Dienstag, 22. Oktober 2013

Deutsche Büroküchen

Wenn Sie die volle Tragik der deutschen Mentalität in ihrem unnachahmlichen Kleingeist erleben wollen, werfen Sie einen Blick in deutsche Büroküchen. Dort bietet sich im Wesentlichen überall das gleiche Bild: Eine mit blitzsauberem Geschirr gefüllte Spülmaschine harrt tagelang der Leerung, während sich in der Spüle und auf der Anrichte kunstvolle Gebilde ungespülten Geschirrs stapeln. Das ist kein erfreulicher Anblick, zumal es tendenziell immer die gleichen Leute sind, welche ihrem asozialen Mitarbeiterpack den Dreck wegräumen dürfen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit diesem Zustand umzugehen:
  • einfach den Mund halten und wegräumen - die pramatische Methode, 
  • das Zeug liegen lassen und nur das eigene Geschirr spülen - die faule pragmatische Methode,
  • den eigenen Dreck dazu stellen - die kollektivasoziale Methode,
  • das dreckige Geschirr wegwerfen (ist ja schließlich Müll) - die Rock'n'Roll-Methode
  • Zettel schreiben - die deutsche Methode.
Sie werden diese - gern in Vierfarbdruck unter voller Ausnutzung des Farbraums des Druckers, der Windows-Zeichensätze und der Clipart-Sammlung, im Zeitalter der Mobiltelefonkameras auch gern mit selbst aufgenommenen Fotos der dreckigen und der aufgeräumten Küche versehenen - A4-Manifeste kennen: flammende Appelle, lustige Gedichte, wüste Beschimpfungen, weinerliche Selbstbeweihräucherungen, dass die Verfasserin es endgültig satt hat, jeden Morgen den Dreck anderer Leute zu beseitigen. Erfolg haben diese Pamphlete praktisch nie, weswegen ihr Dasein nahe eines von Fliegen liebevoll umsäuselten Müllbergs besonders pathetisch wirkt.

Eine Abart des Spülappellzettels ist der Aufruf am gemeinsam genutzen Kühlschrank, sich gegenseitig nicht die Milch zu klauen. Da wir alle ganz toll globalisiert sind, werden solche Zettel inzwischen immer häufiger mindestens zweisprachig, in der Regel also deutsch und englisch geschrieben, und hier bitte ich Sie, einen Blick auf das oben stehende Foto zu werfen. Die Aussage beider Texte ist: Finger weg von meiner Dosenmilch. Der Unterschied liegt im Ton. Während der deutsche Text im preußischen Kasernenton gehalten ist, mit rechtlichen Konsequenzen droht und nach alter Wichtigtuerinnensitte annimmt, der Wahrheitgehalt einer Aussage nehme mit der Zahl der hinter ihr stehenden Ausrufezeichen zu, so dass ein als Höflichkeitsfloskel hinterhergeschobenes "Vielen Dank" reichlich verlogen wirkt, kommt die englische Fassung viel netter daher und sagt, die Kolleginnen wären froh, wenn man gegenseitig das Eigentum der Anderen respektiere. Statt der im Deutschen nur in Rudeln auftretenden Ausrufezeichen reichen bezeichnenderweise im Englischen einfache Punkte am Satzende.

So, und jetzt fragen Sie sich bitte noch einmal, warum die Deutschen im Ausland einen so unfreundlichen Ruf haben.

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Wenn Sie auf weitere besonders gelungene Beispiele solcher Zettel stoßen, wäre ich dankbar, wenn Sie Links darauf im Kommentarbereich hinterließen.

Montag, 21. Oktober 2013

Buchkritik: Homeland

Die Geschichte geht weiter. Marcus ist inzwischen ein paar Jahre älter. Auf einem Festival spielt ihm eine ehemalige Mitarbeiterin des Department of Homeland Security einen USB-Stick mit brisanten Whistleblowerdaten zu und lässt sich von Marcus versprechen, sie zu veröffentlichen, falls ihr etwas zustieße.

Was auch prompt passiert. Die Whistleblowerin und ihr Freund werden verschleppt und Marcus steht jetzt vor der Aufgabe, das Material so zu publizieren, dass er nicht auch noch selbst Freiheit und Leben riskiert.

Das ist im Wesentlichen auch schon die ganze Handlung. Dass dies auf mehrere hundert Seiten gestreckt nicht arg dünn wirkt, liegt an den vielen Nebenhandlungen der Geschichte. Das oben genannte Festival und die dahinter stehenden Ideen werden in aller Ausführlichkeit beschrieben, so dass man viel über eine Alternativkultur erfährt. Marcus fängt an, als Webmaster im Wahlkampfbüro eines unabhängigen Senatskandidaten zu arbeiten und bekommt auf diese Weise Einblicke in den Politbetrieb. Später nimmt er an einer Großdemonstration teil und erlebt, mit welchen Mitteln die Staatsmacht praktisch jede beliebig große Menschenmenge unter Kontrolle bringt. Marcus' Eltern und damit er selbst sind in finanzielle Schieflage geraten, und man erfährt, wie in den USA die moderne Form der Leibeigenschaft funktioniert.

Von der Erzählung her wirkt "Homeland" wie der typische zweite Teil einer Trilogie (Beispiel Star Wars). Im ersten Teil entsteht der Konflikt, der zum Teil gelöst wird (Böses Imperium, gute Rebellen, Todesstern futsch, Darth Vader noch am Leben). Der zweite Teil führt die Handlung fort, ohne dass es zur entscheidenden Wende kommt (Das Imperium erringt Teilerfolge, verhaftet Han, aber die Rebellen sind weiter aktiv). Im dritten Teil kommt es zum Showdown (Imperator tot, Darth Vader wieder Anakin Skywalker, zweiter Todesstern auch futsch). Ähnlich wie man beim Abspann von "Das Imperium schlägt zurück" etwas ratlos wegen der vielen offenen Handlungsstränge das Kino verlässt, fragt man sich beim doch etwas sehr staatsbürgerlichem Ende von "Homeland", ob man das nicht auch ein paar hundert Seiten kürzer hätte haben können.

Trotz des etwas unbefriedigenden Endes halte ich "Homeland" für ein lesenswertes Buch. Es führt "Little Brother" sauber fort, ist ebenfalls sehr inspirierend, wenn man sich aus einer leicht staatskritischen Haltung heraus mit Kryptografie beschäftigt, haut einen aber nicht mehr so um wie der erste Band. Wer ein paar hacktivistische Anregungen braucht, wird an dem Buch Spaß haben.

Cory Doctorow: Homeland http://craphound.com/homeland/