Spätestens, wenn der politische Gegner den eigenen Kampfbegriff gegen einen verwendet, ist es Zeit, ernsthaft darüber nachzudenken, die Vokabel aufzugeben, insbesondere dann, wenn es sich um eine so idiotische wie "Fake News" handelt.
Der Terminus geistert seit letzten Sommer durch die Presse, und ähnlich wie bei "Hate Speech" hat er gleich mehrere Mängel: Erstens ist er ein typischer Modebegriff, der schön wissenschaftlich klingt, tatsächlich aber - zweitens - nicht sauber definiert ist, woran auch - drittens - inflationäre Benutzung nichts ändert, zumal - viertens - nichts grundsätzlich Neues beschrieben wird. "Fake News" ist das, was vor einem Jahr noch als Verleumdung, Hetze oder Propaganda bezeichnet wurde - zumindest wäre das meine Definition. Die Bundesregierung hingegen spricht gern von "Falschmeldungen", und genau hier sehe ich die Schwierigkeit: Während die Einen rechte Hetze aus dem Netz verbannen wollen, wünschen sich Andere vielleicht etwas ganz Anderes, und da man immer nur dann von Zensur redet, wenn die eigenen Inhalte auf einmal nicht mehr zu finden sind, findet der neue CDU-Vorschlag bestimmt auch links von der Mitte Zustimmung. Das Erwachen folgt später.
Eine Andeutung, was kommen könnte, lieferte jetzt Donald Trump, also genau der Mann, dessen Anhängern wir vorwerfen, durch geschicktes Platzieren von Verleumdungen gegen Hillary Clinton auf unfaire Weise den Wahlkampf beeinflusst zu haben (dass Clinton selbst in der Wahl ihrer Mittel auch nicht gerade zimperlich war und damit der Präsidentschaftswahlkampf einer der dreckigsten der letzten Jahrzehnte wurde, übersehen wir dabei gern). Trump kann man vielleicht mangelnde Umgangsformen vorwerfen, aber dumm ist er nicht. Wahrscheinlich dachte er sich, es sei doch schade, einen so schönen Kampfbegriff wie "Fake News" einfach den Demokraten zu überlassen und spickte deswegen seine - naja, offiziell heißt es wohl "Pressekonferenz" - mit diesem Wort. Die Strategie ist klar: Ihr findet Fake News böse? Ihr wollt sie mit aller Macht verfolgt und aus dem Netz getilgt wissen? Gut, könnt ihr haben, aber dann gehen wir auch gegen alles los, was eure dummelige Nicht-Definition abdeckt. Das klappt nämlich ganz hervorragend auch in die andere Richtung.
Es ist also dringend an der Zeit, sich darüber zu einigen, worüber man eigentlich redet. Zwei Vorschläge dazu gibt es, und bezeichnenderweise kommen beide zum Ergebnis, dass mit der juristischen Keule dem Phänomen nicht beizukommen ist. Im Gegenteil, sie richtet mehr Schaden an als sie Nutzen stiftet. Vielleicht sollten wir das Geschrei nach dem starken Staat, der alles für uns richten soll, noch einmal überdenken.
Freitag, 13. Januar 2017
Dienstag, 3. Januar 2017
Same Procedure As Last Year?
Jahrelang wurde gepredigt, die Nazis könne man ganz leicht an ihrer Rhetorik erkennen. Wenn jemand von "Denkverboten" spricht oder den Satz "Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen" von sich gibt, weiß man sofort: Nazi. Nehmen wir das für den Moment hin und behalten es im Hinterkopf.
Blicken wir jetzt auf den Morgen den 1. Januar 2017. Ich musste an diesem Tag nur in meine Timeline schauen, um zu wissen: Das alte Jahr mag gegangen sein, die Bescheuerten sind jedoch geblieben, und sie haben kein Bit dazugelernt. Erinnern wir uns an den Morgen des 1. Januars 2016. Da gab es ein großes Aufregerthema: Sexuelle Übergriffe auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz. Das Dumme war nur: Die Täter gehörten einer weiteren Opfergruppe an und das führt zu einem argumentativen Deadlock. Das ist ungefähr so, als wenn Tierschützer feststellen, dass Eisbären Robbenbabys essen. So zwei niedliche Tiere, die sind doch beide bedroht, wie können die sich gegenseitig auffressen? Was drucken wir jetzt auf unsere Flugblätter?
Es gab Versuche, die Situation argumentativ zu drehen, indem man von ausländisch Aussehenden auf Männer im Allgemeinen überleitete, doch das verfing nicht so recht. Für das Narrativ: "Alle Männer sind potenzielle Vergewaltiger und müssen entsprechend bekämpft werden" ist das Land noch nicht verflauscht genug. Wir arbeiten daran.
