Mittwoch, 28. Juni 2017

Populismus für alle

Man merkt, dass wieder einmal Wahlkampf ist, wenn eine an sich begrüßenswerte Initiative so schamlos auf dem Altar des Populismus geopfert wird, dass man sich fragt, ob der scheinbar errungene Sieg nicht ein Phyrrussieg ist.

Da in den vergangenen Tagen offenbar jeder in epischer Breite erklären muss, ob er für oder gegen die "Ehe für alle" ist, hier auch meine Meinung: Ehrlich, es ist mir egal.

Es gab einmal vor vielen Jahren eine Institution namens Ehe, die das Zeugen von Nachkommen staatlich subventionieren wollte und deshalb den Eheschließenden diverse Vorteile bot.

Die Zeiten haben sich geändert. Das mag man begrüßen oder nicht. Es gibt kinderlose Ehen und Paarbeziehungen, aus denen Kinder hervorgehen. Es gibt Ehen, die zerbrechen, noch bevor die Kinder das Haus verlassen haben und die wildesten Patchworkfamilien, die den dort aufwachsenden Kindern alles an Fürsorge, Liebe und Geborgenheit bieten, was man sich wünschen kann. Entsprechend haben nichtverheiratete Paare eine weitgehende Gleichstellung mit Verheirateten erstritten, so dass die Ehe nicht viel mehr als eine romantische Treueerklärung ohne nennenswerte Vorteile ist.

Wenn man erst einmal an diesem Punkt ankommt, ist es tatsächlich egal, wem man die Möglichkeit geben möchte, diesen Treueschwur zu leisten. Homosexuelle, Heterosexuelle, lass sie doch öffentlich erklären, dass sie sich lieben und im Idealfall ewig zusammenbleiben wollen. Wo steht eigentlich, dass es immer zwei sein müssen? Warum nicht drei oder vier? Warum müssen es unbedingt Menschen sein? Warum nicht den Eiffelturm? In einer Gesellschaft, in der jeder Recht bekommt, wenn er nur laut genug herumjammert, soll meinetwegen jeder alles heiraten können. Es ist ja nicht so, als dass irgendwem dabei ein Schaden entstünde.

Die Grünen haben die "Ehe für alle" als nicht verhandelbare Koalitionsaussage in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Das war zum Zeitpunkt, als es geschah, eine gewagte Aussage, weil praktisch alles darauf hindeutete, dass eine Regierung nur zusammen mit der CDU stattfinden kann, bei der es bis vor wenigen Tagen aussichtslos erschien, dass sie ihre Blockadehaltung aufgeben könnte. Die FDP legte sich nach Bekanntwerden dieser Meldung noch nicht fest, begrüßte aber die Haltung der Grünen.

Nun muss man, was Großmaulphrasen wie "unverhandelbar" angeht, sich nicht allzu sehr beeindrucken lassen. "Unverhandelbar" heißt auf Deutsch so viel wie: "Wir zetern pro forma eine Weile, aber vor die Wahl gestellt, in bequemen Regierungssesseln oder auf der harten Oppositionsbank zu sitzen, gibt es keine Überzeugung, die wir nicht mit Wonne aufgäben" - vor allem bei Parteien wie den Grünen, die sich innerhalb eines Jahrzehnts von pullistrickenden Ökopazifisten zu Kriegsbefürwortern gewandelt haben.

So blieb die Situation für mehr als einen Monat bestehen. Alle wussten: Gut gebrüllt, Löwe, schönes Nischenthema, gut platziert, die CDU wird ein paar schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen, um euch das auszureden. Dann kam der SPD-Parteitag.

Die SPD, ausgerechnet die Partei, deren einzige über die Jahre beibehaltene Überzeugung "Opposition ist Mist" war, entdeckt nun auf einmal ihre moralische Seite. Naja, ehrlicherweise zählt sie durch, stellt das fest, was sie schon vor vier Jahren hätte feststellen können, nämlich, dass es im Bundestag eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün gibt, bemerkt, dass sowohl Grüne als auch Linke als auch FDP die "Ehe für alle" gut finden und denkt sich offenbar: "Für wirklich wichtige Dinge wie eine Bundesregierung wollen wir diese Mehrheit nicht nutzen, aber für Laberthemen wie die Ehe für alle, bei der es nun wirklich um nichts geht, außer die CDU zu ärgern, können wir sie ja mal ausprobieren."

Sprach's und tönte in typischer SPD-Manier herum, die "Ehe für alle" sei das Thema, von dem die Zukunft dieses Planeten abhinge, und die böse CDU, diese böse, böse CDU, diese miese Bande, die sich erdreistet hatte, zweimal in den letzten 12 Jahren eine Große Koalition mit der SPD einzugehen, die sei dagegen. Wie könne man nur.

Angela Merkel wiederum, der man alles nachsagen kann, aber nicht, dass sie sich nicht aufs Taktieren versteht, zuckt nur kurz, zählt ebenfalls durch, stellt fest, dass sie sich wegen solch einer Lappalie auf keinen Fall die Optionen mit der FDP und den Grünen verbauen will und sagt: "OK." Problem gelöst.

Natürlich, die üblichen Unions-Fossilien schreien auf, so, wie sie immer aufschreien, wenn in der Koalition einmal ein nicht völlig behämmerter Gedanke geäußert wird, aber jetzt mal unter uns: Wer glaubt ersthaft, dass Merkel ihre Kampfdackel nicht im Griff hat? Hans-Peter Friedrich, der Mann, der ohne Lobbyistensouffleur keinen eigenen Satz zustande bekommt, Hans-Peter Uhl, der fleischgewordene Musikantenstadl - alles Leute, welche die Kanzlerin schon vor Jahren ins politische Abseits geschoben hat, von wo aus sie wie Statler und Waldorf ab und zu ein wenig pöbeln dürfen. Keiner von denen wird ernsthaft wegen der "Ehe für alle" eine Regierungskoalition scheitern lassen. Es kommt doch nur darauf an, wie man die Sache am Ende der eigenen Wählerschaft verkauft.

Dass die Kanzlerin so schnell einlenkt, passt der SPD natürlich überhaupt nicht. Sie krakeelt weiter so herum, als hätte Merkel nie etwas gesagt, und da der SPD keine Großmäuligkeit zu großmäulig ist, hat sie jetzt sogar eine Online-Petition geschaltet. Noch in dieser Woche soll im Bundestag eine Abstimmung erfolgen. Wir sind ja in Zeiten der Terrorhysterie hastig zusammengeschmierte Gesetze gewöhnt, aber was uns jetzt blüht, kann in dieser Geschwindigkeit nur Pfusch sein.

Ich finde es in Ordnung, dass die "Ehe für alle" jetzt kommt. Was mich anwidert, ist, dass es sich dabei um ein reines Wahlmanöver und kaum jemand aus ehrlicher Überzeugung handelt. Jetzt ist also auch die Liebe nicht mehr als ein Wahlkampfgag.

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