Falls ihr euch fragt, warum die AfD von einem Wahlerfolg zum nächsten eilt, wenn ihr euch fragt, ob wir tatsächlich 15 Prozent Nazis unter uns haben oder ob die Leute inzwischen einfach nur noch verzweifelt alles wählen, was einen nicht mehr funktionierenden Diskurs aufzubrechen droht, dann schaut euch dieses Video an.
Bevor hier wieder einer die Schubladen aufzieht: Nein, ich habe nie die AfD gewählt und ich werde es auch nicht. Ich halte nichts von der DVU, den Republikanern, der NPD, der CSU, oder wie diese Rechtsradikalen sich gerade nennen mögen. Die rechteste Partei, die ich je gewählt habe, waren die Grünen. Über Jahrzehnte habe ich mich im linksliberalen Milieu sehr wohl gefühlt, aber ich bin zunehmend befremdet darüber, wie sich hier eine Diskussionskultur ausbreitet, die ähnlich viel Pluralität zulässt wie der Stalinismus.
Worum geht es im Video? Eine weiße Frau ruft in einem Stadtpark mit ihrem Mobiltelefon die Polizei, weil sie sich an ein paar Leuten stört, die dort gemütlich grillen. Eine zweite, mutmaßlich ebenfalls weiße Frau zückt daraufhin ihre Mobiltelefonkamera und filmt die gerade die Polizei herbeitelefonierende erste Frau. Messerscharfe Kombination: Die Leute, die da grillen, sind schwarz, also handelt die erste Frau aus rassistischen Motiven.
Es stellt sich die Frage: Woher weiß sie das? Ist sie vielleicht nicht einfach eine Spießerin, wie sie in Deutschland zu Millionen herumlaufen (das Video selbst wurde in Oakland aufgenommen), die sich als Blockwart aufspielen muss? Im weiteren Verlauf des Videos wendet sich die filmende Frau an die Grillenden: Gell, ihr seid schwarz, nicht wahr? Gell, die Frau, die da gerade die Polizei ruft, die ist weiß, nicht wahr? Eine ganz üble Rassistin, stimmt's? Ich bin auch weiß, richtig? Ja, aber ich setze mich ganz toll für euch Schwarze ein, bin ich nicht ganz toll antirassistisch?
Stimmt, so ein dreißig-, vierzigjähriger Schwarzer kriegt seinen Kram nämlich nicht ohne Hilfe durch die weiße Herrenrasse erledigt. Der wäre ja völlig aufgeschmissen, wenn sich die Filmfrau nicht eingemischt hätte, zumal seinen Angaben zufolge die Feuerwehr schon mehrfach freundlich winkend vorbeigefahren war. Hätte ihn die weiße Filmfrau nicht gerettet, wer weiß, was dann passiert wäre.
Durch so viel Zuspruch ermutigt, geht die Filmfrau jetzt auf die Telefoniererin los und bezichtigt sie - jetzt müsst ihr ganz tapfer sein - des Diebstahls. Eine ganze Visitenkarte soll sie gestohlen haben! Im Wert von, mal überlegen, bestimmt 50 Cent! Die Stimme der Filmfrau schraubt sich ihn Höhen, die man wohl nur bei völliger Adrenalinübersättigung erreichen kann. Sie will sofort ihre Visitenkarte zurückhaben. Die Visitenkarte, die sie zwar der Telefonierfrau gezeigt hatte, aber von Geben war nie die Rede. Diebstahl! Die Telefonierfrau ist sogar bereit, die unfassbar wertvolle Karte zurückzugeben, will sie aber vorher abfotografieren. Jetzt kennt die Hysterie der Filmfrau keine Grenzen mehr. Wie die Telefonierfrau die Unverschämtheit besitzen könne, einfach so eine ihr gezeigte Visitenkarte abzufotografieren. Sagt die Frau, die zu diesem Zeitpunkt drei Minuten lang ungefragt eine andere Frau beim Telefonieren filmt.
Das Video endet damit, dass die Polizei eintrifft und die Telefonierfrau unter Tränen berichtet, sie sei von der Filmfrau belästigt worden. Die Kommentare unter dem Video überschlagen sich in diesem Moment vor Häme.
Gäbe es einen Preis für übergriffige Selbstgerechtigkeit, die Filmfrau bekäme ihn. Ich bin überzeugt, wären die Grillleute weiß gewesen, hätte sie niemals für sie Partei ergriffen. Die Art, wie sie bei den Grillenden um Beifall bettelt, weil sie ja eine so tolle Antirassistin ist, hat schon fast pathologische Züge. Minutenlang einfach so andere Leute zu filmen aber völlig auszurasten, weil jemand mit einer Visitenkarte exakt das anstellt, wozu das Ding einst hergestellt wurde, nämlich annehmen und einstecken, schreit geradezu nach einer guten Therapeutin.
Warum ich mich so lang über den Zwischenfall auslasse? Weil er exemplarisch für eine Geisteshaltung ist, die in sich freiheitlich nennenden Kreisen immer mehr um sich greift. Rassisten sind immer nur die Anderen, aber wenn man selbst bei jeder Ungerechtigkeit erst nachsieht, ob sie auch den ethnisch richtigen Leuten zustößt, bevor man Partei ergreift, das ist natürlich kein Rassismus. Ständig mit Argusaugen nachsehen, ob irgendwer falsch gendert, das falsche Geschlecht hat, die falsche Hautfarbe hat oder irgendwas von sich gibt, was irgendwem vielleicht nicht passen könnte, um sich dann unaufgefordert mit den Leuten zu solidarisieren, noch bevor sie sich überhaupt beleidigt fühlen können. das ist genau die Geisteshaltung, für die wir Denunzianten in Diktaturen verachten. Wenn jedoch die Diktatur die richtige politische Richtung hat, ist ein bisschen Polizeispielen schon ganz OK.