Letztlich bot das Jahr 2016 aber mehr als genug andere Säue, die man durchs Dorf treiben konnte, und so fachsimpelten wir kurz darauf über "Hate Speech", "Darknet" und "Fake News", worauf die Silvesternacht in Vergessenheit geriet.
Völlig unerwartet kam schließlich der 31.12. Diesmal jedoch wollte sich die Polizei nicht vorwerfen lassen, tatenlos zuzusehen und marschierte gleich in Armeestärke auf. Am Ende passierte: nichts.
Alles gut, könnte man meinen, aber so leicht lässt sich die Empöreria den veganen Aufstrich nicht vom Brot nehmen. Der massive Polizeieinsatz sei geradezu ein rassistisches Fanal gewesen, trötete meine Timeline. Es könne ja wohl nicht angehen, dass die Polizei diejenigen besonders kontrolliere, die denen optisch ähneln, welche im Vorjahr auffällig geworden waren und diese Leute auch noch, jetzt festhalten, "Nafris" nenne.
Sagen diejenigen, die von "Flümis" sprechen.
So bekam die Polizei reichlich Feuer. "Racial Profiling" war das Zauberwort, also das Aussortieren von Menschen allein anhand ethnischer Merkmale.
Ich weiß nicht, ob irgendwer von denen, die sich gerade so aufplustern, einmal zur Stoßzeit am Kölner Hauptbahnhof war. Laut Wikipedia laufen täglich über 280.000 Menschen da durch, das sind im Durchschnitt 200 pro Minute. Jetzt überlegen Sie einmal, wie man diese Zahl Menschen kontrollieren will, ohne gleich den ganzen Bahnhof lahmzulegen. In einer solchen Situation fängt man an, in Sekundenbruchteilen zwischen verdächtig und unverdächtig zu entscheiden, und bei dieser Geschwindigkeit ist man per definitionem rassistisch, sexistisch, was auch immer.
Das ist nicht gut, aber wie lautet der Gegenvorschlag? Hätten die Polizisten mit allen Passanten ein mehrminütiges Gespräch führen sollen, in dessen Verlauf man sich gegenseitig seiner Wertschätzung versichert? Kinder müssen für eine Viertelstunde ins Bällebad, wo sie unter pädagogischer Aufsicht zeigen müssen, dass sie keine Vergewaltigungsabsichten hegen? Jede Wette, am Ende beschwert sich jemand darüber, dass Sebastian-Maximilian eine Allergie gegen die Lösungsmittel in den Bällen und sich am linken Unterarm einen ganz hässlichen Ausschlag zugezogen hat.
So ließ die Gegenreaktion nicht lang auf sich warten, und im Verlauf des 3. Januars keilte die Konservative ebenso plump zurück, wie zuvor auf die Polizei eingedroschen wurde. Die habe nämlich "alles richtig gemacht", und diese Schlussfolgerung ist ebenfalls Quatsch. Gerade in Sicherheitsfragen lässt sich nämlich nur sehr schwer der Beweis führen, dass eine bestimmte Maßnahme Wirkung hatte - eben, weil nichts passiert ist. Auf die Silvesternacht bezogen heißt das: Vielleicht wäre auch nichts passiert, wenn kein einziger Polizist sich hätte blicken lassen. Vielleicht hat allein schon deren Präsenz gereicht, und die Kontrollen wären nicht nötig gewesen. Vielleicht haben die Kontrollen geholfen, wobei die gewählten Kriterien aber nur zufällig auch die richtigen Leute erwischt haben. Man weiß es einfach nicht, und wir werden es auch nie wissen.
Das Bizarre passiert allerdings in diesen Stunden: Diejenigen, die vor drei Tagen noch kräftig gegen die Polizei ausgeteilt haben, beklagen sich jetzt, dass die Antwort ebenso grob ausfiel. "Man muss hinterfragen dürfen", heißt es. "Die Debatte muss erlaubt sein." Na, kommt Ihnen der beleidigte Tonfall bekannt vor? Genau, so etwas kennen wir normalerweise von der Pegida.
Das Problem an der Debatte um den Kölner Polizeieinsatz in der Silvesternacht ist nicht, dass sie geführt wird. Es geht wieder einmal darum, wie sie geführt wird und mit welchem Kenntnisstand sie geführt wird. Wir sind ja schon daran gewöhnt, ein Volk von Bundestrainern und Bundeskanzlerinnen zu sein. Jetzt sind wir also auch noch alle Experten für Polizeieinsätze bei Großveranstaltungen. Es war eine idiotische Idee, mit dem gesamten Kampfvokabular, das die linke Klamottenkiste zu bieten hat, auf die Polizei loszustürzen, weil sie den Begriff "Nafri" benutzte. Es ist eine idiotische Idee, die Polizei zu Säulenheiligen zu stilisieren. Was wir im Moment sagen können, ist: Der Einsatz hat zumindest nicht dazu geführt, dass sich die Übergriffe der Neujahrsnacht 2016 wiederholten. Jetzt kann man in aller Ruhe sehen, ob sich da etwas verbessern lässt. Wir haben ein Jahr Zeit. So lang hält kein Social-Media-Großmaul durch.
Blicken wir jetzt auf den Morgen den 1. Januar 2017. Ich musste an diesem Tag nur in meine Timeline schauen, um zu wissen: Das alte Jahr mag gegangen sein, die Bescheuerten sind jedoch geblieben, und sie haben kein Bit dazugelernt. Erinnern wir uns an den Morgen des 1. Januars 2016. Da gab es ein großes Aufregerthema: Sexuelle Übergriffe auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz. Das Dumme war nur: Die Täter gehörten einer weiteren Opfergruppe an und das führt zu einem argumentativen Deadlock. Das ist ungefähr so, als wenn Tierschützer feststellen, dass Eisbären Robbenbabys essen. So zwei niedliche Tiere, die sind doch beide bedroht, wie können die sich gegenseitig auffressen? Was drucken wir jetzt auf unsere Flugblätter?
Es gab Versuche, die Situation argumentativ zu drehen, indem man von ausländisch Aussehenden auf Männer im Allgemeinen überleitete, doch das verfing nicht so recht. Für das Narrativ: "Alle Männer sind potenzielle Vergewaltiger und müssen entsprechend bekämpft werden" ist das Land noch nicht verflauscht genug. Wir arbeiten daran.
Letztlich bot das Jahr 2016 aber mehr als genug andere Säue, die man durchs Dorf treiben konnte, und so fachsimpelten wir kurz darauf über "Hate Speech", "Darknet" und "Fake News", worauf die Silvesternacht in Vergessenheit geriet.
Völlig unerwartet kam schließlich der 31.12. Diesmal jedoch wollte sich die Polizei nicht vorwerfen lassen, tatenlos zuzusehen und marschierte gleich in Armeestärke auf. Am Ende passierte: nichts.
Alles gut, könnte man meinen, aber so leicht lässt sich die Empöreria den veganen Aufstrich nicht vom Brot nehmen. Der massive Polizeieinsatz sei geradezu ein rassistisches Fanal gewesen, trötete meine Timeline. Es könne ja wohl nicht angehen, dass die Polizei diejenigen besonders kontrolliere, die denen optisch ähneln, welche im Vorjahr auffällig geworden waren und diese Leute auch noch, jetzt festhalten, "Nafris" nenne.
Sagen diejenigen, die von "Flümis" sprechen.
So bekam die Polizei reichlich Feuer. "Racial Profiling" war das Zauberwort, also das Aussortieren von Menschen allein anhand ethnischer Merkmale.
Ich weiß nicht, ob irgendwer von denen, die sich gerade so aufplustern, einmal zur Stoßzeit am Kölner Hauptbahnhof war. Laut Wikipedia laufen täglich über 280.000 Menschen da durch, das sind im Durchschnitt 200 pro Minute. Jetzt überlegen Sie einmal, wie man diese Zahl Menschen kontrollieren will, ohne gleich den ganzen Bahnhof lahmzulegen. In einer solchen Situation fängt man an, in Sekundenbruchteilen zwischen verdächtig und unverdächtig zu entscheiden, und bei dieser Geschwindigkeit ist man per definitionem rassistisch, sexistisch, was auch immer.
Das ist nicht gut, aber wie lautet der Gegenvorschlag? Hätten die Polizisten mit allen Passanten ein mehrminütiges Gespräch führen sollen, in dessen Verlauf man sich gegenseitig seiner Wertschätzung versichert? Kinder müssen für eine Viertelstunde ins Bällebad, wo sie unter pädagogischer Aufsicht zeigen müssen, dass sie keine Vergewaltigungsabsichten hegen? Jede Wette, am Ende beschwert sich jemand darüber, dass Sebastian-Maximilian eine Allergie gegen die Lösungsmittel in den Bällen und sich am linken Unterarm einen ganz hässlichen Ausschlag zugezogen hat.
