfällt die SPD auf eine Strategie, die ihr seit Jahren sinkende Wahlergebnisse einbringt: Sie versucht, die CDU durch streberhaftes Nachäffen zu übertrumpfen, spricht von "Mordbrennern" und im Gegenzug von "heldenhaften Aktivitäten" der Polizei. Was mir hier fehlt ist die Frage, ob die einzelnen Polizisten vielleicht wirklich hart gearbeitet und schlicht die falschen Befehle bekommen haben. Vor allem aber erregt es bei mir schon fast Mitleid, wie die SPD sich von der CDU vor sich her treiben lässt und mit der Schleimigkeit einer Volksmusikhitparade staatstragende Floskeln absondert. Ist es wirklich so schwer zu begreifen, dass kein Mensch sich von dieser Devotion beeindrucken lässt und, wenn es um Recht und Ordnung geht, lieber die Parteien wählt, die sich damit wirklich auskennen? Man muss ja nicht gleich das linke Narrativ des großen Hamburger Friedensmarschs übernehmen, dessen schwarze Hab-dich-lieb-Bärchis vom fiesen Schweinesystem in die Enge getrieben keine andere Möglichkeit sahen, als mit total pazifistischen Zwillen zu schießen und ein paar Läden zu plündern. Es wäre schon ein guter Anfang, den Gedanken zuzulassen, dass angefangen beim Veranstaltungsort über die Behandlung der Einwohner bis hin zur Taktik am Wochenende selbst nicht der eine oder andere Fehler begangen wurde, der zur Eskalation führte.Der Spiegel. Ganz mutig. Brutal investigativ.
Jaja, der "Spiegel". Der fragt weiter, auch wenn's schmerzt. Knallharter, schonungsloser Investigativjournalismus. Diesmal haben sie ein ganz heißes Dokument aufgetan. Watergate ist nichts dagegen. Es handelt sich um ein - Trommelwirbel - internes Polizeidokument, in dem es heißt, und jetzt festhalten:
"Der Schutz und die Sicherheit der Gäste haben höchste Priorität"
Jetzt ist ja wohl alles klar, oder?
Nein? OK, dann erkläre ich, was der "Spiegel" in diesen Satz hineinliest:
"in Hamburg hatte der Schutz des Gipfels und seiner Teilnehmer offenbar Vorrang gegenüber dem Schutz der Stadt"
Mit anderen Worten: Um die Pfeffersäcke in der Elbphiharmonie beim Beethovengenuss nicht zu stören, hat man den linken Pöbel die Stadt in Schutt und Asche legen lassen. Mit viel bösem Willen und dem IQ einer Dose Pökelfleisch kann man das in diese Passage tatsächlich hineinlesen.
Schade, dass die Praktikanten vom "Spiegel" offenbar nie in ihrem Leben Dienstanweisungen im Beamtenslang gesehen. Die lesen sich wie SPD-Pressemeldungen: Fett, aufgeblasen, gewichtig, selbstgefällig, vor Ehrfurcht der eigenen Bedeutsamkeit gegenüber fast erstickend. Natürlich strotzen solche Papiere vor Superlativen und schwülstigen Formulierungen. Nehmt euch ein beliebiges Behördenschreiben seit der Preußenzeit. Die lesen sich alle genau so. Entsprechend ist auch völlig klar, was "höchste Priorität" bedeutet. Das heißt natürlich, dass man der Aufgabe jede verfügbare Aufmerksamkeit widmen, aber eben nicht, dass man dafür alles Andere stehen und liegen lassen soll. Kein Mensch käme auf die Idee, da hineinzulesen: Lass im Schanzenviertel ruhig die Läden abfackeln, wichtig ist nur, dass Scholz frische Käseigel hingestellt bekommt.
OK, abgesehen vom "Spiegel" natürlich.
Sie glauben, jetzt sei endgültig der Boden ereicht, weiter runter ginge es nicht mehr? "Hold my beer", sagt Sandra Maischberger.
Sie glauben, jetzt sei endgültig der Boden ereicht, weiter runter ginge es nicht mehr? "Hold my beer", sagt Sandra Maischberger.
Bosbach geht - und hat ausnahmsweise Recht
Ich habe schon meine Gründe, warum ich Fernsehdiskussionsrunden verachte. Streng genommen verachte ich nicht nur Fernsehdiskussionsrunden, sondern auch die Menschen, die sich so etwas ansehen und sich darüber beklagen, wie schwachsinnig die Sendung wieder einmal ist. Leute, was hattet ihr denn bitte Anderes erwartet? Das ist doch das Konzept der Sendung: Pickt wahllos aus dem Pool mit 50 Universalwichtigtuern vier heraus, von denen besonders klar ist, dass die sich gegenseitig nicht können und lass sie sich eine Stunde lang gegenseitig anschreien. Das ist wie beim Boxen, da erwartet man ja auch nicht, dass die ihre Angelegenheit im freundlichen Gespräch regeln, sondern sich ordentlich was auf die Mütze geben - nur dass jeder Boxer allein in der Regel mehr Grips aufbringt als Deutschlands Dampfplauderer zusammen.Glaubt wirklich jemand ernsthaft, solche Sendungen trügen irgendetwas zum politischen Diskurs bei? Nein, das sind Schaukämpfe, Inszenierungen, die rein für die Unterhaltung produziert werden und nach der Ausstrahlung komplett wirkungslos verpuffen. Talkshows sind Demokratieplacebos, Brot und Spiele für den Plebs, die glauben, sie hätten damit an der Willensbildung Teil, während die Patres in Ruhe durchregieren. Wäre es anders, lüde man sich andere Leute als Wolfgang Bosbach und Jutta Ditfurth ein.
Wolfgang Bosbach ist spätestens seit seinem Streitgespräch mit padeluun bekannt dafür, selbst gern auszuteilen, aber äußerst dünnhäutig beim Einstecken zu sein. Wenn Sandra Maischberger den jetzt mit Jutta Ditfurth in einen Raum steckt, Deutschlands Antwort auf die Frage, wie Dummheit aussähe, wenn sie Haare hätte, dann ist doch von Anfang an klar, dass dabei nichts herauskommen kann, ja, niemals etwas herauskommen sollte. Der Eklat, der wutschnaubende Weggang Bosbachs, war nicht etwa ein bedauerlicher Unfall, sondern Konzept der Sendung. Ich bewundere Bosbach eher dafür, dass er es so lange mit Ditfurth ausgehalten hat. Mir wäre es schon zu blöd geworden, als die abgehalfterte Altlinke vorgestellt wurde. Wie verzweifelt muss eine Moderatorin sein, wenn sie in der Ecke der Mottenkiste zu kramen beginnt, wo sich nur noch Ditfurths Fossil, aber keine Spur von Erziehung, Bildung oder Kompetenz findet? Wir waren doch alle ganz froh, das ex-grüne Schnatterinchen endlich aufs Altenteil abgeschoben zu sehen, was reitet das Erste, sie zu reaktivieren? Dafür hätte sich Maischberger entschuldigen müssen, nicht für Bosbachs Abgang.
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