Sonntag, 22. August 2021

Die Drei von der Resterampe

Jetzt ist es offiziell: Laschet sieht keine Chancen mehr, das Rennen um die Kanzlerschaft zu gewinnen.

Das sagt er natürlich nicht so. Er verhält sich aber, wie sich die CDU immer verhalten hat, wenn sie nicht mehr daran glaubt, es aus eigener Kraft noch schaffen zu können: Er gräbt ganz tief in der Klamottenkiste herum und zerrt die schon reichlich ausgeleierte Rote-Socken-Kampagne hervor. Diese Nummer hat noch nie funktioniert, im Gegenteil: Die Warnung vor einem Linksruck hatte dem politischen Gegner stets in die Arme gespielt, hinterließ sie bei den Wählerinnen doch den (irrigen) Eindruck, durch die Wahl einer anderen Regierung wirklich einen politischen Wandel herbeiführen zu können. Das ist natürlich Quatsch, denn zumindest mit der SPD an der Macht wird es alles geben, nur keine linke Politik. Hartz IV, erster echter Kriegseinsatz der Bundeswehr, ein ganzes Bündel menschen- und bürgerrechtsverletzender Anti-Terror-Gesetze, die vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurden: SPD-Kanzlerschaft. Mindestlohn, Frauenquote in Führungsetagen, Ehe für alle, Ausstieg aus der Kernkraft: Kanzlerin Merkel, zugegeben bis auf vier Jahre zusammen mit der SPD. Ich weiß, das ist in dieser Überspitztheit nicht wahr, aber es bleibt die Feststellung, dass mehrere klassisch linke Forderungen bizarrerweise unter einer CDU-geführten Regierung umgesetzt wurden. Selbst die Streichung des § 175 StGB fand unter Kohl statt (wenngleich die CDU danach den Mut verlor und sich gegen die Rehabilitierung Verurteilter wehrte). Wie dem auch sei, wenn von einer SPD-geführten Regierung eins nicht zu erwarten ist, dann ein Linksruck.

Doch genau davor warnt Laschet. Offensichtlich traut nicht einmal er selbst sich noch genug Eigenschaften zu, um von sich zu überzeugen. Böse Zungen fragen: Hat dieser Mann überhaupt irgendwelche Eigenschaften? 

Samstag, 17. Juli 2021

Lasch et

Das war's. Der Wahlkampf ist gelaufen. Annalena Baerbock wird die nächste Kanzlerin. Die CDU kann viel Geld sparen, indem sie ihre Wahlkampfteams nach hause schickt. Vielleicht lohnt es sich, zu versuchen, noch ein paar Prozentpunkte zu retten, aber die Hoffnung auf eine weitere CDU-Kanzlerschaft kann die Partei aufgeben. Nicht mit Armin Laschet. Nicht mit einer Witzfigur, über die exakt einer lacht: er selbst.

In Wahlkämpfen entscheiden weniger die nüchternen Sachargumente, es entscheiden Emotionen. Denken Sie daran, wie Schröder in Gummistiefeln einen schon verloren geglaubten Wahlkampf doch noch für sich entscheiden konnte. Etwas Ähnliches hatte Laschet auch vor. Statt sich auf einer CSU-Klausur von der bayerischen Schwesterpartei auszählen zu lassen, weil er sich mit aller Macht gegenüber dem Selbstdarsteller Söder durchsetzen musste, der über ein Jahr lang als Krisenmanager in der Coronakrise punkten konnte, nutzte er die Gunst der Stunde, um sich in die Flutkatastrophengebiete Nordrhein-Westfalens zu begeben und dort den fürsorglichen Landesvater zu mimen. Das war im Kern auch eine sehr gute Idee, und wahrscheinlich hätte das Wahlkampmanöver funktioniert, hätte Laschet nicht in einigen wenigen Sekunden der Unachtsamkeit alles verspielt.

Toll

Damals, in den Achtzigern, da war die Welt noch in Ordnung.

Natürlich war sie nicht in Ordnung. Wir hatten sauren Regen, Helmut Kohl, den Kalten Krieg, der jeden Moment ein Atomkrieg werden konnte, und wir hatten Rudi Carrell.

Rudi Carrell war nicht wirklich schlimm, er war eher sowas die der deutsche Disney: omnipräsent, solide und ein bisschen langweilig. Wann immer das deutsche Fernsehen eine familientaugliche Unterhaltungssendung brauchte, in der es was zu Lachen gab, musste der freundliche Niederländer mit der Barrettfrisur auf die Bühne. Er war lustig, aber nicht zu lustig. Sein Humor war harmlos und leider auch vorhersagbar, mit anderen Worten: ideales Familienprogramm.

Ein Wort mochte der Moderator besonders gern: toll, oder wie er es mit seinem leicht nuschligen Akzent gerne sagte: "doll". "Doll" war das Universalattribut der Anerkennung, welches Carrell hervorzukramen pflegte, wenn er versuchte, aus seinen meist zutiefst bürgerlichen Gästen interessante Details ihres Lebens herauszukitzeln. Die Büroangestellte hat drei Katzen? "Oh, daschischdoll." Der Lohnbuchhalter einer Kartonagenfabrik sammelt Bierdeckel? "Daschischdoll." Die passionierte Skatspielerin hat die Kreismeisterschaftgewonnen? "Daschischunglaublischdoll."

Sonntag, 4. Juli 2021

Grüne Dünnhäutigkeit

Das mit dem Wahlkampf ums Bundeskanzlerinnenamt müssen die Grünen noch üben.

Zugegeben, es ist in den 40 Jahren nach Parteigründung auch das erste Mal, da darf man sich etwas deppert anstellen. Eigentlich sollte mich eher beunruhigen, wie wenig Fehler ihnen trotz fehlender Übung unterlaufen. Daran sehe ich, wie bürgerlich-spießig die Partei inzwischen ist. Früher, da hätte sich bei so guten Umfragezahlen längst irgendein siegestrunkener Depp zu Wort gemeldet und einen Benzinpreis von 5 Mark, den Ausstieg aus der NATO oder irgendwas Anderes gefordert, was inhaltlich gar keine schlechte Idee, aber leider auch perfekt geeignet ist, Leute zu verschrecken, die zwar Änderungen wollen, aber bitte in Nanoschritten. In die Falle mit dem Benzinpreis zum Beispiel wollen sie dieses Mal nicht tappen, indem sie vorrechnen, dass sie zwar höhere Steuern wollen, sie aber zurückzahlen. Das ist natürlich Quatsch. Keine Regierung seit Gründung der Bundesrepublik hat jemals Steuern erhoben, um die dann wieder zurückzuzahlen, und selbst wenn sie es täte: Hat jemand mal nachgerechnet, wie viel des eigenommenen Geldes am Ende wieder zurückgegeben werden soll? Im Zweifelsfall bietet eine Payback-Karte bessere Rendite.

Interessanterweise spielt diese Diskussion im Moment aber keine Rolle. Die Leute haben geschluckt, dass unter jeder Regierung deutlich höhere Energiekosten auf sie zukommen und dass die Grünen mit ihren Forderungen auch nicht weit über denen der Union liegen. Das stört also niemanden. Was die Öffentlichkeit viel mehr bewegt, ist die B-Note der Kanzlerkandidatin.

Mittwoch, 9. Juni 2021

Schutz ja, aber nicht für Arme

Eines muss ich der sich ohne erkennbaren Anlass "sozialdemokratisch" nennenden Partei lassen: Egal, wie niedrig die Ansprüche liegen - und sei es bündig mit dem Estrich - die SPD schlängelt souverän drunter durch. Dabei gelingt ihr das Kunststück, selbst Lachnummern wie Jens Spahn souverän und kompetent erscheinen zu lassen. Jüngstes Beispiel ist der Versuch, einen 15 Monate alten Fehlkauf als Wahlkampfmunition zu missbrauchen und Spahn als menschenverachtenden Zyniker hinzustellen. Beeindruckend ist hierbei, wie die SPD aus einer nahezu lückenlosen Kette von Fehlentscheidungen und Managementkatastrophen ausgerechnet den einen Punkt herauspickt, der sich am wenigsten für einen Skandal eignet. Der Vorwurf an den Minister lautet: Im März des Jahres 2020 habe der Minister für einen Milliardenbetrag aus China Masken liefern lassen, die sich bei näherer Prüfung als ungeeignet erwiesen. Daraufhin habe er überlegt, sie an soziale Einrichtungen und Obdachlose zu verschenken, oder wie es seine Kritiker ausdrücken: Die Masken taugen zwar nichts, aber für ein paar Hartz-IV-Empfänger reicht es.

Samstag, 10. April 2021

Pandemiebekämpfung durch Herumposen

Dass CDU und SPD in den letzten Jahrzehnten bis zur Ununterscheidbarkeit zusammengerückt sind, ist keine besonders hellsichtige Erkenntnis. Dass die Nähe so weit geht, dass die CDU sogar in Sachen Stümperei der SPD den Rang abläuft, überrascht mich dann aber doch.

Montag, 29. März 2021

Das Leben ist kein Bällebad

"So this is how liberty dies - with thunderous applause." Es dauert eine Weile, sich durch die drei unfassbar mittelmäßigen Star-Wars-Prequels zu quälen, bis endlich dieser eine entscheidende Satz fällt, aber der hat es dafür in sich. Ich drücke es etwas schärfer aus: 56 Jahre Diktatur in diesem Land, zwei verlorene Weltkriege und 28 Jahre Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen haben bei uns nicht etwa die Haltung hinterlassen, dass Freiheitsrechte etwas Heiliges sind, die zu verteidigen wir jede denkbare Anstrengung unternehmen müssen - im Gegenteil. Wir haben geradezu einen Fetisch für Totalitarismus entwickelt, wir geben es nur nicht zu. Doch gib uns das richtige Feindbild, und wir jubeln uns das Imperium genau so herbei wie der Senat in der "Rache der Sith". Niemand hier hat ein Problem mit einem Land, das seine Gegnerinnen in Lager sperrt - so lange wir auf den Türmen stehen und die Anderen hinter dem Zaun, ist alles super.

Mittwoch, 3. Februar 2021

Piraten, Twitter und ein Klubhaus

In den letzten Jahrzehnten habe ich mehrere Hypes er- und durchlebt. Das fing mit neuen Spielzeugen an, die ich zum Dazugehören unbedingt besitzen musste, es erwischte mich richtig schwer mit meinem ersten Computer, der mich bis heute in eine mathematisch-naturwissenschaftliche Laufbahn gelenkt hat und ging über das Internet Mitte der Neunziger bis zu den dadurch ausgelösten Modewellen. Besonders hängen blieben bei mir die Piratenpartei und Twitter. Anlass für diesen Artikel ist das an der Grenze der Unerträglichkeit lavierende Geschrei meiner Filterblase nach einer neuen App, die es Leuten mit einem I-Phone ermöglicht, Audiokonferenzen zu veranstalten. Ich kann mir - Datenschutzbedenken kurz ignoriert - gut vorstellen, dass diese App enorm viel Spaß bringt und Gespräche durch ein paar simple, aber offenbar längst überfällige Optionen auf ein neues qualitatives Niveau hebt. Was sich die Leute komplett schenken können, sind vor Affektiertheit triefende Sätze wie diese:

"Du bist doch heute Abend auch dabei, oder?"

"Nein, auch wenn Du es mir jetzt schon zum vierten Mal erzählst. Ich habe die App nicht."

"Ach ja, stimmt. Du kannst Dir ja kein I-Phone leisten. Ich hätte ja ein Inweit für dich. Ich habe meins übrigens von Sascha bekommen. Sascha Lobo, weißt du? Naja, das ist ja ohnehin nichts für dich, ich muss jetzt aber los, hab gleich noch ein Influenza-Mieting, tschüss denn."

Und schon ist er wieder weg, eine Schleimspur aus Selbstgefälligkeit hinterlassend.

Montag, 1. Februar 2021

Verstehen ist nicht befolgen

Als ich gestern beim Spazierengehen durch eine Unterführung ging, fand ich endlich ein schönes Beispiel für den Unterschied zwischen "eine Vorschrift verstehen" und "eine Vorschrift befolgen". Das Eine ist nämlich das komplette Gegenteil des Anderen.

Samstag, 9. Januar 2021

Nicht jede Revolution ist gerechtfertigt

Die Polizei hat vor dem Parlament Stellung bezogen, die Gewehre im Anschlag. Langsam wälzt sich eine Wand aus Menschen auf sie zu. Sie tragen Masken. Ihrem Schritt merkt man ihre Entschlossenheit an. Die Polizeischützen zögern. Zwar haben sie Gewehre, während die Anderen zumindest dem Anschein nach nicht bewaffnet sind. Doch es sind viele. Tausende. Wie lang wird die Munition reichen? Selbst wenn: Werden Schüsse die Situation nicht eskalieren? Natürlich, die vordersten Reihen werden sie damit aufhalten können, aber von hinten dringen unzählbar viele nach. Einige werden durchkommen, und was dann? Nicht zuletzt sind die Herandrängenden das eigene Volk, auf die kann man doch nicht einfach schießen. Erst einer, dann immer mehr Polizisten lassen das Gewehr sinken, während die vordersten Demonstranten sie schon fast erreicht haben. Es fallen keine Schüsse, es gibt nicht einmal ein Handgemenge. Ohnmächtig lässt die Polizei die Leute durchsickern, die sich unaufhaltsam ihren Weg bahnen.

Triage auf den Straßen

Vielleicht hilft es, den ganzen verlogenen Corona-Debatten der vergangenen Wochen zu etwas mehr Ehrlichkeit zu verhelfen, indem wir die eigentliche Frage einmal aussprechen: Wie viele Leute sind wir bereit, für den Erhalt des Kapitalismus zu töten?