Donnerstag, 23. März 2017

Lowtech-Terrorismus

Es ist nicht etwa so, als hätte es niemand kommen sehen.

Nach den Amokfahrten von Nizza und Berlin schien die Lösung gefunden: Packt dicke Betonsperren vor Fußgängerzonen, in denen Weihnachtsmärkte oder Karnevalsumzüge stattfinden. Achtet verstärkt auf LKW, denn wie jeder weiß, sind Terroristen nicht anpassungsfähig.

Klar, sie haben nicht aus Flugzeugentführungen gelernt, dass Geiselnahmen und langwierige Verhandlungen mit den Behörden selten Erfolg haben und haben deswegen nicht auf Selbstmordattentate umgesattelt.

Klar, sie haben nach den Selbstmordattentaten vom 11. September 2001 nicht gelernt, dass Flugzeuge jetzt aufwendiger geschützt werden und haben ihre Angriffe deswegen nicht von den Flugzeugen auf die Warteschlangen vor der Sicherheitsschleuse verlagert.

Klar, sie haben ihren Schwerpunkt nicht von den inzwischen stark kontrollierten Flughäfen auf Fußgängerzonen bewegt.

Deswegen war auch völlig unabsehbar, dass sie künftig keine LKW, sondern kleinere Fahrzeuge benutzen werden, dass sie nie auf die Idee kämen, außerhalb der ganz großen Massenaufläufe wie Weihnachtsmärkten oder Faschingsumzügen, zuzuschlagen und dass sie auf keinen Fall die mit Pollern noch relativ gut zu schützenden Fußgängerzonen meiden und statt dessen die vielen tausend Kilometer praktisch unschützbarer Bürgersteige angreifen könnten.

Mit anderen Worten: Terrorismus ist seit jeher eine Lowtech-Kampftaktik. Seine Gefährlichkeit besteht darin, dass er gerade keine Armee mit ausgebildeten Soldaten, keinen millionenschweren Etat und keine ausgefeilten Werkzeuge braucht. Sein Schrecken kommt zustande, weil er jederzeit und überall zuschlagen könnte, weil es prinzipiell keine Möglichkeit gibt, sich gegen ihn zu schützen, und wenn doch, dann nur zum Preis, genau den totalitären Staat zu bekommen, den zu schaffen man den Terrorismus eigentlich hindern wollte.

Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man die mit Sicherheit wieder aufkommenden Forderungen betrachtet: Wir sollten ganz bestimmt die Vorratsdatenspeicherung einführen. Ach, die haben wir schon? Na, dann hat das ja wohl offensichtlich nicht ausgereicht, dann müssen wir noch viel mehr und für viel längere Zeit speichern.

Um was genau zu erreichen?

Keine Ahnung, hab ich vergessen. Woran ich mich erinnern kann, ist der Aufsichtsratsposten, der mir nach meiner Politiklaufbahn versprochen wurde - wie der Zufall es so will, bei einem Unternehmen aus der Sicherheitsbranche. Deswegen fordere ich auch Internetzen... äh Netzsperren, weil, weil (jetzt hab ich's), weil der Attentäter bestimmt bei Facebook mit seiner Tat geprahlt hat. Hat er nicht? Na, dann haben andere Leute darüber geschrieben, ist doch auch egal. Internet böse.

Immer wieder gern gefordert wird nach solchen Anschlägen die Ausweitung der Kameraüberwachung. In London. Einer der Städte mit der höchsten Dichte an Überwachungskameras weltweit. Hat ja prima funktioniert. Was genau soll das bezwecken. Den Anschlag verhindern konnte es offenbar nicht.

Ja, aber es erleichtert die Aufklärung enorm. Man kann den Täter viel leichter finden.

Der Täter. Der Selbstmord-Attentäter. Der liegt jetzt, in dieser Sekunde, in der Pathologie. Wir können nahezu alles über ihn sagen: was er zuletzt gegessen hat, ob er Diabetes hatte und ob sein Zahnarzt was taugt. Das alles können wir sagen, ohne auch nur ein einziges Überwachungsvideo angestarrt und uns zusammen mit einem herbeigekarrten Terrorexperten darüber ausgelassen zu haben, warum er auf der Brücke nicht 10 cm weiter rechts gefahren ist und was das über seine Pläne aussagt.