So ließ die Gegenreaktion nicht lang auf sich warten, und im Verlauf des 3. Januars keilte die Konservative ebenso plump zurück, wie zuvor auf die Polizei eingedroschen wurde. Die habe nämlich "alles richtig gemacht", und diese Schlussfolgerung ist ebenfalls Quatsch. Gerade in Sicherheitsfragen lässt sich nämlich nur sehr schwer der Beweis führen, dass eine bestimmte Maßnahme Wirkung hatte - eben, weil nichts passiert ist. Auf die Silvesternacht bezogen heißt das: Vielleicht wäre auch nichts passiert, wenn kein einziger Polizist sich hätte blicken lassen. Vielleicht hat allein schon deren Präsenz gereicht, und die Kontrollen wären nicht nötig gewesen. Vielleicht haben die Kontrollen geholfen, wobei die gewählten Kriterien aber nur zufällig auch die richtigen Leute erwischt haben. Man weiß es einfach nicht, und wir werden es auch nie wissen.
Das Bizarre passiert allerdings in diesen Stunden: Diejenigen, die vor drei Tagen noch kräftig gegen die Polizei ausgeteilt haben, beklagen sich jetzt, dass die Antwort ebenso grob ausfiel. "Man muss hinterfragen dürfen", heißt es. "Die Debatte muss erlaubt sein." Na, kommt Ihnen der beleidigte Tonfall bekannt vor? Genau, so etwas kennen wir normalerweise von der Pegida.
Das Problem an der Debatte um den Kölner Polizeieinsatz in der Silvesternacht ist nicht, dass sie geführt wird. Es geht wieder einmal darum, wie sie geführt wird und mit welchem Kenntnisstand sie geführt wird. Wir sind ja schon daran gewöhnt, ein Volk von Bundestrainern und Bundeskanzlerinnen zu sein. Jetzt sind wir also auch noch alle Experten für Polizeieinsätze bei Großveranstaltungen. Es war eine idiotische Idee, mit dem gesamten Kampfvokabular, das die linke Klamottenkiste zu bieten hat, auf die Polizei loszustürzen, weil sie den Begriff "Nafri" benutzte. Es ist eine idiotische Idee, die Polizei zu Säulenheiligen zu stilisieren. Was wir im Moment sagen können, ist: Der Einsatz hat zumindest nicht dazu geführt, dass sich die Übergriffe der Neujahrsnacht 2016 wiederholten. Jetzt kann man in aller Ruhe sehen, ob sich da etwas verbessern lässt. Wir haben ein Jahr Zeit. So lang hält kein Social-Media-Großmaul durch.
Sonntag, 1. Januar 2017
33C3 - kind of works for me
Das war's. 12.000 Nerds brechen in diesen Stunden auf, um nach dem Ende des 33C3 wieder in eine Welt aufzubrechen, in der gegenseitige Rücksichtsnahme, Respekt und Mitdenken keine allgemein gelebten Werte sind, sondern Egoismus, Verlogenheit und rücksichtsloses Durchboxen. Wer es nicht glaubt, möge auf dem Congress und in einer Fußgängerzone ein Portemonnaie auslegen und sehen, was passiert.
Es war wieder einmal großartig: bunt, entspannt, ausgelassen, albern. Es gab wieder einmal eine riesige Auswahl an Vorträgen. Wer die Vorträge nicht sehen konnte oder wollte, weil Treffen in der Analogwelt größeren Seltensheitswert haben, sah entweder den Stream oder die meist innerhalb weniger Stunden hochgeladenen Aufzeichnungen, bei Bedarf auch mit Untertiteln oder Simultanübersetzungen in Englisch und Französisch. Der Kommentar eines Physikers lautete: Auf dem Congress lernt man, wie Konferenzen eigentlich sein sollten.
Die Antwort lautete: 2015. Schlimmer: noch während des Vorverkaufs Anfang Dezember. In diesem Jahr wurden deshalb begründete, wenn auch für die Benachteiligten schmerzhafte Maßnahmen ergriffen: In einer ersten Charge bekamen die Engel des 32C3 die Gelegenheit zum Ticketkauf. Erst dann konnten die Erfakreise ihre Mitglieder versorgen. Die verbleibenden 6.000 Karten wurden in drei Chargen frei verkauft. In allen drei Fällen dauerte es nur wenige Minuten, bis alle Tickets vergriffen waren. So sehr ich die Entscheidung verstehe, erst die Helfer, dann die Mitglieder und zum Schluss den Rest zu versorgen, so sehr schmerzt mich zu sehen, wie verzweifelt Leute bisweilen nach Tickets suchten. Da hat man Urlaub genommen, ein Hotel gebucht, die Bahnfahrt geplant, nur um hilflos zu erleben, wie Sekunden nach Start des Vorverkaufs schon mehrere Tausend Anmeldungen geklickt wurden und die Chancen, selbst noch eine Karte zu bekommen, praktisch auf null sinken. So absurd es klingt: Ich bin fast froh, dass durch die jetzt anstehende Renovierung des CCH es nicht möglich ist, weiter in diesem großartigen Haus zu bleiben, der Club eine wichtige Entscheidung nicht weiter aufschieben kann und jetzt Farbe bekennen muss, wohin er sich entwickeln will.
Beim Eröffnungszeremoniell wird es immer wieder betont: Schaut her, wie offen, einladend, freundlich und groß wir sind. Gleichzeitig merkt man aber auch deutlich, wie die Popularität der Veranstaltung einigen Leuten gehörig zu Kopf gestiegen und die scheinbare Offenheit tatsächlich die Eitelkeit ist, auf einer Veranstaltung zu sein, zu der viele Leute möchten, die Teilnahme aber nur einer erlauchten Elite vorbehalten ist.
Im Vorfeld und während des Congress habe ich mit vielen Leuten über die Ticketknappheit diskutiert und immer wieder die Bemerkung gehört, man solle sich nicht so anstellen. Wer ein Ticket hätte haben wollen, hätte eines bekommen können.
Bullshit.
Selbst clubintern fließen Informationen mitunter durch reichlich versumpfte Kanäle. Wer nicht ständig in Hackspaces herumhängt, musste zumindest dessen Mailinglisten aufmerksam lesen, und selbst dann kam es vor, dass Vouchercodes trotz mehrfacher Bitten einfach nicht zugeschickt wurde, weil die Zuständigen einfach unzuverlässig waren. In diesem Zusammenhang ist die Behauptung geradezu zynisch, man hätte einfach nur ein Clubmitglied kennen müssen und hätte einen Voucher bekommen. Noch schlimmer war die Lage für diejenigen, denen der Club allgemein egal ist, die aber auf die viertägige Veranstaltung Lust haben. Wenn der Club wirklich so offen ist, wie er es gern von sicb behauptet, ist der Congress auch für diese Leute da. Von Externen zu verlangen, ständig auf irgendwelchen Eventblogs herumzuklicken, um die neuesten Kniffe zu lernen, wie man noch an Tickets kommen kann, ist keine Offenheit, sondern die Arroganz der Eingeweihten.
Die wieder einmal erreichte Kapazitätsgrenze führte zu den bereits bekannten Effekten absurd langer Schlangen beim T-Shirt-Verkauf und überfüllten Vorträgen, in denen garantiert nicht wegen des Themas so viele Leute saßen, sondern um für Stunden später stattfindende Veranstaltungen Plätze zu ergattern. All das kannte man schon aus den vergangenen Jahren, allerdings waren diesmal die Warteschlangen noch länger, die Säle noch früher überfüllt. Eine weitere Blüte trieb das Engelteam. Es hatte sich offenbar herumgesprochen, dass die Engel des letzen Jahres ein Vorkaufsrecht auf die 33C3-Tickets hatten, T-Shirts bekamen und darüber hinaus extrem gutes Essen bekamen. Als Ergebnis schrieben sich so viele Engel ein, dass die Registrierung geschlossen werden musste. Freie Schichten waren kaum zu haben, bei der Essensausgabe stauten sich die Wartenden fast bis auf den Gang hinaus, und bei den Essensmarken kam es zur Inflation. Waren die Engel früher eine verschworene Gruppe, sind sie jetzt eine gegeneinander konkurrierende, anonyme Masse, und wenn der Andrang auf den Congress in den nächsten Jahren anhält, wird sich dieser Effekt noch mehr verstärken. Natürlich könnte man die vielen kleinen Belohnungen streichen, aber was für ein Signal wäre das für diejenigen, die wirklich helfen wollen und Dank mehr als verdient haben?
Eine mögliche Expansion wird logistisch erstmals wirklich herausfordernd. In den bislang verwendeten Kongresszentren musste man vielleicht die Vortragsräume mit Stühlen versehen. Die wesentliche Infrastruktur war aber schon vorhanden. Jetzt muss man aber zumindest teilweise auf Messehallen zugreifen, und da müsste eine Bühne her, Stühle, eine Lautsprecheranlage und nicht zuletzt Stühle von einem externen Anbieter, weil sie lokal nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Darüber hinaus sind Messehallen hoch, sie haben eine schlechte Akustik, und im Winter sind sie auch noch schlecht zu beheizen. Auf der anderen Seite ist es nicht so, als gäbe es keine Ideen, mit solchen Situationen umzugehen. Der CCC ist in der Lage, innerhalb weniger Tage auf einer Wiese mitten im Nichts ein Camp für 4.000 Menschen anzubieten, komplett mit Vortragszelten, Strom, Wasser, Duschen, Toiletten und Internet. Da fällt es mir schwer, zu glauben, im fiele nicht etwas zu ein paar Messehallen ein. Zur Not fragt man bei den Veranstaltern des evangelischen Kirchentags nach. Die wissen, wie das geht.
Eine zweite Entwicklung ist zwar weniger relevant, aber auch sehr augenfällig: Hoverboards. Waren auf dem 32C3 vielleicht ein oder zwei unterwegs, waren es diesmal Dutzende, und wie immer, wenn man chronisch nicht Erwachsenen ein Spielzeug hinstellt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dabei Blödsinn herumkommt. So gab es Versuche, was passiert, wenn man mehrere Getränkekisten auf der Trittfläche stapelt und sich darauf stellt. Es gab eine Polonäse. Ich finde zwar immer noch, dass man auf den Dingern komplett dämlich aussieht, aber Spaß bringen sie auf jeden Fall.
Die dritte Entwicklung war kaum augenfällig, aber enorm relevant: Händewaschen. Jahr für Jahr haut die Congressgrippe etliche Teilnehmer mit durch Schlafmangel geschwächtem Immunsystem außer Gefecht. Vor zwei Jahren war es besonders schlimm, als eine Magen-Darm-Infektion schon glech zu Beginn Hunderte erwischte. Ärzte sagen es immer wieder, aber auf dem Congress kann man es besonders gut belegen: Gegen die üblichen Infektionen helfen keine Zuckerkügelchen, Vitamintabletten oder Medikamtentencocktails, sondern ganz schlichtes Händewaschen. Nach Möglichkeit mit warmem Wasser. Mit einer ordentlichen Portion Seife und vor allem: lang, also mindestens 20 bis 30 Sekunden. Häufig und selbstverständlich nach jedem Toilettengang. Natürlich vor jedem Essen. Ich kenne zwar keine offiziellen Zahlen, aber nach dem, was ich an den Waschbecken beobachtet und in Gesprächen gehört habe, blieb die große Infektionswelle in diesem Jahr aus, und das mit Sicherheit auch, weil die Leute einfach gelernt haben, dass gründliches Händewaschen hilft.
Es war wieder einmal großartig: bunt, entspannt, ausgelassen, albern. Es gab wieder einmal eine riesige Auswahl an Vorträgen. Wer die Vorträge nicht sehen konnte oder wollte, weil Treffen in der Analogwelt größeren Seltensheitswert haben, sah entweder den Stream oder die meist innerhalb weniger Stunden hochgeladenen Aufzeichnungen, bei Bedarf auch mit Untertiteln oder Simultanübersetzungen in Englisch und Französisch. Der Kommentar eines Physikers lautete: Auf dem Congress lernt man, wie Konferenzen eigentlich sein sollten.
An der eigenen Beliebtheit ersticken
Die hohe Qualtität und die steigende Beliebtheit sind es allerdings auch, die dem Congress schon seit Jahren Schwierigkeiten bereiten und jetzt eine kritische Größenordnung erreicht haben. Seit drei Jahrzehnten lautete die Reaktion auf überfüllte Veranstaltungshäuser, dass man einfach in das nächst größere umzog. Zweimal musste man hierzu die Stadt wechseln, und in beiden Fällen stellte sich die Entscheidung als sehr gelungen heraus. Als der Congress vor vier Jahren in das größte Kongresszentrum Deutschlands umzog, lautete die allgemeine Einschätzung: Hier bleiben wir eine Weile. Das Haus fasst 12.000 Menschen, wann sollen wir diese Zahl jemals erreichen?Die Antwort lautete: 2015. Schlimmer: noch während des Vorverkaufs Anfang Dezember. In diesem Jahr wurden deshalb begründete, wenn auch für die Benachteiligten schmerzhafte Maßnahmen ergriffen: In einer ersten Charge bekamen die Engel des 32C3 die Gelegenheit zum Ticketkauf. Erst dann konnten die Erfakreise ihre Mitglieder versorgen. Die verbleibenden 6.000 Karten wurden in drei Chargen frei verkauft. In allen drei Fällen dauerte es nur wenige Minuten, bis alle Tickets vergriffen waren. So sehr ich die Entscheidung verstehe, erst die Helfer, dann die Mitglieder und zum Schluss den Rest zu versorgen, so sehr schmerzt mich zu sehen, wie verzweifelt Leute bisweilen nach Tickets suchten. Da hat man Urlaub genommen, ein Hotel gebucht, die Bahnfahrt geplant, nur um hilflos zu erleben, wie Sekunden nach Start des Vorverkaufs schon mehrere Tausend Anmeldungen geklickt wurden und die Chancen, selbst noch eine Karte zu bekommen, praktisch auf null sinken. So absurd es klingt: Ich bin fast froh, dass durch die jetzt anstehende Renovierung des CCH es nicht möglich ist, weiter in diesem großartigen Haus zu bleiben, der Club eine wichtige Entscheidung nicht weiter aufschieben kann und jetzt Farbe bekennen muss, wohin er sich entwickeln will.
Beim Eröffnungszeremoniell wird es immer wieder betont: Schaut her, wie offen, einladend, freundlich und groß wir sind. Gleichzeitig merkt man aber auch deutlich, wie die Popularität der Veranstaltung einigen Leuten gehörig zu Kopf gestiegen und die scheinbare Offenheit tatsächlich die Eitelkeit ist, auf einer Veranstaltung zu sein, zu der viele Leute möchten, die Teilnahme aber nur einer erlauchten Elite vorbehalten ist.
Im Vorfeld und während des Congress habe ich mit vielen Leuten über die Ticketknappheit diskutiert und immer wieder die Bemerkung gehört, man solle sich nicht so anstellen. Wer ein Ticket hätte haben wollen, hätte eines bekommen können.
Bullshit.
Selbst clubintern fließen Informationen mitunter durch reichlich versumpfte Kanäle. Wer nicht ständig in Hackspaces herumhängt, musste zumindest dessen Mailinglisten aufmerksam lesen, und selbst dann kam es vor, dass Vouchercodes trotz mehrfacher Bitten einfach nicht zugeschickt wurde, weil die Zuständigen einfach unzuverlässig waren. In diesem Zusammenhang ist die Behauptung geradezu zynisch, man hätte einfach nur ein Clubmitglied kennen müssen und hätte einen Voucher bekommen. Noch schlimmer war die Lage für diejenigen, denen der Club allgemein egal ist, die aber auf die viertägige Veranstaltung Lust haben. Wenn der Club wirklich so offen ist, wie er es gern von sicb behauptet, ist der Congress auch für diese Leute da. Von Externen zu verlangen, ständig auf irgendwelchen Eventblogs herumzuklicken, um die neuesten Kniffe zu lernen, wie man noch an Tickets kommen kann, ist keine Offenheit, sondern die Arroganz der Eingeweihten.
Die wieder einmal erreichte Kapazitätsgrenze führte zu den bereits bekannten Effekten absurd langer Schlangen beim T-Shirt-Verkauf und überfüllten Vorträgen, in denen garantiert nicht wegen des Themas so viele Leute saßen, sondern um für Stunden später stattfindende Veranstaltungen Plätze zu ergattern. All das kannte man schon aus den vergangenen Jahren, allerdings waren diesmal die Warteschlangen noch länger, die Säle noch früher überfüllt. Eine weitere Blüte trieb das Engelteam. Es hatte sich offenbar herumgesprochen, dass die Engel des letzen Jahres ein Vorkaufsrecht auf die 33C3-Tickets hatten, T-Shirts bekamen und darüber hinaus extrem gutes Essen bekamen. Als Ergebnis schrieben sich so viele Engel ein, dass die Registrierung geschlossen werden musste. Freie Schichten waren kaum zu haben, bei der Essensausgabe stauten sich die Wartenden fast bis auf den Gang hinaus, und bei den Essensmarken kam es zur Inflation. Waren die Engel früher eine verschworene Gruppe, sind sie jetzt eine gegeneinander konkurrierende, anonyme Masse, und wenn der Andrang auf den Congress in den nächsten Jahren anhält, wird sich dieser Effekt noch mehr verstärken. Natürlich könnte man die vielen kleinen Belohnungen streichen, aber was für ein Signal wäre das für diejenigen, die wirklich helfen wollen und Dank mehr als verdient haben?
Größer oder kleiner?
Zumindest offiziell ist die Entscheidung noch nicht gefallen, wo der nächste Congress stattfinden wird. Ich bin gespannt, denn in der Wahl des Veranstaltungsorts wird sich zeigen, wie wichtig dem Club das Image ist, nicht ein elitärer kleiner Hackerverein, sondern gesellschaftlich relevant zu sein. Wählt man einen kleineren oder zumindest nicht größeren Ort als das CCH, heißt das: Wir kuscheln uns in unsere Hackspaces, bilden uns wer weiß was auf unsere schwarzen Hoodies ein, und die Welt um uns herum hat uns gefälligst zu bewundern. Das wäre ein Schritt zurück in die Anfangsjahre. Das wäre vor allem nicht der Club, der mit einer Meldung in den Hauptnachrichten eine gesellschaftliche Debatte beeinflussen und mit Gutachten in Verfassungsgerichtsprozessen die Politik des Landes ändern kann. Wählt man einen größeren Ort, verfolgt man damit einen Weg, den der Club schon seit Jahren geht. Er wird sich ändern, so wie er sich in der Vergangenheit mehrfach geändert hat. Ich finde das gut so. Der Club ist keine Blinkenlight-Version der AfD, die am liebsten wieder zurück in die Fünfzigerjahre möchte. Der Club steht wie kaum eine andere Organisation für die Zukunft, und da sehen Dinge nun einmal anders aus.Eine mögliche Expansion wird logistisch erstmals wirklich herausfordernd. In den bislang verwendeten Kongresszentren musste man vielleicht die Vortragsräume mit Stühlen versehen. Die wesentliche Infrastruktur war aber schon vorhanden. Jetzt muss man aber zumindest teilweise auf Messehallen zugreifen, und da müsste eine Bühne her, Stühle, eine Lautsprecheranlage und nicht zuletzt Stühle von einem externen Anbieter, weil sie lokal nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Darüber hinaus sind Messehallen hoch, sie haben eine schlechte Akustik, und im Winter sind sie auch noch schlecht zu beheizen. Auf der anderen Seite ist es nicht so, als gäbe es keine Ideen, mit solchen Situationen umzugehen. Der CCC ist in der Lage, innerhalb weniger Tage auf einer Wiese mitten im Nichts ein Camp für 4.000 Menschen anzubieten, komplett mit Vortragszelten, Strom, Wasser, Duschen, Toiletten und Internet. Da fällt es mir schwer, zu glauben, im fiele nicht etwas zu ein paar Messehallen ein. Zur Not fragt man bei den Veranstaltern des evangelischen Kirchentags nach. Die wissen, wie das geht.
Kinder, Hoverboards und Händewaschen
Was gab es auf dem 33C3 Neues? Viele Kinder, mehr als in den vergangenen Jahren, und die hatten ihren Spaß. Ich werde immer etwas sentimental, wenn ich das sehe, weil das meiner Meinung nach die schönste Entwicklung ist. Die Hacker der ersten Congresse sind in die Jahre gekommen und haben Kinder in die Welt gesetzt, die nun ihrerseits zum Congress gehen. Der Kreis schließt sich. Der Club wird langsam an die nächste Generation übergeben. Abgesehen davon kann das Klischee vom ewig einsamen, asexuellen Nerd nicht stimmen.Eine zweite Entwicklung ist zwar weniger relevant, aber auch sehr augenfällig: Hoverboards. Waren auf dem 32C3 vielleicht ein oder zwei unterwegs, waren es diesmal Dutzende, und wie immer, wenn man chronisch nicht Erwachsenen ein Spielzeug hinstellt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dabei Blödsinn herumkommt. So gab es Versuche, was passiert, wenn man mehrere Getränkekisten auf der Trittfläche stapelt und sich darauf stellt. Es gab eine Polonäse. Ich finde zwar immer noch, dass man auf den Dingern komplett dämlich aussieht, aber Spaß bringen sie auf jeden Fall.
Die dritte Entwicklung war kaum augenfällig, aber enorm relevant: Händewaschen. Jahr für Jahr haut die Congressgrippe etliche Teilnehmer mit durch Schlafmangel geschwächtem Immunsystem außer Gefecht. Vor zwei Jahren war es besonders schlimm, als eine Magen-Darm-Infektion schon glech zu Beginn Hunderte erwischte. Ärzte sagen es immer wieder, aber auf dem Congress kann man es besonders gut belegen: Gegen die üblichen Infektionen helfen keine Zuckerkügelchen, Vitamintabletten oder Medikamtentencocktails, sondern ganz schlichtes Händewaschen. Nach Möglichkeit mit warmem Wasser. Mit einer ordentlichen Portion Seife und vor allem: lang, also mindestens 20 bis 30 Sekunden. Häufig und selbstverständlich nach jedem Toilettengang. Natürlich vor jedem Essen. Ich kenne zwar keine offiziellen Zahlen, aber nach dem, was ich an den Waschbecken beobachtet und in Gesprächen gehört habe, blieb die große Infektionswelle in diesem Jahr aus, und das mit Sicherheit auch, weil die Leute einfach gelernt haben, dass gründliches Händewaschen hilft.
Fazit
Es war ein schöner, gelungener, aber nicht der schönste, gelungenste Congress. Ich bin gespannt, wohin er sich entwickeln wird. Wieder einmal haben 12.000 Menschen gezeigt, wo unsere Gesellschaft sein könnte, wenn die Leute mehr mitdenken, mehr Rücksicht nehmen und mehr Initiative zeigen. Gleichzeitig wird klar, dass der Congress sich wieder einmal ändern muss. Ich bin gespannt, wohin die Reise geht.
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