Wenn Sie eine bildliche Vorstellung davon bekommen wollen, was in diesem Land alles schief läuft, brauchen Sie nur einmal nachmittags aus dem Haus zu gehen. Da ist nämlich Gassi-geh-Zeit.
Um diese Uhrzeit sehen Sie Scharen mit schwarzen Plastikbeuteln bewaffneter Menschen den Kot ihrer kleinen Lieblinge von der Straße klauben. Egal, ob gut situierter Mittelschichtspießer oder baseballkäppitragender Teenie mit Rebellionscoolnessattitüde - sie warten alle geduldig, dass sich ihr ordentlich angeleintes Fellbündel krümmt, um dann dessen noch dampfende Hinterlassenschaften ordnungsgemäß zu entsorgen. Damit wir uns richtig verstehen: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie man wie ein Dreispringer durch Berlins Straßen staksen musste, wollte man nicht mit einer zentimeterdicken Fäkalienkruste unter der Schuhsohle nach hause kommen. Dieser Zeit trauere ich keine Sekunde nach. Ich finde es nur bezeichnend, dass die gleichen Leute, die sich heute so rührend um Hundekotbeseitigung kümmern, noch vor wenigen Jahren erklärten, ich sei ja schön doof, meinen Zivildienst in einem Altenheim zu leisten; sie hätten jedenfalls keine Lust, alten Leuten den Hintern zu wischen. Ach so, aber Dackelhintern sind OK. Verstehe.
Wir stehen uns minutenlang an roten Fußgängerampeln die Füße platt, ohne dass ein einziges Auto vorbei fährt, nur weil rechts neben uns eine Mutter mit ihrem kleinen Kind steht, dem wir ein gutes Beispiel geben wollen. Glauben Sie ernsthaft, Kinder, denen man den ganzen Tag erzählt, sie hätten andere Regeln zu befolgen als ihre älteren Geschwister oder Erwachsene, seien ausgerechnet an einer Ampel zu dumm, auch hier zu differenzieren? Natürlich bringen Sie Kindern auf diese Weise etwas bei, und zwar: Hierzulande ist keine Regel so idiotisch, dass wir sie nicht um ihrer selbst Willen befolgten.
"Deutschland ist, wenn neben dem Container für Grün-, Braun- und Weißglas einsam eine kleine, blaue Flasche steht." Dieser Satz sagt eigentlich alles aus, und tatsächlich habe ich Webforen gesehen, in denen die Frage, was denn nun mit dieser blauen Flasche zu geschehen habe, erbittert diskutiert wurde. Von erwachsenen Menschen. Mit einem IQ von 100.
Meine Küche ist 4 Quadratmeter groß. Auf dieser Fläche stehen eine blaue Tonne für Papierabfälle - den Plastikumschlag von den Zeitschriften vorher entfernen! -, eine braune Tonne für Biomüll - aber keine Fleischabfälle! -, eine gelbe Tonne für Plastikabfälle - aber ordentlich gespült und nur der mit dem Symbol! -, ein Kasten für leere Batterien und eine schwarze Tonne für Müll, der irgendwie nicht in die anderen Kategorien passt. Daneben steht eine große Kiste für Einwegpfandflaschen. Die dürfen auf keinen Fall eingedellt, das Etikett beschädigt, beschlagen oder noch mit einem winzigen Rest Flüssigkeit versehen sein, sonst nimmt sie der Pfandautomat nicht an. Sekundenbruchteile, nachdem ich das kleinbürgerliche Pendant der britischen Kronjuwelen mit der heiligen Ehrfurcht eines geweihte Oblaten verteilenden Priesters in den Apparat gesteckt habe, hört man das Knirschen, das beim Plattwalzen meiner Kostbarkeiten entsteht.
Wir haben ein Dutzend Menschen heil auf die Mondoberfläche und wieder zurück bekommen. Wir rollen mit Robotern auf dem Mars herum und rechnen mit Chips von Fingernagelgröße in wenigen Sekunden eine Millionen Nachkommastellen von Pi aus - aber wir sind nicht in der Lage, eine Maschine zu bauen, die verschiedenfarbige Glasscherben sortiert oder eine geknautschte Plastikflasche noch als solche erkennt? Ernsthaft?
Auf dem Weg zur Arbeit komme ich am Bahnhof unseres kleinen Dorfes vorbei. Er ist nicht gerade groß, aber auch hier gibt es einen mit gelber Farbe ordentlich abgegrenzten Bereich, in dem sich Raucherinnen frei bewegen dürfen. Ich selbst rauche nicht, aber wenn ich mir ansehe, wie es als der Gipfel der Anarchie gilt, sich einen Meter jenseits der markierten Zone zu bewegen, frage ich mich, wie die Bewohner dieses Landes hoffen können, von anderen Menschen ernst genommen zu werden. Die gleichen Leute übrigens, die ihre gelbe Käfiggrenze mit der gleichen Sorgfalt beachten wie einst die DDR die Berliner Mauer, sind wenige Minuten später intellektuell hoffnungslos überfordert, wenn sie beim Einsteigen in den Zug ihren prallen Wohlstandshintern aus der Lichtschranke bewegen sollen, welche die Tür am Schließen hindert.
Wer in Deutschland eine Gebrauchsanleitung für Zahnstocher schreibt, erntet einen Shitstorm auf Twitter - nicht etwa, weil seine Anleitung komplett überflüssig ist, sondern weil es korrekt "Zahnstocher*innen" heißen muss und sich zahnlose Menschen diskriminiert fühlen könnten. Wir haben uns über die Jahrzehnte eine Führungkaste herangezüchtet, die mit den Attributen "raffgierig", "zügellos" und "zynisch" noch sehr wohlwollend beschrieben ist - aber, hey, wenigstens halten sie ab jetzt die Quote ein. Welchen Charakter Sie haben, was Sie ansonsten leisten, spielt keine Rolle - gepinkelt wird im Sitzen.
Wir haben uns Regeln geschaffen, um unser Zusammenleben leichter zu gestalten. Was herauskam, ist eine Ersatzreligion.
Mittwoch, 18. März 2015
Dienstag, 3. März 2015
#bcbn15: Hipstertreff mit Potenzial
Das Web 2.0 hat in seiner Entwicklung so manche bizarre Blüte getrieben. Barcamps sind eine davon. Gibt es vor normalen Konferenzen eine Zeit, in der mögliche Referentinnen ihre Vortragsvorschläge einreichen, eine Programmgestaltungsgruppe diese bewertet und schließlich eine Auswahl trifft, steht bei Barcamps zu Beginn nicht viel mehr fest als die Zahl der Anwesenden. Die stellen sich dann alle nacheinander vor, der Tradition folgend mit ihrem Namen, dem Beruf und drei Stichworten, vulgo "Hashtags", die sie vermeintlich gut beschreiben. Im Anschluss melden sich dann diejenigen, die einen Vortrag halten möchten oder gern hätten, dass zu einem Thema referiert wird, und per Handzeichen stimmt das Publikum ab, was es haben will. Das klingt auf den ersten Blick ganz nett, immerhin ist auf diese Weise sicher gestellt, dass Publikumserwartungen und Angebot aufeinander abgestimmt sind. Beim zweiten Blick zeigen sich allerdings auch die Schwächen dieses Konzepts, doch dazu gleich mehr.
Barcamps gibt es auch in Deutschland schon seit Jahren, und so ist es kein Wunder, wenn sie irgendwann in der rheinischen Provinz ankommen, genauer:in Bonn. Wer diese Stadt etwas kennt, weiß, wie schwer es ist, dort irgendetwas bewegt zu bekommen, insofern ist allein das Zustandekommen des Barcamps schon eine Leistung. Diesen Bonus sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man sich ansieht, was dabei herauskam.
Der eher durchwachsene Eindruck beginnt schon beim Anmeldeverfahren. Der Spaß kostete 20 € plus Gebühr. Wofür dieses Geld gebraucht wurde, ist nicht recht klar, gab es doch reichlich Sponsoren, die unter anderem für ein hochqualitatives Catering sorgten. Auch für das Gebäude musste nach Veranstalterangaben keine Miete gezahlt werden.Der Kuchen am Nachmittag wurde von den Teilnehmerinnen gespendet. Es bleibt also die Frage: Was geschah mit den etwa 3000 € Einnahmen?
Der zweite etwas seltsam anmutende Punkt war die Ticketbestellung. Da hatte man die Wahl zwischen Bezahlung per Kreditkarte und einem dubiosen Verfahren namens "Sofortüberweisung", das allen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auch nur oberflächlich mit IT-Sicherheit beschäftigt haben, den Magen umdreht, verlangt es doch allen Ernstes, auf einer wildfremden Webseite Kontonummer und PIN einzugeben, also genau das, wovon praktisch alle Kreditinstitute vehement abraten und in der Regel sogar in ihren AGB verbieten. Wer sich das Verfahren genauer ansieht und etwas vom Geschäft versteht, findet heraus, dass die "Sofortüberweisung" technisch nicht ganz so grauenhaft ist wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, aber allein schon die Botschaft, die hier vermittelt wird, ist äußerst bedenklich. Die Bank-PIN oder TAN gibt man einfach nur am Automaten oder direkt auf der Homebanking-Seite ein. Mag das unter der Haube befindliche Verfahren auch noch so sicher sein, es ist für Laien so schon schwer genug, zwischen sicherer und unsicherer Internetkommunikation zu unterscheiden, da bringt man die Sache nicht noch mehr durcheinander, indem man eine Seite aufsetzt, die von einer Phishing-Site kaum zu unterscheiden ist.
Allein das Anmeldeverfahren schließt also schon ohne Not alle Leute aus, die gern bar oder mit einer klassischen Überweisung zahlen wollen. Es bleiben - ja, eigentlich nur Hipster.
Die kamen dann auch reichlich, etwa 150 an der Zahl. Der Prunkbau in Rheinnähe war rappelvoll, streng genommen schon fast zu voll, um außerhalb der Vorträge vernünftig miteinander reden zu können. Eine handvoll Pilztische ersetzt eben keine Lounge. Ein WLAN gab es auch, oder wenigstens das, was man im vergangenen Jahrzehnt dafür gehalten hat. Von der Uni Bonn gab es ein Gäste-WLAN mit einer pseudosicheren Anmeldung, bei der man auf einer Starteite für jedes mitgebrachte Gerät einen Code auf eingeben musste. Dafür, dass hier ein Barcamp stattfand, das den Anspruch erhob, die verschiedenen Initiativen in Bonn in Kontakt zu bringen, waren die Veranstalter erstaunlich schlecht über regionale Gruppen informiert, die gerade für freies, offenes WLAN seit Jahren eine Lösung anbieten. Vielleicht war ihnen Technik, die einfach so funktioniert, auch einfach zu profan. Klebt ja kein Apple-Logo drauf, kann nichts taugen.
Bei der - viel zu langen - Vorstellungsrunde verstärkte sich der Eindruck, auf dem ersten Bonner Barcamp hätte sich alles getroffen, was die Bonner Businesskasperszene zu bieten hat. Kaum jemand, der nicht die Worte "Consultant", "Social Media", "Manager" oder sonstige Angeberanglizismen in der frisch ausgedachten Berufsbezeichnung trug. Kaum jemand, bei dem man den Eindruck hatte, er verdiene sein Geld nicht nur einfach damit, jemanden zu finden, der noch hohler ist als er selbst. Ab und zu tauchte mit der Bezeichnung Java-Entwickler ein Mensch auf, bei dem sich wenigstens ein theoretischer Bezug zwischen Salär und zugrunde liegender Leistung herstellen ließe. Beim Rest darf man getrost bezweifeln, dass er in der Lage wäre, seine Tätigkeit zu beschreiben, ohne sich dabei im Dickicht wichtigtuerischen Nichtssagens zu verlieren.
Sollte das Barcamp den Anspruch erhoben haben, die verschiedenen gesellschaftlich aktiven Gruppen Bonns zusammenzuführen, kann er als gescheitert angesehen werden. Es traf sich die Bonner Twitter-und-Facebook-Junkie-Szene. Es fehlten Parteien, Firmen, Vereine, Verbände und Bürgerinitiativen der Offline-Welt. Von der Kirche hatte sich gerade einmal eine Teilnehmerin gefunden. Man schmorte im Wesentlichen im eigenen Saft - besonders augenfällig, als bei der Abschlussverlosung dem Veranstalter zum Großteil der Gewinner eine persönliche Bemerkung einfiel. Man kannte sich offenbar schon vorher.
Die Sessions waren von der Qualität, wie man sie von Barcamps kennt: Viel Gutes, wenig Überragendes und eine gute Portion Selbstmarketing. Das liegt in der Natur der Sache. Es hat aber Vor- und Nachteile. Einerseits sagt das Publikum, was es sehen will. Andererseits fallen Themen, die sich nicht in einer fünfzehnsekündigen Vorstellung knallig darstellen lassen, tendenziell unter den Tisch. Wer etwas zu sagen hat, aber sich nicht auf Kommando gut vermarkten kann, wird sich mehrfach überlegen, ob sie für ein Barcamp einen Vortrag vorbereitet, von dem sie erst nach Beginn der Veranstaltung weiß, ob sie ihn halten darf. Auch beim Bonner Barcamp mussten Vorträge gekippt werden, weil sich nicht genug Interessentinnen fanden. Solche unvermeidlichen Watschen werden auf normalen Konferenzen im Vorfeld verteilt, nicht, wenn man schon da ist.
Den Geist der Veranstaltung fasst die Äußerung eines Teilnehmers zusammen, der seinem Gesprächsparter seine Arbeitsweise als Berater erklärte: "Dann kommt der Kunde an und erzählt die Techniker der Firma wollen, dass man dokumentiert oder sich an Dinge wie Datenschutz hält, und dann sage ich denen: Natürlich könnte ich das, aber dann ist am Ende kein Geld mehr für das eigentliche Projekt da." Ungebremste, an Ignoranz grenzende Techniknaivität, gepaart mit einer ordentlichen Dosis Gier nach schnellem Geld und Arroganz gegenüber Forderungen nach Professionalität. So war das, damals während der Dot-Com-Blase.
Ein merkwürdiges Anmeldeverfahren, ein verstümmeltes WLAN, ein Prunkbau ohne Möglichkeit zum gemütlichen Zusammensitzen, ein Frühstück, das mit seiner Mettbrötchen-Monokultur nicht nur bei Vegetarierinnen Unmut hervorrief, ein Eintrittspreis, der in seiner Höhe auch nicht gerade einladend wirkte - all das verstärkte den Eindruck, man wolle bewusst oder unbewusst nur eine bestimmte Klientel ansprechen. Diese fühlte sich auch großartig unterhalten, was man an den uneingeschränkt positiven bis euphorischen Rückmeldungen ablesen konnte. So dürfte auch klar sein, dass es zu einer Neuauflage kommen wird. Für einen ersten Wurf war das Bonner Barcamp sehr gelungen. Um außerhalb seiner Filterblase Relevanz entfalten zu können, muss es aber auch versuchen, Nicht-Hipster zu erreichen.
Barcamps gibt es auch in Deutschland schon seit Jahren, und so ist es kein Wunder, wenn sie irgendwann in der rheinischen Provinz ankommen, genauer:in Bonn. Wer diese Stadt etwas kennt, weiß, wie schwer es ist, dort irgendetwas bewegt zu bekommen, insofern ist allein das Zustandekommen des Barcamps schon eine Leistung. Diesen Bonus sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man sich ansieht, was dabei herauskam.
Der eher durchwachsene Eindruck beginnt schon beim Anmeldeverfahren. Der Spaß kostete 20 € plus Gebühr. Wofür dieses Geld gebraucht wurde, ist nicht recht klar, gab es doch reichlich Sponsoren, die unter anderem für ein hochqualitatives Catering sorgten. Auch für das Gebäude musste nach Veranstalterangaben keine Miete gezahlt werden.Der Kuchen am Nachmittag wurde von den Teilnehmerinnen gespendet. Es bleibt also die Frage: Was geschah mit den etwa 3000 € Einnahmen?
Der zweite etwas seltsam anmutende Punkt war die Ticketbestellung. Da hatte man die Wahl zwischen Bezahlung per Kreditkarte und einem dubiosen Verfahren namens "Sofortüberweisung", das allen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auch nur oberflächlich mit IT-Sicherheit beschäftigt haben, den Magen umdreht, verlangt es doch allen Ernstes, auf einer wildfremden Webseite Kontonummer und PIN einzugeben, also genau das, wovon praktisch alle Kreditinstitute vehement abraten und in der Regel sogar in ihren AGB verbieten. Wer sich das Verfahren genauer ansieht und etwas vom Geschäft versteht, findet heraus, dass die "Sofortüberweisung" technisch nicht ganz so grauenhaft ist wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, aber allein schon die Botschaft, die hier vermittelt wird, ist äußerst bedenklich. Die Bank-PIN oder TAN gibt man einfach nur am Automaten oder direkt auf der Homebanking-Seite ein. Mag das unter der Haube befindliche Verfahren auch noch so sicher sein, es ist für Laien so schon schwer genug, zwischen sicherer und unsicherer Internetkommunikation zu unterscheiden, da bringt man die Sache nicht noch mehr durcheinander, indem man eine Seite aufsetzt, die von einer Phishing-Site kaum zu unterscheiden ist.
Allein das Anmeldeverfahren schließt also schon ohne Not alle Leute aus, die gern bar oder mit einer klassischen Überweisung zahlen wollen. Es bleiben - ja, eigentlich nur Hipster.
Die kamen dann auch reichlich, etwa 150 an der Zahl. Der Prunkbau in Rheinnähe war rappelvoll, streng genommen schon fast zu voll, um außerhalb der Vorträge vernünftig miteinander reden zu können. Eine handvoll Pilztische ersetzt eben keine Lounge. Ein WLAN gab es auch, oder wenigstens das, was man im vergangenen Jahrzehnt dafür gehalten hat. Von der Uni Bonn gab es ein Gäste-WLAN mit einer pseudosicheren Anmeldung, bei der man auf einer Starteite für jedes mitgebrachte Gerät einen Code auf eingeben musste. Dafür, dass hier ein Barcamp stattfand, das den Anspruch erhob, die verschiedenen Initiativen in Bonn in Kontakt zu bringen, waren die Veranstalter erstaunlich schlecht über regionale Gruppen informiert, die gerade für freies, offenes WLAN seit Jahren eine Lösung anbieten. Vielleicht war ihnen Technik, die einfach so funktioniert, auch einfach zu profan. Klebt ja kein Apple-Logo drauf, kann nichts taugen.
Bei der - viel zu langen - Vorstellungsrunde verstärkte sich der Eindruck, auf dem ersten Bonner Barcamp hätte sich alles getroffen, was die Bonner Businesskasperszene zu bieten hat. Kaum jemand, der nicht die Worte "Consultant", "Social Media", "Manager" oder sonstige Angeberanglizismen in der frisch ausgedachten Berufsbezeichnung trug. Kaum jemand, bei dem man den Eindruck hatte, er verdiene sein Geld nicht nur einfach damit, jemanden zu finden, der noch hohler ist als er selbst. Ab und zu tauchte mit der Bezeichnung Java-Entwickler ein Mensch auf, bei dem sich wenigstens ein theoretischer Bezug zwischen Salär und zugrunde liegender Leistung herstellen ließe. Beim Rest darf man getrost bezweifeln, dass er in der Lage wäre, seine Tätigkeit zu beschreiben, ohne sich dabei im Dickicht wichtigtuerischen Nichtssagens zu verlieren.
Sollte das Barcamp den Anspruch erhoben haben, die verschiedenen gesellschaftlich aktiven Gruppen Bonns zusammenzuführen, kann er als gescheitert angesehen werden. Es traf sich die Bonner Twitter-und-Facebook-Junkie-Szene. Es fehlten Parteien, Firmen, Vereine, Verbände und Bürgerinitiativen der Offline-Welt. Von der Kirche hatte sich gerade einmal eine Teilnehmerin gefunden. Man schmorte im Wesentlichen im eigenen Saft - besonders augenfällig, als bei der Abschlussverlosung dem Veranstalter zum Großteil der Gewinner eine persönliche Bemerkung einfiel. Man kannte sich offenbar schon vorher.
Die Sessions waren von der Qualität, wie man sie von Barcamps kennt: Viel Gutes, wenig Überragendes und eine gute Portion Selbstmarketing. Das liegt in der Natur der Sache. Es hat aber Vor- und Nachteile. Einerseits sagt das Publikum, was es sehen will. Andererseits fallen Themen, die sich nicht in einer fünfzehnsekündigen Vorstellung knallig darstellen lassen, tendenziell unter den Tisch. Wer etwas zu sagen hat, aber sich nicht auf Kommando gut vermarkten kann, wird sich mehrfach überlegen, ob sie für ein Barcamp einen Vortrag vorbereitet, von dem sie erst nach Beginn der Veranstaltung weiß, ob sie ihn halten darf. Auch beim Bonner Barcamp mussten Vorträge gekippt werden, weil sich nicht genug Interessentinnen fanden. Solche unvermeidlichen Watschen werden auf normalen Konferenzen im Vorfeld verteilt, nicht, wenn man schon da ist.
Den Geist der Veranstaltung fasst die Äußerung eines Teilnehmers zusammen, der seinem Gesprächsparter seine Arbeitsweise als Berater erklärte: "Dann kommt der Kunde an und erzählt die Techniker der Firma wollen, dass man dokumentiert oder sich an Dinge wie Datenschutz hält, und dann sage ich denen: Natürlich könnte ich das, aber dann ist am Ende kein Geld mehr für das eigentliche Projekt da." Ungebremste, an Ignoranz grenzende Techniknaivität, gepaart mit einer ordentlichen Dosis Gier nach schnellem Geld und Arroganz gegenüber Forderungen nach Professionalität. So war das, damals während der Dot-Com-Blase.
Ein merkwürdiges Anmeldeverfahren, ein verstümmeltes WLAN, ein Prunkbau ohne Möglichkeit zum gemütlichen Zusammensitzen, ein Frühstück, das mit seiner Mettbrötchen-Monokultur nicht nur bei Vegetarierinnen Unmut hervorrief, ein Eintrittspreis, der in seiner Höhe auch nicht gerade einladend wirkte - all das verstärkte den Eindruck, man wolle bewusst oder unbewusst nur eine bestimmte Klientel ansprechen. Diese fühlte sich auch großartig unterhalten, was man an den uneingeschränkt positiven bis euphorischen Rückmeldungen ablesen konnte. So dürfte auch klar sein, dass es zu einer Neuauflage kommen wird. Für einen ersten Wurf war das Bonner Barcamp sehr gelungen. Um außerhalb seiner Filterblase Relevanz entfalten zu können, muss es aber auch versuchen, Nicht-Hipster zu erreichen.
Abonnieren
Posts (Atom)