Verbrennen und Vergöttern - zu mehr Differenzierung ist die deutsche Leitkultur nicht fähig, wenn es um den Umgang mit Ausländern geht. Beides ist übrigens gleichermaßen rassistisch, auch wenn ihr es nicht wahrhaben wollt.
Dass Brandsätze auf Flüchtlingsheime rassistisch sind, braucht wohl keine weitere Erläuterung. Warum aber soll die Gegenreaktion - Spalierstehen am Bahnhof und Applausklatschen - auf einmal rassistisch sein?
Weil es unangemessen ist. Weil es den Betroffenen nicht hilft und vor allem den Applaudierenden als Onaniervorlage gilt, wie wahnsinnig links und menschenfreundlich sie doch sind. Warme Decken, Essen und ein sauberes Zimmer schafft das Geklatsche freilich nicht herbei, das kostet nämlich Geld, bedeutet, dass man wirklich vom Überfluss etwas abgibt, dass man vielleicht sogar Zeit aufwendet, in die Heime geht und dort hilft. Das kann man natürlich von unseren aufgeklärten Händchenpatschern nicht verlangen, die haben ihren Beitrag mit dem Spalier am Bahnhof ja wohl schon mehr als geleistet. "Hey, reife Leistung, Jungs! Die 3000 Kilometer in weniger als 4 Wochen! Neue Bestzeit!"
Ich bin mal gespannt, wie lange sie an den Bahnhöfen herumstehen und applaudieren wollen. Einen Tag? Eine Woche? Einen Monat? Der Flüchtlingsstrom wird so schnell nicht abreißen, und irgendwann werdet ihr meinen, dass aus irgendeinem vorgeschobenen Grund die ab jetzt kommenden Ausländer es nicht mehr wert sind, von euch begrüßt zu werden.
Ich frage mich vor allem, wie sich die Flüchtlinge in solchen Situationen fühlen. Sie haben in ihrer Heimat alles zurückgelassen, haben neben ihrem Leben noch ein bisschen Handgepäck retten können, sind tausende Kilometer gelaufen, geschwommen, sind in Containern oder Ladebuchten von Schlepperbooten fast erstickt, wurden beschimpft, bespuckt, bekämpft, und jetzt, da sie es irgendwie in ein sicheres Land geschafft haben, treibt man sie durch ein Spalier, in dem die Leute irgendwas mit "Räffjudschihs wällkamm" bellen. Mutet nur mir so etwas bizarr an?
"Refugee" - das ist die neue Modevokabel. "Flüchtling" ist aus irgendeinem Grund böse. Ich habe schon mehrfach gefragt warum, aber nie eine Antwort erhalten. Ich vermute, es ist der linke Impuls, dass die Sprache der Täter im Dritten Reich historisch so belastet ist, dass man sie am besten gleich abschafft. Aus diesem Grund spricht man ja auch von "hate speech" und "harassment" - beides Begriffe, von denen der "Spiegel" behauptet, man könne sie nicht übersetzen. Nun, ich hatte zwar nur in der Schule Englisch und auch da nur mit mäßigem Erfolg, aber selbst die paar Worte, die mir im Gedächtnis kleben geblieben sind, reichen aus, um "Hasssprache" und "Belästigung" als Übersetzung zu finden. Wem "Belästigung" zu schwach ist, kann auch "Übergriff" oder "Angriff" nehmen. Auch hier sehe ich kaum einen anderen Grund für dieses Wortgepose als den akademischen Impetus, sich mit Fachsprache vom Pöbel abzugrenzen. Seht her, welch tolle Wörter wir benutzen, wir sind was Besseres, denn wir haben Abitur.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung scheint ohnehin nur den Gebildeten zuzustehen. Immer wieder sehe ich, wie genüsslich Kommentare in grauenhafter Rechtschreibung, zweifelhaftem Satzbau und schwülstigem Vokabular zitiert werden, deren Verfasser wirres Gestammel gegen Ausländer oder Leuten loslassen, die sich für sie einsetzen. Das sind dann "Hater". Prima, Zettel drauf, braucht man nicht weiter drüber nachdenken. Außerdem: Seht euch das Geschreibsel doch an. Wer zu dumm ist, auch nur das Wort "aus Lender won Heim" richtig zu schreiben, der hat doch praktisch automatisch schon Unrecht.
Es ist nun einmal die bittere Wahrheit: In einer Demokratie haben auch Leute ohne einen Masterabschluss das Partizipationsrecht am politischen Diskurs. Ihre Ansichten mögen krude sein, sie mögen menschenverachtend, volksverhetzend und extrem ungebildet sein, aber wir schaffen solche Ansichten nicht aus der Welt, indem wir aus unserem akademischen Elfenbeinturm heraus ihr Verbot fordern.
"Nationalsozialismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen." Ui, das beeindruckt die "Hater" bestimmt. Ich gebe euch mal einen kleinen Hinweis: Durch Gesetze und Verbote wird praktisch nie ein Missstand beseitigt, sondern nur sanktioniert. Ein Gesetz, das die Leute nicht einsehen, wird auch nicht befolgt. Nehmen wir als Beispiel die Straßenverkehrsordnung. Obwohl da unmissverständlich drin steht, dass man in Städten nicht schneller als 50 fahren darf, habe ich in jahrzehntelanger Fahrpraxis exakt niemanden erlebt, der sich daran hielt. Selbst in den Fahrschulen bekommt man beigebracht, schneller als erlaubt zu fahren. Tatsächlich bekommt man einen Strafzettel erst, wenn man knapp 60 fährt. Warum? Weil das die Grenze ist, die man noch irgendwie durchgesetzt bekommt. Bestraften die Behörden ab 51 km/h - was in Skandinavien übrigens passiert - käme es wahrscheinlich zum Volksaufstand. Recht ist nicht das, was im Gesetzbuch steht, sondern das, was die Leute als Recht akzeptieren.
Entsprechend schaffen wir Ausländerhetze nicht aus der Welt, indem wir sie "hate speech" nennen und bei Facebook fordern, dass entsprechende Beiträge sofort gelöscht werden. Wie stellt ihr euch das überhaupt vor? Der deutsche Blockwart erblickt mit seinen Adleraugen ein nicht genehmes Stück Text, meldet das bei der Reichsgesichtsbuchkontrolle, und sofort rückt ein Trupp aus, der das Geschmiere entfernt und den Täter verhaftet. Ist es das, was ihr wollt? Sollen muslimisch-fundamentalistische Staaten, Nordkorea und China die gleichen Rechte haben, ihrer Ansicht nach unangemessene Beiträge zu entfernen? Dürfen US-amerikanische Radikalchristen dann auch alle Darstellungen einer kugelförmigen Erde und der Evolution löschen lassen? Die fühlen sich von solchen Texten bestimmt auch ganz furchtbar "harasst". Ich bin gespannt, wie die drei Facebookseiten aussehen, die dann noch übrig bleiben.
Darüber sollten wir uns ohnehin klar sein: Mit den Flüchtlingen kommen auch deren Ansichten zu uns, kommt deren Demokratieverständnis, deren Rechtsauffassung, deren Religion, deren Frauenbild zu uns, und das entspricht nicht unbedingt unseren Vorstellungen. Im Moment scheinen wir das Klischee zu haben, da käme ein hageres, ausgemergeltes Wesen angekrochen, das den deutschen Herrenmenschen um ein paar Brosamen anbettelt und von unserem Land so komplett geflasht ist, dass es sofort der CDU beitritt. Nein, da kommen Leute, die über tausende Kilometer hinweg ihr Leben verteidigt haben. In solchen Situationen geht es selten ethisch und moralisch einwandfrei zu. Der Krieg treibt nicht nur das Edelste und Beste, was ein Land zu bieten hat, zu uns. Im Überlebesnkampf zählen Doktortitel nur in Ausnahmefällen. Ich arbeite seit Jahren mit Flüchtlingskindern. Glaubt mir, die haben Methoden, Konflikte zu lösen, die nicht viel mit den niedlichen Glubschaugenfotos gemein haben, die gerade in den sozialen Medien ihre Kreise ziehen. Was erwartet man eigentlich von Leuten, die im Krieg überleben mussten? Kantzitate und Bibelverse? Und, festhalten, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein: Ich habe gehört, einige von denen schreiben "Lehrerin" ohne Gender-Gap!
Das heißt nicht, dass wir diese Menschen nicht aufnehmen sollten. Ich gehe weiter und sage: Nicht nur Kriege und politische Verfolgung sind völlig legitime Gründe, in diesem Land Schutz zu suchen. Hunger ist es auch. Wir leben in einem Land, das jeden Tag tonnenweise völlig einwandfreie Lebensmittel wegwirft, weil deren Mindeshaltbarkeitsdatum erreicht wurde. Noch schlimmer: Wir produzieren hektoliterweise Milch und Wein, tonnenweise Butter und jede Menge anderer Nahrung, die nicht einmal in den Verkauf gelangen, sondern gleich vernichtet werden, weil sie zu viel produziert wurden. Wir vernichten Grundlagen menschlichen Lebens, die woanders dringend benötigt werden, nur um die Preise stabil zu halten. Bedarf es weiterer Belege, dass der Kapitalismus menschenfeindlich ist? Ein Land, das so mit den Allernotwendigsten umspringt, hat gar kein Recht, irgendwen an seiner Grenze abzuweisen, der vom Überfluss etwas abhaben will. Statt dessen zwingen wir diese Menschen in ein verlogenes Asylverfahren, von dem alle Beteiligten wissen, dass es Quatsch ist.
Genau das ist "Asylmissbrauch", auch wenn Sascha Lobo das Wort am liebsten verbieten lassen möchte. Ein Grundrecht, geschaffen, um politisch Verfolgten bei uns Schutz zu bieten. Ein Recht, das wir Edward Snowden vorenthalten. Ein Recht, auf das man sich berufen muss, will man hier für längere Zeit bleiben. Natürlich wird es missbraucht, weil es fast das einzige Schlupfloch darstellt, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen und es deswegen eine kluge Taktik ist, einen entsprechenden Antrag zu stellen, selbst wenn man weiß, dass er keine Grundlage hat. Vielleicht hat man ja Glück, zu verlieren gibt es nichts. Wer so etwas stoppen will, muss für ein ordentliches Einwanderungsgesetz sorgen, aber das gilt seit Jahrzehnten als tabu. Noch einmal: So lange woanders Menschen verhungern, während wir einwandfreies Essen wegschmeißen, hat jeder das moralische Recht, seinen Teil an diesem Überfluss einzufordern. Das ist zwar kein Recht auf politisches Asyl, aber: na und? Willkommen!