So schwer der Gedanke zu ertragen sein mag, wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir einsehen müssen, dass der Überwachungsstaat, dass der Totalitarismus uns nicht vor Terroranschlägen schützen können. Selbst wenn wir von heute auf morgen Autos verbieten oder alle Bürgersteigkanten mit Fangzäunen gegen Autos ausstatten, dann haben wir Situationen wie letzten Sommer in Würzburg, wo ihn der Regionalbahn jemand mit einer Axt auf Reisende losgegangen ist, und wenn wir Äxte verbieten, nimmt der nächste Terrorist zur Not ein weggeworfenes Metallrohr. Wie ich eingangs schon schrieb: Terrorismus braucht keine Passagierflugzeuge. Ein Stein reicht im Zweifelsfall aus.

Montag, 20. März 2017

Schulzzug!

"Der #Schulzzug hat jetzt eine Geschwindigkeit von 4.355 km/h und rast auf Berlin zu."
Mag ja alles sein, aber wirklich Aussagen mit Inhalt kamen von dem Mann bisher nicht und-
"SCHULZZUG!!"

Zugegeben, die SPD war noch nie eine Partei für Leute, die mehr IQ-Punkte als Zuckerstücke im Morgenkaffee haben, aber was sich gerade abspielt, ist selbst für diese sich selbst "Sozialdemokraten" Nennenden geistlos. Die Delegierten bestimmen ihn mit 605 von 605 abgegebenen gültigen Stimmen zum Parteichef. Solche Zahlen wären selbst der SED peinlich, und man hätte sie der Glaubwürdigkeit halber nach unten manipuliert. Gleichzeitig schnellen die Umfragewerte der SPD überall nach oben. Selbst im ansonsten eher ereignisarmen Landtagswahlkampf springt die SPD ohne eigenes Zutun nach oben. Der Grund: Schulzzug, und das ohne eine einzige Aussage, was er denn als Kanzler zu ändern gedenke. Ach ja, doch, eine inhaltliche Aussage kam von ihm: Staatliche Willkürmaßnahmen gegen Hartz-IV-Empfänger sind total töfte. Das sind nämlich keine Schikanen, sondern "Spielregeln".

Interessant ist dabei, wie geschickt die SPD den Eindruck vermittelt, gegenwärtig in der Opposition zu sein, und wie großartig es sein wird, wenn sie erst einmal an der Regierung ist. Oh, Moment, hoppla, die SPD ist ja an der Regierung. Wie kommt es dann, dass all die himmlischen Segnungen uns nicht bereits jetzt zuteil - SCHULZZUG!

Die etwas älteren Semester werden sich an den Wahlkampf Schröder gegen Kohl Ende der Neunziger erinnern. Damals gelang es dem Herausforderer, mit an Diffusität nicht überbietbaren Aufmunterungsreden den Rekordkanzler vom Thron zu kippen. Der wiederum hatte geglaubt, die Tatsache, dass er bereits Kanzler sei und das schon richtig lang, müsse ja wohl als Argument ausreichen. Diesen Fehler begeht Merkel nicht. Streng genommen begeht sie überhaupt nichts. Sie handelt so wie immer: abwarten, rechtzeitig zur Mehrheitsmeinung springen und sich ansonsten irgendwie durchwurschteln. Zugegeben, Glanz und Glamour sehen anders aus, aber es schien bislang zu funktionieren. Nun aber ist die Kanzlerin eingeklemmt zwischen "Merkel-muss-weg"-Gekreisch von ganz rechts und "SCHULZZUG!" von Mitte-Rechts. Ja, ich weiß, das Bild stimmt nicht, weil Mitte-Rechts nicht etwa links von der Merkel-CDU ist, sondern sich beide Regierungsparteien diese Position teilen. Merkels Vorteil bestand darin, ihre Partei als das Original und die SPD als die billige Kopie erscheinen zu lassen. Diese Taktik greift dem Anschein nach nicht mehr.

Vielleicht ist es auch nicht der Schröder-Wahlkampf im Jahr 1998, an den mich der Schulzzug-Klamauk der SPD gerade erinnert. Es könnte auch der FDP-Wahlkampf im Jahr 2002 sein. Mit Projekt 18 und dem Guidomobil, dem Versuch der FDP, als coole Spaßpartei zu punkten. Das Ergebnis war irgendwas zwischen Konfirmandendisko und der Piratenpartei auf der "Freiheit statt Angst" im Jahr 2009: nicht ganz unlustig aber auch ganz schön peinlich.

Wenn man der Regel glaubt, dass Wahlkämpfe in der Anfangsphase noch so etwas wie Inhalt haben, gegen Ende aber zunehmend hysterischer und platter werden, steht uns bis September noch einiges bevor.