Samstag, 6. Oktober 2012

Nachhilfe für Kanzlerkandidaten

Steinbrück, hören Sie? Ich komme in den letzten Tagen nicht umhin, die eine oder andere Meldung über Sie lesen zu müssen, und ich habe den Eindruck, dass Sie einige grundlegende Regeln des Politikbetriebs nicht ganz begriffen haben. Das ist nicht weiter schlimm, das passiert Anfängern schon einmal. Da ich aber ein netter Mensch bin, halte ich Ihnen einen kleinen Vortrag darüber, was man als Kanzlerkandidat besser wissen sollte - gratis, versteht sich.

Damit wäre das Stichwort gefallen: Vortrag. In der laufenden Legislaturperiode haben Sie nach eigenen Angaben mehr als 80 davon gehalten und dafür jeweils mindestens 7000 € bekommen. Nun bin ich in einer Gegend groß geworden, die von spezialdemokratischen Bildungsexperimenten verschont geblieben ist und beherrsche deswegen wenigstens so viel Kopfrechnen, dass ich sagen kann: Das waren mindestens 560.000 € in drei Jahren, also knapp 190.000 € pro Jahr und damit mehr als ein komplettes Jahreseinkommen eines gewöhnlichen Bundestagsabgeordneten. Für Leute Ihres Schlages mögen solche Beträge nicht der Rede wert sein, aber da sich die SPD zumindest früher einmal als Arbeiterpartei aufspielte, lassen Sie sich sagen: Für Ihre jährlichen Rednerhonorare müssen viele Ihrer Wähler ein Jahrzehnt arbeiten.

Jetzt sind Sie also Kanzlerkandidat. Dafür braucht man inzwischen nicht einmal mehr einen Parteitagsbeschluss, das klärt man kurz im Präsidium, und die Genossen nicken das schon brav ab. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit scheinen Sie davon auszugehen, dass der Rest der Nation in heiliger Ehrfurcht Ihre Proklamation aufnimmt. Wildfremde Menschen auf der Straße fallen sich vor Freude weinend in die Arme - so scheinen Sie sich das vorgestellt zu haben. Statt dessen - kleinliches Genörgel. Briefe werden hervorgekramt, in denen Sie um Sponsorengelder geworben haben, und jetzt noch diese Respektlosigkeit, von Ihnen zu verlangen, Sie sollten erklären, woher diese lächerliche halbe Millionen stammt, die Sie für Ihre Reden bekommen haben - aus Ihrer Sicht gerade mal Parkgroschen, keine Beträge jedenfalls, die Ihren stets glasklaren und objektiven Geist auch nur einen Cicero vom rechten Weg abweichen lassen könnten. Eine Frechheit, etwas Anderes anzunehmen. Folglich kann das Theater, das gerade um diese lächerlichen Almosen veranstaltet wird, nur eine perfide Rufmordkampagne sein, eine Verschwörung der Presse und des politischen Gegners, um ihren - freilich tadellosen - Leumund zu schädigen. Putzigerweise haben die Piraten gerade die gleiche Argumentation drauf, um ihre katastrophalen Umfragewerte zu erklären.

Werter Genosse Steinbrück, was Sie gerade erleben, ist keine hinterhältige Machenschaft, sondern man nennt es Demokratie. Wenn jemand die faktische Nummer 1 dieses Staates werden möchte, klatschen nicht alle begeistert in die Hände, sondern sie nehmen sich frecherweise das Recht heraus, zu fragen, was es mit dem Kandidaten auf sich hat. Wer sich um einen Posten bewirbt, muss sich im Bewerbungsgespräch Fragen gefallen lassen, und nicht jede dieser Fragen ist fair. Einige davon haben keinen anderen Sinn, als den Bewerber ein wenig aus der Reserve zu locken. Im Moment sind Sie der Bewerber, und wir als Ihre potenziellen Wähler sind der Personalchef. Um ehrlich zu sein: Eine besonders gute Figur geben Sie zur Zeit nicht ab.

Ihre schnoddrige Art ist ja ganz lustig, aber übertrieben eingesetzt hinterlässt sie den Eindruck von Arroganz. Sie wirkt vor allem dann unangebracht, wenn wir Sie fragen, was Sie als vom Volk bezahlter Abgeordneter so treiben, worauf Sie dann etwas von "gewisser Privatheit" murmeln und uns unterstellen, wir wollten eine Diktatur. Nein, Genosse Steinbrück, wir wollen nur wissen, wie Sie und Ihre Kollegen  zu Ihren Entscheidungen kommen, und wir haben einfach immense Schwierigkeiten dabei, uns vorzustellen, dass sechstellige Eurobeträge auf Ihrem Konto Sie komplett unbeeindruckt lassen. Niemand will Ihnen Ihre Privatsphäre nehmen, denn das, wovon wir reden, ist Ihr öffentliches Wirken, oder wie würden Sie einen Auftritt in der Nähe von Zürich vor etwa 750 Zuhörern nennen?

Reichlich verlogen - und da gebe ich Ihnen recht - sind natürlich diejenigen aus dem Lager Ihrer politischen Gegner, die gerade am lautesten herumtönen, selbst aber die von ihnen geforderte Transparenz  nicht praktizieren. Es geht dabei also nicht allein um Sie. Offen gesagt sind Sie als künftiger Oppositionsführer oder bestenfalls Juniorpartner in einer Großen Koalition in meinen Augen ohnehin nur eine historische Randnotiz. Es geht vielmehr um das Selbstverständnis der vom Volk Gewählten und Finanzierten. Wir müssen uns vom Gedanken verabschieden, wir erteilten unseren Mandatsträgern alle vier Jahre eine Generalvollmacht und hätten für den Rest der Zeit gottergeben jedes ihrer Urteile hinzunehmen. Diese Haltung bringt Abgeordnete hervor, welche den Wähler nur noch als lästiges Übel betrachten, das man vor der Wahl ein wenig mit Luftballons und Aufklebern beglückt und sich ansonsten vom Leib hält. Demokratie ist hingegen ein ständiger Kontrollprozess, ein immerwährendes einfordern von Rechenschaft. Das ist mühsam, aber anders lässt sich das Machtgleichgewicht zwischen Regenten und Regierten nicht aufrecht erhalten.

Die Zeit bis zur Wahl ist noch lang, Genosse Steinbrück. Wahrscheinlich wird wegen Ihres Rednerhonorars nichts passieren, weil Ihr politischer Gegner bald begreift, dass es dann auch um seinen Kragen ginge. Im Zweifelsfall wird man sich auf eine publikumswirksame, aber komplett sinnlose Aktion einigen und ansonsten darauf vertrauen, dass in der nächsten Woche schon die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Was aber in den Köpfen bleibt, ist die Erinnerung daran, wie Sie unter Druck reagieren, ob Sie souverän, staatsmännisch und mit der Fähigkeit zur Selbstkritik antworten oder  nur auf massive Nachfragen hin, sich auf formaljuristische Argumentationen verlegen und das alles "absurd, man kann auch sagen dämlich" finden. Diese Strategie hat vor nicht einmal einem Jahr schon jemand probiert und ist daran gescheitert. Der Mann war Bundespräsident.

Keine Kommentare: