Samstag, 26. November 2016

In der Liebe und im Cyber sind alle Mittel erlaubt

Manchmal ist es sehr einfach, den Grad an Bullshit einer Politikeräußerung zu messen. Ein guter Indikator ist das Vorkommen des Worts "cyber". Bei Thomas Oppermann sind es 3 auf 138 Worte. Die Redaktion benutzt im umgebenden Text das Wort weitere sechs mal. Die Wahrscheinlichkeit, dass weder Journalisten oder Oppermann selbst wussten, wovon sie reden, lag also bei etwa 0,9 Hanspeter auf der nach oben offenen Friedrich-Skala, umgerechnet 1 Schieb.

Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob Wahlen in Deutschland durch soziale Medien, genauer: durch Bots und gezielte Falschmeldungen manipuliert werden können. Die Antwort lautete: Ja, und Oppermann will etwas dagegen unternehmen. Unklar hingegen ist, wie genau er sich das vorstellt.

In eine ähnliche Richtung ging wenige Tage zuvor die Initiative der Kanzlerin. Sie spricht deutlicher aus, was Oppermann noch hinter nebulösem Geschwafel verbarg: Netzregulierung. Das klingt doch gleich viel netter als Zensur.

Nun ist es nicht so, als sei Zensur hierzulande etwas völlig Neues. In gewissem Umfang ist sie sogar gesellschaftlich akzeptiert, beispielsweise bei der Leugnung des Völkermords im Dritten Reich, bei Volksverhetzung, Verleumdung, übler Nachrede und Beleidigung. Es ist also nicht so, als gäbe es keine Gesetze gegen solche Äußerungen und als fänden diese Gesetze keine Anwendung. Das scheint aber einigen Leuten nicht zu reichen.

Es ist eine eigenartige Allianz: Auf der einen Seite Analogpolitiker, deren Sozialisationsphase in einer Zeit liegt, zu der Computer ganze Hallen füllten, Senso als High-Tech-Spielzeug galt und die alles seit Erfindung der Glühlampe für Teufelszeug halten. Auf der anderen Seite Netzaktivisten, die souverän alle technischen Neuerungen benutzen und vehement die Freiheit im Netz verteidigen - so lange es ihre eigene Freiheit ist.

Richtig klar zu sein scheint sich im Moment niemand, was genau man bekämpfen will und worin die Gefahr besteht. Was versteht Merkel unter "Falschmeldungen"? Jede Satireseite liefert ausschließlich verzerrte und überspitzte Darstellungen. Seiten wie der Postillon erzielen ihre gesamte Komik in scheinbar seriösen Nachrichten, die sich erst bei genauerer Betrachtung als Unsinn herausstellen. Will man solche Seiten jetzt verbieten, weil irgendwelche Volltrottel zu blöd sind, Humor von Wahrheit zu unterscheiden? Wer will die Grenze ziehen zwischen Satire und manipulativer Meinungserzeugung? Erinnert sich noch irgendwer an das Böhmermann-Gedicht, bei dem die Republik wochenlang darüber stritt, ob das pennälerhaft dumme Geschreibsel Kunst oder plumpes Gepöbel war? So sehr ich das Gedicht ablehne, so froh bin ich auch, dass die Klagen gegen Böhmermann bislang sämtlich gescheitert sind. Staatschefs müssen es aushalten, gelegentlich ruppiger angegangen zu werden.

Unklar ist auch, wie man gegen stimmungserzeugende Bots vorgehen möchte. Bots zu programmieren, ist kein Hexenwerk, und schaltet man den einen Bot ab, schaltet der Angreifer eben den nächsten an. Ich wüsste nicht, wie man gegen solche Techniken vorgehen will - außer eben mit Zensur, und ich fürchte, genau das wollen Leute wie Oppermann und Merkel.

Die Schwierigkeit liegt unter anderem in Begriffen wie "Hatespeech", die alles abdecken von strafrechtlich relevanten Beleidigungen bis hin zu "Argumente fand ich immer schon doof, deshalb werfe ich mich weinend auf den Boden, wenn jemand anderer Meinung ist und schreie was von Triggern". Um die Zustimmung der "digital Natives" zu bekommen, erzählen die Internetausdrucker also gerne was von "Hatespeech", worauf die Natives begeistert nicken, geht es doch endlich den fiesen Hatern an den Kragen. Gemeint ist aber tatsächlich das, was China mit dem schönen Begriff "Harmonisierung" meint: Wenn wir das Internet schon nicht abgeschafft bekommen, sorgen wir wenigstens dafür, dass dort nur heile Welt herrscht, dass nur das zu lesen ist, was uns in den Kram passt und dass die Leute ansonsten schön brav bei Amazon lauter teuren Krempel bestellen. Davon merken die Natives freilich am Anfang noch nichts, und wenn sie es merken, ist es zu spät.

"Zensur? Wer redet denn hier von Zensur? Wir wollen keine Zensur, wie kommt ihr denn darauf?"

Deswegen.

Keine Kommentare: